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Untersuchungen zum Sprachgebrauch im Dancehall

auf Martinique, Guadeloupe und im frankokreolophonen Sprachraum

AutorSabine Kirchleitner
VerlagHirnkost
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl110 Seiten
ISBN9783943774757
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte hat sich Dancehall als eigenständiges musikalisches Genre mit charakteristischen Sprachformen entwickelt. Die hier vorgefundenen Kreolsprachen und deren Besonderheiten erhalten als Forschungsgegenstand verstärkte Aufmerksamkeit. Die Arbeit bietet neben einem umfassenden Einblick in die historische und soziale Entwicklung dieses weltweit populären Musikstils auch eine vertiefte Analyse der Themenkomplexe in den Texten und deren linguistische Besonderheiten anhand ausgewählter Songbeispiele.

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Leseprobe

3 Musikalische Analyse


Als Einstieg ins Thema soll im Folgenden die musikgeschichtliche Entwicklung und Entstehung des Musikgenres Dancehall nachgezeichnet werden, welche von zentraler Bedeutung für das spätere Verständnis der sprachlichen Besonderheiten ist.

3.1 Entstehung: Ursprünge in der Karibik


3.1.1 Afrikanische Wurzeln und Kolonialherrschaft

Um die Bedeutung des Dancehall heute zu verstehen, gilt es, zunächst dessen Ursprünge zu betrachten: Seinen Anfang nimmt die Geschichte des Musikstils im 16. Jahrhundert in Afrika. Ab diesem Zeitpunkt werden Tausende AfrikanerInnen in die Karibik deportiert, um auf den Zuckerrohrfeldern zu arbeiten oder nach Amerika weiterverkauft zu werden. Während Jamaika zunächst unter spanischer und danach britischer Kolonialherrschaft steht, herrschen die Franzosen auf den französischen Antillen. Herausgerissen aus ihrem heimatlichen Umfeld und gezwungen, sich einer vollkommen fremden Kultur anzupassen, dienen vor allem die Musik und die damit verbundenen Tänze der Bewahrung einer eigenen kulturellen Identität: „In ihr lebte die Erinnerung an Afrika weiter.“9 Tanz und Musik sind schon in der Sklavenzeit sehr eng verbunden und haben eine befreiende Funktion, sie erlauben den SklavInnen ihre Emotionen auszudrücken, was für sie in sprachlicher Form oftmals nicht mehr möglich ist.10 Aus Angst vor Aufständen werden SklavInnen einer Sprachgemeinschaft in den Lagern oft auf verschiedene Plantagen verteilt.11 Da sie aufgrund der unterschiedlichen Sprachen nur wenig miteinander kommunizieren können, wird die Musik ihr wichtigstes Ausdrucks- und Kommunikationsmittel. Die Verarbeitung des afrikanischen musikalischen Erbes spielt eine zentrale Rolle für die spätere Herausbildung der kulturellen Identität innerhalb des Genres Dancehall. Assmann beschreibt diesen Prozess unter dem Begriff des „kulturellen Gedächtnisses“. Dieses beinhaltet die kollektive Erinnerung einer Gruppe an Fixpunkte in der Vergangenheit; hierbei wird nicht mehr zwischen Mythos und „wahrer“ Geschichte unterschieden. Im Falle der SklavInnen fungiert die Musik folglich als kultureller Speicher, in ihr werden die afrikanischen Werte und Traditionen weitergegeben und konserviert.12

Die afrikanische Trommelmusik war schon in der Heimat in das tägliche Leben als Ausdrucksform sozialer und religiöser Funktionen integriert gewesen, in den SklavInnenlagern erfahren sie eine neue Funktion als Kommunikationsmittel. Die neue Art der Verständigung ermöglicht den SklavInnen die Organisation von Aufständen durch das Mittel der Musik.13 Gelingt ihnen der Weg in die Freiheit, so fliehen sie in die Berge um dort eigene, autonome Gesellschaften aufzubauen. Diese entflohenen SklavInnen werden auf den französischen Antillen „Nègres Marrons“ genannt, in Jamaika „Marrons“.14

Eine der afrikanischen Trommelformen aus der Sklavenzeit in Jamaika, die auch später noch große Bedeutung haben wird, ist das der Ashanti-Tradition15 entstammende Burru-Trommeln16. Diese Art des Trommelns wird sogar teilweise von PlantagenbesitzerInnen als Taktgeber für die Feldarbeit eingesetzt, was erklärt, warum das Burru-Trommeln die Kolonialherrschaft am längsten überdauert. In den meisten Fällen werden musikalische Zusammenkünfte aber aus Angst verboten, die Versammlungen könnten der Organisation von Aufständen dienen, was durch das sogenannte drum-law17 zum Ausdruck gebracht wird.18

Eine vergleichbare Entwicklung findet auch auf den französischen Antillen statt: Während die Gesänge meist toleriert oder sogar gefördert werden, da sie zu schnellerer Arbeit anregen, verbieten die KolonialherrInnen die Trommelmusik. In der Folge ersetzen die SklavInnen die Trommeln durch Büchsen oder Kalebassen19 und versuchen somit die Verbote zu umgehen. Die rhythmische Unterstützung der Tänze wird aber auch durch Klatschen mit Händen und Füßen und andere Körperbewegungen übernommen, was ihnen hilft, ihre musikalische Ausdrucksform zu bewahren.20 Eine der Trommeltraditionen der französischen Antillen, vor allem Guadeloupes, die später für die Entwicklung des Dancehall noch von Bedeutung sein wird, ist der Gwo ka.21

