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Verglühtes Europa?

Alternativen zur Militär- und Rüstungsunion - Vorschläge aktiver Friedenspolitik

AutorThomas Roithner
VerlagMorawa Lesezirkel
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl364 Seiten
ISBN9783990933398
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Die EU fühlt sich bedroht. Von Trump bis Putin, von Migration bis zum Krieg aus dem Internet. China und der Brexit tun das Übrige. Sicherheit wird dieser Tage besonders groß geschrieben. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen will bei Militär und Rüstung jetzt Nägel mit Köpfen machen. Mit dem neuen EU-Rüstungsfonds hat sie die besten Karten in der Hand. Der schlechte Witz dabei: Es gibt zwar gemeinsame Militäreinsätze, aber nur eine gemeinsame Außenpolitik mit Müh' und Not. Indes frohlockt die Rüstungsindustrie in Paris und Berlin. Milliardenbeträge gibt's für Eurodrohne, EU-Kampfjet, Kampfhubschrauber & Co. Die Einkaufslisten sind randvoll und noch mehr Waffen werden in alle Welt verkauft. Die EU strebt Autonomie an. Dazu braucht es scheinbar noch mehr EU-Militäreinsätze, EU-Truppen und ein sicheres Abstellgleis für die kritischen Geister. Und bei der Schaffung von Fluchtursachen vermag man den Balken im eigenen Auge nicht zu erkennen. 'Verglühtes Europa?' macht friedenspolitische Vorschläge. Was kann innerhalb der EU getan werden, wo muss über die EU hinausgedacht werden und wo steht sie uns im Weg? Wie Konflikte bearbeiten, bevor der erste Schuss fällt? Welches Kleid tragen friedensfähige Auslandseinsätze? Welche Armee braucht es dafür eigentlich? Was kann die Zivilgesellschaft beitragen? Oder ist die Friedensnobelpreisträgerin EU bereits an ihren Rüstungsprogrammen verglüht?

Thomas Roithner, Priv.-Doz. Mag. Dr., Friedensforscher und Journalist, Sozial- und Wirtschaftswissenschafter, Jahrgang 1971. Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Wissenschaftliche und journalistische Publikationstätigkeit zu Fragen der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Friedenspolitik der EU und Österreichs, der Neutralität in Europa, den transatlantischen Sicherheitsbeziehungen und Sicherheitsinstitutionen, Energie- und Ressourcensicherung, geopolitischen und geoökonomischen Machtverschiebungen, der Politik der Gewaltfreiheit sowie zur Friedens- und Antikriegs-Bewegung in Österreich. Thomas Roithner ist Autor, Herausgeber oder Projektleiter von etwa vierzig Büchern zu unterschiedlichen Themen der Friedens- und Konfliktforschung. Promotion zu Neutralitätsbewegungen in Mittel- und Osteuropa sowie in den Neutralen der EU. Habilitation zum Thema »Der transatlantische Griff nach der Welt. Die USA und die EU im Zeitalter neoimperialer Kriege«. Vortrags-, Lehr-, Gutachter- und beratende Tätigkeit im In- und Ausland in Fragen der Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik.

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Leseprobe

2. Europa – Wie viel Sicherheit braucht der Frieden?

Das Selbstverständnis als Friedensprojekt war bislang ein wichtiger Teil der EU-Geschichtsschreibung. Europäische institutionalisierte Integration steht demnach für knapp 70 Jahre Frieden zwischen den Mitgliedern.18

Heute – so die holpriger werdende Erzählung – sei mehr Europa die einzige Möglichkeit, im Wettbewerb mit den USA, China oder Russland Interessen zu behaupten. Der permanente Krisenmodus der EU der letzten Dekade zeitigt auch eine einseitige Sicherheitsdiskussion. Die Verantwortung der EU für die Gestaltung der internationalen Beziehungen steht dabei viel zu selten grundlegend zur Diskussion.

