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Virtuelle Mauern: Veränderungen politischer Kommunikation in autoritären Staaten.

Das Beispiel China.

AutorRobert Lindner
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl106 Seiten
ISBN9783656274186
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Medien und Politik, Pol. Kommunikation, Note: 1,7, Technische Universität Dresden (Institut für Politikwissenschaft, Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich), Sprache: Deutsch, Abstract: Im Sommer 2007 konnte die ganze Welt beobachten, wie die Militärjunta in Burma die von Mönchen angeführten Massendemonstrationen in ihrem Land mit Gewalt niederschlugen. Zahlreiche Bilder verwüsteter Klöster und blutüberströmter Demonstranten erreichten die ausländischen Nachrichtenkanäle und führten zu weltweiten Solidaritätsbekundungen mit der burmesischen Bevölkerung. Auffallend dabei war, dass manche verwackelte Aufnahmen oft den Kameras privater Mobiltelefone oder dubioser 'TV- Sender' burmesischer Regimegegner entstammten und mit Hilfe des Internet um die ganze Welt verteilt wurden. Eine ähnliche Situation bot sich im April 2008 in Tibet, als wiederum zum größten Teil von Privatpersonen gefilmte Aufnahmen der eskalierenden Unruhen in Lhasa und deren Eindämmung durch die chinesische Armee an die Weltöffentlichkeit durchsickerten. In beiden Fällen reagierten die Machthaber auf ähnliche Weise: Sie versuchten einerseits die nationale, bzw. regionale Kommunikationsinfrastruktur zu isolieren und deren Verbindungen zur Außenwelt zu kontrollieren, andererseits behinderten die Sicherheitsapparate in- und ausländische Berichterstatter massiv in ihrer Arbeit und nahmen bekannte Systemgegner und Aufständische rasch in Verwahrung. Dies sind nur zwei Beispiele der jüngeren Geschichte die verdeutlichen, dass die Ausbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) auch zunehmend die Kontrolle der Nachrichten- und Kommunikationsflüsse durch autoritäre Regime beeinträchtigen kann. Sie könnten als exemplarisch für den Siegeszug der weltweiten Freiheit der Kommunikationskanäle gelten, welchen schon mancher Optimist mit der Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien heraufziehen sah. Ihrer Argumentation nach könnten sich die autoritären Regime der Diversifizierung und Pluralisierung von Informations- und Kommunikationskanäle langfristig nur unter sehr großen Kosten verschließen und müssten sich schließlich den Kräften der Demokratie und globalen Meinungsfreiheit beugen. Schon die Systemtransformationen in Osteuropa und Ostasien mit dem Ende des Ost- West- Konfliktes wurden zu einem nicht unwesentlichen Teil der damaligen Medienentwicklung zugeschrieben, wie z.B. dem Empfang westdeutscher, terrestrisch empfangbarer Fernsehkanäle in der DDR oder die mit verhältnismäßig wenig Aufwand kopierten und verteilten VHS- Videokassetten mit Aufnahmen des Gwangju- Massakers in Südkorea (vgl. O'Neil 1998, Imhof/ Schulz 1998). [...]

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Leseprobe

B Theoretische Grundlagen

 

2. Politische Kommunikation in autoritären Systemen 

 

In dieser Studie wird der Begriff autoritärer Systeme der Typologie Merkels folgend als Gegenbegriff zu etablierten, rechtsstaatlich verfassten Demokratien gewählt (vgl. Merkel 1999: 23-56; Merkel 2003: 28-32), wobei autoritäre Systeme als Subtypus autokratischer Systeme verstanden werden. Totalitäre Systeme, als zweiter Subtypus autokratischer Systeme werden aus mehreren Gründen aus der Beobachtung ausgeklammert:  Zum einen ist die genaue Abgrenzung von totalitären zu autoritären Diktaturen in der politikwissenschaftlichen Literatur sehr umstritten und selbst nach großzügigen Auslegungen des Totalitarismusbegriffes gibt es dafür nur wenige realhistorische Beispiele in der modernen Staatengeschichte.[8]  Zum anderen hat die Monopolisierung der Kommunikationsmacht und die Kontrolle über die Bevölkerung in totalitären Regimen ein Ausmaß angenommen, dass die in der Studie diskutierten Erweiterungen politischer Kommunikation durch IKT wohl kaum einen signifikanten Einfluss haben könnten. Das einzige noch real existierende, geschlossene totalitäre Regime, die Demo­kratische Volksrepublik Korea (Merkel 2003: 31f.; Köllner 2008: 5),  ist in einem Ausmaß abgeschottet, das seinesgleichen sucht und zudem derart heruntergewirtschaftet und technologisch rückständig, dass sich eine Diskussion um den Einfluss von IKT auf die nordkoreanische Bevölkerung auf absehbare Zeit erübrigen dürfte.

