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E-Book

Vertrauen statt Dominanz

Wege zu einer neuen Pferdeethik

AutorMarlitt Wendt
VerlagCadmos Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783840460197
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Muss der Reiter wirklich immer 'dominant' gegenüber dem Pferd sein? Brauchen wir Dominanztraining? Die Verhaltensbiologin Marlitt Wendt entzaubert in diesem Buch den verbreiteten Irrglauben an die Dominanztheorie und präsentiert das wissenschaftlich fundierte Freundschaftskonzept als pferdegerechte Alternative. Aus dem Inhalt: Seit Jahren ist Dominanz ein feststehender Begriff im Pferdetraining: Es wird vorbeugendes Dominanztraining betrieben, aufmüpfigen Pferden ein Dominanzproblem unterstellt und es werden allzu oft unreflektiert Dominanzfragen am Boden geklärt. Sowohl traditionelle als auch moderne Trainingsmethoden orientieren sich immer noch an der inzwischen aus Sicht der Verhaltensforscher überholten Philosophie der Dominanztheorie. Doch was hat es mit diesem Begriff eigentlich auf sich? Muss der Mensch wirklich immer 'dominant' sein? Die Verhaltensbiologin Marlitt Wendt zeigt in diesem Buch die ethologischen Hintergründe von Dominanz, Herdenverhalten und Rangordnung und deren tatsächlichen Einfluss auf das Training und die Beziehung zwischen Mensch und Pferd. Basierend auf den modernen Erkenntnissen zum Lernverhalten und der Intelligenz des Pferdes wird das Freundschaftskonzept als pferdegerechte und ethisch vertretbare Alternative präsentiert.

Marlitt Wendt ist auf Pferde spezialisierte Verhaltensbiologin. Sie setzt sich für ein harmonisches Miteinander zwischen Pferd und Mensch und pferdegerechte Umgangsformen ein, organisiert Vorträge und Seminare zu alternativen Trainingsmethoden und kreativem Intelligenztraining für Pferde. Sie verbindet in ihrer Arbeit die neuesten Erkenntnisse der Pferdeethologie vom Sozialverhalten über die Evolutionsbiologie bis hin zur aktuellen Lerntheorie. Dabei engagiert sie sich mit ihren eigenen Forschungsarbeiten als Vermittlerin zwischen der Welt der Naturwissenschaften und der Reiterwelt. Die Autorin lebt in Großhansdorf in der Nähe von Hamburg.

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Leseprobe

Das Pferd - mehr als ein Herdentier


Eine Einführung in die Natur des Pferdes

 

P

ferd ist nicht gleich Pferd. Obwohl jedem flüchtigen Betrachter offenkundige gravierende Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Art mit dem wohlklingenden wissenschaftlichen Namen „Equus ferus caballus“ auffallen, sprechen die allermeisten Pferdebücher und Reitlehrer einhellig von „dem Pferd“. Dabei gibt es „das Pferd“ ebenso wenig wie „den Menschen“. Es lassen sich sowohl verhaltensbiologisch als auch anatomisch deutliche Unterschiede zwischen Arabern und Exmoorponys, zwischen Belgischen Kaltblütern und Mongolenpferden oder zwischen Hannoveranern und Quarter Horses finden. Daneben unterscheiden sich auch verschiedene Individuen ein und derselben Rasse häufig erheblich in ihren typischen Verhaltensweisen und Charakterzügen. Gerade in dieser ausgeprägten Individualität liegt ein großer Reiz bei der Beschäftigung mit dem Wesen „Pferd“: Keines gleicht dem anderen und wir werden immer neue Überraschungen im Umgang mit den Pferden erleben. Im Folgenden möchte ich zunächst auf den Ursprung unserer heutigen Freizeitpartner und auf ihre entwicklungsgeschichtlichen Besonderheiten hinweisen, um dann später auf charakterliche Besonderheiten zu sprechen zu kommen.

Woher kommt das Pferd, wohin geht es?


