Unter Frauen gibt es die Tendenz, andere Frauen, die den Feminismus für sich ablehnen, zu bemitleiden. Diese armen dummen Kühe wissen nicht, was für sie das Beste ist. Sie entscheiden sich für Abhängigkeit und Unterwerfung, für ein trauriges Leben in Gefangenschaft und Sklaverei. Wann werden sie endlich aus ihrem Schlummer erwachen?
Es ist immer einfacher, jemanden wegen seiner Entscheidungen zu bemitleiden, als zu verstehen, warum er diese Entscheidungen getroffen hat. Sonst müsste man ja vielleicht die eigenen hinterfragen und möglicherweise bedauern, sich nicht anders entschieden zu haben. Man missioniert, um Zweifel abzuschütteln, nicht um eine frohe Botschaft zu verkünden.
Wir sprechen für diese Frauen, anstatt ihnen zuzuhören. Es muss wohl an ihrem Charakter liegen: Sie müssen faul sein, verblendet, gierig, dumm. Und das aus folgenden Gründen: Sie haben Probleme mit ihren Vätern, sie sind aufs Geld aus, weil sie religiös indoktriniert wurden, halten sie Männer gegenüber Frauen für überlegen, sie wollen von Männern sexy gefunden werden. Offensichtlich sind sie ungebildet, stammen aus den unteren sozialen Schichten, sind evangelikale Christen, verwöhnte Vorortmütter oder Idiotinnen.
Dabei ist es eigentlich gar nicht so schwierig zu verstehen, warum sich jemand dagegen entscheidet, Feministin zu sein. Wir müssen nur einen Blick darauf werfen, was die feministische Revolution Frauen zu bieten hatte und was nicht.
Wir alle haben beschlossen, Feministinnen zu werden, weil wir gesehen haben, was uns vorenthalten wurde. Historisch wurden wir aus maskulinen Träumen ausgeschlossen – dem öffentlichen Leben, dem Arbeitsplatz und der Schulbildung. Unsere althergebrachten Bereiche, das Heim, die Familie, das Kinderzimmer, kamen uns wie Gefängnisse vor.
Was der Feminismus seinen Anhängerinnen damals zu bieten glaubte, war ein Entkommen. Ein weitreichenderes Leben. Ein Leben in Unabhängigkeit, in Arbeit, voller Abenteuer.
Aber um dies zu glauben, müssen wir vergessen, dass Frauen immer schon gearbeitet haben. Viele Frauen mussten arbeiten. Die Unverheirateten, die Verwitweten, die Armen und die Benachteiligten haben immer gearbeitet. Als Feministinnen für das Recht auf Arbeit kämpften, meinten sie das Recht, Ärztinnen, Anwältinnen und so weiter zu werden. Toiletten und Fußböden mussten Frauen seit jeher schrubben, und sie ließen sich auch dafür bezahlen, als Krankenschwestern, Arzthelferinnen und Sexarbeiterinnen fremde Körper zu berühren.
Auch haben Frauen nicht dafür gekämpft, die Jobs armer Männer zu übernehmen, die von Bergleuten und Schlachthofarbeitern. Von Anfang an ging man davon aus, dass Arbeit etwas Gutes sei, etwas Erfüllendes, das uns entging. Nichts, das Körper und Seele zerstört und einen viel zu jung ins Grab bringt oder den Wunsch in einem weckt, man läge schon drin.
Einige Frauen blieben historisch von der Arbeit ausgeschlossen. Dieser Ausschluss geschah durch Männer. Hatten Frauen den richtigen Mann mit der richtigen Stellung gefunden, konnten sie dieser seelisch zermürbenden Arbeitswelt entkommen und sich in die relative Behaglichkeit ihres Hauses zurückziehen. Das Heim mochte ein Gefängnis sein, aber wenn Freiheit darin besteht, dass man anderer Leute Kotze und Urin bei Migräne verursachender Neonbeleuchtung aufwischt, kann man es niemandem verdenken, wenn er bittet, wieder in seine Zelle gesperrt zu werden.
Wobei arme Frauen natürlich nicht die Einzigen sind, die es vorziehen würden, nicht zu arbeiten. Auch hochgebildete Frauen, die in anspruchsvollen Bereichen tätig sind, entscheiden sich häufig dafür, aus dem Berufsleben auszuscheiden. Dieses »Aussteigen«, wie Feministinnen es nennen, gilt als eine Art Verrat. Frauen sollen arbeiten! Um ihren Schwestern zu helfen! Auch wenn »Einsteigen« bedeutet, dass man langen Arbeitszeiten den Vorzug gegenüber der Gemeinschaft oder der Familie gibt. In diesem Zeitalter des Prekariats sind Arbeit und Geld so schwer zu bekommen, dass kürzere Arbeitszeiten in vielen Fällen ein Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit oder Unvermittelbarkeit mit sich bringen.
