Bevor Mobbing aus einer konflikttheoretischen Perspektive heraus betrachtet wird, muß der Konfliktbegriff erläutert werden.
Im folgenden Abschnitt wird der Konfliktbegriff zunächst definiert und verschiedene Sichtweisen Über das Verständnis zu Konflikten dargestellt. Ausführlich wird der Konfliktprozeß in seinen einzelnen Phasen, insbesondere die Phase der Konflikthandhabung, beschrieben. Verschiedene Konfliktebenen werden ebenso erläutert wie typische Konfliktklimatas. Zum Schluß werden verschiedene Ansätze und Perspektiven der Erklärung von intra individuellen, inter personellen und intra Gruppenkonflikten aufgeführt. Dieser Abschnitt soll die für eine konflikttheoretische Mobbingbetrachtung notwendigen und relevanten Aspekte der Konflikttheorie beinhalten.
In der Literatur finden sich unzählige Definitionen von Konflikten. Je nach Betrachtungsperspektive des Autors werden unterschiedliche Ansatz und Schwerpunkte gesetzt. Da Mobbing in unserer Betrachtungsweise ein organisatorisches Phänomen ist, ist unser Ansatzpunkt der Konflikt in Organisationen. Eine Definition soll einen praktischen Nutzen haben, man muß mit ihr arbeiten können; sie darf nicht zu allgemein, aber auch nicht zu eng gefaßt sein.
Eine in an diesen Anforderungen gemessene gute Definition bietet Thomas an:
"Dyadic conflict will be considered to be a process which includes the perceptions, emotions, behaviors, and outcomes of the two parties (...). Conflict is the process which begins when one party perceives that the other has frustrated, or is about to frustrate, some concern of his."[68]
Diese Definition bildet die Grundlage des in dieser Arbeit zu Grunde liegenden Konfliktverständnisses. Sie beinhaltet die für die Mobbingproblematik wichtigsten Elemente:
Der Konflikt wird als ein dynamischer Prozeß verstanden, dessen Verlauf von den unterschiedlichsten Faktoren beeinflußt wird[69]. Der wichtigste Punkt dieser Definition ist die Festlegung, daß ein Konflikt erst dann besteht, wenn er von einer Konfliktpartei als Konflikt wahrgenommen wird, d.h. nur eine Partei muß subjektiv erleben, daß sie von dem Handeln oder den Absichten der anderen Partei negativ betroffen wird. Ein Konflikt wird nicht dadurch konstituierend, daß Interessensgegensätze Objekte einer Auseinandersetzung sind. Gegensätzliche Gefühle, Erwartungen oder Verhalten können Anlaß einer subjektiv empfundenen Verletzung sein, die einen Konflikt darstellen. Durch diese seelischen Tätigkeiten werden auch die Konflikte, die sich im Inneren der Konfliktparteien realisieren[70], in die Konfliktbetrachtung mit einbezogen.
Konflikte zwischen zwei Parteien, die in einem organisationalen Kontext bestehen bzw. durch die Interaktion in einem sozialen Umfeld gekennzeichnet sind, werden auch als soziale Konflikte bezeichnet[71].
Entscheidend für eine Konfliktbeurteilung ist, welches Verständnis man von Konflikten hat. Teilt man ihnen einen negativen (dysfunktionalen) oder positiven (funktionalen) Charakter zu?
a) Dysfunktionales Konfliktverständnis
In den 30er und 40er Jahren wurden Konflikte grundsätzlich dysfunktional beurteilt. Konflikte verhindern die Zielerreichung. Sie haben ihre Ursache in einer destruktiven Kommunikation der Mitarbeiter untereinander, die von Mißtrauen geprägt ist. Die Führungskräfte sind nicht in der Lage diese Mißstände zu verhindern. Konflikte sind in dieser traditionellen Sichtweise zu beseitigen und das kann nur geschehen, wenn die Ursachen dafür beseitigt werden. Nur in einem konfliktfreien Klima können hohe Leistungen erbracht werden. Dieses Klima ist nur zu erreichen, wenn die Organisation durch klare mechanistische Strukturen, wie z.B. eindeutige Hierarchien und Kommunikationswege, gekennzeichnet ist[72].
