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E-Book

Victoria & Abdul

Die Queen und ihr treuester Diener - Eine wahre Geschichte

AutorShrabani Basu
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl448 Seiten
ISBN9783641212360
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Ein Paar, das ungleicher kaum sein könnte: Judi Dench in der Rolle der Queen Victoria
Der stattliche, gut aussehende Abdul Karim war gerade vierundzwanzig Jahre alt, als er seine große Reise von Indien nach England antrat. Als Gesandter der indischen Kolonien kam er an den Königlichen Hof in London, um Ihrer Majestät Queen Victoria (Judi Dench), der Kaiserin von Indien, anlässlich ihres 50. Thronjubiläums (1887) im Haushalt zu dienen. Eine Begegnung mit dem jungen Muslim aus Agra, der Stadt des Taj Mahal, entflammte Victorias Neugier. Die auf die siebzig zugehende Monarchin erhob Abdul in den Stand des königlichen Lehrers und Sekretärs, es entwickelte sich eine intensive Freundschaft. Im Königshaus sorgte das für Spannungen, doch gegen alle Widerstände und Intrigen bestand die Queen darauf, sich auch auf Reisen stets von ihrem indischen Vertrauten begleiten zu lassen. Abdul sollte bis zu Victorias Tod nicht mehr von ihrer Seite weichen. Ein Skandal und zugleich eine zarte Liebesgeschichte.

Shrabani Basu, geboren in Kalkutta, studierte in Dehli Geschichte und arbeitete ab 1983 für The Times in Bombay. 1987 wechselte sie nach London als Auslandskorrespondentin u.a. für The Telegraph, Kalkutta. Die Journalistin und Historikerin ist Autorin mehrerer Bücher über die britisch-indische Geschichte. Shrabani Basu lebt mit ihren Töchtern in London.

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Leseprobe


EINLEITUNG

Januarnebel lag um Osborne House, als die kurze Reihe der Trauergäste schweigend durch das Anwesen zu den Privatgemächern Königin Victorias schritt. Im Gang davor stand einsam ein hochgewachsener Inder. Es war Abdul Karim, der indische Munshi (Sprachlehrer) der Königin. Er wartete dort schon seit dem Morgen; gelegentlich schaute er auf den Garten hinaus, wo er so viele Stunden gemeinsam mit der Verstorbenen verbracht hatte. In der Ferne schaukelten die Schiffe lautlos auf dem Solent, die Flaggen auf Halbmast.

Die 81-jährige Victoria war drei Tage zuvor friedlich im Schlaf im Kreis ihrer Familie verstorben. Inzwischen war sie gemäß ihrem Letzten Willen für ihre letzte Reise nach Windsor Castle eingekleidet, und Die königliche Familie war zusammengekommen, um Abschied zu nehmen. Die Königin lag im Sarg aufgebahrt, das Gesicht mit dem weißen Brautschleier verhüllt. Sie glich, wie es ein Augenzeuge beschrieb, »einer schönen Marmorstatue, ohne ein Zeichen der Krankheit oder des Alters«, im Tode ebenso königlich wie im Leben. Ihre Hand hielt einen Strauß weißer Lilien. Die Prozession zog vorüber – zuerst ihr ältester Sohn und Thronerbe Edward VII. mit seiner Frau, Königin Alexandra, dann die anderen Kinder und die Enkel der Verstorbenen, schließlich eine Reihe der vertrautesten Bediensteten und Angehörigen des Hofes. Jeder hielt einige Augenblicke vor dem Sarg inne und betrachtete die Verstorbene, die mit 18 den Thron bestiegen und einem ganzen Zeitalter ihren Namen gegeben hatte. Zum Schluss durfte mit Erlaubnis des Königs auch Abdul Karim an den Sarg treten. Er war damit der Letzte, der mit der Königin allein war.

