PROLOG
Riecht nich’,
durchdringt dich,
ist wichtig
Oft, wenn ich entfernteren Bekannten oder Verwandten von meinem derzeitigen Leib- und Magenthema erzähle, ernte ich befremdete Blicke. Das liegt offenbar daran, dass es nicht, sagen wir, von Vulkanen oder den Fortschritten der Medizin handelt. Nein, es dreht sich um das Erdmagnetfeld. Auf den Stirnen meiner Gegenüber lässt sich dann etwas ablesen wie: „Aha. Schon etwas sonderbar, oder?“
Das Erdmagnetfeld hat so gut wie niemand auf dem Schirm. Mit Google Trend lässt sich das klar belegen: Dort werden alle Suchanfragen ausgewertet und Monat für Monat angezeigt, wie interessant ein Thema für die Suchgemeinde ist. Also habe ich bei der Recherche für dieses Buch den direkten Vergleich gewagt – Suchwort 1: Erdmagnetfeld. Suchwort 2: Noroviren, die hatten wir nämlich grad im Haus. Suchwort 3: Terror. Der Terror gewinnt in dieser Trias immer und das Erdmagnetfeld erhält in zwölf Jahren nicht ein einziges Mal auch nur einen Punkt. Schwerwiegender Zweifel: Sollte man überhaupt ein Buch über das Erdmagnetfeld schreiben?
Doch, sollte man, eindeutig und mit Nachdruck! Das Erdmagnetfeld ist nämlich eines der faszinierendsten Phänomene, die es gibt. Die Geschichte seiner Erforschung ist reich an Anekdoten und einige spektakuläre Ereignisse stehen in direktem Zusammenhang mit ihm. Aber es hat auch gewichtige Nachteile in Sachen Publikumswirksamkeit: Es ist nicht zu sehen, nicht zu hören und schon gar nicht mit der Nase zu erschnüffeln. Es schädigt nicht die Gesundheit und es ist in seiner Riesenhaftigkeit so unauffällig, dass man beim Zähne- oder Fensterputzen durchschnittlich genauso oft daran denkt wie an die Weiten des Pazifiks – nämlich nie. Darum zunächst ein kurzer Werbeblock mit Lobpreisungen, um das Erdmagnetfeld aus der stiefmütterlichen Ignoranz des Alltags herauszuheben:
Erdmagnetfeld – so wichtig wie die Luft zum Atmen.
Weit draußen, mehrere zehntausend Kilometer vom Erdboden entfernt, trotzt du 24/7 den Invasoren aus dem All. Sonne und Sterne und andere Giganten des Universums schleudern ihren Teilchen- und Strahlungsmüll achtlos in die Gegend, aber wenn er uns zu nahe kommt, dann bist du da und lenkst ihn einfach ab. Wir leben – dank deiner, oh Erdmagnetfeld, weil du uns schützend umhüllst.
(Was die Werbung nicht erzählen würde: Die Atmosphäre hat dabei natürlich auch ein Wörtchen mitzureden, denn die hochenergetischen Teilchen, sofern sie es in unseren Luftraum schaffen, werden dort immer weiter abgebremst und zerlegt.)
Erdmagnetfeld – kommen Sie mit auf eine Reise zum Mittelpunkt der Erde!
Tief im Bauch unserer Erde kocht und brodelt es bei unsäglichen Temperaturen um die 5000 Grad. Flüssige Metallmassen vollziehen einen Tanz, streben wie in einer gigantischen Lavalampe vom heißen Erdkern aus nach oben und fallen, wenn sie sich wieder abgekühlt haben, hinunter. Sie denken bei einer Quelle an Mineralwasser oder Bier? Sie denken, die Macht der Vulkane ist gigantisch? Think bigger! Diese Quelle hier speist das Erdmagnetfeld in etwa 3000 Kilometern Tiefe!
(Zu dieser Reise wird es natürlich nie kommen. Mal abgesehen von der Hitze, können wir doch nur an der Oberfläche kratzen: Die tiefste Erdbohrung, die sogenannte Kola-Bohrung, wurde 1992 nach 22 Jahren in etwas mehr als zwölf Kilometern Tiefe abgebrochen.)
Erdmagnetfeld – mit uns ans Ziel!
Glauben Sie, die Seefahrt, der Handel mit fernen Ländern und Kulturen oder die Entdeckungsreisen ins Unbekannte haben unsere Welt bereichert, das Wissen befördert, ja vielleicht sogar einen Beitrag für unseren heutigen Lebensstandard geleistet? Dann stellen Sie sich die Seefahrt mal ohne Kompass vor – eine glückliche Heimreise mit neuen Waren, Geschichten und Erkenntnissen im Gepäck wäre weniger wahrscheinlich. Und woran richtet sich die Kompassnadel aus? Ja richtig, am Erdmagnetfeld!
(Heutzutage haben wir natürlich das GPS, und das ist in der Regel genauer und einfacher zu handhaben als ein Kompass. Aber auch die GPS-Satelliten sind auf das Erdmagnetfeld angewiesen. Dort oben in 20.000 Kilometern Höhe schützt es nämlich ihre Bordelektronik gegen Strahlung und den Teilchenbeschuss aus dem All.)
EIN STECKBRIEF ÜBER ÄUSSERLICHKEITEN
Schauen wir uns unseren freundlichen Begleiter und Beschützer einmal genauer an. Das Erdmagnetfeld erinnert in seiner Form zunächst an einen schönen, runden Apfel. Durch seinen magnetischen Nordpol am Stielansatz kommen die Feldlinien heraus, wandern über die Apfelschale bis zum Südpol, der Blüte, und gehen durchs Kerngehäuse schnurstracks zum Nordpol zurück. Und weil das Magnetfeld mit seinen Feldlinien ja überall ist und nicht nur auf der Schale, stellen Sie sich den Apfel besser noch als Zwiebel mit etlichen Schalen vor. Außerdem liegt momentan der magnetische Nordpol der Erde im geographischen Süden, das heißt, Sie müssen den Apfel umdrehen, mit der Blüte nach oben.