Die Human Relations Bewegung charakterisierte Konflikte ebenfalls als dysfunktional. Mayo bezeichnete sie als eine "soziale Krankheit" und deren Vermeidung als "soziale Gesundheit"[73]. Allerdings sah die Humann Relations Bewegung die Ursachen nicht in einer unzureichend strukturierten Organisation, sondern in einem negativen sozialen Klima. Die sozialen Beziehungen der Mitarbeiter müssen gepflegt werden, damit sich ein gesundes, konfliktfreies Arbeitsklima einstellt.
b) Funktionales Konfliktverständnis
Die moderne Konfliktsichtweise ist dadurch gekennzeichnet, daß man Konflikten einen dysfunktionalen, aber auch einen funktionalen Charakter zuschreibt. Ein zu harmonisches konfliktfreies Klima führt zu Stillstand und der Unfähigkeit, flexibel handeln zu können. Ein maßvolles Konfliktklima führt zu Fortschritt und Innovation. Eine erfolgreiche Organisation braucht ein gewisses Maß an Konflikten, die Kreativität hervorrufen. Diese interaktionistische Sichtweise sieht aber auch Konflikte, die negative, hemmende Auswirkungen auf die Organisation haben. Aufgabe der Führung muß es deshalb sein, eine Konfliktkultur zu schaffen, die funktionale Konflikte fördert und dysfunktionale Konflikte verhindert[74].
c) Konflikte als abhängige und unabhängige Größe
Wenn Konflikte in Organisationen analysiert werden, so gibt es verschiedene Möglichkeiten, dies zu tun. Betrachtet man sie als eine abhängige Größe, so liegt der Betrachtungsschwerpunkt bei den Ursachen des Konfliktes. Diese Ursachen können zum einen in den Charakteristiken der Konfliktparteien liegen oder zum anderen in den organisationalen Rahmenbedingungen der vorgegebenen Struktur. Dieses lineare Vorgehen stellt entweder die Personen als Reakteure auf Veränderungen der Struktur oder die Strukturveränderung als Reaktion der Personenveränderung dar[75].
Betrachtet man Konflikte als eine unabhängige Größe, so liegt das Hauptaugenmerk der Analyse auf den Folgen der Konfliktauslösung. Der Konflikt wird als gegeben angesehen und man betrachtet die Dynamik und Eskalation des Konfliktverlaufes. Dazu ist es notwendig, die Interaktionen der Konfliktparteien in den Vordergrund der Analyse zu stellen, da sie von agierenden Personen selbst, sowie dem Rahmen und den äußeren Bedingungen, in dem die Interaktion verläuft, beeinflußt werden. Eine lineare Betrachtungsweise ist somit nicht geeignet und muß durch eine systemische ersetzt werden[76].
Für einen konfliktorientierten Mobbingansatz ist es notwendig, eine systemische Perspektive zu wählen, da Mobbing ein Prozeß ist, der seine Ursachen in den interagierenden Personen, den Strukturen, der Dynamik des Konfliktverlaufes, sowie in den Wechselwirkungen zwischen diesen Faktoren hat.
Ein Konfliktprozeß beginnt mit der Wahrnehmung einer Konfliktsituation. Ist eine Situation von einer oder von beiden Parteien als Konflikt wahrgenommen worden, so entwickelt er sich entweder zu einen latenten oder manifesten Konflikt[77]. Ist der Konflikt manifest, dann folgt die Phase der Konflikthandhabung. Die Konflikte können offen ausgetragen werden und schließlich zu einer Lösung führen, die wiederum Auswirkungen auf die beteiligten Konfliktparteien, aber auch auf deren soziales Umfeld haben und Anlaß zu Folgekonflikten sein können. Die Konflikte können aber auch, aus unterschiedlichsten Gründen, von den Konfliktparteien vermieden werden. Der Konflikt wird dadurch nicht ausgelöscht, sondern meist auf eine andere, oftmals persönliche Ebene umgeleitet. Jedes dieser einzelnen Prozeßelemente erfährt durch die strukturellen Gegebenheiten der Organisation, sowie den Charakteristika und die Verhaltensweisen der Konfliktparteien eine Beeinflussung. Da das menschliche Verhalten sehr komplex und von vielen Faktoren abhängig ist, ist ein Konfliktverlauf nicht vorherzusehen und nur sehr schwer zu beeinflussen. Abbildung 4 stellt den Konfliktverlauf modellhaft dar.
Abb. 4: Konfliktverlauf
Die Voraussetzung für einen aktuellen Konflikt ist, daß mindestens eine Partei eine Unvereinbarkeit zwischen ihren Einstellungen und denen einer anderen Partei wahrnimmt, die ihre Auswirkung auf zukünftiges oder aktuelles Handeln haben wird. Die Wahrnehmung von Unvereinbarkeiten reicht aber noch nicht aus. Der Konflikt muß auch empfunden werden, d.h. mindestens eine Partei fühlt, daß diese...