Der Munshi trat gesenkten Kopfes ein, gekleidet in eine dunkle indische Jacke und einen Turban. Seine Präsenz füllte die Totenkammer. Der König respektierte den Wunsch seiner Mutter und gestattete Abdul Karim einige Augenblicke allein mit der Verstorbenen. Tiefe Bewegtheit prägte das Gesicht des Inders, als er das im Kerzenlicht weich schimmernde Antlitz betrachtete. Sie hatte ihm – einem einfachen Diener – über zehn Jahre lang selbstverständliche Liebe und Respekt entgegengebracht. Die Jahre in ihrer Gesellschaft zogen blitzartig vor seinem inneren Auge vorbei: die erste Begegnung im Sommer 1887, als er sich niedergebeugt und ihre Füße geküsst hatte; die müßigen Tage, in denen er sie seine Muttersprache gelehrt und ihr von seinem Land erzählt hatte; Klatsch und Vertraulichkeiten, die sie miteinander geteilt hatten; die Großzügigkeit, die sie ihm erwiesen hatte; ihre Einsamkeit, die er verstanden hatte. Und schließlich und vor allem ihr stures und unverwandtes Eintreten für ihn gegen alle Anfeindungen. Er legte die Hand auf sein Herz und stand schweigend da, während er mit den Tränen kämpfte. Lautlos murmelte er ein Gebet an Allah, ihrer Seele Frieden zu schenken. Nach einem letzten Blick und einer letzten Verbeugung schritt er langsam aus dem Raum. Zwei Arbeiter verschraubten und versiegelten hinter ihm den Sarg.

Bei der Begräbnisprozession in Windsor durfte Abdul Karim in der Gruppe der Hauptleidtragenden gehen. Die alte Königin hatte es ausdrücklich so verfügt, gegen – wie sie wusste – den Widerstand der Familie und des Hofes. Sie hatte ihrem geliebten Munshi einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern wollen.

Aber nur wenige Tage nach ihrem Tod wurde der Munshi durch lautes Hämmern an seine Haustür aus dem Schlaf gerissen. Draußen standen Prinzessin Beatrice und Königin Alexandra mit mehreren Wachleuten. Der König hatte diese Razzia in Frogmore Cottage angeordnet und forderte die Herausgabe aller Briefe, die Victoria jemals an ihn geschrieben hatte. Der Munshi musste mit seiner Frau und seinem Neffen entsetzt mit ansehen, wie die Briefe in der unverwechselbaren Handschrift der verstorbenen Königin aus seinem Schreibtisch gezerrt und draußen im Garten auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurden.

Schweigend stand der Munshi da, während die Briefe an den »Lieben Abdul« in der kalten Februarluft brannten. Ohne seine Königin war er machtlos, stand allein da. Postkarten und Briefe der Königin, abgeschickt aus Windsor Castle und Balmoral, von der königlichen Jacht Victoria and Albert und aus Hotels in ganz Europa prasselten in den Flammen. Die Königin hatte ihrem Munshi täglich geschrieben; unterzeichnet hatte sie mit »Ihre teuerste Freundin«, »Ihre ergebene Freundin«, sogar mit »Ihre liebende Mutter«. Die entsetzte Frau des Munshi schluchzte neben ihm, das verschleierte Gesicht tränenüberströmt. Der verängstigte Neffe musste jedes einzelne Stück Papier mit dem Siegel der Königin darauf aus dem Schreibtisch seines Onkels holen und den Wachen übergeben. Die Familie des Munshi, noch vor Kurzem unverzichtbar bei Hofe, musste sich damit abfinden, wie Verbrecher behandelt zu werden. Königin Victoria konnte ihm nicht mehr helfen, und jetzt nahm das Establishment seine Rache an ihm. König Edward VII. ließ ihm mitteilen, er habe unverzüglich seine Sachen zu packen und sofort nach Indien zurückzukehren.

Das Märchen, das begonnen hatte, als ein junger Abdul Karim 1887 an den Hof gekommen war, hatte ein plötzliches Ende gefunden.

Karim war ein Geschenk der indischen Besitzungen Victorias zu ihrem Goldenen Thronjubiläum gewesen. Der gut aussehende 24-Jährige war, prächtig anzuschauen in scharlachroter Jacke und weißem Turban, aus Agra gekommen, der Stadt des Tadsch Mahal – des schönsten Baudenkmals der Welt. Ursprünglich nur ein Bediensteter, der am Tisch der Königin aufwartete, stieg er rasch in der Hierarchie auf. Nach wenigen Monaten kochte er bereits das Curry der Königin, und bald darauf wurde er zum königlichen Munshi befördert, zum Sprachlehrer der Königin. Während sein indischer Kollege Mohammed Buksh weiter bei Tisch bediente, brachte es Karim zum hochdekorierten indischen Sekretär Ihrer Majestät. Außerdem war er der engste Vertraute der einsamen Frau und damit Nachfolger ihres schottischen gillie John Brown,der vier Jahre zuvor gestorben war.