Doch nicht nur die afrikanischen Musiktraditionen, auch die der europäischen KolonialherrInnen spielen eine große Rolle für die Entwicklung des Dancehall. Die SklavInnen kommen durch ihre Arbeit als Bedienstete auf den Tanzbällen der KolonialherrInnen mit europäischer Tanzmusik, vor allem mit Mazurka, Polka, Walzer und Quadrille, in Kontakt. Einige SklavenherrInnen lehren ihre Bediensteten europäische Instrumente zu spielen, in der Überzeugung, dies trage zur Befriedung der SklavInnen bei. Da diese Musikformen mit wirtschaftlicher und sozialer Macht assoziiert werden, ist die Lernbereitschaft der SklavInnen, die auf sozialen Aufstieg hoffen, entsprechend groß. Durch diesen Zugang entstehen mit der Zeit neue Formen, da die MusikerInnen beginnen, ihre verschiedenen musikalischen Repertoires mehr und mehr miteinander zu kombinieren. Es entstehen kreolisierte Formen diverser Stile, also eine Mischung aus afrikanischen und europäischen Einflüssen. Die MusikerInnen müssen in der Lage sein, sich sehr schnell ihrem Publikum anzupassen, also je nachdem für welche der drei sozialen Gruppen, „Weiße“, „Farbige“, oder „Schwarze“, sie spielen.22 Für die weiße und farbige Bevölkerung werden im Laufe der Zeit vor allem europäische und kreolisierte Musikstile interpretiert, während die schwarzen SklavInnen die traditionell afrikanische Musik bevorzugen. Es entsteht sozusagen ein musikalisches europäisch-afrikanisches Kontinuum. Die neu entstandenen Musikstile begleiten ab diesem Zeitpunkt die Tanzbälle, wie zum Beispiel der Mento,23 die kreolische Mazurka und der kreolische Walzer.24 Dieser Prozess der Kreolisierung beginnt in der Karibik ab dem 16. Jahrhundert.25

Das Phänomen der Verbindung von Traditionen lässt sich auch bei religiösen Kulten beobachten. An dieser Stelle sollen die jamaikanischen Phänomene erläutert werden, da sie für die spätere Entwicklung des Dancehall relevant sind. Vor allem im 18. Jahrhundert wird das Christentum, die Religion der KolonialherrInnen, durch die verstärkte Arbeit der Missionare in Jamaika zunächst immer präsenter und schließlich die dominante Religion des Landes. Die afrikanischen SklavInnen deuten viele dieser christlichen Rituale und Doktrinen im Sinne ihrer eigenen, afrikanischen religiösen Traditionen um und erschaffen somit neue Glaubensrichtungen. Unter diesen neuen Konfessionen setzen sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Pocomania- und der Zion-Kult durch. Pocomania beschäftigt sich vor allem mit den Geistern der Vorfahren. In den Zeremonien werden diese ausgesandt oder können durch christliche Symbole wieder gebannt werden. Im Gegensatz dazu stehen bei den jamaikanischen ZionistInnen26 Jesus und die heilige Dreifaltigkeit im Zentrum. Bezeichnend für beide ist die große Bedeutung der Tänze, Gesänge und Trommeln, die die religiösen Rituale begleiten. Diese musikalischen Rituale lassen die TänzerInnen auf ihrem Höhepunkt in einen ekstatischen Rausch verfallen, wodurch die Leiden Christi am Kreuz beschwört werden sollen.27

Die Verknüpfung von afrikanischen und europäischen Traditionen im musikalischen und religiösen Bereich intensiviert sich mit der Abschaffung der Sklaverei, die in Jamaika 1834, auf den französischen Antillen 1848 stattfindet. Die Befreiung erleichtert es den ehemaligen SklavInnen, ihre eigenen Traditionen noch mehr in das ihnen bekannte europäische Repertoire einzubauen. Dieser Zeitpunkt stellt einen wichtigen Einschnitt in der musikgeschichtlichen Entwicklung dar, da die Fülle neuer musikalischer Kreationen, wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird, enorm zunimmt.

Im folgenden Teil werden die unterschiedlichen Phasen der musikgeschichtlichen Entwicklung der beiden Gebiete weiterhin parallel dargestellt. Eine deutliche Gewichtung liegt hierbei jedoch auf der Veranschaulichung der Situation Jamaikas, da diese wesentlich für die Entstehung des Dancehall und für das Verständnis des Genres in der heutigen Zeit ist.

3.1.2 Musikalische Entwicklung nach Abschaffung der Sklaverei

Im Laufe der Zeit etablieren sich die kreolisierten Musikstile in der Karibik und werden fester Bestandteil der gesellschaftlichen Tanzbälle. Auf den französischen Antillen setzen sich in den Städten Biguine28 und die kreolische Mazurka durch, auf dem Land leben die eher traditionellen, stark afrikanisch geprägten Stile wie der Bèlè29 weiter. Diese werden vom Bürgertum mit Abschätzung betrachtet. Letzteres besteht aus den europäischen ehemaligen KolonialherrInnen sowie der Gruppe der Farbigen, die sich an den europäischen Werten orientiert....

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