Im Laufe der Jahrmillionen seiner Entwicklungsgeschichte hat sich das Pferd an unterschiedliche Lebensbedingungen und -umstände angepasst. Die Tierart Pferd unterlag im Verlauf der Evolution durch die Weitergabe vererbbarer Merkmale von Generation zu Generation einer starken anatomischen und psychischen Veränderung: Aus dem antilopenähnlichen, den Wald bewohnenden Urpferdchen ist ein steppenbewohnendes Lauftier, das Pferd, geworden. Dabei sind die charakteristischen Merkmale eines Individuums in Form von Genen kodiert, die bei der Fortpflanzung kopiert und an die nachfolgende Generation weitergegeben werden. Viele Tierarten existieren nicht nur in einer einzigen Vorkommensart, sondern in verschiedenen Varianten. Die erblich bedingten Unterschiede der einzelnen Pferdeindividuen, also ihre genetische Variabilität, werden durch eben diese Varianten und durch die Rekombination, also die Neuanordnung der Gene erzeugt.

Auch bei den Vorfahren unserer Hauspferde gab es seit jeher diverse Unterarten oder -typen, die sich in unterschiedlichen Regionen der Erde an vorherrschende klimatische und ökologische Bedingungen anpassten. Will man heute die Stammesgeschichte der Pferde und deren Domestikation verfolgen, so bedienen sich die Forscher der genetischen Information der sogenannten mitochondrialen DNA (mtDNA), die ausschließlich von einer Mutter auf die Tochter übertragen wird. Normalerweise wird die Anordnung der Gene in jeder Generation durch die Verschmelzung des weiblichen und des männlichen Anteils bei der Befruchtung verändert, bei der mtDNA handelt es sich dagegen um einen auch über viele Generationen hinweg gleichbleibenden, wiedererkennbaren Bestandteil der Gene, anhand dessen man sozusagen die „Mutterlinien“ und Verwandtschaftsgrade der Pferdetypen verfolgen kann. Die Ursprünge der Mutterlinien unserer modernen Hauspferde und damit die Urmütter der unterschiedlichen Pferdetypen lassen sich etwa 320.000 bis 630.000 Jahre zurückverfolgen. Die Domestikation des Pferdes durch den Menschen kann über die mtDNA auf einen Zeitraum von etwa 9400 bis 2000 vor Christus zurückverfolgt werden.

 

Die heutigen Pferderassen sind ein bunter Mix aus ganz unterschiedlichen Ursprungstypen. Sie vereinen in sich die große Vielfalt an Verhaltensweisen ihrer Vorfahren.

 

Lange Zeit vermuteten die Forscher eine Entwicklung der Hauspferde aufgrund eines einzigen Ursprungstyps, was heute stark bezweifelt wird. Sie stellten sich die Domestikation des Pferdes als einen Vorgang vor, der aus einigen wenigen Pferden durch Züchtung und Selektion das domestizierte Hauspferd geschaffen hat, das danach von den Menschen auf der ganzen Welt verbreitet worden ist. Die moderne Forschung geht heute davon aus, dass die Domestikation des Pferdes durch den Menschen an vielen verschiedenen Orten der Welt und zu unterschiedlichen Zeiten stattgefunden hat. Die Menschen haben also aus den Pferden, die in ihren Gebieten zu jenem Zeitpunkt lebten, eine bestimmte Ursprungsrasse gezüchtet. Diese Theorie wird dadurch unterstützt, dass auch heute noch bei der Untersuchung unserer Hauspferde 17 verschiedene Pferdetypen mit unterschiedlichen Mutterlinien gefunden wurden.

Die Basis der Hauspferderassen


Diese unterschiedlichen ursprünglichen Pferdetypen sind die Vorfahren der verschiedenen Hauspferdetypen und damit die Basis der heutigen Rassen. Sie entwickelten sich zunächst ohne den Einfluss des Menschen allein aufgrund der Umweltbedingungen in ihrer ursprünglichen Erdregion und zeigten sowohl in Bezug auf ihre Körpermerkmale als auch hinsichtlich ihres Verhaltens große Unterschiede.

Der wahrscheinlich älteste Hauspferdetyp mit etwa 47.000 bis 166.000 Jahre alten Mutterlinien ist der orientalische Steppentyp, der sich durch einen kurz-rückigen, zierlichen Körper, kurzen Kopf mit weiten Nüstern und einer hohen Affinität zu schnellen Bewegungen in trockenen, warmen Gebieten auszeichnete. Diese Pferde bildeten enge Familienverbände und ließen sich vermutlich leichter als die übrigen Hauspferdetypen an den Menschen gewöhnen.

