1 Wechseljahre – Die umgekehrte Pubertät
Erinnern Sie sich noch an Ihre Pubertät? Oder an die Ihrer Kinder? An diese ständig wechselnden Launen des Töchterchens, an die patzigen Antworten vom Sohnemann, was tagein, tagaus zu Spannungen in der gesamten Familie führte? Ein falsches Wort zur falschen Zeit und schon hing der Familiensegen wieder schief. „Ihr versteht mich einfach nicht!“ ist vermutlich der Satz, den die Halbwüchsigen ihren Eltern am häufigsten entgegenschleuderten. Geduld, Toleranz und Langmut der erwachsenen Familienmitglieder wurden auf eine harte Probe gestellt. Doch jeder tröstete sich mit dem Gedanken, dass diese Phase irgendwann einmal vorbei sein wird, sobald sich der Hormonspiegel aufgebaut und eingependelt hat.
Damit sind wir mitten im Thema: bei den Wechseljahren oder dem Klimakterium. Denn es geht auch bei den Wechseljahren um eine Veränderung des Hormonhaushaltes, allerdings in anderer Reihenfolge als in der Pubertät. Während bei den Heranwachsenden der Hormonhaushalt aufgebaut wird, damit Männer zeugungsfähig werden und Frauen Kinder gebären können, so verläuft die Entwicklung während der Wechseljahre genau entgegengesetzt. Die Eierstöcke reduzieren langsam ihre Hormonproduktion, die Fortpflanzungsfähigkeit geht zurück, bis sie schließlich endet. Natürlich geschieht dieser Vorgang nicht über Nacht. Durchschnittlich beginnen die Wechseljahre um das 42. Lebensjahr herum, manche Frauen bemerken sogar schon Ende 30 erste Veränderungen, wenn die monatliche Periode unregelmäßig wird. Wieder andere Frauen kommen erst mit Ende 40 in die Wechseljahre. Insgesamt erstreckt sich der gesamte Zeitraum auf rund zehn Jahre. Was sich genau in Ihrem Körper abspielt und welche einzelnen Phasen er wann durchläuft, erfahren Sie im nächsten Kapitel.
Obwohl das Klimakterium einen ganz normalen physiologischen Prozess darstellt, den jedes weibliche Wesen auf dieser Welt durchläuft, beschleicht doch immer noch so manche Frau ein leises Unbehagen oder gar Angst, wenn es um dieses Thema geht. Da kommt zum einen die Furcht auf, keine richtige Frau mehr zu sein, weil die Gebärfähigkeit abnimmt und schließlich ganz eingestellt wird. Zum anderen entsteht die Angst, jetzt zum alten Eisen zu gehören, nicht mehr attraktiv und weiblich genug zu sein. Und häufig schwingt auch die leise Furcht mit, den Ehemann an eine jüngere Frau zu verlieren. Diese Sorgen, die für manche Frau die Wechseljahre kennzeichnet, hat sehr viel mit unserer heutigen Gesellschaft zu tun, die dem Jugendwahn huldigt und die alles, was über 30 ist, mit Argwohn, ja Ablehnung betrachtet. Die Werbung suggeriert uns permanent: jung = schön = erfolgreich. Auch die aktuelle Arbeitsmarktsituation spiegelt diese Einstellung wider, wo es für eine 45- oder gar 50-jährige arbeitslose Frau nahezu ein Ding der Unmöglichkeit ist, wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen. Jung, schön, erfolgreich – dieser Dreisatz geistert beharrlich durch die Gesellschaft, initiiert von der Werbe und Medienlandschaft, und er hat sich in den Köpfen festgesetzt.
Leider unterstützen zusätzlich viele Ärzte und mit ihnen die Pharmaindustrie diese These, damit sich eine Frau in den Wechseljahren als überflüssiges Wesen, als Kranke fühlt, die man wegen ihrer Beschwerden behandeln muss. Selbst die geachtete Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat dazu ihr Scherflein beigetragen, indem sie in einem Bericht von 1981 die Wechseljahre als eine „estrogen deficiency disease“ darstellt. Übersetzt heißt das Östrogenmangelkrankheit. Und ein Mangel, das versteht sich von selbst, muss behoben werden. Hier spielt die Hormonersatztherapie ihre ganz große Rolle, über die Sie im Kapitel „Hormontherapie – ja oder nein?“ mehr erfahren. Insofern wurden und werden die Wechseljahre immer noch medikalisiert und den Frauen wird suggeriert, sie seien ein Fall für den Arzt. Das ist blanker Unsinn. Das Klimakterium ist keine Krankheit. Genauso wenig, wie Sie Ihre Kinder als krankes Wesen während der Pubertät zum Arzt geschickt haben, genauso wenig dürfen Sie sich als Patientin sehen, der von medizinischer Seite geholfen werden muss. Es sei denn, und darauf kommen wir im Kapitel „Wenn Beschwerden auftreten“ zu sprechen, es gibt wirklich schwerwiegende Gründe, die eine medizinische Behandlung gegebenenfalls notwendig machen. Ansonsten sollte sich folgender Satz in Ihr Gedächtnis brennen: Die Wechseljahre sind keine Krankheit! Egal, was Ihr Arzt, der Arzt Ihrer Freundin oder der Apotheker oder die Pharmaindustrie oder Artikel in Frauenzeitschriften verbreiten: Vergessen Sie es! Sie sind nicht krank, sondern machen eine ganz normale Entwicklung durch. Am besten Sie beschriften mehrere Zettel mit dem Satz: Ich bin nicht krank. Die Wechseljahre sind keine Krankheit! Verteilen Sie die Zettel an Plätzen, die Sie täglich mehrmals auf suchen, damit sie Ihnen immer wieder ins Auge fallen: An den Kühlschrank, auf den Badezimmerspiegel, auf Ihren Schreibtisch, in Ihr Schminktäschchen, auf Ihre Nachtkommode, an Ihren Lieblingsplatz, am Computer.
