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Vater, Mutter, Kind?

Acht Trends in Familien, die Politik heute kennen sollte

AutorJosefine Klinkhardt, Karin Jurczyk
VerlagVerlag Bertelsmann Stiftung
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl276 Seiten
ISBN9783867935449
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Familien sind heute vielfältiger als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Auch das Familienleben hat sich verändert und ist mit wachsenden Herausforderungen verbunden: Die Lebenslagen von Familien, ihre finanziellen und kulturellen Ressourcen, driften immer weiter auseinander. Zu viele Kinder und Familien leben in Armut. Immer mehr Mütter sind heute erwerbstätig, geraten aber, wie auch Väter, durch entgrenzte Erwerbsbedingungen verstärkt unter Druck. Kinder wachsen häufiger in Familien mit Migrationshintergrund auf. Infrastrukturen und Institutionen passen oft nicht zu den Bedarfen von Familien. In acht Trends belegen die Autorinnen diese Veränderungen des Familienalltags mithilfe einschlägiger Daten und Befunde und skizzieren die Folgen für das Aufwachsen von Kindern. Ihre Analyse macht deutlich, dass die Familienpolitik mit vielen Entwicklungen nicht Schritt gehalten hat. Sie sollte neu - von den Kindern aus - gedacht werden.

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1Einleitung


1.1Ziel der Studie


Ziel der Studie ist es, anhand einschlägiger Daten und Befunde verschiedene Trends herauszuarbeiten, die aufzeigen, wie sich der Familienalltag in den vergangenen zehn bis 20 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland verändert hat und vor welchen gewandelten Herausforderungen Familien heute stehen. Eine zentrale These ist, dass die Rahmenbedingungen für die Gestaltung eines Familienlebens, das die Entwicklung von Kindern fördert und ihnen ein gelingendes Aufwachsen ermöglicht, in den vergangenen 20 Jahren zunehmend komplex geworden sind. Dies ist bedingt durch gleichzeitige, aber nicht aufeinander abgestimmte Veränderungen der Erwerbsbedingungen, der Familienformen sowie der Geschlechterverhältnisse (Jurczyk et al. 2009c).

Dabei haben diese Veränderungen natürlich vielfach dazu beigetragen, dass individuelle und familiäre Lebensentwürfe verwirklicht werden konnten und sich starre Rollenbilder aufgeweicht haben. Insofern hat der Wandel viel Positives mit sich gebracht. Allerdings wurden die infrastrukturellen Angebote und Kontexte diesen Veränderungen bislang nicht oder nur unzureichend angepasst, sodass die Anforderungen an die Gestaltung des Alltags von Familien vielfach komplexer geworden sind.

Die Trendanalyse soll als Grundlage für eine Debatte dienen, wie die Familienpolitik heute auf die Veränderungen von Gesellschaft, Arbeit und Familie reagieren sollte, um die Erbringung der familialen Herstellungsleistungen zu ermöglichen. Ein Hauptaugenmerk der Studie liegt darin zu fragen, welche Folgen sich aus den beschriebenen Trends für Kinder ergeben und wie Kindheit unter den gegebenen Umständen gelebt wird. Denn allen Kindern Wohlergehen und gelingendes Aufwachsen zu ermöglichen, sollte das zentrale Ziel einer nachhaltigen Familienpolitik sein. Insofern soll die Studie dazu beitragen, Familienpolitik neu von den Kindern aus zu denken.

Das vorliegende Buch ist das Ergebnis der konstruktiven Zusammenarbeit etlicher beteiligter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DJI. Zudem möchten wir uns insbesondere bei Antje Funcke und Sarah Menne von der Bertelsmann Stiftung bedanken, die die Textproduktion mit vielen Ratschlägen intensiv begleitet und bereichert haben.

1.2Hintergrund


Wenngleich die Studie zum Ziel hat, die Trends der vergangenen 20 Jahre abzubilden, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Ursprung für die heutige Situation von Familien in den gesellschaftlichen Entwicklungen der 60er- und 70er-Jahre liegt.

Es zeigen sich – nicht nur in Deutschland – zwei Megatrends von sich weiter modernisierenden westeuropäischen Gesellschaften (Kapella et al. 2009): Individualisierung und Flexibilisierung. Zum einen haben individuelle Werthaltungen und innerfamiliale Beziehungen starke Wandlungen erfahren. Die »Institution Ehe« als soziale Norm ist geschwächt, was eine Pluralisierung von Familienformen zur Folge hatte. Gleichzeitig fand eine Angleichung der Geschlechterverhältnisse statt. Aber auch die Eltern-Kind-Beziehung erfuhr einen Wandel hin zu mehr Partnerschaftlichkeit. Es lassen sich darüber hinaus verschiedene Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt identifizieren, die sich nachhaltig auf das Familienleben ausgewirkt haben. So beteiligten sich infolge der Bildungsexpansion mehr Frauen am Arbeitsmarkt und es eröffneten sich für sie neue Möglichkeiten einer finanziellen Unabhängigkeit und eines selbstbestimmteren Lebens. Zum andern führte der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft zu Globalisierung und Flexibilisierung von Wirtschaft und Erwerb. Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses wurde durch den Wandel vom Fordismus zum Postfordismus eingeläutet und ist heute in entgrenzten Erwerbsbedingungen und unsicheren Teilhabechancen spürbar. Durch den gestiegenen Personalbedarf am Arbeitsmarkt wurde zudem die kulturelle Diversifizierung der deutschen Gesellschaft mit der Zuwanderung im Zuge der Anwerbeabkommen der Bundesrepublik maßgeblich selbst initiiert.