 

Autoritäre Systeme werden auf der anderen Seite des idealtypischen Spektrums von Demokratien abgegrenzt. Im Hinblick auf die Fragestellung dieser Studie kann man demokratische Systeme von autoritären Systemen dahingehend sinnvoll trennen, als dass Demokratien sowohl die individuellen Kommunikationsgrundrechte der Bürger, als auch die Freiheit der Massenmedien sicherstellen (vgl. Pürer 206: 407ff.).

 

Auf dem Spektrum politischer Systeme finden sich zwischen den beiden Idealtypen Demokratie und Autokratie aber auch etliche Grauzonen und Übergangsphasen. So werden Demokratien, deren demokratiesichernde Funktionen teilweise eingeschränkt sind (vgl. Merkel 2003: 23ff.) als „defekte Demokratien“ bezeichnet, während autoritäre Regime[9], die ihren Bürgern weitgehende politische und kommunikative Freiheiten gewähren, schon in den Bereich der „semi-autoritären“ Systeme (vgl. Merkel 1999: 34-56) fallen.

 

Autoritäre Systeme können wiederum in weitere Subtypen unterteilt werden. Auch hier hat die Politikwissenschaft schon einen reichen Fundus an Klassifizierungsmodellen vorzuweisen.[10] Ähnlich der demokratisch verfassten Staaten finden sich auch autoritäre Systeme weltweit in vielen unterschiedlichen Ausprägungen, Entwicklungsständen, Regierungs- und Staatsformen. Laut Freedom House (2008)[11]  kann über die Hälfte der Staaten in der Welt als nicht frei oder nur teilweise frei bezeichnet werden. Die große regionale Ungleichverteilung, wobei den 96% freien Staaten in Europa nur 46% in Asien/ Pazifik und nur ganze 6% im Nahen Osten gegenüberstehen, ist augenfällig.

 

Tabelle 1: Regionale Muster politischer Regime

 

 

Quelle: Freedom House – „Freedom in the World“ (Freedomhouse 2008c)

 

Sowohl in der Politik-, als auch in der Kommunikationswissenschaft hat sich inzwischen das Feld der politischen Kommunikationsforschung fest etabliert. Trotzdem unterscheiden sich sowohl im deutschsprachigen, als auch im angelsächsischen Raum die verwendeten Arbeitsdefinitionen und Beschreibungsversuche stark voneinander, geschuldet der jeweiligen Fachperspektive und dem jeweils zu untersuchenden Gegenstand.[12]

 

Zudem ist der Begriff der politischen Kommunikation auch deutlich von den Begriffen der Kommunikations- und Medienpolitik abzugrenzen. Während Kommunikationspolitik die verschiedenen Prinzipien, Ziele und Entscheidungen zur Regelung der Kommunikationsverhältnisse in einer Gesellschaft insgesamt steuern soll, kann Medienpolitik als ein Teilbereich davon angesehen werden, welcher auf die Regelung der öffentlichen Kommunikation, und dabei insbesondere auf die Rechtsstellung, die Organisationsformen und die Funktionen der Massenmedien abzielt. (vgl. Schulze 2008: 15f.; Pürer 2006: 402- 404)

 

Nach einer kurzen und für den Rahmen dieser Studie brauchbaren Definition ist politische Kommunikation „die Kommunikation, die von politischen Akteuren ausgeübt wird, die an sie gerichtet ist, oder die politische Akteure und ihr Handeln und ihre Kognitionen berücksichtigt“ (Schulz 2003: 458f.). Zusätzlich soll der zu untersuchende Bereich politischer Kommunikation auf die individuelle politische Kommunikation (vgl Kapitel 2.2) der Bürger autoritärer Staaten beschränkt werden. Diese teilt sich in die drei Dimensionen der rezeptiven, interpersonalen und partizipativen Kommunikation, die der Funktionslogik autoritärer Systeme folgend alle teilweise oder ganz eingeschränkt werden müssen.

