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E-Book

Verschiedene Gedanken über einen Kometen

Vollständige Ausgabe

AutorPierre Bayle
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl404 Seiten
ISBN9783849606855
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
1682 publizierte er sein erstes Buch: Lettre sur la comète de 1680 ('Brief über den Kometen von 1680', das 1683 erweitert als Pensées diverses sur la comète de 1680 ('Verschiedene Gedanken über den Kometen von 1680') erschien. Hierin widerlegt Bayle zunächst die abergläubischen Vorstellungen, die man mit Kometen verband, und er wirbt für die Idee, dass alles Wissen ständig kritisch überprüft werden muss. Bayle verteidigt zwar verbal den christlichen Glauben gegen den in Mode geratenen Unglauben, entwirft aber zugleich die Grundlagen einer nicht religiös bestimmten Moral bzw. Ethik, wobei er - was damals alles andere als selbstverständlich war - davon ausgeht, dass ein Atheist nicht zwangsläufig auch sittenlos sein und unmoralisch handeln müsse

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Leseprobe

Erster Teil


 

1. Die Veranlassung zu dieser Schrift

 

Darin hatten Sie zwar ganz recht, mein Herr, da Sie mir schrieben: Es würden diejenigen nicht lange warten dürfen, den Kometen zu einer bequemeren Zeit wiederzusehen, welche denselben nicht hatten sehen können, als er zu Ende des Novembers und mit Anfang des Dezembers sehr früh am Himmel stand. Denn er hat sich wirklich den 22. des vergangenen Monats gleich bei anbrechender Nacht wieder blicken lassen. Allein das kann ich nicht begreifen, wie Sie mir zureden können, Ihnen meine Gedanken darüber schriftlich zu eröffnen, und warum Sie mir versprechen, alles dasjenige richtig zu beantworten, was ich Ihnen davon schreiben würde. Vielleicht wissen Sie noch nicht, wieviel ein solches Zumuten zu sagen hat. Ich bin es nicht gewohnt, meine Gedanken von einer Sache ordentlich und gründlich aufzusetzen. Will ich es schon zuweilen tun, so werde ich doch gar bald anderen Sinnes, Ich gerate sehr oft auf Nebendinge. Ich verfalle auf Sachen, da man wohl Mühe haben würde, zu erraten, wie ich darauf gekommen, und es ist mir ganz was Leichtes, die Geduld eines Doktors zu ermüden, der durchgehend alles nach der Schärfe einer philosophischen Lehrart haben will. Sie überlegen es daher wohl, mein Herr, und erwägen mehr als einmal, was Sie mir zumuten. Ich gebe Ihnen vierzehn Tage Zeit, einen endgültigen Entschluß zu fassen. Diese Erinnerung und die Wünsche, die ich bei diesem Jahreswechsel für Ihr Wohlsein abstatte, sind alles, was Sie für diesmal zum neuen Jahr von mir haben sollen. Ich bin Dero

 

A..., den 1. Jänner 1681

 

Pierre Bayle

 

 

2. Welcher Lehrart man sich hier bedienen wird

 

Da Sie nach vorhergegangener reiflicher Überlegung doch noch von mir haben wollen, daß ich Ihnen meine zufälligen Gedanken von der Beschaffenheit der Kometen eröffnen soll, und da Sie sich zugleich anheischig machen, dieselben nach der Schärfe zu untersuchen, so kann ich freilich nicht umhin, ich muß Ihnen dieselben aufsetzen. Nur dieses bitte ich mir von Ihnen aus, daß Sie mir erlauben, meine Nebenstunden dazu anzuwenden, und mir alle Freiheit verstatten, so zu schreiben, wie sich die Sachen meinen Gedanken darstellen werden. Sie verlangten zwar, daß ich gleich anfangs einen Aufriß machen und denselben von Stück zu Stück ausarbeiten soll. Allein das erwarten Sie nur nicht von mir, mein Herr. Das schickt sich wohl für eigentliche Skribenten, die ihre Sachen nach einer ordentlichen und abgemessenen Absicht ausführen müssen. Diese tun wohl, wenn sie sich gleich anfangs einen Entwurf zu ihrer Arbeit machen, alles in Bücher und Kapitel einteilen, sich überhaupt vorstellen, was sie in jedem Kapitel ausführen wollen, und sich in der ganzen Ausarbeitung danach richten. Ich für meine Person aber begehre kein Skribent zu sein. Sie werden mir daher erlauben, daß ich mich dieser Art der Sklaverei nicht unterwerfe. Ich habe Ihnen meine Art gesagt. Sie haben Zeit gehabt, sie zu untersuchen, ob sie Ihnen gefällt oder nicht. Fällt sie Ihnen also künftig beschwerlich, so geben Sie mir nicht die Schuld. Sie haben es so haben wollen. Doch ich schreite zu meinem Vorhaben.

