Vorwort
Unser Leben hat sich verdoppelt. Wer sich heute durch die Welt bewegt, wer erwirbt, konsumiert, wegwirft, reist, investiert und politisch entscheidet, scheint in allen Bereichen zwischen zwei Versionen der Lebenswelt wählen zu können: einer konventionellen und einer biologischen, respektive ökologischen. Kaum jemand wird infrage stellen, dass bewusst lebende, sich progressiv und links verortende Bürgerinnen nach Möglichkeit zu letzterer Variante tendieren werden. Dabei ist es kaum mehr vorstellbar, dass kritische Geister der ökologischen Frage vor noch nicht allzu langer Zeit sehr skeptisch gegenüberstanden. Als das Thema Umweltzerstörung in den Siebzigerjahren immer mehr Aufmerksamkeit erlangte und immer mehr linke Gruppen anfingen, sich in der jungen Anti-AKW-Bewegung zu tummeln, quittierten das viele, so auch ich, mit einem Kopfschütteln. Bei Marx hatten wir gelernt, dass der Fortschritt der Produktivkräfte den Weg in eine bessere Gesellschaft ebnet. Die moderne Technik hatte auch längst einen Stand erreicht, der den Benachteiligten eine erheblich lebenswertere Existenz ermöglichte, wenn der Kapitalismus die produzierten Güter nicht ungerecht verteilen würde. Es ging also darum, darin blieben wir Vätern der Neuen Linken wie Herbert Marcuse treu, die Produktionsverhältnisse zu ändern. Strategien, die Produktivkräfte ungenutzt zu lassen oder ihre Entwicklung zu bremsen, wie es Denker der frühen Ökologie, beispielsweise Ivan Illich, forderten, und die Verabschiedung des Proletariats durch André Gorz verzichteten hingegen auf die Änderung der Produktionsverhältnisse.
Der Eindruck des Atom-Unfalls von Harrisburg Anfang der Achtzigerjahre führte bei vielen zum Umdenken. Auch meine Perspektive veränderte sich und ich begann mich mit der Frage zu beschäftigen, wie man die Ökologie mit dem sozialen Fortschritt verknüpfen könnte.
Doch in der Beschäftigung mit den ökologischen Desastern schlug das theoretische Pendel bald ins Gegenteil aus. Unter dem Einfluss von Nietzsche, Heidegger und der postmodernen Philosophie begann ich am technologischen als auch am rationalen Denken zu zweifeln. Bereits die Dialektik der Aufklärung von Adorno und Horkheimer schien keinen Ausweg aus dem Dilemma zu kennen, dass der Fortschritt in die Barbarei und daran anschließend in die Naturzerstörung führt.
So entwickelte ich den Begriff der negativen Ökologie: Die modernen Naturwissenschaften und Technologien erfassen Natur nicht, wie sie wirklich ist, sondern entfalten einen Willen zur Macht, der im Industrialismus gipfelt und kein richtiges Leben mehr zulässt, eine Entwicklung, in die sich der damals noch real existierende Sozialismus einklinkt und die auch der Marxismus nicht zu humanisieren wüsste. Ein Zusammenspiel von Technologisierung, Bürokratie und Wirtschaft intensiviert nicht nur die Herrschaft des Menschen über den Menschen, sondern auch die industrielle Naturzerstörung. Vom Standpunkt der entwickelten Zivilisation schien jeder Ausweg aus diesem Verhängnis verstellt und Tschernobyl unterstrich noch mal die tödlichen Folgen dieses Zustandes.
Das Problem der Umweltzerstörung technologisch anzugehen, erachtete ich aus der Perspektive der negativen Ökologie als reichlich aussichtslos, da Technologien der Natur nie zu entsprechen vermögen, diese vielmehr immer nach technologischen Strukturen behandeln. Negative Ökologie wollte diese Differenz bzw. Adornos Nichtidentisches markieren und davon ausgehend im Sinne Heideggers zu denken geben, nicht zu handeln: Es müsste mehr gedacht und weniger getan, mehr unterlassen als aktiv angegangen werden.
Die Unfähigkeit der repräsentativen Demokratie, die Umweltprobleme anzugehen, verschärfte die Bedrohung durch die Umweltzerstörung genauso wie der Sozialismus, der indes schließlich unterging. Der Widerstand, der sich seit den Siebzigerjahren in der Bevölkerung ausbreitete, wirkte ebenfalls ziemlich hilflos und schien der Entwicklung kaum etwas entgegenzusetzen zu haben.
Erst in den letzten zwei Jahrzehnten ließ sich erkennen, dass sich seit den Siebzigerjahren sehr viel bewegt und gewandelt hatte, und zwar weniger von Seiten der Politik der repräsentativen Demokratie als vielmehr durch aktive Bürgerinnen selbst. Das obrigkeitshörige Bewusstsein des 19. und 20. Jahrhunderts verlor an Lufthoheit. Die Autoritäten büßten für viele ihren Glanz ein. Natürlich würde man sich vor einen Nazi-Führer fürchten, doch vor ihm kuschen wie ihre Väter oder Urgroßväter würden heute viele nicht mehr. Heute sucht man sich seine wichtigen ethischen Werte selbst und übernimmt diese nicht mehr vom Staat oder den Kirchen. Die offizielle Politik reagierte zwangsläufig darauf und muss heute stärker als in den Jahren der frühen Bundesrepublik auf die Bürgerinnen achten.
