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Unterstützung betrieblicher Lernprozesse durch Reflexionsgespräche

Ein konzeptioneller Vorschlag zur Gestaltung von Reflexionsgesprächen als neue Lernform

AutorDirk Mertins
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl102 Seiten
ISBN9783640733033
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Pädagogik - Berufserziehung, Berufsbildung, Weiterbildung, Note: 1,3, Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg (Institut für Arbeits- und Berufspädagogik), Sprache: Deutsch, Abstract: Eine Aufgabe der Berufs- und Betriebspädagogik ist das theoriegeleitete und empirisch gestützte Entwickeln betrieblicher und überbetrieblicher Qualifizierungskonzepte. Insbesondere die stark veränderten Anforderungen an Beschäftigte und Betriebe stellen eine große Herausforderung dar. Mit dem Wandel der Industriegesellschaft zu einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft findet eine verstärkte Abkehr von tayloristischen Prinzipien statt, Konsequenz sind eine erhöhte Flexibilisierung des Arbeitsumfeldes, Enthierarchisierung sowie Deregulierung beruflicher Tätigkeiten die ein schnelles Anpassen der Beteiligten an neue Gegebenheiten erfordert. Aus ökonomischer Sicht stehen dabei die Verbesserung und Optimierung von Arbeitsstrukturen und Arbeitsergebnissen mit dem Ziel einer gesteigerten Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund (vgl. Dehnbostel 2001, S.54). Mitarbeiter müssen in der Lage sein, selbstorganisiert wie auch selbstgesteuert zu arbeiten und zu lernen. Insbesondere vor dem Hintergrund der abnehmenden Halbwertszeit einmal erworbenen Wissens gewinnt die Fähigkeit, sich selbständig im Rahmen des lebenslangen Lernens neues Wissen zu erschließen, stetig an Bedeutung. Qualifizierungskonzepte, die das zielgerichtete Lernen im Prozess der Arbeit ermöglichen, sind zumeist durch informelle Lernprozesse, also Lernen durch Erfahrung, geprägt. Im Rahmen des informellen Lernens hat sich besonders die Reflexion als Schlüsselelement für das bewusste Lernen für Erfahrung herausgestellt. Dementsprechend besteht insbesondere ein Bedarf an der Entwicklung von Qualifizierungskonzepten und Lernformen, die die Entwicklung reflexiver Handlungsfähigkeit ermöglicht. Der Lernende soll in die Lage versetzt werden, nicht nur kompetent die Anforderungen von Arbeit und Gesellschaft zu bewältigen, sondern über sich und seine Umgebung zu reflektieren und so Veränderungen mitzugestalten. Reflexion als Schlüsselelement des Erfahrungslernens soll im Folgenden in seiner Bedeutung für beruflich-betriebliche Lernen untersucht werden. Weiterhin wird das Reflexionsgespräch als unterstützende Lernform betrachtet und konzeptionelle Handlungsempfehlungen für den Einsatz dieser Lernform werden herausgearbeitet.

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Leseprobe

3 Reflexionsgespräche zur Unterstützung betrieblichen Erfahrungslernens


 

In Reflexionen werden Erfahrungen in neues Wissen umgesetzt, man spricht im Kontext betrieblicher Erfahrungen von betrieblichem Erfahrungslernen. In diesem Kapitel soll nun untersucht werden, inwiefern sich Reflexionsgespräche zur Unterstützung von Reflexionen und damit zur Unterstützung betrieblichen Erfahrungslernens eignen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage, ob Reflexion als individuelle kognitive Tätigkeit des Lernenden durch das Gespräch mit einem Gesprächspartner unterstützt und gefördert werden kann. Dazu werden zunächst die Charakteristika des Reflexionsgesprächs herausgearbeitet. Im Anschluss daran wird untersucht, welchen Einfluss die Sprache bzw. das Sprechen und die Person des Gesprächspartners auf Reflexionsprozesse haben können. Es folgt eine Darstellung, unter welchen Umständen die Wirkung von Reflexionsgesprächen eingeschränkt sein kann. Abschließend wird zusammengefasst, inwiefern sich das Reflexionsgespräch zur Unterstützung von Lernprozessen eignet.

