Die Ermordung Robert Kennedys …
… im Ambassador Hotel, Los Angeles
Als der Stummfilm in den 1920er-Jahren populär wurde und dessen Protagonisten plötzlich Millionen verdienten, erblühte das Ambassador Hotel mit der Adresse 3400 Wilshire Boulevard in Los Angeles zur Winterresidenz der Stars. Jean Harlow, John Barrymore und Gloria Swanson zählten zu den Dauergästen, es kamen aber auch Rudolpho Valentino, Joan Crawford und Loretta Young, und im hoteleigenen Nachtclub Coconut Grove unternahm Bing Crosby seine ersten Versuche als Barsänger. Später fanden im großen Ballsaal die Oscar-Verleihungen statt, und der gesamte Kennedy-Clan zählte zu den Stammgästen des Ambassador.
Robert Kennedy (1925–1968), US-Justizminister, Senator und Präsidentschaftskandidat
Knapp viereinhalb Jahre waren seit der Ermordung des 35. Präsidenten der USA, John F. Kennedy, vergangen, als auch seinem jüngeren Bruder die Stunde schlug. Das Unglück begann mit zwei Sätzen Robert Kennedys am 16. März 1968 im Konferenzsaal des Senatsgebäudes in Washington: »Ich gebe heute meine Kandidatur auf die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten bekannt. Ich bewerbe mich nicht, um gegen einen anderen Mann zu kandidieren, sondern um eine neue Politik anzubieten.«
Robert »Bobby« Kennedy hatte zum damaligen Zeitpunkt in seiner eigenen, der demokratischen Partei, mit drei Konkurrenten zu rechnen: mit Lyndon B. Johnson, der das Präsidentenamt nach der Ermordung von Roberts Bruder »Jack« übernommen hatte, mit Vizepräsident Hubert Humphrey und mit Senator Eugene McCarthy.
Präsident Lyndon B. Johnson (1908–1973) verzichtet auf die Kandidatur
Bobby lag gut im Rennen, er hatte ein erstklassiges Wahlkampfteam, das zum Teil aus Beratern bestand, die schon für John F. Kennedy im Weißen Haus tätig waren. Roberts Chancen stiegen rasant, als Lyndon B. Johnson am 31. März 1968 überraschend bekannt gab, dass er, »um die nationale Einheit zu wahren«, nicht kandidieren würde.
Johnsons Schritt verbesserte Kennedys Aussichten, da das Antreten gegen einen amtierenden Präsidenten immer ein unkalkulierbares Risiko darstellt. »Ich möchte wissen«, sagte Bobby, als ihm Johnsons Entscheidung mitgeteilt wurde, »ob er das auch getan hätte, wenn ich nicht eingestiegen wäre.«
Der 42-jährige Robert Kennedy setzte von Anfang an darauf, seine Familie als Präsidenten-Dynastie zu inszenieren, wie es sein Bruder John F. Kennedy schon 1959 vorgegeben hatte: »So wie ich in die Politik ging, weil Joe* gestorben ist, so würde mein Bruder Bobby sich um meinen Sitz im Senat bewerben, wenn mir morgen etwas zustieße. Und wenn Bobby sterben würde, dann würde Teddy sein Werk fortsetzen.«
Er hatte gute Chancen, wie sein älterer Bruder John Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden: Robert Kennedy
Das waren nur allzu prophetische Worte.
Die Schlacht um die Nominierung ist noch nicht geschlagen
Bobby konnte mit dem Argument punkten, dass ein Kennedy sich besser schlagen würde als jeder andere Politiker in den USA, aber gewonnen war die Schlacht um die Nominierung beim Parteikongress der Demokraten in Chicago noch lange nicht, denn auch die Chancen von McCarthy und Humphrey waren intakt – alle drei hatten Vorwahlen in verschiedenen Bundesstaaten für sich entscheiden können.
Sein letzter Flug führte Robert Kennedy von San Diego in die Filmmetropole Los Angeles, die ihm zum Schicksal werden sollte. Der Senator stand unter enormem Erfolgsdruck, weil klar war, dass seine Aussichten – würde er in Kalifornien verlieren – gleich null stünden. Die Vorwahlen in Kalifornien waren die wichtigste Etappe im Rennen um die demokratische Nominierung. Robert Kennedy war, wie sich der ihn begleitende Journalist Jack Newfield später erinnern sollte, »ernst und in sich zurückgezogen, als er am Fenster seines 727-Privatjets saß. Sonst war er auf solchen Reisen immer guter Dinge und zu Späßen aufgelegt. An diesem Montag wirkte er ausgebrannt, seinen Reden fehlte die Zugkraft. Mitten in seiner letzten Rede in San Diego hatte ihn Übelkeit befallen.«
Anhänger und Mitarbeiter erwarten »Bob« Kennedy
Das Ambassador Hotel ist an diesem Dienstagabend, dem 4. Juni 1968, der absolute Mittelpunkt der Stadt. »Bob« Kennedy wird über den Santa Monica Highway zum Wilshire Boulevard chauffiert, wo ihn Anhänger und Mitarbeiter erwarten, um das Ergebnis der Vorwahlen in Kalifornien und South Dakota zu erfahren und – sollte alles gut gehen– zu feiern. Im selben Hotel finden an diesem Abend zwei republikanische Wahlpartys statt.