John Brown war von den übrigen Angehörigen des Hofes gehasst worden; Karim schlug noch stärkere Ablehnung entgegen. Man misstraute ihm und fürchtete seinen Einfluss auf die Königin. Die immer stärker werdenden Rufe nach der Unabhängigkeit Indiens, die auch in den höchsten Kreisen für Beunruhigung sorgten, verstärkten diese Furcht nur noch. Aber der Queen war es weitgehend egal, was andere dachten. Sie stellte sich bedingungslos vor ihren »lieben Munshi«, stellte ihm Cottages in Windsor, Balmoral und Osborne House zur Verfügung und bedachte ihn mit großen Ländereien in seiner indischen Heimat. Sie bestand darauf, dass er als vollgültiger Angehöriger der Hofhaltung behandelt wurde und ließ ihn von Rudolf Swoboda und Heinrich von Angeli porträtieren. Er durfte mit ihrer Erlaubnis sogar einen Säbel und seine Auszeichnungen bei Hofe tragen. Sie sorgte sich unermüdlich um sein Wohlergehen, ließ seine Frau und seine Familie nachkommen und erging sich in Lobeshymnen über ihn vor ihren Angehörigen und den Ministern ihrer Regierung. Die letzten zehn Jahre ihres Lebens stand Victoria unerschütterlich zu Karim.

Und je mehr sich der Hof über ihn beklagte, desto sturer verteidigte ihn die Königin. Die Wortgefechte um den Munshi schienen ihr ein diebisches Vergnügen zu bereiten. Sie gab sich auffällig große Mühe, Karim vor dem unterschwelligen Rassismus des Hofes zu bewahren, und installierte mitten in der Blütezeit des britischen Empire einen jungen Moslem auf einer einflussreichen Position nahe der Herrscherin. Bei einem Besuch in Italien wurde Karim für einen jungen Prinzen und Geliebten Victorias gehalten, so hoheitsvoll wirkte er, als er in seiner Privatkutsche durch Florenz fuhr.

Was aber war es eigentlich, das die Königin an ihrem Munshi so schätzte? War er ein Seelengefährte für diese einsame, verbitterte, alternde Dame, jemand, der sie verstand und mit dem sie sich austauschen konnte? Angesichts der gegenwärtigen Haltung im Westen gegenüber Moslems ist es umso interessanter und bedenkenswerter, dass ein Moslem an Königin Victorias Hof eine so wichtige Rolle einnehmen konnte. Pflegte die Königin privat eine aufgeklärtere und tolerantere Einstellung als der Rest ihres Empire? War die Razzia in der Morgendämmerung Vorbote einer kommenden Entwicklung?

Diese Fragen und hundert andere gingen mir im Kopf herum, als ich die Fähre über den Solent zur Isle of Wight nahm, wo ich zuerst auf den geheimnisvollen Abdul Karim gestoßen war.

Er hatte mich von einem Porträt im Indischen Korridor auf Osborne House angeschaut, das Rudolf Swoboda gemalt hatte. Ich hatte den Landsitz Königin Victorias zu ihrem einhundertsten Todestag 2001 aufgesucht, um im Zuge meiner Recherchen über die Vorliebe der Königin für indische Currys, die ich damals für ein anderes Buchprojekt durchführte, den restaurierten Durbar Room zu besichtigen. Was ich entdeckte, war ihre Vorliebe für denjenigen, der ihr die indischen Currys gekocht hatte.

Der österreichische Maler hatte Abdul Karim in beigefarbenen, roten und goldenen Tönen dargestellt, ein gut aussehender junger Mann in nachdenklicher Stimmung mit einem Buch in der Hand; er sieht mehr wie ein Nawab als wie ein Bediensteter aus. Der Künstler hatte damit wohl der romantischen Sichtweise der Königin Rechnung getragen. Später erfuhr ich, dass Victoria das Bild so sehr mochte, dass sie es eigenhändig abgemalt hatte.

Der Indische Korridor auf Osborne House heißt so, weil er mit Porträtgemälden indischer Handwerker geschmückt ist, die auf Wunsch der Königin angefertigt wurden. Weber, Schmiede und Musiker schauten mich von den Wänden...

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