1. Die Verbindung von Geist und Körper
Viele Jahre lang hat die westliche Schulmedizin Geist und Körper getrennt und den Einfluss von Gedanken und Emotionen auf physische Prozesse unterschätzt. Seit einigen Jahren ist diese Sichtweise einer Trennung auf dem Rückzug, da wir mehr und mehr die enge Verbindung zwischen Geist und Körper verstehen lernen. Mediziner empfehlen ihren Patienten nun häufig eine Psychotherapie und Stressreduktion als unerlässlich für eine gute Gesundheit. Das gilt insbesondere für solche Zustände wie Unfruchtbarkeit, für die Stress bekanntermaßen eine Rolle spielen. Unabhängig davon, ob Ihre Fertilitätsprobleme durch Ängste, ein medizinisches Problem oder bisher noch ungeklärte Faktoren verursacht werden, besteht kein Zweifel daran, dass Infertilität belastend ist und dass Sie Stress reduzieren und positives Denken verstärken sollten, wenn Sie schwanger werden möchten.
1.1 Stress versus Mind-Body-Training: ein Kräftemessen
Die Beziehung zwischen Stress und Unfruchtbarkeit ist vielschichtig und wird weiterhin Gegenstand der Forschung sein. Wenn Sie jedoch die Grundlagen verstanden haben, können Sie darauf vertrauen, dass das, was Sie zur Verbesserung Ihrer Fruchtbarkeit tun, der Mühe wert und wissenschaftlich belegt ist. Zunächst muss Ihr Hormonhaushalt richtig funktionieren, wenn Sie ein Kind bekommen möchten. Östrogen ist für die Produktion der Eizellen notwendig und Progesteron für die Einnistung des Embryos in die Gebärmutterschleimhaut.
Wenn wir uns bedroht (oder übermäßig gestresst fühlen), reagiert der Körper naturgemäß mit der sogenannten Kampf-oder-Flucht-Reaktion, der gleichen physiologischen Reaktion, die unseren Urahnen ermöglichte, beispielsweise einem angreifenden Elefanten zu entkommen. Mit der Kampf-oder-Flucht-Reaktion setzen alle Mechanismen ein, die für das Überleben notwendig sind. Die Atmung beschleunigt sich und Stresshormone werden frei, die uns schnell und stark machen. Biologische Funktionen, die für das unmittelbare Überleben nicht nötig sind, setzen aus. Die Verdauung funktioniert nicht mehr, Blutgefäße ziehen sich zusammen und die Werte reproduktiver Hormone fallen ab.
Die gute Nachricht ist, dass die Anwendung von Mind-Body-Techniken das Gegenstück zur Kampf-oder-Flucht-Reaktion auslösen kann, die sogenannte Entspannungsreaktion. Durch sie kommen Geist und Körper wieder ins Gleichgewicht und ein Gefühl der inneren Ruhe sowie ein besserer Gesundheitszustand entwickeln sich (Benson, 1983). Mittlerweile ist bekannt, dass Meditation und andere Mind-Body-Übungen sogar zu Veränderungen der genetischen Muster führen können (Benson & Proctor, 2010). Belege gibt es auch dafür, dass solche Übungen die Struktur und Funktionsweise unseres Gehirns auf eine Weise beeinflussen können, die einer verminderten Stressbelastung und größerer Gelassenheit entsprechen (Siegel, 2010; Begley, 2007). Diese physiologischen Veränderungen in ihrer Gesamtheit können klinische Forschungsergebnisse erklären, nach denen Patientinnen unter einer Fruchtbarkeitsbehandlung, die Mind-Body-Techniken umfasste, sogar noch ein Jahr nach der Teilnahme an einer Mind-Body-Gruppe emotional ausgeglichener waren als Patientinnen einer Kontrollgruppe, die keine solchen Techniken einsetzten (Domar et al., 2000).
In diesem Kapitel beginnen Sie damit, die Regie über das Ausmaß Ihrer Stressbelastung mit Hilfe von zwei Techniken zu übernehmen, die eine Brücke zwischen Geist und Körper schlagen und die Entspannungsreaktion auslösen. Diese Techniken – die Bauchatmung und die Imagination – sind einfache, aber wirksame Methoden, um Stress zu reduzieren.
1.2 Wie Atmen Stress reduzieren kann
Atmen geschieht normalerweise ohne bewusste Wahrnehmung. Gelegentlich werden Sie vielleicht auf Ihre Atmung aufmerksam, wenn sie durch körperliche Anstrengung mühsamer wird oder belastende Umstände Sie schneller atmen lassen. Im Allgemeinen atmen Sie jedoch, ohne darüber nachzudenken. Genau genommen gehört die Atmung zum vegetativen Nervensystem, das den Blutdruck, die Freisetzung von Hormonen, die Pupillenerweiterung und andere innere Vorgänge steuert, die unbewusst stattfinden.
Das vegetative Nervensystem kontrolliert auch Reaktionen auf Stress. Es umfasst zwei Teile: das sympathische und das parasympathische System. Das sympathische Nervensystem ist stets auf einem niedrigen Niveau aktiv, in Stressphasen beginnt es jedoch, intensiver zu arbeiten und löst die Kampf-oder-Flucht-Reaktion aus. Der parasympathische Teil ist aktiver, wenn der Körper in Ruhe ist.
