Sabine Bieberstein
„Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt“ (1 Kor 12,7)
Überlegungen zu den Rahmenstatuten aus biblischer Perspektive
Die theologische Präambel zu den Rahmenstatuten für Gemeinde- und Pastoralreferenten/Referentinnen greift auf Konzilsbeschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils zurück, um eine „theologische Grundlage für einen hauptberuflichen Dienst von Laien in der Pastoral“ (RSt 1) zu finden. Damit trägt das bischöfliche Dokument der Tatsache Rechnung, dass in Deutschland nichtgeweihte Frauen und Männer seit mehr als 80 Jahren hauptberuflich in der Seelsorge mitarbeiten (RSt Vorwort, S. 7), und dass das Zweite Vatikanische Konzil sich dieser veränderten Wirklichkeit gestellt und in den Konzilsbeschlüssen „Lumen Gentium“, „Gaudium et spes“ und „Apostolicam actuositatem“ „die Mitwirkung aller Christgläubigen am Heilsdienst der Kirche“ (RSt 1) betont hat. Als weitere präzisierende und weiterführende Dokumente werden das Apostolische Schreiben „Christifideles laici“ von 1988 sowie die „Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester“ von 1997 genannt.
Auf der Grundlage der Communio-Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils halten die Rahmenstatuten also grundsätzlich eine hauptberufliche Tätigkeit von „Laien“, d. h. nichtgeweihten Frauen und Männern, in der Seelsorge für möglich und theologisch begründbar, und die Arbeit von Gemeindereferenten und Pastoralreferentinnen wird im Vorwort des Dokuments als ein „wichtige[r] Teil des pastoralen Wirkens der Kirche in Deutschland“ bezeichnet (RSt Vorwort, S. 7) Eine ähnlich positive Formulierung findet auch das Schlusswort: „Die Kirche in Deutschland ist dankbar für den hauptberuflichen Dienst vieler Frauen und Männer in der Kirche“ (RSt 7). Dies muss zunächst ausdrücklich begrüßt und gewürdigt werden.
Nach etwas konkreteren explizit positiven Würdigungen der Tätigkeiten dieser Frauen und Männer sowie ihrer Bedeutung für die Gesamtkirche muss man allerdings im Verlauf des Dokuments länger suchen. Und offenbar hat man sich auch schwer damit getan, eine angemessene Bezeichnung für diese Tätigkeiten zu finden. So wird das, was diese Frauen und Männer tun, zwar als „hauptberuflicher Dienst“ bezeichnet, nicht jedoch als „Amt“. Der Amtsbegriff bleibt ausschließlich (und damit alle anderen ausschließend) dem Weiheamt vorbehalten. Darüber hinaus wird jener „Dienst“ der nichtgeweihten Frauen und Männer grundsätzlich als „Mitwirkung von Laien am Dienst des Priesters“ (RSt 1.3.4) und damit als ein mittelbarer und abgeleiteter, nicht als ein Dienst aus eigener Berufung und Qualität, angesehen.
Dabei hatte das Zweite Vatikanische Konzil mit LG 33,3; AA 24,5 und PO 20 durchaus neue und andere Akzente auch in der kirchlichen Ämtertheologie gesetzt, die es erlauben würden, die hauptberuflichen Tätigkeiten der Gemeindereferentinnen und Pastoralreferenten als Amt zu verstehen. Diese neue Amtstheologie hat auch Eingang in das kirchliche Gesetzbuch von 1983 gefunden.27
Gegenüber den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils und den darauf basierenden Möglichkeiten, die das Kirchenrecht eröffnet, stellt sich natürlich die Frage, warum der Amtsbegriff in den Rahmenstatuten den nichtgeweihten, aber hoch motivierten, hervorragend ausgebildeten und auf Dauer beauftragten Frauen und Männern nicht nur implizit, sondern – unter Berufung auf CL 23 – sogar explizit vorenthalten wird (RSt 1.3.4). Steht dahinter nicht das alte Hierarchiemodell von Kirche, das durch das Communio-Modell des Zweiten Vatikanischen Konzils eigentlich überwunden wurde?28 Sollen in diesen Rahmenstatuten also trotz aller grundsätzlichen Gleichheitsaussagen nicht doch hierarchische Unterschiede zwischen Klerikern und anderen in der Kirche hauptberuflich tätigen Menschen fest- und fortgeschrieben werden? Wird die hauptberufliche Tätigkeit von Gemeindereferentinnen und insbesondere von Pastoralreferenten nicht insgeheim immer noch als Notlösung zur Behebung des sogenannten Priestermangels angesehen, die man, wenn es wieder genügend Kleriker geben sollte, auch wieder über Bord werfen kann und der man daher theologisch und rechtlich auch nicht allzu großes Gewicht verleihen will? Was ist also das eigentliche Ziel der Rahmenstatuten? Geht es in der Präambel wirklich um eine vorbehaltlose theologische Begründung hauptberuflicher Tätigkeiten nicht geweihter Frauen und Männer im kirchlichen Dienst, die alle Möglichkeiten, die die biblischen und nachbiblischen Traditionen, die Theologie und das Kirchenrecht bieten, ausschöpft und auf dieser Grundlage die Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -referenten als Amtsträger und Amtsträgerinnen der Kirche willkommen heißt und ihnen Ermöglichungsräume eröffnet, statt ihre Tätigkeitsfelder auf eng gezogene Grenzen festzulegen?
