Die alte und die neue Richtung in der Baukunst
Eine Parallele mit besonderer Rücksicht auf die Wiener Kunstverhältnisse
Mir will es scheinen, als nähme die Architektur unter den bildenden Künsten in Bezug auf die Reihenfolge in der Anpassung an die herrschenden Zeitströmungen den letzten Platz ein. Das ist sehr erklärlich. Das Bild, der Stich, das Bildwerk verdanken einem glücklichen Gedanken ihre Entstehung, und das Kunstwerk kann nach Wochen oder Monaten der Welt übergeben werden. Anders das Bauwerk. Schon die Vorarbeiten erfordern eine geistige und künstlerische Tätigkeit von Jahren, und über die Ausführung vergeht wohl gar ein Menschenalter.
Umso leichter wird es uns nun aber auf Grund der Wandlungen, die die anderen Künste bereits überstanden haben, die neuen Pfade der Architektur erraten zu können. Die Architektur, eine Raum und Formkunst (zum Unterschiede jener Anschauung, die die Architektur unter die grafischen Künste verweisen will), wird insbesonders von der Bildhauerei beeinflußt werden. Wir sehen, wie sich im Laufe des Jahrhunderts eine soziale Strömung bemerkbar machte, die gegenwärtig die Plastik bereits erfaßt hat: Die Handarbeit kommt wieder zu Ehren.
Wir lebten noch vor kurzem in einem merkwürdigen Zeitalter. Dem war der Kopfarbeiter alles, der Handarbeiter nichts. Der Mann in der blauen Schürze, war er noch so tüchtig, stand in sozialer Beziehung tief unter dem schlecht besoldeten Schreiberlein im Amte. Auch die Künste wurden von diesem Wahne erfaßt: Wo es nur immer anging, überließ man die eigentliche Handarbeit dem sklavisch schaffenden Handarbeiter. Bei der Malerei ging das wohl nicht. Der Bildhauer dagegen modellierte nur die verkleinerte Skizze. Die Bildhauerarbeit, das technische Beherrschen des Materials, blieb ihm fremd. Der Architekt aber vollends rührte sich schon gar nicht aus seinem Büro heraus und verfertigte seine Pläne, ohne vielleicht auch nur den Schauplatz seiner künstlerischen Tätigkeit gesehen zu haben. Dem Handwerker überließ er alles. Die Strebsamsten unter ihnen gingen wohl, nachdem jede Änderung ausgeschlossen war, auf den Bau und fluchten und wetterten über den dummen Gewerbsmann, der selbstverständlich ihren gezeichneten Intentionen nicht in allen Stücken nachgekommen war. Sie vergaßen eben, daß der Handwerker ein Mensch und keine Maschine sei.
Mit der Ansicht von der Minderwertigkeit der Handarbeit räumten vor allem die Engländer tüchtig auf. Willst du einen Topf machen, so konstruiere keine Rotationskörper, sondern setze dich nur selbst an die Drehscheibe. Willst du einen Sessel machen, so zeichne nicht erst lang herum, sondern greife nach dem Hobel. Sie führten den Künstler in die Werkstatt und riefen ihm das hic Rhodus, hic salta zu.
Nun kam es zur Reaktion. War es früher ordinär, in der Werkstatt zu arbeiten, so wurde es jetzt piekfein. Der Bildhauer N. N. wird die Danaebüste in verschiedenfarbigem Marmor mit eigener Hand aushauen. Hei, wie das klang! Renaissanceluft wehte einem aus einer solchen Nachricht entgegen. Der Künstler, der sich nicht scheute, Hammer und Meißel zu führen, das Steinmetzgewerbe zu erlernen, stand im Mittelpunkt des Interesses. Er stand nicht unter, wie ehemals, sondern über seinen nur zeichnenden und modellierenden Kollegen. Jene Bildhauer, die ihr Werk nicht einer geistlosen Kopiermaschine oder einem anders denkenden Steinbildhauer überlassen wollen, wurden immer mehr und mehr.
Auch die Architektur wird dieser Zeitforderung gerecht werden müssen. Der Architekt wird mehr am Bau arbeiten, er wird erst nach Fertigstellung des Raumes und nach der Feststellung seiner Beleuchtung auf seine dekorative Ausschmückung Bedacht nehmen. Das vollständig überflüssige und arbeitsraubende Zeichnen von ornamentalen Naturdetails wird wegfallen. Im Atelier selbst, eventuell sogar an Ort und Stelle, wird der Meister nach einer Skizze den Schmuck modellieren lassen und eigenhändig, nach genauem Studium der Beleuchtung und der Entfernung vom Beschauer, die Korrekturen vornehmen. Selbstverständlich wird das seine Zeit sehr in Anspruch nehmen. Er wird daher weniger bauen. Die großen Baubüros, recte Häuserfabriken, werden verschwinden.
Wie werden aber diese in der Weise ausgeführten Bauwerke aussehen? Man kann wohl annehmen, daß sie sich viel konservativer präsentieren werden, als sie unsere Stürmer und Dränger träumten. Denn die Baukunst knüpft an Gefühle und Gewohnheiten an, die ununterbrochen von den schon bestehenden Bauwerken, die ja Jahrtausenden angehören, beeinflußt werden.