Diese gesellschaftlichen Entwicklungen von Individualisierung und Flexibilisierung haben tief greifende Folgen für das Familienleben nach sich gezogen. Jedoch, und das zeigt die vorgelegte Studie, haben bei steigenden Anforderungen an Familien die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und insbesondere die Infrastrukturen, die Familien benötigen, nicht mit der Modernisierung von Arbeitswelt und Familie Schritt gehalten. Nach der Wiedervereinigung haben sich einige dieser Veränderungen verschärft und kumuliert. Dies wird in den Trends herausgearbeitet.

Die skizzierten Veränderungen im Leben von Familien werfen die Frage auf, was wir heute unter Familie verstehen. Es existieren dabei zahlreiche Definitionen. Die vorliegende Arbeit orientiert sich an einem umfassenden Familienbegriff, wie von Schneewind (2010) vorgeschlagen:

»Familien sind biologische, soziale oder rechtlich miteinander verbundene Einheiten von Personen, die – in welcher Zusammensetzung auch immer – mindestens zwei Generationen umfassen und bestimmte Zwecke verfolgen. Familien qualifizieren sich dabei als Produzenten gemeinsamer, u. a. auch gesellschaftlich relevanter Güter (wie z. B. die Entscheidung für Kinder und deren Pflege, Erziehung und Bildung) sowie als Produzenten privater Güter, die auf die Befriedigung individueller und gemeinschaftlicher Bedürfnisse (wie z. B. Geborgenheit und Intimität) abzielen. Als Einheiten, die mehrere Personen und mehrere Generationen umfassen, bestehen Familien in der zeitlichen Abfolge von jeweils zwei Generationen aus Paar-, Eltern-Kind- und gegebenenfalls Geschwister-Konstellationen, die sich aus leiblichen, Adoptiv-, Pflege- oder Stiefeltern (Parentalgeneration) sowie leiblichen, Adoptiv-, Pflege- oder Stiefkindern (Filialgeneration) zusammensetzen können« (Schneewind 2010: 35).

Es lassen sich vier Charakteristika genauer identifizieren, die zentral für einen zeitgemäßen Begriff von Familie sind (Jurczyk 2013b):

Familie ist Lebenszusammenhang und Lernwelt von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, in dem Persönlichkeit ausgebildet, Bildungs- und Lebenschancen eröffnet und unterschiedliche lebensführungsrelevante Kompetenzen erworben werden.

Familie ist eine permanente Herstellungsleistung der beteiligten privaten und öffentlichen Akteure. Diese Leistung zielt darauf, die Entwicklung und das Wohlbefinden der Familienmitglieder zu unterstützen; hierfür umfasst sie emotionale, körperliche und materielle Fürsorge. Familiales Handeln geschieht nicht von alleine, nicht natürlich oder durch Zufall, sondern ist heute immer mehr ein voraussetzungsvolles gemeinschaftsbezogenes Handeln, ein »Doing Family«. Dabei lassen sich die Ebenen des organisatorischen Vereinbarkeitsmanagements, der Herstellung von Gemeinsamkeit und Wir-Gefühl sowie das bewusste Inszenieren von Zusammengehörigkeit unterscheiden.

Familie stellt ein historisch und kulturell wandelbares System persönlicher, fürsorgeorientierter, emotions- und körperbasierter Generationen- und Geschlechterbeziehungen dar, die sich auch im Familienverlauf immer wieder ändern. Dabei ist die Familiengemeinschaft nicht auf einen Haushalt begrenzt, sie stellt vielmehr ein multilokales Netzwerk dar. Nicht das Wohnen in einem gemeinsamen Haushalt ist ausschlaggebend, sondern die Stärke der Beziehungen und die konkreten praktischen Sorgeleistungen.

Familie ist ein zentrales Strukturelement der Gesellschaft, welches unverzichtbare Leistungen für Wirtschaft und Gesellschaft erbringt, Humanvermögen produziert, private und teilweise öffentliche Fürsorge (Care) leistet und sozialen Zusammenhalt stiftet. Familie produziert in diesem Sinn »öffentliche Güter« für die Allgemeinheit und ist deshalb auch auf gesellschaftliche Leistungen – von Anerkennung über Kompensation bis zu konkreter Unterstützung – angewiesen.

Familie wird also als Ko-Produzent individuell und gesellschaftlich relevanter Leistungen, z.B. von Fürsorge, Bildung, Kompetenzen und Gesundheit für Kinder und Erwachsene, betrachtet. Diese kommen, obgleich vermittelt über exklusive emotionale persönliche Beziehungen, der Gesellschaft zugute bzw. werden dort als »privat produziert« vorausgesetzt (BMFSFJ 2006b; Jurczyk 2013b). Da aber Familien prinzipiell nicht autark funktionieren, müssen für sie verschiedene Leistungen bereitgestellt und Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sie die (gestiegenen) Anforderungen bewältigen und die erwarteten Leistungen erbringen können.

Die hier vorgelegte Studie folgt einem solchen handlungsbezogenen Verständnis von Familie und schließt deshalb die vielfältigen Formen von Familie explizit mitein. Dabei liegt der Fokus der Betrachtung auf der sogenannten aktiven Familienphase, in der Kinder im Haushalt von Müttern und/oder Vätern leben.

1.3Aufbau der Studie


Es...

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