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E-Book

Warum wir arbeiten

TED Books

AutorBarry Schwartz
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl112 Seiten
ISBN9783104036236
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Der Psychologieprofessor Barry Schwartz findet in seinem TED-Book ?Warum wir arbeiten? eine ganz überraschende, komplexe und eindringliche Antwort auf diese auf den ersten Blick so simple Frage. Er zerstört den Mythos, dass es bei der Arbeit nur ums Geldverdienen gehe und fordert - unterstützt durch zahlreiche Studien und Anekdoten -, dass wir neue Wege finden müssen, um unser Verhältnis zur Arbeit neu zu definieren. Schwartz nimmt uns mit in Krankenhäuser und Friseursalons, Fabriken und Vorstandsetagen und zeigt, welche unterschiedlichen Formen die Arbeit annehmen kann, welche Funktion sie für unsere Kultur innehat und wie jeder von uns seinen eigenen Weg zum Glück am Arbeitsplatz findet.

Barry Schwartz ist Psychologe und Professor of Social Theory and Social Action am renommierten Swarthmore College in Pennsylvania. Sein Hauptinteresse gilt dabei den oft verblüffenden Verbindungen zwischen Psychologie und Wirtschaft. Er veröffentlicht regelmäßig Artikel in der »New York Times«, in denen er seine Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Psychologie auf aktuelle Ereignisse anwendet und ist Autor zahlreicher Bücher.

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Leseprobe

Haare schneiden


Zugegeben, die Leute, die bei Interface arbeiten, retten keine Leben, aber sie haben sich der Mission verpflichtet, den Planeten zu retten. Wenige finden in dem, was sie tun, eine so vornehme Berufung. Was ist beispielsweise mit den Menschen, deren Arbeit nicht von globaler Tragweite ist – Bedienungen in Restaurants, Klempner, Dachdecker, Schweißer, Friseure und Büroangestellte? Auch sie können ihre Arbeit als enorm sinnvoll und befriedigend erleben. Als Amy Wrzesniewski sich mit Jobs, Karrieren und Berufungen auseinandersetzte, waren einige ihrer Testpersonen Verwaltungsassistentinnen in einem College. Etwa ein Drittel empfand ihre Arbeit als Berufung, denn immerhin boten sie den Dozenten, die den Geist der nächsten Generation schärften, wertvolle logistische Unterstützung. Was konnte sinnvoller sein?

Für sein Buch The Mind at Work interviewte Mike Rose Menschen mit alltäglichen Blaumannberufen. Besonders augenöffnend ist sein Kapitel über Friseure. Selbstverständlich müssen Friseure einige handwerkliche Fertigkeiten erwerben – Haare schneiden, färben und stylen. Und viele von ihnen, vielleicht die Mehrheit, sind der Ansicht, dass ihr Beruf eine große Menge an Kreativität erfordert. Was ihrer Arbeit jedoch vor allem Sinn verleiht, ist meiner Ansicht nach die Fähigkeit, die sie erwerben, wenn sie mit den Kunden interagieren. Was meint eine Kundin, wenn sie sagt, sie wünsche sich einen etwas »frecheren« Schnitt? Wie redet man einer Kundin eine Frisur aus, die an dem länglichen, ernsten Gesicht des Fotomodells, dessen Bild sie mitgebracht hat, grandios aussieht, doch am kürbisrunden Kopf der Kundin scheitern muss? Wie hilft man einer Kundin dabei, sich mit ihrem Erscheinungsbild wohl zu fühlen, damit sie sich, wenn sie den Salon verlässt, selbstbewusst der Welt präsentiert? Die Friseure und Friseurinnen, die Rose interviewte, waren stolz auf ihr handwerkliches Können und schwärmten von der Komplexität einer scheinbar so einfachen Tätigkeit wie dem Haareschneiden. Doch sie waren auch stolz auf ihre Fähigkeit, andere Menschen zu verstehen, mit ihnen zu sprechen und zurechtzukommen. Dies war ein wesentlicher Bestandteil ihres Berufs. Und wenn sie gut darin waren, konnten sie die Lebensqualität ihrer Kunden maßgeblich verbessern.