Als Bobby um 19.15 Uhr im Ambassador eintrifft, sieht es für ihn gar nicht gut aus. Die ersten Auszählungen reihen McCarthy in Kalifornien und Humphrey in South Dakota vor Kennedy. Erst gegen 22.30 Uhr dreht sich der Trend und Bob ist in beiden Bundesstaaten knapp, aber doch die Nummer eins. Als die Nachricht durchdringt, sitzt Kennedy mit seinen Beratern in seiner Suite im siebenten Stock des Ambassador und arbeitet an seiner Dankesrede, die er noch in dieser Nacht im großen Ballsaal des Hotels vor seinen Fans halten wird. Von einem Augenblick zum anderen erhellen sich Kennedys Gesichtszüge und der eben noch deprimiert wirkende Kandidat erscheint wieder so, wie ihn die Menschen lieben, mit seinem bubenhaften Charme und klugen Witz.
Kennedy ist der Hoffnungsträger einer neuen, humanen Gesellschaft
Senator McCarthy ist aus dem Rennen, nur Vizepräsident Humphrey hat noch theoretische Chancen, doch die wesentlich größere Wahrscheinlichkeit, innerhalb der Demokraten zu gewinnen, liegt beim charismatischen Robert Kennedy, den viele als Hoffnungsträger für eine neue, humanere Gesellschaft sehen. Vor allem traut man ihm auch zu, bei den Präsidentenwahlen den Republikaner Richard Nixon zu besiegen, der sich schon einmal gegen Bobbys Bruder, John F. Kennedy, geschlagen geben musste.
Robert zündet sich noch schnell eine Zigarre an und verkündet: »Jetzt werde ich Hubert Humphrey durch ganz Amerika jagen.« Der stürmische Applaus seiner Getreuen ist ihm sicher.
Der letzte Auftritt im Ballsaal des Ambassador Hotels
Gegen 23.00 Uhr geht es in Begleitung von Freunden und Mitarbeitern hinunter in den Ballsaal, in dem ihn seine Anhänger bereits erwarten. Mehr als zweitausend Wahlhelfer und Sympathisanten stehen da und jubeln ihm zu. Kennedy besteigt das Podium und stellt seine Frau und sechs seiner zehn Kinder vor, die mitgekommen sind.
»Ich möchte Ihnen allen danken«, beginnt er die letzte Rede seines Lebens. »Allen, die hier sind. Ganz besonders auch meinem Hund Freckles, der in dieser Wahlkampagne oft vernachlässigt wurde, und meiner Frau Ethel – ohne mit der Reihenfolge eine Wertung vornehmen zu wollen.«
Riesengelächter nach der Pointe. Dann wird Robert Kennedy ernst. »Meine Freunde, wir können es schaffen, die Kluft, die durch die Vereinigten Staaten geht, zu schließen. Die Kluft zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Arm und Reich, zwischen den Generationen, und über den Krieg in Vietnam. Wir sind ein großartiges Land, ein mitfühlendes Land.«
Hier hielt Robert Kennedy die letzte Rede seines Lebens: das Ambassador Hotel in Los Angeles
Immer wieder von rasendem Applaus und »Wir wollen Bobby«-Sprechchören unterbrochen, setzt Kennedy fort: »In welche Richtung wollen wir gehen in den USA? Was tun für die, die noch immer Hunger leiden? Wollen wir die Politik fortsetzen, mit der wir in Vietnam so erfolglos waren? Ich meine, wir müssen die Richtung ändern. Mein Dank gilt euch allen – und jetzt weiter nach Chicago, und lasst uns auch dort siegen!«
Es herrscht Chaos, die Lage gerät außer Kontrolle
Robert Kennedy steigt vom Podium und wird von seinen engsten Begleitern, inmitten eines riesigen, unübersehbaren Menschenknäuels, in Richtung Presseraum geführt, wo er mehrere Interviews geben soll. Er schüttelt Hunderte Hände, wird von einem Blitzlichtgewitter der Fotografen überfallen. Es herrscht Chaos und unvorstellbares Gedränge, die Lage gerät außer Kontrolle. Seine Mitarbeiter schieben Bob in einen schmalen Küchengang, durch den man in den Presseraum gelangt. Auf Metalltischen stehen leere Teller und Gläser. Rund neunzig Personen, die meisten von ihnen Hotelangestellte, die Bobby die Hand schütteln wollen, befinden sich in dem 25 Quadratmeter kleinen Raum. Einer von ihnen ist Kennedys Mörder.
Noch gab es in den USA die gesetzliche Verpflichtung, nur amtierende Präsidenten durch Sicherheitsbeamte schützen zu lassen, nicht jedoch Präsidentschaftskandidaten. Dies wurde erst nach dem Attentat auf Robert Kennedy von Lyndon B. Johnson geändert. Kennedy selbst war es, der jede Form der Bewachung ablehnte –...