In Eurotopia skizziert der Friedensforscher Johan Galtung sein janusköpfiges Bild der EU. »Einerseits ist die EG/EU ein brillantes Stück friedensstiftender Politik, da sie in einer Konföderation ehemalige Feinde zusammenbringt und einen Krieg zwischen ihnen praktisch undenkbar macht. (…) Andererseits nimmt eine Föderation Gestalt an, die eine neue Supermacht hervorbringen wird, mit enormen, zentralisierten außenpolitischen und auch bellizistischen Kapazitäten«.19

EU-Sicherheit vor und nach 2016

Im Juni 2016 fielen binnen einer Woche – eher zufällig als beabsichtigt – zwei zentrale Weichenstellungen. Zufällig die Termine, die Auswirkungen haben jedoch bis dato einen ganz engen Zusammenhang. Am 23. Juni wurde in Großbritannien für den Austritt aus der EU votiert und am 28. Juni wurde die EU-Globalstrategie20 beschlossen. Ein Jahr nach der Verabschiedung der Globalstrategie führte die hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini aus, dass »in diesem Feld in den letzten zehn Monaten mehr erreicht wurde als in den letzten zehn Jahren«21 und ein weiteres Jahr später wurde ein »rascher Fortschritt«22 festgestellt. Großbritannien hat – um den Zusammenhang der Ereignisse zu erläutern – zu weit gehende Autonomie der EU in Sicherheits-, Verteidigungs-, Rüstungs- und Militärfragen in den letzten Dekaden stets zurückgewiesen und blockiert, um der NATO und den USA eine aktive Rolle in Europa zu sichern. Großbritanniens Sicherheit ist transatlantisch gepolt. Die Globalstrategie hat mitunter EU-Hard Power angekündigt und ein Ausscheiden Großbritanniens bedeutet ein Abgang jenes Landes, welches Hard Power zwar wünscht, diese jedoch in transatlantischer Abhängigkeit verortet. Donald Trumps America first und seine Kritik an NATO und EU haben seit Jahresbeginn 2017 einer autonomen EU-Militär- und Rüstungspolitik zusätzlichen Antrieb gegeben. Auf die USA unter Trump sei kein Verlass mehr. Ziel ist die Reduzierung einer sicherheitspolitischen Abhängigkeit. Geopolitische und geoökonomische Machtverschiebungen vom Atlantik zum Pazifik haben nicht zuletzt deutlich mehr zur Versicherheitlichung beigetragen als zur Herausbildung ziviler Konfliktbearbeitungsmechanismen.

Das zu debattierende Meinungsspektrum wurde schrittweise zementiert und der Retourgang wie auch das Lenkrad zum Abbiegen wurden demontiert. Seit dem Kosovo-Krieg 1999 kein Zurückrücken hinter militärische autonome EU-Eingreiftruppen. Seit dem EU-Vertrag von Lissabon 2007 auf dem Papier kein Umkehren von der Verpflichtung, militärische Fähigkeiten zu verbessern. Seit der EU-Globalstrategie 2016 ist das Proklamieren zur Erreichung des vollen Spektrums sämtlicher militärischer Fähigkeiten und in der Umsetzung in Stein gehauen und es gibt kein Retour beim militärischen Kerneuropa und der EU-Rüstungsindustrie. Auch die Erzählung vom Friedensprojekt läuft bei Jüngeren sanft aus23 – der idealistische und rein zivil klingende Unterton steht im Weg. Nach der EU-Globalstrategie »gehen Soft Power und Hard Power Hand in Hand«.24

Sicherheitsstrategien

Die Union hat bislang zwei außen- und sicherheitspolitische globale Strategien vorgelegt. Die Europäische Sicherheitsstrategie25 stammt aus dem Jahr 2003 und die Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union26 aus dem Jahr 2016.27

Die wahrgenommene Ausgangslage weist erhebliche Unterschiede auf. Die Strategie 2003 wird wie folgt eingeleitet: »Nie zuvor ist Europa so wohlhabend, so sicher und so frei gewesen.« Dagegen leitet die Strategie 2016 ein: »Wir brauchen ein stärkeres Europa. (…) Wir erleben gegenwärtig eine existenzielle Krise, innerhalb und außerhalb der Europäischen Union. Unsere Union ist bedroht.« Es wirkte 2003 – trotz des Irak-Krieges der USA und ihrer Koalition der Willigen – offenbar noch Francis Fukuyamas »Ende der Geschichte« nach als die EU feststellte: »Wo immer sie zusammengearbeitet haben, waren die EU und die USA eindrucksvolle Streiter für das Gute in der Welt.« Die Gemeinsamkeit der Strategien: Anstrengungen bei EU-Militäreinsätzen und der Rüstung. So stellt die Strategie 2003 fest: »Damit wir unsere Streitkräfte zu flexibleren, mobilen Einsatzkräften umgestalten (…), müssen die Mittel für die Verteidigung aufgestockt und effektiver genutzt werden.« Ähnlich lautend die Strategie 2016, dass Soft Power unzureichend sei und »deshalb müssen wir unsere Glaubwürdigkeit im Bereich Sicherung und Verteidigung verbessern.« Es »müssen die Mitgliedstaaten Mittel in ausreichender Höhe für Verteidigungszwecke bereitstellen«28 und dazu benötige es »das gesamte Spektrum der Verteidigungsfähigkeiten«.

