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E-Book

Unser Körper

Geschichte, Gegenwart, Zukunft

AutorDaniel E. Lieberman
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl560 Seiten
ISBN9783104031309
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Geschichte, Gegenwart und Zukunft unseres Körpers - das Standartwerk Wir glauben unseren Körper zu kennen, Veränderungen einschätzen zu können und leben heute so gesund und wohlgenährt wie nie zuvor. Gleichzeitig leiden wir an vielen, bereits zum Alltag gehörenden Erkrankungen wie Diabetes, zahlreichen Allergien, Herzproblemen oder Rückenbeschwerden. Wie es dazu kommen konnte, zeigt uns der Evolutionsbiologe Daniel E. Lieberman in seiner Biographie des menschlichen Körpers. Er stellt dar, wie unsere Lebensbedingungen vor langer Zeit den Körper geprägt haben, und wie das zu den heutigen Leiden führt. Anschaulich und spannend erklärt er nicht nur die Zusammenhänge, sondern zeigt auch, wie wir heute unsere Gesundheit positiv beeinflussen können. »Monumental. [...] Durch Liebermans Augen wird die Evolutionsgeschichte nicht nur lebendig, sie wird auch der Schlüssel, die Zukunft unseres Körpers zu verstehen und zu beeinflussen.« Neil Shubin »Keiner versteht den menschlichen Körper so gut und erzählt seine Geschichte so eloquent wie Daniel Lieberman.« Christopher McDougall, Autor von »Born to Run«

Daniel E. Lieberman ist Professor für Paläoanthropologie und Biologie an der Harvard University. Er hat zahlreiche Artikel in »Nature« und »Science« zur Evolution des menschlichen Körpers veröffentlicht. Besonders bekannt sind seine Forschungen zur Evolution des menschlichen Kopfes wie zur Evolution des Gehens, insbesondere des Barfußgehens.

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Leseprobe

Vorwort


Wie die meisten Menschen, so bin auch ich vom menschlichen Körper fasziniert. Aber während andere ihrem Interesse sinnvollerweise am Abend oder am Wochenende nachgehen, habe ich unseren Organismus in den Mittelpunkt meiner Berufslaufbahn gestellt. Ich hatte sogar das ungeheure Glück, Professor an der Harvard University zu werden. Dort kann ich lehren und erforschen, warum unser Körper so ist, wie er ist, und nicht anders. Mein Beruf und meine Interessen versetzen mich in die Lage, zum Hansdampf in allen Gassen zu werden. Ich arbeite nicht nur mit Studierenden, sondern untersuche auch Fossilien, sehe mir auf Reisen interessante Winkel der Erde an, beobachte, wie die Menschen anderswo ihren Körper einsetzen, und gehe mit Laborexperimenten der Frage nach, wie der Organismus von Menschen und Tieren funktioniert.

Wie die meisten Professoren rede ich auch gern, und ich freue mich, wenn ich zu Rate gezogen werde. Aber von allen Fragen, die mir immer wieder gestellt wurden, fürchtete ich eine immer ganz besonders: »Wie werden die Menschen der Zukunft aussehen?« Ich hasste diese Frage! Ich bin Professor für die Evolutionsbiologie des Menschen, das heißt, ich beschäftige mich mit der Vergangenheit und nicht mit dem, was noch vor uns liegt. Ich bin kein Wahrsager, und bei der Frage musste ich immer wieder an kitschige Science-Fiction-Filme denken, in denen die Menschen der fernen Zukunft mit riesigem Kopf, einem winzigen, bleichen Körper und funkelnden Kleidungsstücken dargestellt werden. Reflexhaft gab ich dann immer dieselbe Antwort, und die lautete sinngemäß: »Die Menschen machen wegen der Kultur kaum noch eine Evolution durch.« Das ist eine Variante der Standarderwiderung, mit der auch viele meiner Kollegen auf die gleiche Frage reagieren.

