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E-Book

Warum wir weiter kämpfen müssen

Mein Leben für eine gerechtere Welt

AutorJean Ziegler
VerlagPantheon
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641237004
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Ein Leben für Gerechtigkeit und Frieden
In diesem Buch wirft Jean Ziegler einen sehr persönlichen Blick auf die Kämpfe, die er zeit seines Lebens ausgetragen hat. Er berichtet von seiner stets vehementen Kritik an den Machenschaften des globalisierten Finanzkapitals und an den imperialen Strategien der Großmächte und erzählt von seinem Engagement für die Wahrung der Menschenrechte. Den Siegen im Kleinen stehen immer wieder Niederlagen im Großen gegenüber - für Jean Ziegler kein Grund zur Resignation: »Was mich angeht, so werde ich den Kampf fortsetzen. Und ich werde nicht aufgeben.« Das Buch ist 2017 unter dem Titel »Der schmale Grat der Hoffnung« im C. Bertelsmann Verlag erschienen. Es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für Gerechtigkeit, mehr noch: eine Botschaft der Hoffnung.

Jean Ziegler, geboren 1934 im schweizerischen Thun, lehrte bis zu seiner 2002 erfolgten Emeritierung Soziologie an der Universität Genf und als ständiger Gastprofessor an der Sorbonne/Paris. Bis 1999 war Jean Ziegler Nationalrat im Parlament der Schweizer Eidgenossenschaft, von 2000 bis 2008 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und von 2009 bis 2019 Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats, als dessen Berater er heute noch tätig ist. Seine Publikationen wie »Die Schweiz wäscht weißer« (1992) und »Die Schweiz, das Gold und die Toten« (1998) haben erbitterte Kontroversen ausgelöst. Als Kritiker von Globalisierung und Raubtierkapitalismus ist er mit Bestsellern wie »Das Imperium der Schande« (2005), »Der Hass auf den Westen« (2007), »Wir lassen sie verhungern« (2012), »Ändere die Welt!« (2015) »Der schmale Grat der Hoffnung« (2017) und »Die Schande Europas« (2020) hervorgetreten.

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Leseprobe

VORWORT

Der Besuch der Scheicha

Palais des Nations in Genf: Sie glitt durch den »Saal der Menschenrechte und der Allianz der Zivilisationen« wie eine Fata Morgana. Zwei mit blauen Diamanten besetzte Gehänge an den Ohrläppchen, eine Weißgoldkette dreifach um den Hals geschlungen, die Finger vom kostbaren Glanz ihrer Ringe geschmückt, während ihre hohe Gestalt von einer atemberaubenden purpurfarbenen Tunika eng umschlossen war und das braune Haar teilweise unter einem roten Turban verschwand … So präsentierte sich, von tausend Feuern umspielt, die Scheicha Mozah Bint Nasser Al-Missned, zweite Gemahlin von Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani, dem ehemaligen Emir von Katar, und Mutter des herrschenden Emirs. Sie nahm in der Mitte der Tribüne Platz.

In dem riesigen Saal – ein Geschenk der spanischen Regierung für den Sitz der Vereinten Nationen in Genf – drängten sich Botschafterinnen und Botschafter, Direktorinnen und Direktoren der Spezialorganisationen, verschiedene geladene Gäste. Mir hatte man einen seitlichen Platz in der dritten Reihe zugewiesen, ein paar Meter von der Tribüne entfernt.

Neben mir saß ein untersetzter Mann mit spiegelglatter Glatze und hellwachen Augen, mein Freund Mohamed Siad Doualeh, ein somalischer Dichter und Botschafter Dschibutis.

Fasziniert betrachtete er die seltsam erstarrten Gesichtszüge der Frau. Er beugte sich zu mir und fragte: »Wie viele Schönheitsoperationen?« Etliche, wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte. Tatsächlich schienen in dem schönen Gesicht der Scheicha nur die Augen lebendig zu sein.

Es war ein kühler Herbstmorgen des Jahres 2015. Ban Ki-moon, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, hatte die Scheicha mit einer wichtigen Mission betraut: Sie sollte den Würdenträgern des europäischen Sitzes der Vereinten Nationen die »Agenda 2030« der UNO präsentieren.