 

2.1 Rahmenbedingungen politischer Kommunikation in autoritären Systemen

 

Bevor die spezifischen Merkmale individueller Politischer Kommunikation in autoritären Systemen diskutiert werden können, sollen im Folgenden zunächst die spezifischen Rahmenbedingungen politischer Kommunikation in autoritären Systemen im Allgemeinen skizziert werden.

 

2.1.1 Politische Funktionen von Massenmedien in autoritären Systemen

 

Die Freiheit der Massenmedien und die staatliche Sicherung der individuellen Kommunikationsfreiheiten sind keineswegs selbstverständlich. Laut dem Freedom House - Index zur Pressefreiheit von 2008 verfügen nur 72 von 195 Staaten über freie Medien, umgerechnet auf die Bevölkerungszahlen bedeutet dies, dass 82% der Weltbevölkerung in Staaten mit teilweise oder vollständig staatlich kontrollierter Presse- und Rundfunk leben (vgl. Freedomhouse 2008a).

 

Abbildung 1: Weltweite Pressefreiheit in Prozent der Weltbevölkerung

 

 

Quelle: Freedomhouse - Freedom of the Press- Index 2008 (Freedomhouse 2008a)

 

Die Massenmedien in autoritären Systemen unterscheiden sich dabei in ihren Ausprägungen genauso stark voneinander wie die Systeme selbst. Die Entwicklung der Mediensysteme und deren Kontrolle durch das Regime werden von einer Vielzahl Variablen bestimmt, u.a. der spezifischen Ausprägung des politischen Systems, dem Herrschaftsanspruch der politischen Führung, der wirtschaftlichen, technologischen und sozi-ökonomischen Entwicklung des Landes sowie vielfältiger kultureller und historischer Hintergründe.

 

Grundsätzlich kann man die politischen Funktionen von Massenmedien in Demokratien auch in Diktaturen finden, allerdings mit höchst unterschiedlichen Ausprägungen. Der wesentliche Unterschied ist, dass die Massenmedien in Demokratien eigenständige Träger einer Vielzahl pluralistischer Meinungen und Informationen sind, während sie in Diktaturen als Sprachrohr der politisch Herrschenden fungieren. Die Machthaber in autoritären Systemen versuchen durch die Kontrolle der Massenmedien Kritik an ihrer Herrschaft und die Entstehung von Opposition zu verhindern. Ihre hauptsächliche Funktion besteht darin, das herrschende Regime zu stützen und die Kontrolle über die Gesellschaft im Allgemeinen, und die Opposition im Besonderen sicherzustellen. Der Regelungsanspruch und die Ausprägung der Medienkontrolle wachsen dabei mit zunehmendem Herrschaftsanspruch des Regimes (Thomaß/ Tzankoff 2001; Merkel 1999: 34- 56). Die Massenmedien sind weitestgehend von der Exekutive abhängig oder an deren Anweisungen gebunden. Der Berufszugang für Journalisten wird staatlich kontrolliert und oft ist eine zentrale Monopolagentur verantwortlich für die Beschaffung und Verbreitung von Auslandsnachrichten (Pürer 2006: 404ff.). Die Massenmedien werden entweder unter direkte staatliche Aufsicht gestellt oder durch eine Palette regulierender und repressiver Maßnahmen kontrolliert, u.a. durch finanzielle Abhängigkeit vom Staat, mittels Zensurvorschriften, Einschüchterungen von Journalisten oder die Kontingentierung von Papier,- Satz,- und Druckkapazitäten bzw. die Vergabe von Sendelizenzen (Wilke 2003a).

 

In der Extremausprägung autoritärer Diktaturen, den totalitären Regimen, werden die Massenmedien zudem als Führungs- und Kampfinstrumente eingesetzt. Sie sind gegenüber der Regierung bzw. der Partei verpflichtet, welche nicht nur in den Medien, sondern in allen kulturschaffenden Bereichen ihre ideologische Linie durchzusetzen versucht (vgl. Tabelle 2). Es herrscht eine uneingeschränkte Kontrolle über die Informationen die an die Öffentlichkeit gelangen dürfen. Statt pluralistischer Informations- und Meinungsvielfalt wird nur die Position der Regierung propagiert und die Erziehung der Massen nach den Vorgaben der Herrschaftsideologie angestrebt. In kommunistisch organisierten Staaten konnten die Machthaber zudem auf die theoretischen Grundlagen der Pressetheorie Lenins zurückgreifen, welche den Massenmedien die Funktionen der Propaganda,...

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