Die Mutterlinien der nordischen Kaltbluttypen gehen auf 29.000 bis 100.000 Jahre zurück. Mit ihrem massigen, schweren Körper und dem kräftigen Hartgrasgebiss waren sie perfekt an die kalten Klimazonen angepasst. Es waren ausgesprochene Schrittpferde, die ihre Wanderungen im gemächlichen Schritttempo zurücklegten und aufgelockerte Gruppen bildeten.

Die etwa 6.000 bis 21.000 Jahre alten Mutterlinien der warmblütigen, ramsköpfigen Pferde waren sehr gut an die weiten kälteren Steppengebiete auf der Nordhalbkugel der Erde angepasst. Sie besaßen einen relativ langen Rücken mit langen Gliedmaßen, die optimal für große Wanderungen geeignet waren. Sie lebten vermutlich fast einzelgängerisch, die Herdenbildung war bis auf ein Zusammenleben von Altstuten mit ihrem weiblichen Familienanhang praktisch nicht vorhanden. Es ist davon auszugehen, dass sie ein hohes Aggressionspotenzial und eine ausgeprägte Individualdistanz hatten.

 

Das spezielle Ausdrucksrepertoire der verschiedenen Rassen kann bei einander fremden Pferden leicht zu Missverständnissen führen.

 

Das Sozialleben der etwa 2.000 bis 8.000 Jahre alten Mutterlinien der Urponys fand wahrscheinlich in Großherden statt, die in einzelne Untergruppen zerfielen und die sich bei Gefahr zusammenschlossen. Mit ihrer mittelgroßen Körperform und dem dichten Fell waren sie besonders an die gemäßigte, feuchtere Klimazone der britischen und skandinavischen Inseln angepasst.

Neben diesen vier Grundtypen gab es noch diverse weitere Varietäten des Urpferdes, aus denen unsere Vorfahren die heutigen Rassen züchteten. Schon die Basis der Hauspferde war also in ihrem Sozialverhalten je nach Umweltbedingungen sehr unterschiedlich. Es gab Pferde, die sehr enge Familienverbände entwickelten, und andere, die eher einzelgängerisch lebten. Daraus ergibt sich die Tatsache, dass es auch heute unsinnig ist, eine einheitliche Herden- und Rangordnungsstruktur für sämtliche Pferdetypen anzunehmen. Der Mensch hat aus den unterschiedlichen ursprünglichen Hauspferdetypen in den vergangenen Jahrhunderten die heute noch vorzufindenden Rassen gezüchtet. Manche der heutigen Pferderassen kommen einem der genannten Grundtypen sehr nahe, andere sind ein Kreuzungsprodukt verschiedener Grundtypen und vereinen deren Merkmale, sowohl was ihre Körperform als auch was ihr Verhalten angeht.

 

Dialekte im Pferdereich

Das Ausdrucksrepertoire der Pferde zeigt ein breites Spektrum zwischen den unterschiedlichen Rassen. Dadurch kann es zwischen einzelnen Vertretern der verschiedenen Typen zu erheblichen Verständigungsschwierigkeiten kommen. Was für den einen noch eine kumpelhafte Rangelei ist, kann von dem anderen schon als ernste Auseinandersetzung gewertet werden.
Auch die Ausprägung einzelner Verhaltenselemente, körpersprachlicher Merkmale und des Mienenspiels unterscheiden sich ganz erheblich. Während etwa ein typischer Vollblutaraber schon bei leichter Aufregung seinen Schweif zu der charakteristischen „Fahne“ aufstellt, wird man dieses Verhalten in derselben Intensität bei einem Belgischen Kaltblut sehr selten sehen und vermutlich auch dann erst bei wesentlich stärkeren Außenreizen.
Besonders die Drohmimik unterscheidet sich auch für uns Menschen deutlich sichtbar. Allein durch die kleinere Maul- und Nüsternpartie wirkt das eher zu einem Oval verzogene Nasenloch eines Welsh Ponys wesentlich weniger bedrohlich als das zu einem engen Schlitz zusammengezogene Nasenloch eines Trabers, auch wenn beide Typen mit gleicher Intensität drohen. Auch neigen viele Vollbluttypen ganz allgemein zu einem auf größere Gesten ausgelegten Ausdrucksverhalten, während etwa Kaltblüter eher über minimale körperliche Veränderungen ihre momentanen Befindlichkeiten anzeigen.
Diese Unterschiede im Ausdrucksverhalten sind vermutlich in den verschiedenen Herkunftstypen der Pferde begründet. Während Vollblüter...

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