Warum Scheidungs- und Trennungsväter keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben
Sie reden nicht gern darüber. Wenn jemand nach ihren Kindern fragt, drehen sie sich weg und bekommen feuchte Augen. Manche wechseln schnell das Thema, erzählen, wie es im Job läuft und wo sie gerade ihren Urlaub verbracht haben. Viele lügen: »Mein Sohn macht jetzt sein Abitur. Er möchte dann Jura studieren« oder »Meine Tochter ist eine talentierte Tennisspielerin. Sie hat gerade ein Turnier gewonnen«, erzählen sie mit einer scheinbar beiläufigen Selbstverständlichkeit und legen Wert auf die Fassade der heilen Welt. Niemand soll wissen, dass sie diese Informationen von Nachbarn und Bekannten oder gar aus der Lokalzeitung haben und schon seit Jahren kein Wort mehr mit ihren Kindern gewechselt haben.
Sie sind kinderlose Väter. Ein Paradoxon. Aber bei uns ist es vielfache Realität. Die Rede ist hier nicht von den Vätern, die kein Interesse an ihren Kindern haben und sich um den Unterhalt drücken, vielmehr geht es um die unfreiwillig Kinderlosen. Konkrete Zahlen gibt es nicht, aber es sind Millionen Väter aller Altersstufen. Ursache für den rasanten Anstieg ist die hohe Zahl der Scheidungen und der Bruch nicht auf Dauer angelegter Beziehungen.
Es sind Männer aller sozialen Schichten und Altersklassen, ausgegrenzt und ihrer Vaterrolle beraubt, oft von schon kinderlosen Vätern auch zu enkellosen Großvätern geworden. Sie möchten nichts lieber als ihren Kindern Vorbild sein und ihnen Rat geben. Sie möchten schützen und unterstützen, da sein und teilnehmen können. Doch sie werden nicht gefragt, um nichts gebeten. Sie spielen keine Rolle im Leben ihrer Kinder.
Meist gab es keine übergreifende Ursache oder ein besonderes Ereignis als zwingenden Auslöser für den Kontaktabbruch. Es sind viele unterschiedliche Einflussfaktoren, die wechselseitig verschränkt in einem komplexen Zusammenspiel dazu führen, dass sich Väter und Kinder nicht mehr sehen. Dabei gibt es nicht den einen Schuldigen, »die böse Mutter« und »den gleichgültigen Vater«, sondern es gibt Verstrickungen, die zu individuellen Dramen führen und an deren Ende sich Väter im Abseits wiederfinden.
Die Gesellschaft nimmt sie meistens gar nicht wahr, denn ihr Leid fällt selten auf. Sie leiden im Verborgenen, verschließen den lebenslang bohrenden Schmerz fest in ihren Herzen. Und wenn das Leid sie krank gemacht hat, schieben sie es auf den Stress, die viele Arbeit, das Leben eben. Denn auszusprechen, was ihnen widerfahren ist, quält sie zu sehr. Männer leiden lieber stumm.
Einige aber haben sich organisiert. Sie kämpfen dagegen, sich mit der unfreiwilligen Kinderlosigkeit abzufinden. Sie versuchen mit ihren Schicksalen die Öffentlichkeit zu alarmieren, machen mit entsprechenden Eingaben Druck auf die Gesetzgeber. Doch die Chancen, ihre Kinder, egal in welchem Alter, zurückzugewinnen, sind gering. Denn verlorene gemeinsame Jahre lassen sich nicht nachholen und eine Beziehung, die sich in der Kindheit durch gemeinsames Erleben entwickelt hat, lässt sich nicht nachträglich aufbauen. Kinder kann man nur einmal aufwachsen sehen, und wer das verpasst, hat für immer verloren!
Aber die so aktiven Väter machen trotzdem weiter, trösten sich damit, dass sie zwar nicht für sich selbst, doch wenigstens für künftige Generationen etwas erkämpfen und ein Umdenken in der Gesellschaft erreichen können.
Das Schicksal der kinderlosen Väter beginnt mit Sätzen wie »Es ist aus«, »Ich liebe einen anderen« oder »Wir passen nicht zusammen«. So enden Beziehungen zwischen Mann und Frau. Mittlerweile wird in Deutschland jede dritte Ehe geschieden, Jahr für Jahr etwa 180 000. Dazu kommen die Trennungen von Eltern ohne Trauschein, deren Anzahl wesentlich höher liegt. Doch von der Entscheidung, nicht mehr zusammen durchs Leben gehen zu wollen, sind eben nicht nur zwei Menschen betroffen. Es geht auch um die Kinder dieser Paare: 145 000 minderjährige Kinder erleben schätzungsweise Jahr für Jahr die Trennung ihrer Eltern. Aber auch ältere, formal erwachsene Kinder haben an dem Aus der elterlichen Zweisamkeit zu knapsen. Sie alle wünschen sich, dass beide Eltern weiterhin für sie da sind, dass ihre Mütter Mütter und ihre Väter Väter bleiben. Und so sieht es auch der Gesetzgeber vor: Auf dem Papier wird bei ehelichen Kindern das elterliche Sorgerecht in neunzig Prozent, bei unehelichen Kindern in fünfzig Prozent der Fälle zu gleichen Teilen ausgeübt, Tendenz steigend.