Die Feldlinien kennen Sie vielleicht noch aus dem Schulunterricht. Da hat man einen Stabmagneten genommen und Eisenfeilspäne dazu geschüttet. Die Späne verteilten sich auf Linien, den Feldlinien. Auch wenn diese Linien sichtbar werden, so sind sie eigentlich nur eine Idee, eine Versinnbildlichung der Geometrie des Magnetfelds. Dass sich die Eisenspäne dennoch in Linien gruppieren, liegt daran, dass die Späne selbst magnetisiert werden und sich wie Kompassnadeln ausrichten – Eisenspan für Eisenspan kettet sich der Nordpol des einen an den Südpol des anderen. Das ist nun das idealtypische Bild. Unser stiller Freund hat allerdings in Wahrheit ein bewegtes Leben, das ihn etwas mitgenommen aussehen lässt. Die Sonne nämlich bläst permanent einen Strahlungs- und Teilchenstrom ins All hinaus – auch Richtung Erde. Und der drückt auf das Erdmagnetfeld. Auf der Tagseite, also zur Sonne hin, wird es deshalb etwas zusammengestaucht und in Richtung Weltall, also auf der Nachtseite, zerfasert es. Hinzu kommt noch, dass das Erdmagnetfeld etwas schief hängt. Normalerweise, also irgendwie vom Gefühl her, so mit dem gesunden Menschenverstand gedacht, auch wenn der uns in vielen physikalischen Dingen ja nicht so weit bringt … Aber lassen wir das! Also, normalerweise würde man davon ausgehen, dass seine Pole unseren geographischen Polen entsprechen, also der eine magnetische Pol direkt am Nordpol, quasi unter dem Polarstern, und der andere Pol am Südpol, genau da, wo der Amundsen dem Scott einst eine lange Nase gemacht hat. Doch weit gefehlt. Im Süden liegt der magnetische Pol noch nicht einmal innerhalb des Polarkreises, sondern vor der antarktischen Küste, südlich von Australien. Im Norden ist die Abweichung vom geographischen Pol nicht ganz so drastisch. Unsere Kompasse zeigen auf einen Punkt nördlich von Kanada. Dieser Magnetpol wandert allmählich über den Arktischen Ozean Richtung Sibirien und kommt dabei immerhin dem geographischen Nordpol sehr nahe. Jedes Jahr zieht er um etwa 50 Kilometer weiter. In geophysikalischen Dimensionen ist das ziemlich viel – die eurasische Platte, auf der wir sitzen, rückt pro Jahr gerade mal 2,5 Zentimeter von der Stelle.
STROM MACHT MAGNETFELD – UND UMGEKEHRT
Um den Ursprung des Erdmagnetfelds zu verstehen, ist zunächst ein Blick auf ein Grundprinzip der Physik nötig. Dieses lautet: Wo Strom fließt, da gibt es ein Magnetfeld. Aber warum eigentlich?
„Das ist eben so.“ Diese Antwort werden Sie womöglich von Technikfüchsen aus Ihrer näheren Umgebung erhalten, zumindest ist es mir so ergangen. Bisweilen zeigten sie dazu noch ihre halboffene linke Faust und streckten den Daumen hoch – nein, das war keine Drohung und auch keine Geste nach dem Motto „gute Frage, schön, dass du damit zu mir kommst“, sondern die Versinnbildlichung der sogenannten Linke-Faust-Regel: Fließt der Strom in Daumenrichtung, dann fließt das Magnetfeld in Richtung der restlichen Finger. Das Magnetfeld bildet gewissermaßen einen Ring, der sich um den Daumen beziehungsweise den Stromleiter dreht.
Trotzdem blieb die Frage unbeantwortet, warum Elektrizität und Magnetismus immer im Doppelpack auftreten. Das Ganze kennen Sie vielleicht unter dem Begriff „Elektromagnetische Induktion“. Eines der alltäglichsten Anwendungsbeispiele dafür ist der Fahrraddynamo. Vereinfacht funktioniert der so: Indem Sie ordentlich in die Pedale treten, versetzen Sie einen Permanentmagneten in Drehung. Dieser ist zusammen mit einer Drahtspule in einer speziellen Konstruktion verbaut. Mit ihm rotiert sein eigenes Magnetfeld, die Bewegung verursacht eine Spannung und einen Stromfluss im Draht und schwupps – es werde Licht. Umgekehrt ist es möglich, dass durch einen Strom ein Magnetfeld aufgebaut wird – man denke nur an Magnetkräne auf einem Schrottplatz. Hier gibt es auch eine Drahtspule und außerdem einen Weicheisenkern darin, der den magnetischen Effekt verstärkt. Strom an, schwupps – das Auto hängt am Kranausleger.
Jenes „schwupps“ ist natürlich um keinen Deut besser als „Ist eben so.“ Letztlich muss man für eine Erklärung des Phänomens Magnetismus die Quantenphysik befragen und das bedeutet eine Menge höherer Mathematik und geistiger Verrenkungen. Man müsste hochkomplexe Atommodelle wälzen und sich mit einer Reihe von Kleinstteilchen mit äußerst seltsamen Eigenschaften befassen, die selbst die Physiker nur mit Behelfswörtern aus dem Bereich der Farben und Geschmäcker umschreiben, weil die Phänomene ohne solche Metaphern gar nicht zu fassen wären. Das überlassen wir darum besser den wirklichen Quantenprofis und versuchen es mit einer sehr groben Vereinfachung. Wenn sich...