Zur Erinnerung: Im September 2000, an der Schwelle des neuen Jahrtausends, hatte Kofi Annan, der damalige Generalsekretär, die Regierungschefs der damals 191 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen nach New York eingeladen. 165 von ihnen hatten die Reise auf sich genommen. Es ging darum, die acht größten Tragödien der Menschheit zu benennen und Strategien zu ihrer Beseitigung zu entwerfen. Das Schlussdokument trug den Titel Millenniumsziele (Millennium goals). Man legte eine Frist von fünfzehn Jahren fest, um diese Tragödien wenn nicht zu beenden, so doch, um sie spürbar zu lindern. Ein Beispiel: Ziel Nummer 1 war die Forderung, bis Ende 2015 die Zahl der Opfer von Hunger und Unterernährung weltweit zu halbieren.

Nach Ablauf der fünfzehn Jahre ist die Bilanz beschämend: Nur sehr selten vermochten die – vorwiegend in der südlichen Hemisphäre gelegenen – Staaten, die von den genannten Tragödien geschlagen sind, den Katastrophen zu entrinnen. Vor allem das Ziel Nummer 1, die Verringerung der Zahl der Opfer von Hunger und Unterernährung, wurde vollkommen verfehlt.

Die unter der Federführung von Ban Ki-moon entworfene »Agenda 2030« forderte die Mitgliedstaaten auf, den Kampf auf der bisherigen Grundlage und mit neuen Methoden fortzusetzen. Dieses Mal listete man siebzehn Tragödien auf. Zur Bekämpfung jeder einzelnen wurden spezifische Strategien vorgeschlagen.

Etwas schockiert fragte ich meinen Nachbarn, warum Ban Ki-moon die Scheicha von Katar mit dieser prestigeträchtigen Präsentation betraut habe. Siad Doualeh, der zwei Jahre lang an der Ausarbeitung der »Agenda 2030« in New York mitgewirkt hatte, erwiderte trocken: »Die Kataris zahlen.«

Katar ist eine Halbinsel mit einer Fläche von etwas mehr als 10000 Quadratkilometern im Persischen Golf. Mit dem Iran teilt sie sich den westlichen Schelf und die märchenhaften Gas- und Ölvorkommen, die dort liegen.

Auf der Halbinsel leben 250000 bis 300000 Kataris in verschiedenen, teils verfeindeten Stämmen. Seit Ende der englischen Besatzung im Jahr 1971 steht das Land unter der absoluten Herrschaft der Familie Al Thani.

Katar ist der weltweit führende Exporteur von Flüssigerdgas. Eine Million Barrel pro Tag produzieren die Förderplattformen vor der Küste. Das Land hat nur eine einzige Landgrenze – die Grenze zu Saudi-Arabien. Im Inneren praktizieren die Herrscher von Doha einen strengen wahhabitischen Islam. Als Rechtssystem dient die Scharia.

Die Halbinsel, die lange von den Persern und dann von den Osmanen beherrscht wurde, ist eine riesige trockene Ebene, die gänzlich mit Sand bedeckt ist. Für das Funktionieren der Wirtschaft sorgen 1,8 Millionen Arbeitsmigranten, die vorwiegend aus Bangladesch, Nordindien und Nepal kommen. Die Scheicha und ihr Sohn, der regierende Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, behandeln sie wie Sklaven.

Bei ihrer Ankunft müssen die Einwanderer ihre Pässe abgeben. Es kommt zu zahllosen sexuellen Übergriffen gegenüber Hausangestellten, zu Arbeitsunfällen und Misshandlungen. Die katarischen Arbeitgeber können über Leben und Tod ihrer ausländischen Sklaven entscheiden.

In puncto Außenpolitik ist das Emirat ein lupenreiner Satellit der Vereinigten Staaten. Der größte amerikanische Militärstützpunkt außerhalb der Vereinigten Staaten befindet sich in Katar: Al-Udeid ist sogar der größte Luftwaffenstützpunkt der Welt. Seine Kasernen, Werkstätten, Rollfelder, submarinen Schlupfwinkel, Flugzeughallen, Depots und Kommunikationszentren bedecken fast ein Drittel des katarischen Staatsgebiets.

Die katarischen Geheimdienstler, Finanzagenten und Waffenhändler, die im Mittleren Osten und Maghreb ihr Unwesen treiben, handeln im Auftrag der Amerikaner.