Mittlerweile aber habe ich meine Meinung zu diesem Thema geändert. Heute halte ich die Zukunft des menschlichen Körpers für eines der wichtigsten Themen, über die man nachdenken sollte. Was den Körper angeht, leben wir in einer widersprüchlichen Zeit. Einerseits ist unser Zeitalter vermutlich das gesündeste der Menschheitsgeschichte. Wer in einem Industrieland zu Hause ist, kann vernünftigerweise damit rechnen, dass alle Nachkommen nicht nur das Kindesalter überleben, sondern überhaupt ein hohes Alter erreichen und selbst Eltern und Großeltern werden. Viele Krankheiten, denen die Menschen früher scharenweise zum Opfer fielen, haben wir besiegt oder eingedämmt: Pocken, Masern, Kinderlähmung, die Pest. Die Menschen sind heute größer, und einstmals lebensbedrohliche Gesundheitsstörungen wie Blinddarmentzündung, Ruhr, Knochenbrüche oder Anämie sind leicht zu heilen. In manchen Ländern herrschen natürlich immer noch Mangelernährung und Krankheit, aber diese Übel haben ihre Ursache meist nicht in einem Mangel an Lebensmitteln oder medizinischen Kenntnissen, sondern sie sind auf schlechte Regierungsführung und soziale Ungleichheit zurückzuführen.

Andererseits könnte es uns heute bessergehen, viel besser sogar. Eine Welle der Fettsucht und chronischer, vermeidbarer Krankheiten und Gesundheitsstörungen rollt um den Globus. Zu den vermeidbaren Krankheiten gehören bestimmte Krebsformen, Diabetes des Typs 2, Osteoporose, Herzerkrankungen, Schlaganfälle, Nierenkrankheiten, manche Allergien, Demenz, Depressionen, Angstzustände, Schlafstörungen und andere. Außerdem leiden Milliarden Menschen an Beeinträchtigungen wie Rückenschmerzen, Senkfüßen, Plantarfasziitis (Fersenschmerzen), Kurzsichtigkeit, Arthritits, Verstopfung, Magensäurereflux und Reizdarm. Manche dieser Leiden gibt es schon sehr lange, andere sind neu oder haben in jüngerer Zeit an Häufigkeit und Heftigkeit stark zugenommen. Bis zu einem gewissen Grad sind diese Krankheiten auf dem Vormarsch, weil die Menschen immer länger leben, aber die meisten zeigen sich schon im mittleren Alter. Dieser epidemiologische Wandel schafft nicht nur menschliches Elend, sondern richtet auch wirtschaftlichen Schaden an. Wenn die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter kommen, belasten ihre chronischen Krankheiten die Gesundheitssysteme und damit auch die Gesamtwirtschaft. Außerdem zeigt der Blick in die Kristallkugel ein düsteres Bild: Alle diese Krankheiten werden häufiger, wenn sich diese wirtschaftliche Entwicklung weiter rund um den Planeten verbreitet.

Die gesundheitlichen Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, geben weltweit den Anlass zu ausführlichen Gesprächen zwischen Eltern, Ärzten, Patienten, Politikern, Journalisten, Wissenschaftlern und anderen. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht oftmals das Übergewicht. Warum werden die Menschen immer dicker? Wie können wir abnehmen und unsere Ernährung umstellen? Wie verhindern wir, dass unsere Kinder übergewichtig werden? Wie halten wir sie am besten zu mehr Bewegung an? Da es dringend notwendig ist, Erkrankten zu helfen, richtet sich große Aufmerksamkeit auch auf die Entwicklung neuer Heilungsmethoden für verbreitete, nichtansteckende Krankheiten. Wie behandeln und heilen wir Krebs, Herzkrankheiten, Diabetes, Osteoporose und die anderen Leiden, an denen wir selbst und unsere engsten Angehörigen voraussichtlich sterben werden?

All diese Fragen werden von Ärzten, Patienten, Wissenschaftlern und Eltern diskutiert und untersucht, aber nach meiner Vermutung richten dabei nur die wenigsten ihre Gedanken in die Vergangenheit, in die uralten Wälder Afrikas, in denen unsere Vorfahren sich von den Menschenaffen abspalteten und zum ersten Mal aufrecht gingen. Nur selten fallen ihnen Lucy oder die Neandertaler ein, und wenn sie überhaupt an Evolution denken, dann meist nur in Form einer offenkundigen Tatsache: Wir waren Höhlenmenschen (was auch immer das bedeuten mag), und daraus kann man vielleicht schließen, dass unser Organismus nicht gut an die moderne Lebensweise angepasst ist. Aber ein Patient, der einen Herzinfarkt hat, braucht keine Belehrungen über die Evolution des Menschen, sondern sofortige medizinische Hilfe.

