„Hans lernt nimmermehr.“ Dieser Satz, so oft gehört, hat sich in vielen Köpfen älterer Menschen festgesetzt, entmutigt sie oder dient als Alibi, sich in späteren Jahren nicht mehr mit neuen Dingen zu beschäftigen. Deshalb halte ich es für wichtig, diesen Spruch einmal unter die Lupe zu nehmen.
Was will dieser Spruch aussagen? Was stimmt, und was stimmt nicht?
Es ist richtig, dass uns im Erwachsenenalter selten so viel Zeit zum Lernen zur Verfügung steht wie in der Kindheit. Richtig ist sicher auch, dass die positiven und die negativen Erfahrungen der Kindheit sich stark einprägen und dem späteren Leben oftmals eine bestimmte Richtung geben.
Wörtlich ist der Spruch jedoch nicht zu nehmen:
„Hans“ lernt genauso gut wie „Hänschen“, nur anders!
Ein Kind lernt spielend, und seine Fantasie hilft ihm, seine Wahrnehmungen und Erfahrungen als Bilder zu speichern. Es bezieht alles Gelernte auf seine Person, bringt es mit sich selbst in Verbindung, da die Welt des Erwachsenen ihm ja noch weitgehend unbekannt ist.
Wenn Sie ein vierjähriges Kind fragen: „Was ist ein Stuhl?“, wird es antworten: „Ein Stuhl ist etwas, auf das ich mich setzen kann.“ Das Kind verbindet Gegenstände mit Tätigkeiten. Es lernt handelnd.
Die Antwort des Erwachsenen auf die gleiche Frage lautet: „Ein Stuhl ist ein Möbelstück.“
Der Erwachsene abstrahiert. Seine Fantasie ist nicht mehr gefragt. Es ist in unserer Gesellschaft ein Zeichen von Wissenschaftlichkeit, möglichst abstrakt und unverständlich zu formulieren.
Dabei ist unser Gehirn, das des Erwachsenen ebenso wie das des Kindes, besonders gut ausgerüstet für das Aufnehmen von Bildern und für handelndes Lernen (zum Thema Fantasie s. a. S. 176 f.).
Der Erwachsene geht aufgrund seiner Kenntnisse und Erfahrungen anders an einen neuen Lernstoff heran als ein Kind, aber lernt er nun besser oder schlechter?
Was Hänschen nicht lernt …
Dazu ein paar grundlegende Tatsachen:
■ Einen altersbedingten biologischen Abbau des Gehirns gibt es erst jenseits der Achtzig.
■ Es gibt kein altersbedingtes Nachlassen der Lernfähigkeit. Entscheidend ist das geistige Training.
■ Ältere Menschen benötigen für die Aneignung neuen Lernstoffes mehr Zeit, machen dafür aber weniger Fehler.
Der einzige Unterschied in der Lernfähigkeit jüngerer und älterer Menschen liegt in der Schnelligkeit, da alle Stoffwechselvorgänge mit zunehmendem Alter langsamer ablaufen.
Wie schnell wir sind, hängt jedoch nicht nur vom Alter ab, sondern ganz besonders von der Kondition, das heißt von regelmäßigem Training. Das gilt für die Muskeln ebenso wie für den Kopf.
„Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen!“ (Aristoteles)
Haben Sie ein gutes Gedächtnis?
Die meisten Menschen beantworten diese Frage nur sehr zögernd oder mit einem deutlichen Nein. Dabei sind die Gedächtnisschwächen sehr verschieden: Der eine klagt über ein mangelhaftes Zahlengedächtnis, während der andere mit Namen Schwierigkeiten hat usw.
Ein provozierender Satz lautet:
„Es gibt kein schlechtes Gedächtnis, es gibt nur Interesse oder Desinteresse.“
Wenn ein Mann z. B. behauptet, ein schlechtes Gedächtnis zu besitzen, und gleichzeitig sämtliche Fußballergebnisse vom letzten Wochenende weiß, oder eine Frau über ihr Gedächtnis klagt, aber alle Verehrer ihrer Freundinnen beim Vor- und Zunamen nennen kann, dann wird klar, dass die Gedächtnisleistung sehr abhängig ist von unserem Interesse und der damit verbundenen Aufmerksamkeit.
Tatsachen, die mit starken Gefühlen verbunden sind, ob positiv oder negativ, werden meist sofort fest gespeichert, während uns die unauffälligen, alltäglichen Dinge, die wir uns merken müssen, oft Probleme bereiten.
Um zu verstehen, warum wir manche Dinge sofort behalten und andere mehrfach wiederholen müssen, damit wir sie abrufen können, ist es wichtig, sich eine Vorstellung von unserem Gedächtnis und den Abläufen beim Lernvorgang zu machen.