 

3.1 Charakteristika eines Reflexionsgesprächs


 

Die Situation des Reflexionsgesprächs erweitert den kognitiven Prozess der Reflexion um eine Gesprächssituation. Das bedeutet, es führen zwei Personen miteinander ein Gespräch, das eine Person für einen Reflexionsprozess nutzt. Das Medium des Gesprächs ist die Sprache, die Gespräche werden `face-to-face´ geführt. Sind Reflexionsgespräche pädagogisch arrangiert, bedeutet das, eine Person ist der Lernende, die andere der anregende, unterstützende Gesprächspartner. Es wurde angedeutet, dass vor dem Hintergrund eines konstruktivistischen Lernverständnisses sowie eines selbstgesteuerten, handlungsorientierten Lernens die Rolle des Gesprächspartners vorrangig die eines Gesprächsbegleiters ist, der durch Fragen und Feedback versucht, den Reflexionsprozess des Lernenden zu unterstützen.

 

Das vorrangige Ziel pädagogisch intendierter Reflexionsgespräche kann vor dem Hintergrund des reflexionsabhängigen Erfahrungslernens nur sein, dass der Lernende in seinem, eigentlich informell ablaufenden Reflexionsprozess unterstützt wird. Durch das Reflexionsgespräch soll er in die Lage versetzt werden, ausgehend von bestimmten Problemstellungen vorangegangene Erfahrungen in Erfahrungswissen umzusetzen, um darüber hinaus seine reflexive Handlungsfähigkeit weiter zu entwickeln. Der Reflexionsprozess wiederum beinhaltet verschiedene Teilprozesse, angefangen von dem Rekapitulieren konkreter Erfahrungen, der Explikation impliziten Wissens oder automatisierter Arbeitshandlungen über das Entwickeln neuer Handlungsoptionen bis hin zu einem möglichen Probehandeln, das, den eingeschränkten Umständen des Reflexionsgesprächs angepasst, stattfindet. Dementsprechend steht der Lernende mit seiner Reflexion im Mittelpunkt des Reflexionsgesprächs. Die Situation des Reflexionsgesprächs lässt sich schematisch wie in Abbildung 4 dargestellt beschreiben.

 

 

Abb. 4: Schematische Darstellung eines Reflexionsgesprächs

 

Zusammengefasst wird im Folgenden unter dem Begriff des Reflexionsgesprächs folgende Gesprächssituation verstanden:

 

Ein Reflexionsgespräch ist ein mit Absicht herbeigeführtes Gespräch zur zielgerichteten Unterstützung betrieblichen Erfahrungslernens. Inhalt des Gesprächs zwischen einem Lernenden und einem Gesprächspartner ist die verbale Reflexion des Lernenden. Die Funktion des Gesprächpartners besteht in deren Anregung und Unterstützung.

 

Als Charakteristika eines Reflexionsgesprächs können die Verwendung von Sprache und das Vorhandensein einer Gesprächs- bzw. Kommunikationssituation festgehalten werden.

 

3.2 Sprache zur Förderung von Reflexion


 

Die Sprache bzw. das Sprechen erfüllt in Lehr- und Lernprozessen zwei Funktionen (vgl. Hacker 1993, S.272): Zum einen eine extrakommunikative Form, bei der im Rahmen von Kommunikation mit anderen Personen die Sprache als Medium eingesetzt wird. Zum anderen eine intrakommunikative Form, die einem lauten oder lautlosen Mitsprechen bei der Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle von Handlungen, dem Vollzug von Denkprozessen sowie dem Aneignen und Reproduzieren von Wissen entspricht[8]. „Verbalisation hat demnach eine Doppelfunktion, Kommunikation zu ermöglichen und den Erkenntnisprozess beim einzelnen Menschen zu stützen“ (Hacker 1993, S.272). Der Begriff `Verbalisation´, `Verbalisierung´ bedeutet

 

„das innere oder laute In-Worte-Fassen und damit begriffliche Fixieren von zuvor vom Arbeitenden nichtsprachlich erfassten Bedingungen oder Bestandteilen von Arbeitstätigkeiten“ (Tomaszeweski 1981 zitiert nach Hacker 1998, S.749).

 

Je nach Situation kann der funktionelle Schwerpunkt entweder auf Seiten der extrakommunikativen oder der intrakommunikativen Funktion liegen. In Reflexionsgesprächen hat die extrakommunikative Form der Sprache wegen des Gesprächsinhalts eine zweitrangige Bedeutung. Im Vordergrund steht die auf Erkenntnis abzielende Reflexion des Lernenden, das heißt, die intrakommunikative Funktion von Sprache ist von besonderer Bedeutung und wird im Folgenden vertieft.

