Verantwortungsvolles Unternehmertum im Spiegel der Zeit
Birgit Riess
Unsere Gesellschaft sieht sich heute mehr denn je mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert. So hat die Globalisierung Wohlstand geschaffen, aber auch neue Probleme. Die Digitalisierung beeinflusst unsere Art zu wirtschaften, zu konsumieren, ja sogar zu leben bereits jetzt erheblich – wie weit diese Veränderungen im Positiven wie im Negativen gehen werden, ist schlicht nicht absehbar. Auch wie wir die Folgen des demographischen Wandels gestalten, die all unsere gesellschaftlichen Bereiche durchziehen, ist längst noch nicht abgemacht. Klar ist, dass der demographische Wandel den Arbeitsmarkt grundlegend verändern wird – der Umgang mit Migration und Integration jedoch wirft ein Schlaglicht auf die ungelösten Probleme.
Diese Herausforderungen entziehen sich einfachen Lösungen – sie sind höchst komplexer Natur und sind zudem interdependent. Darauf angemessen zu reagieren und Veränderungen zukunftsorientiert zu gestalten, verweigert sich vielfach nationalen Ansätzen und ist oft nur im internationalen Kontext erfolgreich. Und daneben setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Beiträge aller gesellschaftlichen Akteure benötigt werden, um die Trag- und Leistungsfähigkeit unserer ökonomischen, sozialen und ökologischen Systeme zu sichern – also die gemeinsamen Anstrengungen von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Politisches Handeln ist hier durch nichts zu ersetzen, kann aber wirkungsvoll ergänzt werden.
Der Reinhard Mohn Preis 2016 nimmt die Wirtschaft in den Fokus und geht der Frage nach, wie Unternehmen wirkungsvolle Beiträge zu einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung leisten können – durch eine verantwortungsbewusste Unternehmensführung und die aktive Mitgestaltung ihres gesellschaftlichen Umfeldes. Damit greift der diesjährige Reinhard Mohn Preis die Überzeugung seines Namensstifters auf, dass »Unternehmen einen Leistungsbeitrag für die Gesellschaft zu erbringen haben« und dass der Unternehmer »in der Gesellschaft nicht abseits stehen darf« (Mohn 2003: 167).
Viele Unternehmen engagieren sich für die Gesellschaft. Das Institut der Deutschen Wirtschaft bezifferte das Volumen des Unternehmensengagements hierzulande auf einen finanziellen Gegenwert von jährlich mindestens elf Milliarden Euro (Hüther et al. 2012). Doch zwei Fragen werden in diesem Zusammenhang aufgeworfen: Welchen Anforderungen an verantwortungsvolles Handeln müssen sich Unternehmen unter den geänderten Rahmenbedingungen der globalen Megatrends stellen? Und wie wirksam ist das gesellschaftliche Engagement eigentlich in Bezug auf Umfang und Reichweite? Dahinter steht die Überzeugung, dass Verantwortung keine Wohltätigkeit ist. Unternehmen sind für die Vitalität und Innovationskraft einer Gesellschaft entscheidende Akteure. Sie beeinflussen mit ihren Produkten und Dienstleistungen sowie der Art, wie diese hergestellt und erbracht werden, auf vielfältige Weise das Leben der Menschen in unserer Gesellschaft und der Umwelt. Daher tragen sie Verantwortung für ihr Tun – nicht nur für die ökonomischen, sondern auch für die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihres Handelns.
Darüber hinaus hat unternehmerisches Engagement ebenfalls ein enormes gesellschaftliches Potenzial: die Fähigkeit, mit unternehmerischen Mitteln gesellschaftliche Probleme zu lösen. Diese gründet auf den Grundprinzipien des Unternehmertums: Innovationsfähigkeit, Risikobereitschaft und Ressourcenallokation. Tradierte Lösungsmechanismen des Staates oder der Zivilgesellschaft können so wirkungsvoll ergänzt werden – idealerweise in gemeinsamen Initiativen. Dass dies auch im wohlverstandenen Eigeninteresse der Unternehmen ist, liegt auf der Hand. Denn Unternehmen und Gesellschaft stehen in vielfältiger Wechselbeziehung zueinander – und auch in gegenseitiger Abhängigkeit. Insoweit geht diese Publikation der Rolle von Unternehmen als sozialen Innovatoren nach, auch weil sich die Erwartungen an Unternehmen dramatisch verändert haben.
Veränderte Erwartungshaltungen ...