 

 

3. Daß die Vorbedeutungen der Kometen auf seichten Gründen beruhen

 

Ich höre alle Tage viele Leute von der Beschaffenheit der Kometen sprechen, und obwohl ich zwar aus der Astronomie weder mein Handwerk mache noch Wissenschaft genug darin besitze, so bin ich doch gewohnt, alles sorgfältig zu untersuchen, was die geschicktesten Köpfe hiervon geschrieben haben. Soviel aber muß ich Ihnen, mein Herr, gestehen, daß mir darin nichts begründet vorkommt, als was sie dem irrigen Wahn des Pöbels entgegensetzen, der mit Gewalt haben will, daß die Kometen der Welt unzähliges Unglück androhen sollen. Ich kann es daher gar nicht zusammenreimen, wie ein so großer Doktor, als Sie sind, sich vom Strome hat hinreißen lassen, und wie Sie sich, ohne auf die Gründe zu sehen, die der kleine Haufe rechtschaffener Gelehrter für sich hat, mit dem gemeinen Mann einbilden können, daß die Kometen gleichsam Herolde sind, die dem menschlichen Geschlecht im Namen der Gottheit den Krieg ankündigen; da Sie doch die Wiedererscheinung unseres Kometen so richtig vorhergesagt und nur dieser Ursache wegen wissen sollten, daß es Körper sind, die sich nach den ordentlichen Gesetzen der Natur richten, keineswegs aber Wunderzeichen, die ohne Regeln erfolgen. Wenn Sie ein Prediger wären, so wollte ich es Ihnen noch zugute halten, denn dergleichen Gedanken sind ihrer Natur nach sehr geeignet, die prächtigsten und nachdrücklichsten Zierate der Beredsamkeit anzunehmen. Man kann Ehre damit einlegen, wenn man sie geschickt anzubringen weiß, und die Gewissen der Zuhörer werden dadurch stärker gerührt als durch hundert andere Sätze, die noch so überzeugend bewiesen wurden. Allein, da Sie ein Doktor sind, der das gemeine Volk nicht lehren darf und der seinen Verstand nur mit Sätzen der geläuterten Vernunft anfüllen soll, so will es mir gar nicht gefallen, daß Sie in diesem Stück so schlecht bewiesene Meinungen hegen und sich mit Erzählungen und Stellen aus Poeten und Geschichtsschreibern abspeisen lassen.

 

 

4. Von dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Dichter

 

Man kann gar keinen seichteren Grund haben, als dieser ist. Ich will bei den Dichtern anfangen. Sie wissen, daß dieselben sich fest einbilden, sie müßten ihre Gedichte mit vielen prächtigen Beschreibungen, wie z.B. Beschreibungen der Wunderzeichen, ausschmücken und das Wunderbare in die Begebenheiten ihrer Helden überall mit einflechten, und daß sie, diese ihre Absichten zu erreichen, tausend erstaunliche Dinge voraussetzen müssen. Weit gefehlt demnach, daß ich ihnen auf ihr Wort glauben sollte, daß der Untergang der römischen Republik eine Wirkung zweier oder dreier Kometen gewesen. So würde ich nicht einmal glauben, daß dieselben zu der Zeit erschienen sind, wenn es sonst niemand als sie allein gesagt hätte. Denn man muß sich von einem Menschen, der sich vorgenommen hat, ein Gedicht zu verfertigen, schon einbilden, daß er sich zu gleicher Zeit der ganzen Natur bemächtigt habe. Himmel und Erde bewegen sich nun nicht mehr, weil er es haben will. Es geschehen Sonnen- und Mondfinsternisse oder Schiffbrüche, nur nach seinem Gefallen. Alle Elemente kommen in Bewegung, nachdem er es für gut befindet. In der Luft schweben Armeen, auf Erden wüten Ungeheuer, so viel, wie er haben will. Gute und böse Engel erscheinen, sooft er es befiehlt. Die Götter selbst sitzen auf Maschinen und warten nur, bis er ihre Hilfe nötig hat. Und da er vor allen Dingen Kometen haben muß, weil man schon hinsichtlich ihrer eingenommen ist, so nimmt er auch bei Gelegenheit, soviel er deren in der Historie findet. Trifft er da keine an, so macht er sich einige selber und gibt ihnen eine solche geschickliche Farbe und Figur, daraus man abnehmen kann, auf was für eine besondere Art der Himmel an dem Handel, von dem die Rede ist, teilgenommen. Wer wollte sich alsdann des Lachens enthalten können, wenn man gewahr wird, wie eine sehr große Anzahl von Leuten keine anderen Beweise von der Schädlichkeit dieser neuen Gestirne angibt, als daß sie die Stelle:

 

Terris mutantem regna cometen,

 Kometen ändern oft die Lage ganzer Länder

 

aus dem Lucanus,

 Regnorum eversor, rubuit letale cometes,

 Der Länder Untergang, dies tödliche Gestirn,

erschien ganz feuerrot

 

aus dem Silius Italicus,

 Nec diri toties arsere cometae,

 So häufig brannten nie die drohenden Kometen

 

aus dem Virgil,

 Nunquam terris spectatum impune cometen,

 Wann hat sich ein Komet der Welt umsonst gezeigt

 

aus dem Claudian und andere dergleichen Sprüche der alten Propheten anführen.

 

 

5. Von der Glaubwürdigkeit der Historienschreiber

 

Was die Geschichtsschreiber anbelangt, so gebe ich zwar zu, daß sie sich nicht die Freiheit nehmen, dergleichen außerordentliche Erscheinungen am Himmel vorzugeben. Allein, die meisten lassen doch so viel Belieben an der Erzählung aller der Wunder und Erscheinungen, die die Leichtgläubigkeit der Heiden in Schwang gebracht hat, blicken, daß man gegen die Klugheit verstoßen würde, wenn man ihnen alles glauben wollte, was sie uns in diesem Stück vorschwatzen. Es kann sein, daß sie glauben, ihre Sammlung der Geschichte würde allzu trocken aussehen, wenn sie die nach dem Laufe der Natur vorgefallenen Begebenheiten nicht mit unzähligen Wunderzeichen und übernatürlichen Zufällen vermischten. Oder sie erhoffen vielleicht durch diese, nach dem natürlichen Geschmack der Menschen gewürzte Abwechslung, ihre Leser beständig bei der Lust zu halten, da sie...

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