1 Die Präambel der Rahmenstatuten im Gespräch mit biblischen Texten?
Aus biblischer Perspektive blickt man mit einiger Verwunderung auf die Schwierigkeiten, die es heute zu bereiten scheint, hoch qualifizierte, persönlich geeignete, motivierte und auf Dauer angestellte Menschen zu allen Diensten und Ämtern der Pastoral zuzulassen, wo doch ganz offensichtlich in den Gemeinden ein hoher Bedarf an solchem Personal besteht und ihre Arbeit dringend gebraucht würde. Begründungspflichtig erscheint aus biblischer Perspektive weniger, dass diese Frauen und Männer zu allen in den Gemeinden benötigten Diensten und Ämtern zugelassen werden, als vielmehr, dass sie von bestimmten, aber für das Leben der Gemeinde notwendigen Aufgaben ausgeschlossen werden.
Zunächst nur so viel in Kürze vorweg: In den neutestamentlichen Texten lässt sich eine Vielfalt von Tätigkeiten erkennen, die dem Leben der frühen Gemeinden dienten. Und es werden viele verschiedene Frauen und Männer sichtbar, die diese Tätigkeiten im Auftrag der oder für die Gemeinden ausgeübt haben, dafür beauftragt waren, Anerkennung fanden oder bisweilen auch Konflikte auslösten. In einigen, vor allem späteren Texten sind beginnende Strukturierungen der Gemeinden und sich verfestigende Bezeichnungen für verschiedene Aufgabenbereiche oder Dienste feststellbar. Voraussetzung für die Übernahme solcher Aufgaben sind, soweit sich das überhaupt erkennen lässt, die persönliche Begabung und Eignung, der Bedarf in der betreffenden Gemeinde und die Anerkennung oder Beauftragung durch die Gemeinde, also etwas, das unserer heutigen Ordination oder Weihe nahe käme.29 Aber weder lässt sich in den neutestamentlichen Texten die heute so selbstverständlich gewordene Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien finden, noch wird der Zugang zu bestimmten Aufgaben, Funktionen, Diensten oder Ämtern in den Gemeinden am Geschlecht oder am Lebensstand festgemacht, noch wird zwischen Ämtern, die eine Weihe voraussetzen, und anderen, bei denen dies nicht der Fall ist, unterschieden. Diese grundsätzlichen Unterscheidungen seien im Folgenden etwas näher beleuchtet, bevor im Anschluss daran auf einige in den Rahmenstatuten genannten biblischen Texte genauer eingegangen wird.
2 Die neutestamentlichen Texte kennen keine Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien
Schon die grundlegende und „tief in unsere Denkgewohnheiten eingegangene Unterscheidung von Klerus und Laien hat keine Anhaltspunkte im Neuen Testament.“30 Unser deutsches Wort „Laie“ geht etymologisch zwar auf das griechische Wort laos (Volk) zurück, was biblisch – vor allem alttestamentlich – als Ehrentitel für das Volk Gottes, und das heißt: Israel, gebraucht wurde. Weil dieser Begriff so sehr mit Israel verbunden war, haben sich die neutestamentlichen Autoren allerdings eher schwer damit getan, ihn einfach auf die christusgläubigen Gemeinden zu übertragen, so dass er sich als Bezeichnung für die neutestamentlichen Gemeinden recht selten findet.31 In der Tat ist eine solche Begriffsübertragung theologisch nicht leicht zu bewerkstelligen, will man nicht in potenziell antijüdische Deutungsmuster oder Ablösemodelle vom „neuen Israel“, „wahren Israel“ o. ä. verfallen.
Andererseits stellt dieser Begriff die christliche Kirche genau vor die Aufgabe, ihr eigenes Dasein und ihr Selbstverständnis in Kontinuität und gleichzeitig im Spannungsverhältnis zu Israel denkerisch einzuholen. Wird dies auf reflektierte und sensible Weise getan, lassen sich mit Hilfe der Volk-Gottes-Metapher zahlreiche Facetten dessen ausdrücken, was Kirche und kirchliche Existenz bedeuten: Eine sich als Volk Gottes verstehende Kirche übersteigt das Nationalbewusstsein einzelner Völker und setzt sich jeder nationalistischen Engführung entgegen; Volk Gottes ist ein Begriff, der die weltweite Dimension von Kirche deutlich macht, aber offen für verschiedene Zugehörigkeiten bleibt; er macht das Unterwegssein, das Kirche grundsätzlich kennzeichnet, deutlich; und er lässt Platz für alle Angehörigen, vor allem die „Basis“.32 Nicht umsonst hat also das Zweite Vatikanische Konzil der Gottesvolk-Kategorie eine Zentralstellung eingeräumt (bes. LG 9 –17). Wenn demnach die Zugehörigkeit zum „Gottesvolk“ das Merkmal ist, das alle verbindet, die der Kirche angehören, dann liegt diese Gemeinsamkeit jeder weiteren Differenzierung unter verschiedenen Mitglieder(gruppen) dieses Gottesvolkes voraus. „Das Volk Gottes ist dem Aufbau der Kirche – ihrer Hierarchie – ebenso wie ihren Ständen – den Priestern, Laien und Ordensleuten – über- und vorgeordnet.“33 Wenn aber die Zugehörigkeit zum Volk Gottes...