»Es ist wichtig, dass ich meinen Kundinnen zuhöre«, sagte eine Stylistin. »Das Beratungsgespräch ist der wichtigste Augenblick des Haareschneidens.« – »Man darf sich nicht einbilden, man wüsste, was sie wollen«, sagte eine andere, »weil das womöglich nicht einmal sie selbst genau wissen.« Eine dritte Stylistin wies darauf hin, dass eine Kundin womöglich zu ihr sage ›Ein, zwei Zentimeter müssen weg‹, dabei aber mit den Fingern fünf Zentimeter andeute. »Sie kann zuhören«, sagten zufriedene Kundinnen von ihrer Friseurin und »sie respektiert, was ich will«, »sie versteht, was ich will«. Friseurinnen und Friseure, die ihren Beruf lieben, schätzen nicht nur dessen handwerkliche Komponente und den schöpferischen Spielraum, den er bietet, sondern auch den Umgang mit Menschen: »Ich mache die Leute gern glücklich … Und sie sind glücklich, wenn ich sie zurechtgemacht habe. So etwas bekommt man nicht in jedem Beruf geboten, wissen Sie.« Eine andere Friseurin bemerkte über ihre Arbeit, sie habe im Unterschied zu den meisten anderen Berufen etwas sehr Fürsorgliches an sich. »Der Friseursalon ist einer der wenigen Orte in unserer Gesellschaft, wo Berührungen erlaubt sind. Er ist sehr intim. Wir alle haben doch ein Bedürfnis nach menschlicher Nähe.«

Hausmeister, Teppichhersteller und Friseure lehren uns, dass buchstäblich jede Tätigkeit das Potential in sich birgt, Menschen zufriedenzustellen. Ein Beruf kann abwechslungsreich und komplex gestaltet sein und den Erwerb und Ausbau der eigenen Fertigkeiten fördern. Er kann demjenigen, der ihn ausübt, ein gewisses Maß an Eigenständigkeit bieten. Außerdem – vielleicht das wichtigste Kriterium – kann man ihm Sinn verleihen, indem man ihn mit dem Wohl anderer verknüpft.

Diesen letzten Punkt kann man gar nicht genug betonen. Wirtschaftswissenschaftler Adam Grant und sein Team haben gezeigt, dass ein Arbeiter sich inspiriert fühlt, sobald von den potentiellen Auswirkungen seiner Arbeit auf andere die Rede ist. Man nehme das folgende Beispiel: Viele Universitäten stellen studentische Hilfskräfte ein, damit sie bei ehemaligen Absolventen und den Eltern der aktuell eingeschriebenen Studenten anrufen, um Gelder aufzutreiben. Können Sie sich etwas Schöneres denken als den Anruf Ihrer Alma Mater mit der Bitte um eine Spende? Heben Sie etwa den Hörer ab, wenn aus dem Display ersichtlich wird, wer anruft? Wenn ja, lassen Sie die Anruferin höflich zu Ende plappern? Wenn Sie es wundersamerweise tun, leisten Sie dann tatsächlich einen Beitrag? Nach den saftigen Studiengebühren, die Sie abdrücken mussten, sind solche Anrufe bestenfalls nervig. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind am anderen Ende der Leitung und müssen zwei oder drei Stunden damit zubringen, Leute anzurufen, die nicht mit Ihnen sprechen wollen, und sie um Geld bitten, das sie nicht zahlen wollen. Es ist hart, sich auf diese Weise den Lebensunterhalt zu verdienen, und die Erfolgsrate solcher Spendenanfragen ist gering. Doch Grant fand heraus, dass eine klitzekleine Intervention – die Anrufer wurden an den Zweck ihrer Anrufe erinnert – alles veränderte. Grant zeigte den Studenten das Video eines Interviews mit einem Stipendiaten, der sein Stipendium, das sein Leben veränderte, solch einer Telefonanfrage verdankte. Der Student brachte in überschwänglicher Weise seine Begeisterung zum Ausdruck und dankte all jenen, die ihm seine Ausbildung ermöglicht hatten.

Nachdem sie den Film gesehen hatten, machten sich die studentischen Hilfskräfte wieder an ihre nervenaufreibende Telefonarbeit. Wie durch ein Wunder änderte sich ihre Leistung erheblich. Sie schafften mehr Anrufe pro Stunde und trieben weitaus mehr Geld ein als eine Vergleichsgruppe, die das Video nicht gesehen hatte. Derselbe Job. Dieselbe Bezahlung. Doch zweimal so effektiv, nachdem die lebhafte Schilderung der Ergebnisse ihrer Bemühungen die Studenten angespornt hatte. So viel Kraft wird freigesetzt, wenn der Sinn einer Arbeit erkannt wird.

