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E-Book

Urban Bodies

Die Funktion der Stadt

AutorJürgen Mick
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783743135116
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Man ist heute gezwungen, die »Verstädterung der Gesellschaft« als Tatsache hinzunehmen. Man kann sich dann fragen, wie und mit welcher Strategie, will man sie bewältigen? Da sollte es hilfreich sein, in Erfahrung zu bringen, wie funktioniert »die Stadt« eigentlich? Womit hat man es zu tun, wenn man von Verstädterung oder Urbanismus spricht? Gibt es eine globale Gemeinsamkeit im Phänomen »Stadt«? Daher geht es im Folgenden nicht um Strategien des Urbanismus, nicht um die Bewältigung von Problemen, die in der urbanen Praxis auftreten. Es handelt sich vielmehr um den Versuch, zu verstehen, weshalb sich in Gesellschaften Städte überhaupt bilden und wie sie sich scheinbar selbst generieren und erhalten. Welchen Aspekt spielt die Stadt in der Evolution von Gesellschaft?

Jürgen Walter Günter Mick, geboren 1964 in Augsburg, ist Autor, Musiker und Architekt, studierte Philosophie und Architektur und beschäftigt sich seit 2002 in der Studie Orbanic mit der Form und der Funktion von urbanen Siedlungsweisen.