Was will denn der Architekt eigentlich? Er will mit Hilfe der Materialien Gefühle im Menschen erzeugen, die eigentlich diesen Materialien noch nicht innewohnen. Er baut eine Kirche. Die Menschen sollen zur Andacht gestimmt werden. Er baut eine Trinkstube. Die Menschen sollen sich drinnen gemütlich fühlen. Wie macht man das? Man sieht nach, welche Bauwerke schon früher im Stande waren, diese Gefühle zu erzeugen. An die muß man anknüpfen. Denn der Mensch hat sein Lebenlang in gewissen Räumen gebetet, in gewissen Räumen getrunken. Das Gefühl ist ihm anerzogen, nicht angeboren. Folgerichtig hat der Architekt, wenn es ihm überhaupt mit seiner Kunst ernst ist, auf diese anerzogenen Gefühle Rücksicht zu nehmen.
Man sollte meinen, daß das, was uns vor 500 Jahren erfreut hat, es heute nicht mehr kann. Gewiß. Ein Trauerspiel, das uns damals zu Tränen gerührt hätte, wird uns heute nur interessieren. Ein Witz von damals wird unsere Lachmuskeln nicht mehr in Bewegung setzen. Folglich wird sich auch die Architektur stets neuer Formen bedienen müssen, um stets wirkungsvoll zu bleiben. Das Trauerspiel wird nicht mehr aufgeführt, der Witz wird vergessen. Das Bauwerk aber bleibt bestehen mitten unter der wechselnden Nachwelt, und daher erklärt es sich, daß die Baukunst trotz aller Änderungen des Zeitgeistes die konservativste Kunst bleiben wird.
Denn ein Gefühl können wir wohl nicht mehr aus unserem Gedächtnis ausstreichen: die Erkenntnis von der geistigen Überlegenheit des klassischen Altertums. Seitdem uns die offenbar ward, ist es mit allen gotischen, maurischen, chinesischen etc. Stilen vollständig vorbei. Diese können wohl die Renaissance beeinflussen und haben es auch stets getan, immer aber wird ein großer Geist, ich möchte ihn den Über-Architekten nennen, die Baukunst von den fremden Zutaten befreien und uns die reine, klassische Bauweise wieder geben. Und immer wieder jauchzt das Volk dem Manne zu, denn wir sind Klassiker im Denken und Fühlen. Nach den großen Baumeistern der italienischen Renaissance kamen in Deutschland unzählige kleine Meister voll guter Ideen, voll überquellender Phantasie; wer kennt ihre Namen? Da kam Schlüter im Norden, Fischer von Erlach im Süden, Le Paut in Frankreich. Männer von klassischrömischem Empfinden, und wir haben wieder einen Höhepunkt zu verzeichnen. Und wieder geht es bergabwärts, wieder hat die schrankenlose Formenfreudigkeit alle Kreise ergriffen und zeitigt Architekten, deren Name nur durch die Forschung der Vergessenheit entrissen wurde. Da erscheint Schinkel, der große Bändiger der Phantasie und, wieder nach einer Abwärtsbewegung, Semper; man sieht also, daß die Palme stets dem Künstler gereicht wurde, der seiner Zeit die wenigsten Konzessionen gemacht hat, der am rücksichtslosesten den klassischen Standpunkt vertrat. Denn der Architekt schafft nicht nur für seine Zeit, auch die Nachwelt hat das Anrecht, sein Werk genießen zu können. Da braucht man wohl einen festen, unveränderlichen Maßstab, und dieser ist gegenwärtig und für die Zukunft, bis vielleicht ein großes Ereignis eine vollständige Umwertung hervorruft, das klassische Altertum.
Wir können daher behaupten: Der zukünftige große Architekt wird ein Klassiker sein. Einer, der nicht an die Werke seiner Vorgänger, sondern direkt an das klassische Altertum anknüpft. Eine viel reichere Formensprache wird ihm zur Verfügung stehen als den großen Baumeistern der Renaissance, des Barocks oder der Schinkel-Semper-Schulen. Denn die Ergebnisse der neueren Archäologie haben sich zu den alten Funden hinzugesellt; dazu kommt noch, daß auch die Ägypter, Etrusker, Kleinasier etc. ebenfalls nach und nach unser Interesse wachrufen. Ansätze dazu zeigen sich schon in der neuen Ornamentik der Wagner-Schule.
Wir wissen nun also: Der zukünftige Architekt wird selbst mitarbeiten müssen und klassisch gebildet sein. Ja, man kann die Forderung aufstellen: Unter allen Berufsarten ist die des Architekten diejenige, die am strengsten eine klassische Vorbildung verlangt. Um aber auch den materiellen Bedürfnissen seiner Zeit gerecht zu werden, muß er auch ein moderner Mensch sein. Er muß nicht nur die Kulturbedürfnisse seiner Zeit genau kennen, sondern muß selbst auf der Spitze dieser Kultur stehen. Denn er hat es in seiner Gewalt, bestimmten Kulturformen und Gebräuchen durch die Anlage eines Grundrisses, durch die Gestaltung der Gebrauchsgegenstände ein anderes Gepräge zu geben. Er führe die Kultur daher nie abwärts, sonders aufwärts.
Der zukünftige Architekt muß aber auch ein Gentleman sein. Die Zeiten sind vorbei, in denen alle diejenigen ehrlich waren, die nicht stahlen. Aristides würde heute seiner Armut wegen nicht gefeiert werden. Das gilt uns für selbstverständlich. Für Recht und Unrecht werden wir immer feinfühliger. Als letzte Konsequenz wird nun die Folgerung aufgestellt werden: Der Architekt lüge auch in Bezug auf das Material nicht. Wohl wird dieses Verlangen schon dadurch erfüllt, daß der Architekt selbst alles im Materiale zur Ausführung bringen muß. Denn der Handarbeiter kennt diese Lüge nicht. Die wurde erst von dem zeichnenden Architekten in die Architektur hereingebracht.1) Da aber...