Es versteht sich vielleicht von selbst, dass Ärzte, Anwälte, Erzieher und andere Berufsgruppen oft Tätigkeiten ausüben, die sie als sinnvoll, bedeutend und erfüllend erachten. Doch wie wir gesehen haben, können Hausmeister, Teppichhersteller, Friseure und Telefonisten ein ebenso hohes Maß an Sinn und Erfüllung finden. Damit die Arbeit uns mit Freude – wenn nicht gar mit Begeisterung – erfüllt, sollte sie herausfordernd, abwechslungsreich und einnehmend sein. Sie sollte uns die Möglichkeit geben, die eigenen Fertigkeiten anzuwenden und weitere zu entwickeln. Sie sollte einem die Freiheit geben zu entscheiden, wie man seine Aufgaben erledigt. Man sollte sich als Teil einer Gruppe fühlen, mit Mitarbeitern, die man respektiert. Und nicht zuletzt sollte die Arbeit ein wertvolles Ziel haben, das dem eigenen Tun Sinn und Zweck verleiht. Die Hausmeister im Krankenhaus reinigten die Böden genauso wie die Hausmeister in einem Bürogebäude es tun würden, allerdings mit einem edleren Ziel. Dasselbe ließe sich über Adam Grants Telefon-Bittsteller sagen. Auch wenn befriedigende Arbeit nicht unbedingt all diese positiven Merkmale aufweisen muss, ist dieses letzte – ein edleres Ziel – fast unverzichtbar.

Obwohl sämtliche Klinikhausmeister, die Wrzesniewski interviewt hatte, ihrem Jobprofil zufolge dieselbe Arbeit leisteten, führten nicht alle sie aus wie Luke oder Carlotta. Demnach kann fast jeder Job erfüllend sein, wenn die Menschen, die ihn ausüben, die »richtige« Einstellung zu ihrer Arbeit mitbringen. Haben sie diese nicht, bringt ihnen kein Job Erfüllung.

Es besteht kein Zweifel, dass die Einstellungen der Menschen zu ihrer Arbeit wichtig sind, doch sind dem Individuum, denke ich, psychologisch Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, einen seelenlosen Job als sinnvoll umzudeuten. Die Menschen, die in Adam Smiths Stecknadelfabrik arbeiten, würden sich selbst in die Tasche lügen, wenn sie ihre Arbeit als erfüllend und sinnvoll betrachteten. Nichtsdestoweniger braucht es oft nicht viel, um fast jeden Job in eine sinnvolle Tätigkeit zu verwandeln, die Engagement erfordert. Die Arbeit wird auf diese Weise nicht nur besser für die, die sie ausüben, sondern auch besser für deren Kunden und für die Firmen, die sie beschäftigen.

Dieser letzte Umstand sollte einem doch zu denken geben. Wenn befriedigende Arbeit bessere Arbeiter hervorbringt, sollte mittlerweile die Marktkonkurrenz doch dazu geführt haben, dass alle Unternehmen ihren Angestellten die Möglichkeit bieten, in ihrer Arbeit Erfüllung zu finden. Wäre die Arbeitsumgebung in Ihrem Unternehmen starr, monoton, hierarchisch und strafend, würde ein Konkurrent einen weniger feindlichen Arbeitsplatz schaffen, produktivere Arbeiter heranziehen und Ihr Unternehmen aus dem Geschäft drängen. Wir betreiben diesen Wettbewerbsmarkt schon lange, und man könnte meinen, dass verbesserte Arbeitsbedingungen mittlerweile ein Maximum an Effektivität hervorbringen müssten.

Wenn Sie das glauben, liegen Sie falsch. Viel zu mächtig ist die von Adam Smith in die Welt gesetzte und seither munter weiter gepflegte Ideologie, die besagt, dass der Mensch grundsätzlich ungern arbeite. Betriebswirt Jeffrey Pfeffer hat es in seinem Buch The Human Equation eindrücklich dargelegt. Pfeffer ging es nicht um die Frage, wie Arbeitsumgebungen beschaffen sein müssen, damit die Menschen...

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