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Leseprobe

.BStadt als Organisation


»Aus dem zoon politikon wird das animal sociale«


.B.IEnde der Expansion


In der Geschichte der Stadt ist der Untergang des Imperium Romanum als ein deutlicher Bruch zu verzeichnen. Das Vordringen fremder Völker in den alteuropäischen Kulturraum, übergreifend als Phänomen der Völkerwanderung bezeichnet, zieht eine Zeit der Unruhe und der destabilisierten Bevölkerungsdichte nach sich und löst die gefestigte Struktur römischer Machtsicherung ab. Die Bevölkerung geht zurück und städtische Einrichtungen können nicht länger unterhalten werden. Die Versorgungslage ändert sich grundlegend. Die überwiegend rurale Bevölkerung konzentriert ihre Kräfte auf eine dezentrale Subsistenzwirtschaft. Damit einhergehend ändern sich die zwischenmenschlichen Abhängigkeitsverhältnisse grundlegend. Der Niedergang der Vorherrschaft Roms im westlichen Teil des Europäischen Kontinents ist gleichbedeutend mit dem Ende einer für die Antike typischen Stadtkultur. Erst mit Wiederaufflammen imperialer Ambitionen durch die Karolinger ist eine erneute »Sesshaftwerdung« zu beobachten. Machtpolitisch hat sich bis zu diesem Zeitpunkt der Kontinent »angefüllt«, und das Land ist bis auf die letzte Parzelle verteilt. Frei verfügbare Ländereien werden in Zentraleuropa eine Rarität. Die Bevölkerungszahlen stabilisieren sich – mit Tendenz zum Wachstum. Noch erzählt der Blick auf die Karte der Macht von einem unüberschaubaren Meer von Fürsten und regionalen Königen, die Europa von Irland bis Byzanz und von Tallin bis Cordoba »beherrschen«. Die multipolare Machtverteilung ist vor allem in Westlichen Gefilden durchaus akzeptiertes Arrangement, im byzantinischen Herrschaftsgebiet dagegen wird sie als Schwächung der Region empfunden.212 Die Tendenz zu zentralistischen Machtstrukturen etabliert zunehmend eine stratifizierte, hierarchisch ausgerichtete Gesellschaftsordnung. Der Adel und der Klerus übernehmen die bipolare Spitze der Machtsicherung und euphemistisch ausgedrückt auch der territorialen Befriedung. Die rurale Bevölkerung lebt weitläufig verstreut auf dem Land und versorgt sich durch Eigenbau-Landwirtschaft mit den alltäglich notwendigen Dingen. Selbstredend ist in der Zeit vor der Jahrtausendwende zum zweiten Millennium in Europa der Kampf um Grund und Boden eine Existenzfrage. Der unterste Stand kämpft um jedes Stück Land das Unterhalt verspricht, und die Mächtigen kämpfen um ihren Stand in der Gesellschaft, also um mehr Land und mehr Macht. Ohne die jeweilige Steigerung ist kein Staat zu machen! Diese Struktur der bodenbezogenen, also »weitläufigen« Macht verlangt nach Vertretung und Verwaltung. Nicht zu allen Zeiten kann der Fürst an allen Orten seiner Ländereien sein. Macht hat mit Anwesenheit, und in diesen Zeiten mit körperlicher Anwesenheit, zu tun. Sie verlangt nach permanenter Sichtbarkeit, will sie nicht untergraben werden. Sie kann nur erhalten werden, wenn sie sich steigert, das heißt in dieser Epoche, wenn sie sich ausweitet. Eine auf Raum basierenden, räumlich expandierende Vorherrschaft geht allerdings dauerhaft, aus besagten Gründen, einher mit steigender Gefährdung der Macht. Um die erste Jahrtausendwende nach Christus wird zunehmend klarer, dass jeder Ausweitung natürliche, kontinentale Grenzen gesetzt sind. Räumliche Steigerung steht nur mehr in Verdichtung und Parzellierung nach Innen in Aussicht. Das Instrumentarium dazu heißt Lehnswesens. Feudalherrschaft, die in Agrarwirtschaft gründet, misst Städten logischerweise wenig Bedeutung bei. Man ist es gewohnt Besitz und Herrschaft durch Eroberungen beliebig – so schien es bislang – zu vergrößern. Ritter haben in diesen Tagen die physische Macht inne, sie erobern und verteilen an jene, die (für sie) arbeiten. Leibeigenschaft ist an der Tagesordnung. Große Besitztümer werden aufgeteilt, verteilt und Verwaltern (wie dem Meier) unterstellt. Dieser Prozess fixiert die einfachen Existenzen in ihrer direkten Abhängigkeit. Die Unfreien bestellen das Land, der Adel verteilt es. Städte spielten »kaum noch eine Rolle«213. Die Nahrungskette ist direkt, linear und unmittelbar auf den betreffenden Grund und Boden zugespitzt und begrenzt. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen lassen nichts anderes als Naturalien als Vergeltung zu. Einen Geldverkehr, in den die Bevölkerung integriert gewesen wäre, gibt es nicht. Allein der Kaiser verfügt über Münzen und Prägerecht, ganz in antiker Manier, als Spiegel seiner Herrlichkeit. Münzen werden innerhalb seines Zuständigkeitsbereiches als Zeichen seiner Allgegenwart »gehandelt«. Es ist ein wirksames Verfahren, seine fehlende physische Anwesenheit zu kompensieren. Naturalienhandel und Lehensabhängigkeit vollziehen sich in der Regel über Ländereien und nicht über Geld.

