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Versöhnung, Strafe und Gerechtigkeit

Das schwere Erbe von Unrechts-Staaten

AutorMichael Bongardt, Ralf K. Wüstenberg
VerlagEdition Ruprecht
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl198 Seiten
ISBN9783767571327
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,00 EUR
Nach dem Ende von Diktaturen stellen sich immer wieder die gleichen Fragen: Müssen, sollen die Verantwortlichen bestraft werden? Wie kann Opfern Gerechtigkeit widerfahren? Unter welchen Bedingungen kann es Versöhnung geben?
In den Beiträgen dieses Sammelbands werden diese Fragen aus der Perspektive unterschiedlicher Fächer behandelt: historisch, theologisch, juristisch, kulturwissenschaftlich und politikwissenschaftlich. Fallbeispiele aus den Ländern Chile, der früheren DDR, Spanien und Südafrika zeigen, wie der jeweilige Kontext die Prinzipien von Versöhnung, Strafe und Gerechtigkeit beeinflusst.

An interdisciplinary anthology on reconciliation, retribution, and justice.

mit Beiträgen von Walther L. Bernecker, Michael Bongardt, Joachim Gauck, Axel Montenbruck, Stefan Rinke, Gerhard Werle und Ralf K. Wüstenberg

Aus dem Inhalt
1. Gerechtigkeit, Versöhnung und Strafe als gesellschaftliche und politische Herausforderungen (JOACHIM GAUCK)
2. Erinnerung, Gerechtigkeit und Versöhnung. Zur Aufgabe eines angemessenen Umgangs mit belasteter Vergangenheit – eine sozialethische Perspektive (THOMAS HOPPE)
3. Endstation Strafe? Auf der Suche nach einer Kultur der Vergebung (MICHAEL BONGARDT)
4. Gibt es eine Politik der Versöhnung? Theologische Anmerkungen zu den Aufarbeitungsanstrengungen in Südafrika und Deutschland (RALF WÜSTENBERG)
5. Versöhnung, Strafe und Gerechtigkeit in juristischer Perspektive (AXEL MONTENBRUCK)
6. Das Völkerstrafrecht im Jahrhundert der Weltkriege (GERHARD WERLE)
7. Die Gegenwart der Vergangenheit: Chile in den 1990er-Jahren (STEFAN RINKE)
8. Vergangenheitsaufarbeitung in Spanien. Zwischen Amnesie und kollektiver Erinnerung (WALTHER BERNECKER)

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Leseprobe
Gibt es eine Politik der Versöhnung? Theologische Anmerkungen zu den Aufarbeitungsanstrengungen in Südafrika und Deutschland (S. 79-80)

Ralf Karolus

Wüstenberg Gibt es eine „Politik der Versöhnung“? In dieser Frage gingen und gehen die Ansichten in der politischen Debatte auseinander. Der anglikanische Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu forderte in die Situation des gesellschaftlichen Aufbruchs in Südafrika hinein: „Ohne Vergebung gibt es keine Zukunft.“

Der ehemalige sächsische Justizminister Steffen Heitmann soll geäußert haben: „Für den gesellschaftlichen Integrationsprozess, den wir in Deutschland brauchen, ist der Begriff der Versöhnung nicht brauchbar.“ Um in der Leitfrage nach einer „Politik der Versöhnung“ weiterzukommen, bedarf es der genaueren Betrachtung der Erscheinungsformen politischer Versöhnung. Dazu sollen im Folgenden die Beispiele der politischen Umbrüche in Südafrika nach dem Ende der Apartheid und in Deutschland nach dem Ende der SEDDiktatur herangezogen werden.

Auf den Kausalzusammenhang zwischen dem Fall der Mauer und dem Ende der Apartheid hatte der Ex-Präsident Frederik de Klerk bereits in seiner Rede vom 2. Februar 1990 hingewiesen, in der er die Freilassung Nelson Mandelas ankündigte: Es sei fortan nicht mehr in gleicher Weise wie zuvor notwendig, sich vor dem Kommunismus zu schützen.

1. Erscheinungsformen politischer Versöhnung – Die Diskussion von Handlungsoptionen im Kontext Südafrika und Deutschland

Eine Analyse der Erscheinungsformen politischer Versöhnung führt zunächst zu der Frage nach den Ausgangsbedingungen für den Umgang mit Schuld in den beiden Kontexten. Vom Charakter des Systemwechsels hängen nämlich die Rationalitätskriterien für den Umgang mit der Vergangenheit ab.

In Anlehnung an globale Transformationsprozesse kann man drei Grundformen des Systemwechsels unterscheiden, nämlich Umsturz, Reform und politischer Kompromiss („overthrow, reform, compromise“5). Diese Grundtypen treten in realen politischen Prozessen in der Regel in Mischformen auf. Der südafrikanische Übergangsprozess, gekennzeichnet von symmetrischen Machtverhältnissen, lässt sich, wie im Einzelnen noch zu zeigen ist, am ehesten in die Kategorie politischer Kompromiss („compromise“) einordnen.