Drei Stufen des Gedächtnisses
Jede Information, die wir aufnehmen, muss drei Stufen „erklimmen“, um im Langzeitgedächtnis für immer gespeichert zu werden. Ständig stürmt eine Flut von Reizen auf uns ein, und jeder trifft seine individuelle Auswahl.
Jeder Mensch sieht die Welt anders! Jeder sieht, was er denkt!
Es hängt von Ihrem Interesse und Ihrer Aufmerksamkeit ab, ob Sie bei einem Einkaufsbummel auf bestimmte Autotypen achten oder auf die neuen Modefarben in den Schaufenstern oder auf die Gesichter, die Ihnen entgegenkommen. Wenn Sie alles gleichzeitig aufnehmen und speichern würden, gäbe es im Gehirn sicher einen Zusammenbruch.
Alle aufgenommenen Informationen kreisen zunächst ca. 20 Sekunden als elektrische Schwingungen im Ultrakurzzeitgedächtnis (UZG). Stellen wir in dieser Zeit eine Gedankenverbindung her, finden wir also einen „Aufhänger“, so wird die Information weitergeleitet an das Kurzzeitgedächtnis (KZG) und in einen chemischen Stoff umgewandelt, der dann ins Langzeitgedächtnis (LZG) gelangt und dort für immer gespeichert wird. Anhand eines einprägsamen Bildes lassen sich die Vorgänge noch einmal verdeutlichen:
Betrachten wir das UZG als den Windfang eines Hauses, das KZG als Diele und das LZG als Wohnzimmer. Fremde werden bereits an der Tür abgewiesen oder höchstens im Windfang abgefertigt. Bekannte lassen wir in die Diele, und Freunde dürfen es sich im Wohnzimmer gemütlich machen.
Unser Gehirn verhält sich ähnlich.
Aus fremden, unbekannten Informationen werden die ausgewählt, die interessant erscheinen, um sie im UZG näher zu betrachten. Erinnern sie uns an etwas, oder halten wir sie für sehr wichtig, kommen sie ins KZG. Uns unwichtig erscheinende Dinge werden abgewiesen, gehen verloren, werden also vergessen. Im Kurzzeitgedächtnis wird produziert wie in einer Fabrik. Wird der Arbeitsprozess gestört, z. B. durch Lärm, oder drängen zu viele neue Informationen aus dem UZG nach, lassen wir uns also nicht genug Zeit, dann wird der Vorgang unterbrochen.
Wieder gehen die Informationen verloren, werden vergessen. Erst, wenn sie im LZG gespeichert sind, können sie nicht mehr verloren gehen. Trotzdem ist auch hier ein „Vergessen“ möglich. Vielleicht sind die Informationen nicht richtig eingeordnet worden, nicht da „abgelagert“, wo wir sie später suchen. Unordnung erschwert das Finden. Eine andere Erklärung dafür, dass wir etwas gut Gelerntes nicht abrufen können, liegt darin, dass die Informationen zu „weit“ weg sind.
Das Gehirn macht es auch in diesem Fall wie eine gute Hausfrau: Dinge, die oft benutzt werden, liegen griffbereit, während der Skipullover, der nur zum Wintersport gebraucht wird, in einem Koffer auf dem Boden aufbewahrt wird.
Wenden Sie gelerntes Wissen regelmäßig an, ist es auch immer da, wenn Sie es brauchen. Haben Sie jahrelang z. B. kein Französisch mehr gesprochen, fällt Ihnen zunächst kaum etwas ein.
Wie oft haben Sie schon gesagt:
„Es liegt mir auf der Zunge.“
Sie wussten, dass Sie es gelernt hatten, aber Sie konnten es nicht sagen. Manchmal dauert es nur Sekunden oder Minuten und manchmal Tage, bis der „Groschen fällt“; oft in Situationen, in denen wir überhaupt nicht mehr daran denken.
Wenn es Tage dauert, war die Information gut „versteckt“, und Ihr Gehirn hat die ganze Zeit gesucht, während Sie anderen Beschäftigungen nachgegangen sind. Das „Nichtdrandenken“ führt eher zum Erfolg als das krampfhafte Suchen, denn dabei kann es zu Denkblockaden kommen (wie auch bei Prüfungen); die Zugangswege werden versperrt.
Wenn Sie sich vorstellen, dass unser Gehirn mindestens 5 000-mal so viele Zellen hat wie die Stadt Hamburg Zimmer, es jedoch kein Straßenverzeichnis und Adressverzeichnis für das Gehirn gibt, dann wird klar, wie schwierig es sein kann, eine Information wiederzufinden, und wie wichtig es ist, richtig zu organisieren und einzuordnen.
Sogenannte „Schlüsselbegriffe“, unter denen wir etwas abspeichern, helfen uns später, Informationen gezielt abzurufen. Und noch etwas wird deutlich: Wiederholungen sind unbedingt erforderlich, um schneller und sicherer den richtigen Weg zu...