Die Versorgung einer Bevölkerung beruht auf Summenkonstanz der Waren.214 Sie organisiert sich also unter Bedingungen der Knappheit. Betrachtet man Europa zu Zeiten der Beruhigungsphase der ausgehenden Völkerwanderung, kann man eine typische Expansionsgesellschaft215 beobachten, die diese Knappheit immer wieder durch territoriale Ausdehnung kompensiert. Neueroberungen bescheren dabei temporär linear gesteigerte Entwicklung. Innerhalb wird von der Spitze abwärts Land verteilt, um die Lehensgesellschaft zu stabilisieren. Doch die vorherrschende Versorgung ist landintensiv. Und Europa ist begrenzt. Die Reiche der Nachfolger Karls des Großen stoßen in allen Himmelsrichtungen an ihre Grenzen. Nicht nur der Ozean setzt der Expansion ihr natürliches Ende. Im Osten beenden die nachdrückenden Volksstämme der Hunnen den Eroberungshunger. Der Kuchen ist geographisch mehr oder weniger verteilt. Das heißt im Wesentlichen herrscht (Boden-)Knappheit und zwingt die Bevölkerung neue Versorgungswege aufzutun. Durch Erbfolge wird der Grundbesitz zunehmend fragmentiert, bis er bald kaum mehr ausreicht, um rentabel bewirtschaftet zu werden. Mittlerweile sind das alte Wegenetz und die Überlandwege verkommen, die aufwendigen Straßen der Römer verschwunden unter Vegetationsschichten. Macht ist nur noch mühsam über weite Strecken aufrecht zu erhalten. Eine Zentralmacht muss dafür einen hohen Aufwand betreiben, will sie integrative Identifikationsfigur bleiben. Man schickt Vertreter durch das Land, um zu gewährleisten, dass einmal unterworfene Ländereine zur Verfügung hält. In Form von Dienstleistung sorgen die Gesandten mit unterschiedlichem Erfolg für Ruhe und Ordnung und für Steuern und Wehrkräfte. Fürsten und Bischöfe erstarken in ihren abgeschiedenen Landgütern ebenso, wie in »ihren« Städten zu selbständigen, freien Herren. Zunehmend etabliert sich der (Land-)Adel als zweite Schicht in der Gesellschaft, während die Herrschaftsräume zersplittern und schrumpfen. Die Zahl der konkurrierenden Fürsten wächst ins Unüberschaubare. Was in der Folge dieser Verdichtung geschieht, muss als ein Prozess ohne jede Instrumentierung von außen oder oben registriert werden. Als sich die Grenzen der Expansion immer drastischer abzeichnen und ihre Wirkung entfalten, steigt der Druck im Innern. Die Unternehmungen, an möglichst vielen Stellen der Nahrungskette zu parasitieren, nehmen zu. Es werden im effektiver gewordenen Landbau der zunehmend sesshaften Bevölkerung zahlreiche Arbeitsstellen geschaffen. Steigende Bevölkerungszahlen nach dem ersten Millennium führen zu einer arbeitsteiligen und erfinderischen Veredelung und Verteilung von Nahrungsmitteln. Not macht erfinderisch: »Gegen Ende des 10. Jahrhundert setzte in Europa ein allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung ein. Die landwirtschaftliche Produktion konnte gesteigert werden, Handwerk und Handel gewannen wieder an Bedeutung und die Bevölkerungszahlstieg von 22 Millionen im Jahre 950 auf etwa 55 Millionen im Jahre 1350.«216 Es ist durch gesteigerte Raffinesse der Arbeits- und Produktionswege gewährleistet, dass es nahezu jedem möglich wird, daran mitzuverdienen. Die Zahl der am Rande der feudalen Gesellschaft lebenden Handwerker und Händler wächst sowohl in die Breite, wie in ungeahnte Höhe. Die Differenzierung des Handwerks und der Dienstleistung führt zur Übertragung von Funktionen des Alltags auf spezielle Bevölkerungsgruppen. Aus Handwerkersiedlungen werden Städte, die sich in die Produktionskette der alltäglichen Güter schieben. Die städtischen Siedlungen finden sich bald als Sammelbecken für Bevölkerungsteile, die dieser Entwicklungsstufe etwas abgewinnen wollen. Nicht zuletzt die Armen und Besitzlosen erwerben sich ihr tägliches Brot, indem sie Nischen aufzeigen und diese gewinnbringend besetzen. Ihr Reichtum ist allein ihre eigene Arbeitskraft und ihr Erfindungsreichtum. Eine Gesellschaft, die in allen Schichten auf Grund und Boden fixiert ist, stellt sukzessive und erfolgreich ihren Fokus auf individuelle Arbeit und Leistung um. Aus den vorherrschenden bäuerlich-ländlichen Einwohnern, die die Völkerwanderung zurücklässt, differenzieren sich zunehmend selbstständige, städtische Siedlungen aus (etwa 10% der Gesamtbevölkerung). Die städtische...

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