So erhielt die Demokratie durch die diversen Bürgerinitiativen ein partizipatorisches Element. Die Zeitgenossen ergreifen politisch selbst die Initiative, sie wehren sich, und zwar häufig durchaus erfolgreich. Ohne die außerparlamentarische Anti-AKW-Bewegung gäbe es schwerlich die Bemühungen der institutionellen Politik, aus der Atomenergie auszusteigen. Das Thema Umwelt hat nicht bloß ungeheure Popularität erreicht. Öko ist überall in die Wirtschaft, Technologien, Politik und die Alltagswelt eingezogen, sodass man von einem Prozess der Ökologisierung sprechen kann.
Einerseits verbindet sich die Ökologisierung mit dem Anspruch auf Mündigkeit, mit diversen Emanzipationsperspektiven, mit politischen Protestbewegungen, mit aktiven Bürgern. Die Emanzipation eröffnet nicht nur Frauen neue Lebenswege. Die Familie büßte an Bedeutung ein, während sich die Lebenswelten bis heute differenzieren. Nicht dass die Religion keine Rolle mehr spielt. Aber in Europa lässt ihre Wiederkehr in den letzten Jahrzehnten auf sich warten. Die Bürgerin achtet längst mehr auf das Körperheil als auf das Seelenheil. Es geht um Gesundheit, schmackhaftes Essen, vergnüglichen Sport, neue Ideen und um effiziente Nutzung von Energie. Ökologisierung besitzt daher auch hedonistische Perspektiven.
Andererseits entgeht die Ökologisierung trotzdem nicht der Dialektik der Aufklärung und entwickelt zwangsläufig Schattenseiten. Sie intensiviert den Krisendiskurs, der sich in den letzten Jahrzehnten epidemisch ausbreitete und die Ängstlichkeit der Zeitgenossen ausnutzt, um diese wieder besser zu kontrollieren und zu lenken. Sie beschleunigt die Medizinisierung der modernen Gesellschaft, indem sie die zunehmende Macht des Gesundheitswesens sogar noch befördert. Sie bietet der Bürokratisierung eine unglaubliche Spielwiese, indem sie immer mehr Bereiche der umweltfreundlichen Reglementierung unterstellt.
Obendrein bringt die Ökologisierung massive Ambivalenzen hervor, durch die aber auch viele negative Einschätzungen aus den Siebzigerjahren relativiert werden. Verdankten diese sich einer traditionellen Kritik an der Moderne, die das ökologische Bewusstsein jener Zeit prägte, so erscheint es heute eher absurd, der Ökologisierung noch eine technikfeindliche Neigung attestieren zu wollen. Heute heißt Ökologisierung primär Technologisierung.
Dabei ist es auch nicht mehr ausgemacht, ob dadurch das Denken formiert wird, wie es Martin Heidegger befürchtete. Die Ökologisierung ist längst der Ort der individuellen Kreativität, ob im IT-Bereich oder in der Landwirtschaft. Sie beeinflusst die Pädagogik und bietet nicht nur Chancen der ethischen Erziehung, sondern setzt dieser auch Grenzen. So geht es nicht nur um Einstellungen, um die Befolgung von ethischen Normen, sondern auch um praktische Konsequenzen, um Verantwortungs- statt um Normenethik, indem Schüler beispielsweise ausrechnen, wie es der Schule gelingt, Energie zu sparen, und wie sie sich selbst daran beteiligen können. Dadurch fördert sie weniger eine Erziehung zur gesinnungsethischen Gleichheit als zur verantwortlichen Individualität.
Selbstredend liegt die Ökologie auch mit manchen Themen und Bereichen im Konflikt. Die Ökonomie fordert sie weit weniger heraus als den Sozialstaat und die Praktiken sozialen Ausgleichs. Zur liberalen Vorstellung des freien Spiels der Kräfte besteht zwar eine Nähe, die aber bei genauerer Betrachtung theologische Wurzeln offenbart. Diese Verwandtschaft von Ökologisierung, Liberalismus und Christentum mag Vertretern aller drei Strömungen unangenehm erscheinen, zu leugnen ist sie nicht. Die Ökologisierung liegt ferner im Konflikt mit der Ästhetik, ein Problem, das vielleicht gar nicht gelöst werden muss, sich aber wahrscheinlich in hedonistisches Wohlgefallen auflöst, was so manche ästhetische Theorie verunsichert, beispielsweise die Adornos.
Vor allem des Themas Ethik bemächtigt sich die Ökologisierung mit einer unglaublichen Dynamik, wobei sie eine autoritäre Ethik à la Hans Jonas längst hinter sich gelassen hat. Es gibt heute keine größere ethische Spielwiese als die Ökologie. Dabei ist sie jedoch weit davon entfernt, nur als schlechtes Gewissen aufzutreten, im Gegenteil, man kann ökologisch etwas für die Welt und für sich selbst tun und auf diese Weise womöglich auch noch Geld sparen. Die Ökologisierung...