In den vergangenen Jahrzehnten hat die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen eine Dynamik angenommen, die viele nicht für möglich gehalten haben – bis hin zu jenen, die einen grundlegenden Paradigmenwechsel ausmachten in der Art und Weise, wie Unternehmen zukünftig wirtschaften werden, und sogar die »Neuerfindung des Kapitalismus« (Porter und Kramer 2011) postulieren.
Aber was hat sich tatsächlich verändert und warum? Ein kursorischer Blick auf die Entwicklung der Corporate-Responsibility-Bewegung macht deutlich, dass sich die Erwartungen an Unternehmenshandeln in einer globalisierten Welt grundlegend geändert haben, und unterstreicht, warum es wichtig ist, neue Ansätze zu entwickeln, um Unternehmensverantwortung wirksamer zu machen.
In den 1970er- und 1980er-Jahren dominierte der Shareholder-Value-Ansatz weitgehend die Managementliteratur und -praxis. Danach bestand der einzige Zweck des Unternehmens darin, die Gewinne für seine Anteilseigner zu maximieren. Diese Sichtweise verkennt, dass Unternehmen sich in einem dynamischen Beziehungsgeflecht bewegen und auch andere Anspruchsgruppen – Mitarbeiter, Kunden, Politik und Öffentlichkeit – maßgeblich sind.
Insbesondere mit der Globalisierung der Wertschöpfungsketten und dem zunehmenden Einfluss multinationaler Unternehmen wurde deren ökonomische, soziale und ökologische Verantwortung immer stärker hinterfragt. Hinzu kam, dass die rasante Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien eine größere Transparenz ermöglichte, sodass Skandale und Verfehlungen von Unternehmen in den Blick einer breiten Öffentlichkeit weltweit kamen. Damit einher ging die zunehmend effektive Kampagnenfähigkeit einer immer aufmerksamer werdenden Zivilgesellschaft. Die Wirtschaftsund Finanzkrise ab 2007 tat ein Übriges, um das Vertrauen in die Wirtschaft grundlegend zu erschüttern.
… befördern verantwortungsvolles Unternehmensverhalten
Diese Entwicklungen waren und sind die Treiber dafür, dass sich Unternehmen zunehmend mit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung auseinandersetzen. Begrifflichkeiten wie Corporate Social Responsibility (CSR), Corporate Responsibility, Nachhaltigkeit und Shared Value sind heute von der Unternehmensagenda nicht mehr wegzudenken. Auch die Qualität der damit verfolgten Konzepte hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. Waren früher noch Spenden- und Sponsoringaktivitäten Ausdruck der Unternehmensverantwortung, dominiert heute die Überzeugung, dass das Kerngeschäft einschließlich der Lieferkette nach ökonomischen, sozialen und ökologischen Gesichtspunkten ausgerichtet werden muss. Damit können Risiken vermieden und Chancen durch neue Geschäftsmodelle eröffnet werden.
Ein wichtiger Treiber war auch das zunehmende politische Bewusstsein, die gesellschaftliche Verantwortung der Wirtschaft zu fördern und zu fordern. Auf supranationaler Ebene hat sich mit den ILO-Kernarbeitsnormen, den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte sowie den universellen Prinzipien des UN Global Compact ein allgemein geteiltes Verständnis zu den Grundlagen der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen entwickelt. Diese internationalen Vereinbarungen bilden den Referenzrahmen für eine Vielzahl von Managementleitfäden, Rating- und Reportingsystemen.
Eine wichtige Rolle spielte auch die Europäische Kommission, die von sozial verantwortlichem Unternehmensverhalten einen wesentlichen Beitrag für ein nachhaltiges und integratives Wirtschaften in Europa erwartet. Mit dem 2001 erschienenen Grünbuch »Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen« (Europäische Kommission 2001) definierte die Kommission erstmals, was unter dieser sozialen Verantwortung zu verstehen sei – »ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit […] zu integrieren« (ebd.: 8) – und wie förderliche Rahmenbedingungen ausgestaltet werden könnten.
Sichtlich unzufrieden mit dem bis dahin Erreichten, veränderte die Kommission ihre politische Strategie vom Fördern hin zum Fordern. In der 2011 vorgelegten neuen Strategie werden Unternehmen generell für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft verantwortlich gemacht – für die negativen wie auch für die positiven (Europäische Kommission 2011). Um der Forderung nach verantwortungsbewusstem Handeln Nachdruck zu verleihen, verpflichtete die EU-Kommission 2013 große Unternehmen zu größerer Transparenz in Sozial- und Umweltbelangen. Inwieweit eine verbindliche Berichtspflicht, die in Deutschland ab 2017 gelten soll, geeignet ist, nicht nur unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren, sondern auch die Potenziale von CSR zu erschließen, bleibt...