Wenn ich selbst einmal einen Herzinfarkt bekommen sollte, wünsche ich mir auch, dass mein Arzt sich nicht um die Evolution des Menschen kümmert, sondern um die Notwendigkeiten meiner Versorgung. Dennoch vertrete ich in diesem Buch die Ansicht, dass unsere Gesellschaft es im Allgemeinen versäumt, über die Evolution nachzudenken, und dass dies einer der wichtigsten Gründe ist, warum wir vermeidbare Krankheiten nicht vermeiden. Unser Körper hat eine Geschichte – eine Evolutionsgeschichte –, und die ist ungeheuer wichtig. Erstens können wir mit der Evolution erklären, warum unser Körper so und nicht anders ist, und daraus auch Hinweise für die Vermeidung von Krankheiten ableiten. Warum neigen wir so stark zum Dickwerden? Warum verschlucken wir uns manchmal beim Essen? Warum haben wir ein Fußgewölbe, das sich senken kann? Warum kann der Rücken uns Schmerzen bereiten? Im Zusammenhang mit solchen Fragen steht ein zweiter Grund dafür, uns mit der Geschichte unseres Körpers zu beschäftigen: Wir erfahren etwas darüber, woran unser Körper angepasst ist und woran nicht. Was wir erfahren, ist kompliziert und widerspricht der Intuition, aber es zieht weitreichende Folgerungen nach sich: Wir verstehen besser, was der Gesundheit dient oder der Krankheit Vorschub leistet und warum unser Körper manchmal von Natur aus krank wird. Und schließlich bleibt der wichtigste Grund dafür, die Geschichte des menschlichen Körpers zu studieren: Sie ist noch nicht zu Ende. Unsere Evolution geht weiter. Die wirksamste Form der Weiterentwicklung ist heute allerdings nicht mehr die biologische Evolution, wie sie von Darwin beschrieben wurde, sondern die kulturelle Evolution, durch die wir neue Ideen und Verhaltensweisen entwickeln und an Kinder, Bekannte und andere weitergeben. Manche dieser neuen Verhaltensweisen, insbesondere unsere Essgewohnheiten und die Aktivitäten, die wir ausüben (oder nicht ausüben), machen uns krank.

Sich mit der Evolution des Menschen zu beschäftigen, macht Spaß. Sie ist interessant und aufschlussreich, und dieses Buch handelt zu einem großen Teil von dem erstaunlichen Weg, auf dem unser Organismus entstanden ist. Ich möchte aber auch deutlich machen, welche Fortschritte in Landwirtschaft, Industrialisierung, medizinischer Wissenschaft und anderen Bereichen dazu geführt haben, dass es bisher noch nie so schön war wie heute, ein Mensch zu sein. Aber ich bin kein Schönredner: Unsere Aufgabe besteht darin, es besser zu machen, und deshalb geht es in den letzten Kapiteln um die Frage, wie und warum wir krank werden. Würde Tolstoi dieses Buch schreiben, er würde es vielleicht so formulieren: »Alle gesunden Körper sind gleich; aber jeder kranke Körper ist auf seine eigene Weise krank.«

Die Kernthemen dieses Buches – Evolution, Gesundheit und Krankheit des Menschen – sind ungeheuer umfangreich und vielschichtig. Ich habe mich bemüht, die Tatsachen, Erläuterungen und Argumente klar und einfach zu formulieren, ohne das Niveau herunterzuschrauben und ohne wesentliche Themen wegzulassen, insbesondere wenn es um schwere Krankheiten wie Brustkrebs oder Diabetes geht. Außerdem habe ich viele Quellen – auch Websites – zum Weiterlesen genannt. Eine weitere Schwierigkeit bestand darn, das richtige Gleichgewicht zwischen Breite und Tiefe zu finden. Warum unser Körper so und nicht anders ist – diese Frage lässt sich schon allein deshalb nicht erschöpfend beantworten, weil er ein so komplexes Gebilde ist. Ich habe mich deshalb auf wenige Aspekte unserer Evolution konzentriert, die mit Ernährung und Bewegung zu tun haben; aber auf jedes Thema, das ich behandelt habe, kommen zehn andere, die ich weglassen musste. Die...

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