Der deutsche Transformationsprozess, gekennzeichnet durch asymmetrische Machtverhältnisse, würde sich im Spiegel internationaler Systemwechsel am ehesten in die Kategorie Umsturz („overthrow“) einordnen lassen, da sich das SED-Regime „bis zuletzt jeder Reform widersetzt“6 hat. Die Weichen für den Umgang mit der Vergangenheit stellen sich in Südafrika im Unterschied zu Deutschland langsam. Die entscheidenden Ereignisse fallen in den Zeitraum zwischen der Freilassung Nelson Mandelas am 11. Februar 1990 und seiner Vereidigung als erster Präsident eines demokratischen Südafrika am 10. Mai 1994.

In dem mehrjährigen Prozess werden Schritt für Schritt der alten Regierung Zugeständnisse abgerungen, die im Herbst 1993 in die erfolgreiche Aushandlung einer Übergangsverfassung münden und im Frühjahr 1994 die ersten freien Wahlen am Kap ermöglichen. Im Vergleich zu Südafrika werden die Weichen in Deutschland rasch gestellt.

Mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 ist der weitere Weg vorgezeichnet: – Strafverfolgung der DDR-Regierungskriminalität, – Regelung für die Stasiakten, – Wiedergutmachung für die Opfer, sowie – Überprüfungen bei der Übernahme in den öffentlichen Dienst. In dem Katalog an Weichenstellungen spiegeln sich viele der prinzipiellen Handlungsoptionen, die einem Land beim Übergang zur Demokratie zur Verfügung stehen. Ergebnis des Rechts- und Politikwissenschaft übergreifenden international geführten Transformationsdiskurses7 ist die Systematisierung von fünf Handlungsoptionen:
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
Einleitung10
I. Gesellschaftliche und sozialethische Perspektiven16
Gerechtigkeit, Versöhnung und Strafe als gesellschaftliche und politische Herausforderungen18
1. Gerechtigkeit18
2. Strafe20
3. Versöhnung26
Literatur29
Erinnerung, Gerechtigkeit und Versöhnung. Zur Aufgabe eines angemessenen Umgangs mit belasteter Vergangenheit – eine sozialethische Perspektive30
1. Recht und Gerechtigkeit31
2. Reintegration der Belasteten36
3. Hilfe für die Opfer41
4. Aussöhnung – mehr als ein Wort?45
5. Aufgaben für Gesellschaft und Politik48
Literatur53
II. Theologische und juristische Perspektiven56
Endstation Strafe? Auf der Suche nach einer Kultur der Vergebung58
1. Strafe59
2. Eine christliche Alternative: Der gnädige Gott67
3. Eine Kultur der Vergebung: Übersetzbarkeit?74
Literatur77
Gibt es eine Politik der Versöhnung? Theologische Anmerkungen zu den Aufarbeitungsanstrengungen in Südafrika und Deutschland80
1. Erscheinungsformen politischer Versöhnung – Die Diskussion von Handlungsoptionen im Kontext Südafrika und Deutschland80
2. Theologische Anmerkungen zu den politischen Erscheinungsformen von Versöhnung90
3. Gibt es eine Politik der Versöhnung?95
Literatur98
Versöhnung, Strafe und Gerechtigkeit in juristischer Perspektive100
1. Einführung: Die juristische Perspektive100
2. Versöhnung101
3. Strafe107
4. Gerechtigkeit111
5. „Versöhnung, Strafe und Gerechtigkeit“115
Literatur126
III. Historische Fallbeispiele128
Das Völkerstrafrecht im Jahrhundert der Weltkriege130
1. Einführung130
2. Prolog: Der Friedensvertrag von Versailles131
3. Durchbruch: Das Recht von Nürnberg und Tokio132
4. Bekräftigung und Stillstand: Völkerstrafrecht im Kalten Krieg135
5. Renaissance: Die Errichtung der Ad-hoc-Strafgerichtshöfe der Vereinten Nationen136
6. Verstetigung: Das IStGH-Statut und die Errichtung eines ( ständigen) Internationalen Strafgerichtshofes138
7. Aktuelle Tendenzen140
8. Deutschland und das Völkerstrafrecht143
9. Die Zukunft des Völkerstrafrechts145
Literatur146
Die Gegenwart der Vergangenheit:150
Chile in den 1990er-Jahren150
1. Der politische und sozioökonomische Wandel151
2. Vergangenheit in der Gegenwart156
3. Vergangenheitspolitik und politische Kultur160
4. Zusammenfassung165
Literatur166
Vergangenheitsaufarbeitung in Spanien. Zwischen Amnesie und kollektiver Erinnerung170
1. Franco-Regime und Erinnerungspolitik171
2. Die Verdrängung der Geschichtserinnerung172
3. Die „andere“ Aufarbeitung in Katalonien und im Baskenland176
4. Zwischen Erinnern und Vergessen: Das Spanien der Republik180
5. Zur Repolitisierung der Vergangenheit in der Regierungszeit der Konservativen182
6. Die Mobilisierung kollektiver Erinnerung um die Jahrtausendwende184
7. Die Polemik um das Memoria-Gesetz186
8. Ausblick188
Literatur190
Autoren-Liste192
Register193

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