VORWORT
Warum ein Buch zu Pestiziden schreiben? Glaubt man den Verfechtern der konventionellen, pestizidbasierten Landwirtschaft, handelt es sich um die weltweit am besten untersuchten Substanzen, die gezielt Schädlinge vernichten und dann ohnehin in der Natur zu ungefährlichen Stoffen abgebaut werden. Sollten dennoch Pestizidspuren in Nahrungsmitteln nachgewiesen werden, dann liegt das zuallererst an den verfeinerten Analysemethoden. Jedenfalls sind die Rückstandsmengen stets unterhalb der gesetzlich festgelegten Grenzwerte. Außerdem kennt jeder den Grundsatz, wonach nur die Dosis das Gift macht und man sogar an übermäßigem Wasserkonsum sterben kann! Folgend gilt jeder, der sich gegen den Pestizideinsatz ausspricht, als ein verträumter Naturschützer, der die Realität der modernen Nahrungsmittelproduktion verleugnet und dadurch das Verhungern von Millionen von Menschen riskiert. So könnte man die öffentliche Darstellung zum Thema Pestizide grob skizzieren.
Das vorliegende Buch will diese und andere Aussagen zu Pestiziden wissenschaftlich beleuchten und auf deren Wahrheitsgehalt abklopfen. Denn dies erscheint – gerade in Zeiten des Postfaktischen – wichtiger denn je.
Das Thema interessiert Sie nur am Rande, da Sie weder Landwirtin sind noch einen Garten haben und auch sonst nicht mit Pestiziden hantieren? Das ist fein, vielleicht gönnen Sie sich jetzt eine Tiefkühlpizza mit gemischtem Salat, trinken dazu ein Gläschen Wein oder Apfelsaft und als Nachspeise vielleicht einen Apfel. Allein für die Produktion von Weizen für den Pizzateig, für Tomaten, Mais, Paprika, Salz und die Kräuter, Salat, die Wein- und Apfelproduktion sind in Österreich oder Deutschland 1200 Pestizide zugelassen!1 Diese werden vermutlich nicht alle gleichzeitig eingesetzt, aber sie stehen theoretisch zur Verfügung. Da reden wir aber noch gar nicht von chemischen Substanzen, die in der Produktion, zur Haltbarmachung, Lagerung, Geschmacksverbesserung, Kellertechnik und so weiter eingesetzt werden dürfen. Vielleicht hat Sie dieses Beispiel überzeugt, dass Sie höchstwahrscheinlich doch auch von Pestiziden betroffen sind, ob Sie wollen oder nicht.
Zugegeben, ich war ein wenig naiv, als ich vor wenigen Jahren begonnen habe, die Nebenwirkungen von Pestiziden auf Ökosysteme zu untersuchen. Zuvor habe ich mich als Ökologe fast fünfzehn Jahre lang mit den Auswirkungen von verschiedenen Umwelt- und Klimafaktoren auf Pflanzen und Tiere befasst. Ökologen widmen sich am liebsten möglichst naturnahen Ökosystemen, da dort interessante und seltene Arten in großer Vielfalt vorhanden sind. Agroökosysteme oder andere stark durch menschliches Handeln geprägte Ökosysteme werden von Ökologen oft etwas abschätzig behandelt. Neugierig gemacht auf das Thema wurde ich nicht zuletzt durch das allgemeine Mediengetöse.
Eine erste Orientierung in der wissenschaftlichen Literatur war recht ernüchternd, denn es gab erstaunlich vieles, was nicht untersucht war. Wie die meisten bin ich davon ausgegangen, dass die Pestizide, die alltäglich verwendet werden, selbstverständlich streng getestet werden, bevor sie zur Bekämpfung von Schädlingen und Unkräutern in die Umwelt ausgebracht werden dürfen. Außerdem, so dachte ich, werden Pestizide ohnehin nur im Bedarfsfall verwendet, wenn die Ernte vor Schädlingen gerettet werden muss. Bereits nach kurzem Eintauchen in die Materie kam mir der Verdacht, dass es sich bei vielen dieser medial gestreuten Stehsätze zu Pestiziden um Mythen handelt, die von den Pestizidherstellern und auch von Vertretern der Landwirte verbreitet werden. Dieses Aha-Erlebnis und was ich im Zuge unserer einschlägigen Arbeiten an der Universität für Bodenkultur Wien erlebt habe, hat mich angespornt, dieses Buch zu schreiben. Vieles, was in diesem Buch zu lesen ist, ist in wissenschaftlichen Artikeln publiziert, aber wer außer Fachkollegen liest schon diese Arbeiten?
Wem ist schon bekannt,
– dass die geltenden gesetzlichen Grenzwerte für Pestizidbelastungen in den letzten Jahren ständig nach oben korrigiert wurden?
– dass wir inzwischen alle Spuren von Pestiziden in unserem Körper haben, auch wenn wir selber nie damit hantiert haben?
– dass das viel strapazierte Zitat von Paracelsus, wonach die Dosis das Gift macht, für moderne Pestizide keine Gültigkeit mehr hat?
– dass bis zu 25 Prozent der auf dem Markt befindlichen Pestizide Produktfälschungen sind?
– dass ein deutscher Agrochemiekonzern Südtiroler Weinbauern Entschädigungen bezahlt, weil die Behandlung mit einem empfohlenen Pflanzenschutzmittel zu kompletten Ernteausfällen geführt hat?
– dass für französische Weinbauern die Parkinson-Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt ist?
– dass Abfalldeponien von Altpestiziden weltweit im Fall von Naturkatastrophen tickende Zeitbomben darstellen?