 

3.2.1 Die intrakommunikative Funktion der Sprache


 

Der intrakommunikative Einfluss der Sprache auf Denkprozesse und damit auf Reflexionsprozesse wird in der einschlägigen Literatur kontrovers diskutiert (vgl. Wetzstein 2004, S.21). Als Extrempole lassen sich der Sprachinstrumentalismus und der Sprachdeterminismus feststellen. Gemäß dem Sprachdeterminismus übt Sprache keinen Einfluss auf das Denken aus, sondern dient lediglich der Mitteilung von Denkergebnissen. Demgegenüber ist gemäß dem Sprachdeterminismus das Denken untrennbar mit Sprache verbunden. Vorreiter für diese Standpunkt war bereits Platon: „Dasselbe ist Denken und Sprechen, nur dass das Gespräch der Seele mit sich selbst, was ohne Stimme vor sich geht, Denken genannt worden ist“ (zitiert nach Dörner 1979, S.49).

 

Beide Extrempole sind in ihrer Formulierung vermutlich unzutreffend (vgl. Wetzstein 2004, S.21). Denken findet zwar häufig als eine Art inneres Gespräch statt, jedoch weisen Phänomene wie der plötzliche Einfall oder die `Sprachnot´ bei Dingen, die einem auf der `Zunge liegen´, auf nichtsprachliche Denkprozesse hin (vgl. Dörner 1979, S.49).

 

„Wenn auch das Denken nicht `inneres Sprechen´ ist, so bestehen doch zwischen Denken und Sprechen innige Beziehungen. Die Elemente der Sprache, die Worte, bilden ein zweites Eingangstor zu den in einer Gedächtnisstruktur gespeicherten Inhalten“ (Dörner 1979, S.49).

 

Die intrakommunikative Form der Verbalisierung kann sowohl laut wie auch lautlos stattfinden. Untersuchungen beschränken sich aufgrund der Messbarkeit vor allem auf die laut gesprochene Form. Untersuchungen zum Einfluss eines `äußeren Sprechen für sich´ bzw. eines `lauten Denkens´ auf die Leistungs- und Problemlöseleistung von Individuen stehen im Fokus der Kognitiven Psychologie[9]. Die Untersuchungen beschränken sich auf wissensreine bzw. wissensarme Aufgabenstellungen[10] und untersuchen vor allem die Auswirkungen der Verbalisierung auf die Problemlösefähigkeit der Probanden. Die Ergebnisse der Untersuchungen bestätigen, dass Verbalisieren einen Einfluss auf Denkprozesse hat. Demnach kann das Verbalisieren sowohl zu positiven als auch zu negativen Effekten bei Problemlöseprozessen führen (vgl. Wetzstein 2004, S.29): Positive Effekte in Form einer signifikanten Leistungssteigerung konnten erzielt werden, wenn das Verbalisieren das eigene Verhalten nicht nur beschreibt, sondern auch erklärt und bewertet.

 

„Es konnte gezeigt werden, dass Selbstreflexion als begründetes lautes Denken, bei dem eigenes Verhalten sprachlich beschrieben, bewertet und eine Selbstinstruktion für zukünftiges Vorgehen gegeben wird, zur Verbesserung der Leistung führt“ (Wetzstein/Hacker 2002, S.145).

 

Ein rein deskriptives Verbalisieren hingegen führt nicht oder nur eingeschränkt zu einer verbesserten Problemlösefähigkeit (vgl. Dörner 1998, S.237). Zudem zeigte sich vor allem bei komplexen und schwierigen Problemen eine positive Wirkung. Negative Effekte in Form von verminderter Leistung und Verlangsamung der Tätigkeiten wurden bei einfachen bzw. stark automatisierten Prozessen festgestellt. Es können keine Aussagen darüber gemacht werden, inwiefern diese Ergebnisse auf komplexe und wissensreiche Aufgabenstellungen übertragen werden können.

 

Aus der Perspektive der Arbeitspsychologie beschreibt Hacker (1993; 1998) einen Einfluss von Sprache bzw. des Sprechens auf die Regulation von Arbeitshandlungen. Er stellt die besondere Bedeutung der Sprache für die Ausführungsregulation individueller Arbeitstätigkeiten heraus (vgl. Hacker 1998, S.261 f.). Sprache unterstützt in einer kognitiven Funktion die differenzierte Erkenntnis der Umwelt sowie in einer internen regulativen Funktion die Umsetzung von Informationen in Anweisungen und Aktionsprogramme und kontrolliert deren Verwirklichung. Deutlich wird der Nutzen dieser Funktionen zum Beispiel bei Schwierigkeiten in der Verrichtung von Arbeitstätigkeiten, die durch ein „lautes `Sprechen für sich selbst´ oder auch ein entlautetes...

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