»Eine Hauptschwierigkeit der Ehe besteht darin, dass überhaupt zwei Menschen ihr ganzes Leben, Tag und Nacht miteinander leben sollen.«
Theodor Bovet, Die Ehe, ihre Krise und Neuwerdung, 1948
»Der Homo sapiens ist nun mal kein monogamer Typ!«
Interview mit Stefan Woinoff (54), Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, tätig als Paartherapeut, Autor des Buches »Überlisten Sie Ihr Beuteschema«. Er kennt seine Frau seit 23 Jahren, ist seit zehn Jahren mit ihr verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in München. Wir wollten von ihm wissen, mit welchen Erwartungen Paare heute in die Ehe gehen, welches die häufigsten Probleme sind, und was mögliche Lösungen sein könnten.
Herr Woinoff, was läuft heutzutage schief bei der Paarbildung?
Es gibt immer mehr Frauen, die eigentlich alles richtig gemacht haben – eine gute Ausbildung, eine erfolgreiche berufliche Karriere – und mit Anfang, Mitte dreißig beginnen, nach einem Mann zu suchen. Nach einer Weile merken sie, dass sie nicht den richtigen finden. Wenn sie dann zu mir kommen, fragen sie mich, warum es nicht klappt und ob sie was falsch machen. Dabei ist es ein systemischer Fehler, denn diese Frauen leben zwar ein anderes, emanzipierteres Leben als ihre Mütter und Großmütter, sind aber in ihrem Beuteschema immer noch traditionell, fast archaisch. Unbewusst suchen sie nach einem Ernährer, einem Mann mit höherem Status und Einkommen, zu dem sie aufschauen können. Je höher sie aber selbst beruflich aufgestiegen sind, desto weniger Auswahl haben sie. Über ihnen sind nur noch wenige Männer, und die sind meist vergeben oder bevorzugen jüngere Frauen – und so bleiben viele allein.
Sie raten diesen Frauen, ihr Beuteschema zu analysieren und bewusst zu durchbrechen, indem sie zum Beispiel einen Künstler oder Freiberufler nehmen, der vielleicht wenig verdient, dafür aber Zeit hätte, sich um die Beziehung und die Kinder zu kümmern. Kann man sich so leicht von seiner genetischen Programmierung lösen?
Die ist ja nicht so festgelegt. Natürlich, Frauen wollen bewundern und Männer wollen bewundert werden. Aber es gibt ja auch andere Dinge als Verdienst oder Status, wofür eine Frau einen Mann bewundern kann. Dafür, dass er toll Klavier spielt, ein interessanter Künstler ist, ein kluger Mann, mit dem sie sich gut unterhalten kann. Da kann man sich als Frau dann auch fragen, ob man unbedingt einen Ernährer will, oder ob es nicht auch wertvoll ist, einen guten Partner, Vater und Kinder-Erzieher zu haben.
Wenn sich ein Paar nun also gefunden hat, was sind dann die häufigsten Probleme?
Die erste große Krise entsteht meist, wenn ein Kind kommt. Da passiert oft das Einrasten in die klassische Rollenverteilung, das heißt, der Mann arbeitet noch mehr als vorher, die Frauen sind aus einem oft erfüllenden Arbeitsleben auf die Mutterrolle zurückgeworfen. Diese Triadisierung, also wenn aus einem Paar drei werden, ist eine Riesenumstellung. Aber eines hat sich verändert: Früher haben sich oft die Männer beschwert, dass die Frauen ihnen kaum mehr Aufmerksamkeit schenken – heute erlebe ich es oft, dass die Frauen sich beklagen, die Männer hätten nur noch Augen für das Kind. Heute werden Kinder ja auch auf eine unglaubliche Weise in den Mittelpunkt gestellt – und für das Paar bleibt kaum noch Zeit und Energie. Ich rate dringend, wenigstens einmal die Woche zu zweit auszugehen und möglichst ein paar Tage im Jahr Urlaub ohne Kinder zu machen. Sonst besteht die Gefahr, dass man sich verliert.
Was sind weitere, typische Probleme in Ihrer Praxis?
Eine neue Erfahrung ist die Konkurrenz unter den Ehepartnern. Die erlebe ich immer häufiger, und das kannte ich bisher nicht. Früher hatte der Mann seine Sachen zu tun und die Frau ihre, und man hat gemeinsam geschaut, dass alles klappt. Im besten Fall war die Frau stolz auf die Karriere des Mannes, weil sie die als etwas Gemeinsames empfunden hat. Kürzlich hatte ich ein Paar, beide Biologen, er wurde irgendwann Professor, sie blieb daheim bei den Kindern. Und diese Frau war so neidisch auf ihren Mann, weil sie immer dachte, so eine Karriere wie er hätte sie auch machen können.
Dieser Frust ist doch nachvollziehbar! Frauen sind zunehmend besser qualifiziert und haben mehr berufliche Möglichkeiten als je zuvor – aber sobald es ans Kinderkriegen geht, ist Schluss mit der Gleichberechtigung.