Will man eine geeinigte feministische Front aufbauen, ist auch Folgendes Teil des Problems: Im Allgemeinen ist die Durchschnittsfeministin eine gebildete weiße Frau aus der Mittelschicht. Ihre Wünsche und Bedürfnisse können kaum stellvertretend für die Bedürfnisse aller Frauen gelten. Und trotzdem haben wir uns den Großteil der feministischen Geschichte über vor allem auf die Verwirklichung ihrer Träume konzentriert. Wir haben Ziele verfolgt, die ihr das Leben erleichtern, zum Beispiel gleiche Bezahlung, Zugang zur höheren Bildung, Geburtenkontrolle und Fruchtbarkeitsmedizin.
Der Arbeitsplatz und die kapitalistische Gesellschaft verhalten sich zunehmend feindselig. Nicht nur Frauen, sondern auch Männern gegenüber. Indem wir den Fokus auf die Stellung von Frauen auf dem freien Markt richten, anstatt darauf, wie Menschen in diesem von Konkurrenz und Prekariat geprägten System existieren, bleibt unser Denken beschränkt.
Wie schlagen Frauen sich im Vergleich zu Männern auf dem Stellenmarkt? Spielt das überhaupt wirklich eine Rolle, wenn die Welt der Arbeit und des Geldes durch unbezahlbare Bildungskredite, drastisch gesunkene Arbeitsplatzstabilität, ausgehöhlte Sozialleistungen, habgierige CEOs und Vorstände und die Globalisierung insgesamt allen schadet?
Aber natürlich, macht ruhig weiter, Schwestern! Wir müssen siegen, weil … eben darum.
Ein Grund, weshalb wir durchhalten sollten, so erklärt man uns, ist Unabhängigkeit. Es ist wichtig, dass Frauen unabhängig sind. Unabhängig von Männern, natürlich. Wenn auch nur deshalb, weil die Abhängigkeit von Männern heute auch nicht mehr so viel bringt wie früher. Früher lautete der Deal, ich schenke dir meine Freiheit und meinen Körper, dafür bietest du mir Schutz vor der Außenwelt. Diese Verabredung blieb gültig bis zum Tod.
Jetzt allerdings ist die Liebe so instabil wie der Stellenmarkt, die Konkurrenz auf diesem Gebiet ebenso erbittert und erniedrigend. Sofern man sich nicht entschließt, gleich eine ganze Reihe alter Säcke nacheinander zu beerben, werden Männer einem kaum ein Leben lang die Stabilität und den Schutz geben, die man sich wünscht.
Es ist also wichtig, einen Plan B in der Tasche zu haben. Aber warum sieht unser Plan B vor, dass wir alles alleine schaffen müssen? Eigenes Geld verdienen, ein Heim errichten, Kinder in die Welt setzen und großziehen, kochen, ein Gespür für Stil und Geschmack entwickeln und beibehalten, Freizeit gestalten und so weiter bis zum Tod. Im Namen der Freiheit sind wir aus Gemeinden, Städten, Stämmen, Familien und Abstammungslinien ausgebrochen. Im Namen der Freiheit sind wir aus Kleinfamilien ausgebrochen, um Individuen zu werden. Trotzdem haben wir dabei kein einziges Mal ernsthaft daran gedacht, ein soziales Pendant zu finden, das diese Hilfssysteme ersetzt.
Schon wahr, viele davon wurden explizit so konstruiert, dass sie der Unterdrückung von Frauen dienen. Eine Gemeinschaft verkommt häufig zum System, das Verhalten kontrolliert und Konformität gewährleistet; Familie erscheint einem häufig als eine Institution, die Frauen fügsam und zahm machen soll. Aber nun sind wir so wahnsinnig darauf bedacht, alles auf Teufel komm raus zu korrigieren. Wir verabschieden uns von dem ganzen System, nur weil es uns einmal geschadet hat, und denken keinen Augenblick daran, wie häufig es uns geholfen hat.
Jetzt wird Unabhängigkeit als feministische Tugend gepriesen. Auf eigenen Füßen zu stehen, ohne Familie oder Männer. Wir genießen alle die Freiheit und Unabhängigkeit, die wir uns gewünscht haben, zum Beispiel die Freiheit, pleitezugehen, sozial isoliert zu leben, obdachlos zu sein, kein soziales Hilfsnetz zu haben, ein Leben lang zu schuften und zum Schluss doch mit leeren Händen dazustehen. Solange der Feminismus noch von der ökonomisch-deterministischen Einstellung der Protestanten infiziert ist – der Vorstellung, dass die Stellung im Leben der eigenen Tugendhaftigkeit entspricht –, ...