Eine Debatte zur militärischen Weiterentwicklung ist erwünscht und durchwegs lebhaft. Publikationen über die EU-Armee sowie den Spielarten und Herleitungen der engeren militärischen Zusammenarbeit in der EU schießen ins Kraut. Einer kritischen Debatte über das Ob und das Stattdessen sind jedoch enge Grenzen gesetzt und sie verlagern sich rasch in begrenzt wahrnehmbare Echokammern. Der Diskurs gestaltet sich zunehmend militärisch und lückenhaft.

In der Sicherheitspolitik geht es natürlich um Interessen. Eines von vielen Interessen ist, dass Menschen nicht vor Kriegen fliehen müssen. Im Hamsterrad zwischen mehr Europa und Zurück zum Nationalstaat vermag die ursachenorientierte Bearbeitung von Konflikten aus dem Blickfeld geraten. Hilfreich ist dabei durchaus, über den Tellerrand der Europäischen Union zu schauen. Augenscheinlich werden bei einem globalen Blick die Versäumnisse in der zivilen Krisenprävention, die selbst vom EU-Parlament beklagt werden.

Unsicherheit und Ungleichheit

Vorliegendes Bändchen konzentriert sich summa summarum im weitesten Sinne auf Sicherheitspolitik.29 Ganz zweifellos sind friedenspolitische Perspektiven weiterführender. Eine friedliche Staaten- und Gesellschaftswelt definiert sich über einen positiven Friedensbegriff, der sich nur unzureichend und reduziert über Auslandseinsätze, Rüstung, Atomwaffen oder Militärkooperationen beschreiben lässt. An unterschiedlichen Stellen dieses Buches wird auf gerechte Verteilung, zukunftsfähige Umwelt- und Klimapolitik oder Bekämpfung von Armut und Ungleichheit im Globalen wie im Persönlichen hingewiesen.30 Einige der Problembereiche sind globaler Natur, auf einige hat die EU sehr unmittelbaren Einfluss, beispielsweise die Handelspolitik mit afrikanischen Staaten.31 Umfassende friedenspolitische Herausforderungen müssen jenseits der Grenzen der reinen Sicherheitslogik bearbeitet werden, greifen auf einen breiten Instrumentenkasten zurück und verstehen sich über Sicherheitsdoktrinen hinaus als gesamtgesellschaftliche Aufgabe.32

Wirtschaftliche Sicherheit hängt – individuell wie global – auch von einer funktionierenden Gerechtigkeitsfunktion des ökonomischen Systems ab. Becker, Maaß und Schneider-Harpprecht begreifen in ihrem zivilen sicherheitspolitischen Positivszenario eine gerechtigkeitsorientierte Politik als »präventive Sicherheitspolitik, die die Bedürfnisse anderer Staaten nicht mehr als Bedrohung wahrnimmt, sondern fragt: Wo sind wir selbst an den Konfliktursachen beteiligt«?33 Ein Wirtschaftssystem, welches Ungleichheit vermehrt, vermehrt auch jene, die von der Globalisierung nicht profitieren. Elmar Altvater spricht von der Vierfachkrise (Energie, Klima, Hunger und Finanzen).34 Für Justenhofen »ist es offenkundig, dass Flüchtlingswellen und die Radikalisierung junger Menschen auch eine Ursache in der Asymmetrie der derzeitigen Weltordnung haben.«35 Die Union verspricht Handeln als Solidargemeinschaft und hat den Friedensnobelpreis angenommen. Will sie nicht an doppelten Standards scheitern – Wasser predigen und Wein trinken –, so muss sie international solidarisch und mit friedlichen Mitteln zusammenarbeiten. Nämlich so, dass alle am Kuchen36 mitbacken können und vor allem auch alle ein Stück davon bekommen. Banken im Euro-Raum wurden gerettet, der Verlust von der...

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