Die Wechseljahre sind keine Krankheit, sondern ein ganz normaler Vorgang wie die Pubertät. Nur in umgekehrter Reihenfolge.
Im Übrigen werden Sie die Wechseljahre weitaus besser verkraften. Als Jugendliche hatten Sie nämlich nicht die geringste Ahnung, was auf Sie zu kommt. Wenn Sie Glück hatten, waren Sie zwar von Ihrer Mutter aufgeklärt worden. Trotzdem war das alles keine ausreichende Vorbereitung auf das, was Sie an hormoneller Achterbahnfahrt erwartete. Dennoch haben Sie diesen pubertären Wahnsinn, bei dem Sie manchmal selbst nicht wussten, wer Sie eigentlich waren und wohin die Reise ging, überstanden. Die Wechseljahre hingegen können Sie wesentlich gelassener angehen. Schließlich haben Sie das Ganze schon einmal durchgemacht, und im Gegensatz zu damals wissen Sie heute, was das alles zu bedeuten hat, vor allem, dass dieses Hormondurcheinander irgendwann ein Ende findet. Was Sie an Lebenserfahrung gesammelt haben, kommt Ihnen jetzt zugute. Selbst Gefühlsschwankungen treffen Sie nicht mehr wie der berühmte Blitz aus dem manchmal gar nicht mehr so heiteren Himmel. Nein, Sie wissen ziemlich genau, was Sie erwartet und können dementsprechend darauf reagieren.
Und noch etwas: Falls Sie Kinder haben, wissen Sie nicht nur aus deren Pubertät, was Hormonschwankungen bedeuten. Sondern auch durch Ihre eigene Schwangerschaft und Geburt. Davor und danach – denken Sie an den Babyblues – trieben die Hormone gewaltig Schindluder mit Ihnen. Ihr Einfluss war so groß, dass Sie sich oft genug nicht mehr im Griff hatten. Sei es, dass Sie urplötzlich hemmungslos schluchzten, sei es, dass Sie den werdenden Vater bei minus zehn Grad um zwei Uhr morgens zum Bahnhof jagten, in der Hoffnung, einen Kiosk zu finden, damit er Ihnen die Zartbitterschokolade kaufen konnte, auf die Sie gerade Appetit hatten. Auch das haben Sie – und Ihre Umwelt – überstanden.
Wenn Sie das alles bedenken, müssten Sie eigentlich einräumen, dass Ihre Vorbereitung auf die Wechseljahre nahe zu perfekt ist. Es gehört lediglich ein bisschen Mut dazu, sich dieser neuen Herausforderung zu stellen. Mut deshalb, weil es ein letztes Mal, nach Pubertät und Geburt, um eine Veränderung geht. Die Zeit der Gebärfähigkeit ist vorbei. Und das ist von der Natur sehr sinnvoll eingerichtet. Der Körper einer Frau soll nur so lange in der Lage sein, Kinder zu bekommen, solange sie genügend Zeit hat, ihren Nachwuchs großzuziehen. Bei einer Frau mit 55 oder 60 könnte das durchaus eng werden. Darum hat die Natur einen Riegel vorgeschoben.
Die Erkenntnis, dass die Jugend endgültig vorbei ist, kann vorübergehend zu Depressionen führen.
Bei Problemen während des Klimakteriums ist vielen Frauen manchmal gar nicht so bewusst, ob sie unter Beschwerden der Wechseljahre leiden oder ob es einfach andere Lebensumstände sind, die ihnen zu schaffen machen. Denn eines darf bei der Diskussion um das Klimakterium nicht vergessen werden: Just diese Phase fällt bei den meisten Frauen mit privaten Veränderungen zusammen, die ihr Leben tiefgreifend verändern. Dazu gehört zum Beispiel der Auszug der Kinder, der bei nicht gerade wenigen Frauen zum berühmten Leere-Nest-Syndrom führt. Die Eltern werden gebrechlich, sterben. Der Tod wird vielleicht zum ersten Mal ein Thema. Außerdem stellen Sie fest, dass sich Ihr Körper verändert, er hat nicht mehr die jugendlich feste Form, er wird schlaff. Sie registrieren Falten, graue Haare, der Zeiger der Waage zeigt ein paar Kilo mehr an, als Ihnen lieb ist. All diese Dinge enthüllen erbarmungslos, dass Ihre Jugend unwiederbringlich vorbei ist, dass Sie eine Frau mittleren Alters sind. Diese Erkenntnis vermag manche Frau so zu erschüttern, dass daraus vorübergehende Depressionen erwachsen können, die überhaupt nichts mit den Wechseljahren zu tun haben, sondern mit veränderten Lebensbedingungen, die jedoch, objektiv betrachtet, sehr positive Folgen haben können.
Die Tatsache, dass die Kinder aus dem Haus sind, bedeutet, dass Sie mehr Zeit haben. Für sich, für alte und neue Hobbys, für Fortbildung, Kunst, Kultur, für soziales Engagement, eventuell auch einen Wiedereinstieg in den Beruf. So sehen inzwischen erfreulich viele Frauen das Klimakterium nicht mehr nur als Schreckgespenst, sondern entwickeln Perspektiven für einen neuen Lebensabschnitt, in dem noch einmal alles möglich scheint. Sogar eine Trennung vom Partner. Wenn man sich die Statistiken ansieht, sind acht Prozent der Frauen zum Zeitpunkt ihrer Scheidung zwischen 45 und 50 Jahre alt.
Eine Frau von 50 (und mehr) Jahren hat unglaublich viele Vorteile....