Dieses Paar hätte sich ja auch anders entscheiden können, er hätte zu Hause bleiben und sie Karriere machen können. Nein, es ist eine andere Grundhaltung, die da entstanden ist. Dadurch, dass Männer und Frauen mehr auf Augenhöhe sind, konkurrieren sie jetzt auf allen Gebieten. Im Beruf, aber auch wenn es um Hausarbeit oder familiäre Belastungen geht. Alles muss ausgehandelt werden, weil die Rollenverteilung nicht mehr so selbstverständlich ist wie früher.
Gehen Paare heute mit anderen Erwartungen in die Ehe als früher?
Grundsätzlich haben sie große Erwartungen an den anderen, der dafür verantwortlich gemacht wird, dass man selbst glücklich ist. Die Erwartungen von Frauen empfinde ich da als noch höher als die von Männern. Die meisten Männer wollen ihre Frauen gern glücklich machen, aber die werden immer anspruchsvoller, und das macht die Männer dann verrückt. Nur wenige wollen sehen, dass man auch ein Stück weit das Leben des anderen mitleben kann, und dass, wenn es dem anderen gut geht, das auch gut für mich ist.
Stellen die Frauen heutzutage nicht genau die Ansprüche an die Männer, die schon seit langem von den Männern an sie gestellt werden? Frauen sollen gute Ehefrauen sein, tolle Mütter und interessante Gesprächspartnerinnen – und meistens sind sie das. Warum sollen sie sich mit Männern zufriedengeben, die weniger zu bieten haben?
Jetzt müssen die Männer auch noch schön sein!
Das mussten die Frauen doch immer schon! – Aber wie steht es denn um den Klassiker aller Eheprobleme, die Untreue? Welche Bedeutung hat sie? Ist Untreue immer ein Krisensymptom oder kann sie sogar stabilisierend wirken?
Ein ganz schwieriges Thema, da gibt es keine Regel. Ich hatte ein Paar, da ist der Mann über Jahre fremdgegangen und hat wechselnde Abenteuer gehabt. Seine Frau war verunsichert, aber erstaunlich verständnisvoll. Er selbst hat es als Sucht bezeichnet, und sie war die Co-Abhängige. So eine Geschichte kann durchaus verbindend sein, aber letztlich geht es darum, welche Abenteuer die beiden noch miteinander erleben können. Dieser Mann dachte, er könnte aufregende Gefühle nur außerhalb der Ehe erleben, dafür sei seine Partnerin nicht die Richtige. Aber wenn eine Ehe Bestand haben soll, muss man die Potenziale, die in der Ehe liegen, erkennen und ausschöpfen.
Was raten Sie, wenn die erotische Anziehung zwischen den Ehepartnern nachlässt, und einer – oder beide – sich den sexuellen Kick außerhalb der Ehe holen?
Wenn es wirklich nur ein Seitensprung ist, es sich also nicht um eine systemrelevante Beziehung handelt – dann sollte man es dem Partner nicht sagen.
Im Ernst? Das würden viele aber als großen Vertrauensbruch empfinden!
Das, was durch die Erzählung beim Partner ankommt, wird nie dem entsprechen, was wirklich passiert ist. Selbst, wenn es nur ein harmloses, kleines Strohfeuer war, würde so ein Geständnis den anderen verletzen und womöglich einen Schaden anrichten, der in keinem Verhältnis zum Anlass steht. Außerdem ist es nicht in Ordnung, wenn derjenige, der untreu war, sich mit einem Geständnis die Absolution des Partners holen will. Das soll er schön mit sich selbst ausmachen. Anders ist es natürlich, wenn man sich ernsthaft verliebt hat.
Sexuelle Untreue muss also nicht automatisch zur Krise führen?
Nein. Es gibt ja auch den Fall, dass jemand einfach ein bisschen Bestätigung braucht. Manche Frauen haben den ersten oder zweiten Mann ihres Lebens geheiratet – die wollen vielleicht mal erleben, wie es ist, von einem anderen als dem eigenen Mann begehrt zu werden. Eine Ehe, in der die Partner zwanzig, dreißig oder vierzig Jahre treu sind – das ist das absolut Besondere. Das Normale ist, dass man in dieser langen Zeit auch mal jemand anderen attraktiv findet und dieser Versuchung vielleicht nicht immer widerstehen kann. Der Homo sapiens ist nun mal kein monogamer Typ.
Was macht eine Ehe haltbar?
Zwischendurch sollte man sich immer mal ansehen, wie die Situation gerade ist, was die positiven Aspekte sind. Dass man sich kennt, dass man weiß, was der andere mag, dass man mit ihm vertraut ist. Man sollte nicht irgendetwas Unrealistisches erwarten, sondern sich und dem anderen zugestehen, dass jeder sich weiterentwickelt, und so entwickelt sich auch die Interaktion, die Beziehung weiter. Eine gewisse Großzügigkeit ist auch wichtig, dass man dem anderen nicht jede kleine Schwäche vorhält oder ihn ständig kritisiert. Wichtig ist, zu akzeptieren, dass eine Ehe so etwas ist wie ein Lebewesen, das sich weiterentwickelt. Ein Organismus, der gute und schlechte Zeiten hat, der auch mal Krisen hat, und der altert. Dass also bei einer Ehe nichts zementiert ist, und wenn einer der Partner sagt, es ist ja gar nicht mehr so, wie vor fünf Jahren, kann ich nur sagen: Zum Glück!
Das ist ein interessanter Gedanke,...