Im Vergleich zu den Herrschern von Doha waren die Atriden der griechischen Mythologie liebenswerte Philanthropen. Die Ermordung von Gegnern aus rivalisierenden Stämmen und Staatsstreiche innerhalb des regierenden Stammes sind an der Tagesordnung.

Eines Morgens im Sommer 1995 war der herrschende Emir so leichtsinnig, sich zur Sommerfrische in eines seiner prächtigen Anwesen am Ufer des Genfersees zu begeben. Einer seiner Söhne nutzte die Gelegenheit, um ihn zu stürzen. Vorangegangen war eine erste Unvorsichtigkeit des Emirs: Kurz zuvor hatte er diesen Sohn zum Verteidigungsminister und Geheimdienstchef ernannt. Allerdings war der Emir selbst ein Usurpator. Er bestieg den Thron, nachdem er seinen Onkel gewaltsam abgesetzt hatte. Übrigens hat der Usurpator von 1995 – vielleicht, um dem Schicksal seiner Vorgänger zu entgehen – 2013 die Macht seinem Sohn Tamim übergeben, dem gegenwärtigen Sklavenhalter in Doha und Lieblingssohn der Scheicha.

Nach einem vollkommen undurchsichtigen Auswahlverfahren hat die FIFA 2010 dem Land der Scheicha die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2022 zugesprochen. Eine Entscheidung, die für die Herrscherfamilie einen willkommenen Prestigegewinn bedeutet. Seither ist das Land mit gigantischen Baustellen bedeckt – für Schnellstraßen, Stadien, Luxushotels, Wasserleitungen, Entsalzungsanlagen und so fort. Diese Arbeiten pharaonischen Ausmaßes verschlingen Menschen. Seit 2010 sind fast 1400 bengalische, indische und nepalesische Arbeiter auf dem Altar der FIFA und der maßlosen Ambitionen des Emirats geopfert worden. Am 23. März 2016 hat Amnesty International eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der sie die Züricher Bürokraten der FIFA auffordert, endlich ihr Versprechen einzulösen und die Wahhabiten in Doha dazu zu bringen, auf den Baustellen minimale Standards des Arbeitsschutzes einzuhalten und den Familien der Unfallopfer die versprochenen Entschädigungen zukommen zu lassen. Amnesty International hat eine Rechnung aufgemacht: Wenn sich an den mörderischen Bedingungen nichts ändert, werden bis 2022 weitere 7000 Arbeitsmigranten auf den katarischen Baustellen ums Leben kommen.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben weder die Apparatschiks in Zürich noch die Wahhabiten in Doha auf das Verlangen von Amnesty International reagiert.

Die Nachmittagssonne stand noch hoch am Himmel, als die Scheicha endlich ihre Rede verlesen hatte und die UNO-Zeremonie endete. Am Ausgang des Saals begegnete ich einem eleganten Herrn von etwa sechzig Jahren mit kurz geschnittenen grauen Haaren und freundlichen Augen – Guy Ryder, in Liverpool geboren, Soziologieexamen in Cambridge, Chef des TUC (Trade Union Congress), dann der Confédération des Syndicats libres in Brüssel. Nach einem denkwürdigen Wahlkampf wurde er 2012 Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die ihren Hauptsitz in Genf hat. Wir gehören derselben lokalen Gewerkschaft an, der UNIA Genève. Entsprechend der schönen (wenn auch ein wenig altmodischen) TUC-Tradition begrüßt er seine Freunde mit der Anrede Brother.

Ryder sagte zu mir: »Die Regierung in Doha verstößt gegen fast alle Übereinkommen der ILO … Wenn die Arbeiter weiterhin auf diesen Baustellen sterben und verstümmelt werden, gibt es 2022 keine Fußballweltmeisterschaft in Doha, das verspreche ich dir.« Ryder sagte das vollkommen ruhig. Ich sah ihm in die Augen und zweifelte keinen Augenblick daran, dass er Wort halten würde.

Während der denkwürdigen Tage vom 9. bis zum 12. August 1941 wühlte ein Sturm das Meer auf. Regen peitschte die Wasseroberfläche. Der Wind heulte um den Kreuzer USS Augusta der amerikanischen Kriegsmarine, der vor der neufundländischen Küste festgemacht hatte. An Bord befanden sich der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill.

Die Welt versank in Blut und Verderben, während die Nazi-Ungeheuer und die japanischen Imperialisten Europa und...

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