Also bleibt für die Kinder nach einer Trennung alles beim Alten? Der Gesetzgeber billigt jedem Kind ein Recht auf Umgang mit beiden Elternteilen zu. Aber im Alltag ist das schwer umzusetzen. Gut, Männer wünschen sich im Kinderzimmer Gleichberechtigung, und natürlich können Väter genauso gut für ein Kind sorgen wie Mütter, es füttern, zur Schule bringen und ihm abends eine Geschichte vorlesen. Doch bis es zu einer Trennung kommt, herrschen bei uns auch heute noch überwiegend geschlechtsspezifische traditionelle Lebensmuster. Mehrheitlich kümmert sich die Mutter um Kind und Familie, während der Vater für das Einkommen zuständig ist. Nach der Geburt eines Kindes sind es nach wie vor zumeist die Frauen, die ihre Berufstätigkeit ganz aufgeben oder nur noch Teilzeit arbeiten. So sind derzeit knapp siebzig Prozent der Mütter mit Kindern unter drei Jahren nicht erwerbstätig, von den Müttern, deren jüngstes Kind jünger als ein Jahr ist, sind es sogar neunzig Prozent. Je älter die Kinder werden, desto häufiger gehen Mütter wieder arbeiten. Bei den 15- bis 17-Jährigen sind nur noch knapp dreißig Prozent ausschließlich zu Hause. Bei den Vätern dagegen ist die Beteiligung am Erwerbsleben weitgehend unabhängig vom Heranwachsen der Kinder. Gerade mal drei Prozent reduzieren aus familiären Gründen ihre Wochenarbeitszeit. Allerdings nehmen sieben Prozent für ein Jahr Elternzeit, Tendenz steigend. Doch dagegen steht die Zahl von neunzig Prozent bei den Müttern.
Eine Gleichstellung von Vätern und Müttern im Beruf ist mitnichten erreicht. Nachvollziehbar, dass Gerichte deshalb nach dem Grundsatz entscheiden: »Im Zweifel ist das Kind bei der Mutter am besten aufgehoben«, zumal die Rechtsprechung ja auch den Elternteil bevorzugt, der vor der Trennung den Großteil der Zeit mit dem Kind verbracht hat. Hier setzen die Fachleute einfach die größere emotionale Nähe voraus.
Aber es gibt die stetig steigende Zahl der Väter, die erst in Elternzeit gehen und auch später den Kindern zuliebe auf eine stringente Karriere pfeifen. Oder die arbeitslosen Väter, die sich ganz bewusst der Kindererziehung widmen, weil die Mutter einen gut bezahlten Arbeitsplatz hat und mit ihrem Einkommen die Familie absichert. Sie gehen trotz ihres Engagements für den Nachwuchs vor Gericht im allgemeinen Mainstream der »Pro-Mutter-Entscheidung« unter. Denn den Richtern fehlt für die individuelle Beurteilung des Einzelfalles oft die Ausbildung und vermutlich auch die Zeit, um intensiv hinter die Kulissen zu schauen.
Also bleiben im Trennungsfall in rund neunzig Prozent der Familien die Kinder bei den Müttern. Die Väter packen ihre Koffer und räumen das Zuhause.
Die Folgen wiegen schwer. Denn die Väter sind in doppelter Hinsicht die Verlierer. Sie müssen jetzt nicht nur ohne die Partnerin, sondern auch ohne die Kinder und das Lebensmodell Familie leben. Damit verlieren sie das wohlige Gefühl, in einem Familiengefüge emotional eingebettet und als Vater anerkannt zu sein. Statt wie bisher mit einem von beruflichen und privaten Terminen rhythmisierten Tagesablauf, mit Zugehörigkeit und Geborgenheit, leben sie plötzlich wie Singles. Nicht mehr Schultermine und Kindergeburtstage, Sportveranstaltungen und Familienausflüge bestimmen ihren Alltag, sondern nur noch die Arbeit und, wenn keine neue Partnerin im Spiel ist, auch private Einsamkeit. Während sich die Mütter mit der Aufgabe der Kinderbetreuung vom akuten Trennungsschmerz ablenken, müssen Väter die schlimme Zeit überwiegend allein durchstehen. Ihre Kinder, mit denen sie bislang zeitlich und räumlich eng verbunden waren, sehen sie jetzt nur noch zu bestimmten festgelegten Zeiten. Eine Situation, die viele Trennungsväter schwer belastet und ängstigt, denn sie fürchten, allein schon dadurch die bislang innige Beziehung zu ihren Kindern zu verlieren.
Väter lieben ihre Kinder! Sie wollen Zeit mit ihnen verbringen, sie aufwachsen sehen und sich an ihrer Erziehung aktiv beteiligen. Sie wollen da sein, mitmachen und sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit ihrem Kind widmen. Und jetzt dürfen sie alle zwei Wochen für 48 Stunden präsent sein, herausgerissen aus den Alltagsabläufen und schnell abgeschnitten von den wirklichen Bedürfnissen ihrer Kinder. »Früher wusste ich noch am selben Tag, was meine Kinder in der Schule erlebt haben, und konnte mit ihnen darüber sprechen. Wenn ich sie aber wie jetzt erst zwei Wochen später wiedersehe, sind die Probleme gelöst – ohne mich«, erzählt Olaf, ein 38-jähriger Architekt. Er hat zwar immer sehr viel gearbeitet, um der Familie den Lebensstandard zu sichern, doch in seiner Freizeit hat sich für ihn alles um die Kinder gedreht. Gemeinsame Fahrradtouren und Spieleabende, Schulaufgabenbegleitung und Vorlesestunden. »Ich bin durch und durch Familienmensch. Ich weiß gar nicht, wie man allein lebt«, sagt er.
Bernd, Physiotherapeut und 34-jähriger Vater von fünfjährigen Zwillingen, hat ein Jahr Elternzeit genommen, während seine Frau als Ärztin arbeitete. »Ich habe zwei Säuglinge gewickelt und gefüttert, einer hatte eine chronische Bronchitis und schrie ständig. Ich kann die Nächte nicht zählen, die ich am Kinderbett gebangt und den Kleinen gestreichelt habe, während meine Frau schlief, um...