– dass Wissenschaftler, die sich kritisch mit dieser Thematik auseinandersetzen, in Internetforen denunziert werden und dadurch deren Integrität gezielt untergraben wird?
Niemand kann seriös sagen, wie die weit über 100.000 in Umlauf befindlichen Chemikalien unsere Gesundheit und die Natur beeinflussen, da deren Nebeneffekte ungenügend untersucht werden. Das in den Europäischen Verträgen verankerte Vorsorgeprinzip wird bereits gegenwärtig ignoriert, noch bevor irgendwelche, heiß diskutierte, Freihandelsabkommen abgeschlossen werden.
In diesem Buch wird zunächst die Problemlage skizziert und geschildert, wo und in welchen Mengen Pestizide eingesetzt werden. Es folgt ein Einblick in den wissenschaftlichen Alltag zur Erforschung der Nebenwirkungen. Hier wird auch angesprochen, wie wissenschaftliche Ergebnisse an die Öffentlichkeit kommen. Auch die Seriosität des allseits beliebten Online-Lexikons Wikipedia wird angesprochen.
Wenn Sie sich jetzt fragen, wie wir denn ohne die moderne Landwirtschaft, zu der nun einmal Pestizide gehören, die steigende Weltbevölkerung ernähren sollen, dann sind Sie offenbar bereits der Marketingmaschinerie der Agrarlobby aufgesessen! Im letzten Kapitel wird gezeigt, dass die pestizidintensive Landwirtschaft eigentlich ein Verlustgeschäft ist und enorme volkswirtschaftliche Kosten verursacht. Der vermeintliche Nutzen wiegt das bei weitem nicht auf. Zum Glück gibt es viele praxistaugliche Alternativkonzepte ohne exzessive Pestizidanwendung. Mittlerweile geben sogar Vertreter der Landwirtschaft zu, dass wahrscheinlich die Hälfte der Pestizide eingespart werden könnte, ohne dass die Erträge deswegen einbrechen würden. Ein Ausblickskapitel fasst zusammen, was sich dringend ändern soll und was die Politik dazu beitragen muss.
Die Kapitel müssen übrigens nicht der Reihe nach gelesen werden, sie sollten eigentlich auch durcheinander gelesen einen guten Einblick verschaffen.
Alle Aussagen im Text sind durch wissenschaftliche Studien belegt, deren Quellen so angegeben sind, dass sie im Internet leicht gefunden werden können. Ich konnte nur einen kleinen Teil der verfügbaren Studien auch tatsächlich in den Text aufnehmen, da das Buch sonst viel zu umfangreich geworden wäre. Zusatzinformationen fließen ein aus zahlreichen Gesprächen mit nationalen und internationalen Experten und Praktikern. Gute wissenschaftliche Praxis zeichnet sich übrigens dadurch aus, dass Studien von anderen Wissenschaftlern begutachtet (meist anonym) und danach in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht werden. In vielen modernen Zeitschriften werden mittlerweile die Studien, die zugrunde liegenden Rohdaten und auch die Berichte der Gutachter frei zugänglich gemacht. Wenn Studien zur Zulassung von Pestiziden von den Herstellern oder Zulassungsbehörden geheim gehalten werden, wie das vielfach passiert, dann ist das wissenschaftlich unethisch und gibt Raum für Spekulationen, dass da womöglich getrickst wurde. Gerechtfertigt wird diese Geheimhaltung von Herstellern und Behörden mit der Wahrung von Betriebsgeheimnissen. Leser, die sich bisher nicht mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben, werden die im Buch aufgezeigten Aspekte schlichtweg als unfassbar empfinden. Die Situation ist womöglich sogar noch gravierender, als bislang an die Öffentlichkeit gelangt ist.
Was ich mit diesem Buch sicher nicht bezwecken will, ist, eine so lebenswichtige Sparte wie die Landwirtschaft pauschal anzuprangern. Selbst an der sogenannten »grünen« Universität für Bodenkultur in Wien lehrend und forschend liegt mir nichts ferner. Mein Ziel ist vielmehr, die Öffentlichkeit für diese Thematik zu sensibilisieren, um damit letztendlich auch der Politik klarzumachen, dass akuter Handlungsbedarf zum Wohle unserer Umwelt und unserer Gesundheit besteht. Angesprochen werden müssen in diesem Zusammenhang auch die Mechanismen und Verstrickungen, die dazu führen, dass den Landwirten zu derart exzessivem Pestizidgebrauch geraten wird.
Noch eine Begriffsklärung: Wenn ich in diesem Buch über Pestizide spreche, dann meine ich die meistens als Pflanzenschutzmittel bezeichneten Substanzen, die in der Landwirtschaft, von Straßenerhaltern, Gemeinden, Bahnunternehmen und Privatpersonen im Garten oder im Haus verwendet werden. Ich persönlich lehne den Begriff Pflanzenschutzmittel ab, weil er irreführend und beschönigend ist. Immerhin zählen ja auch Herbizide, also Substanzen, die Pflanzen töten, zu den Pflanzenschutzmitteln – schlichtweg eine unsinnige Bezeichnung.
Nicht eingegangen werden soll in diesem Buch auf Biozide, die vorwiegend im nicht-landwirtschaftlichen Bereich eingesetzt werden, wie in Desinfektionsmitteln oder Holzschutzmitteln. Diese würden Stoff für ein separates Buch bieten.
Bereits in diesem Vorwort habe ich des Öfteren die Begriffe Schädlinge oder Unkräuter verwendet. Beides sind...