Die Atmung ist interessant, weil sie als einzige Funktion im vegetativen Nervensystem bewusst kontrolliert und beeinflusst werden kann, und wenn Sie für eine gewisse Zeitspanne Ihre Atmung verändern, können Sie dadurch auf Ihren Bewusstseinszustand einwirken. Stellen Sie sich Emotionen und Atmung als voneinander abhängig vor. Gerade so, wie der Atemrhythmus, die Geschwindigkeit und die Tiefe der Atmung automatisch auf Ihre Gedanken und Emotionen reagieren, verändern sich auch Ihre Gedanken und Emotionen durch die Atmung, wenn Sie bewusst tiefer atmen. Ein entspannter Bewusstseinszustand entspricht einer Entspannung des Atemrhythmus, und ein entspanntes Atmen entspricht einer Entspannung von Geist und Körper. Da das hormonelle (oder endokrine) System ebenfalls ein Teil des vegetativen Nervensystems ist, scheint es nur logisch, dass Sie durch eine Aktivierung der parasympathischen Anteile des vegetativen Nervensystems – mit anderen Worten durch die Auslösung der Entspannungsreaktion – auch Ihren Hormonhaushalt beeinflussen könnten. Das ist eine mögliche Erklärung für erhöhte Schwangerschaftsraten unter den Teilnehmerinnen von Mind-Body-Gruppen zur Förderung der Fruchtbarkeit.
Durch Atemarbeit und Imagination können Sie teilweise die Auswirkungen von Stress auf Ihren Körper rückgängig machen. Wenn Sie die Techniken mit Hilfe der folgenden Übungen anwenden, sollten Sie auf wahrnehmbare Veränderungen achten. Die Übungen bedeuten einen Urlaub für Körper und Geist und ermöglichen beiden, sich zu entspannen.
1.3 Die Regie übernehmen: Bauchatmung und Imaginationen
Die Atmung wirkt auf Emotionen ein und umgekehrt wirken Emotionen auf die Atmung. Wenn Sie unter Stress stehen, setzt die Kampf-oder-Flucht-Reaktion ein und Sie atmen sehr flach, was den Zustand der Anspannung widerspiegelt und dazu führt, dass sich die unteren Lungenlappen nicht mehr mit Sauerstoff anreichern. In einem Zustand großer Angst fällt es Ihnen möglicherweise schwer, Luft zu bekommen, oder Sie halten den Atem an, um Angstgefühle zu vermeiden. Während einer Panikattacke ist ein Mensch unfähig, das Atmen zu regulieren, und fürchtet vielleicht, einen Herzinfarkt zu bekommen oder sogar zu sterben. Die Bauchatmung kann diese Symptome abwenden und den Körper wieder in einen entspannten Zustand versetzen.
Die Bauchatmung kommt jedoch nicht von Natur aus zustande, zumindest nicht bei Erwachsenen. Wenn Sie schon einmal die Atmung eines Babys oder auch eines Hundes oder einer Katze beobachtet haben, ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass sich der Bauch mit jedem Ein- und Ausatmen hebt und senkt. Das geschieht in einem gelösten Zustand, wenn die Lungen sich so weit ausdehnen, dass das Zwerchfell nach unten sinkt und der Bauch sich dadurch leicht wölbt. Sie sollten die Bauchatmung nicht gerade einsetzen, wenn Sie Ihren Alltag bestreiten müssen, doch als stresslindernde ausgleichende Übung ist sie unschlagbar.
Suchen Sie sich für die Mind-Body-Übung einen Ort, an dem Sie sich wohlfühlen und ungestört sind. Finden Sie einen ruhigen Platz, der für Sie zu einem Hort der inneren Ruhe werden kann.
ÜBUNG
Die Bauchatmung
Die Bauchatmung ist leicht zu lernen. Eine gute Möglichkeit für den Anfang besteht darin, einfach Ihren Atem zu beobachten.
Setzen oder legen Sie sich an dem von Ihnen gewählten ruhigen Ort bequem hin. Achten Sie darauf, wo Sie Ihren Atem spüren: in der Nase, im Brustkorb, vielleicht am Rücken, wo sich die Lungen befinden. Wahrscheinlich ist Ihr Atem eher flach und Sie spüren ihn hauptsächlich in der Nase und im Brustkorb.
Legen Sie nun die Hände auf den Bauch. Atmen Sie tief, sodass sich die Lungen vollständig füllen können. Sie lenken den Atem, doch dabei sollten Sie sich nicht anstrengen oder verkrampfen. Gestatten Sie dem Atem, einen natürlichen Rhythmus zu finden. Wenn Sie beginnen, tiefer zu atmen, bemerken Sie vielleicht, dass Sie auch langsamer atmen. Die Hände heben und senken sich gleichzeitig mit dem Bauch. Dieser hebt und senkt sich, wenn das Zwerchfell nach unten wandert, damit die Lungen sich ausdehnen können. Das ist schon alles!
Achten Sie darauf, wie es sich anfühlt, tief zu atmen. Während dieser Übung werden Sie sich entspannen, und die Wirkung wird auch im weiteren Verlauf des Tages anhalten.
Wenn Sie bereit sind aufzuhören, kehren Sie einfach zur normalen Atmung zurück.
Versuchen Sie, die Bauchatmung täglich zu üben. Sie können sie mehrmals täglich jeweils kurz anwenden. Sie sollten sich einen Wecker stellen oder sich durch eine andere Methode daran erinnern, Ihre Tätigkeit zu unterbrechen und einige Minuten auf diese Weise zu atmen.
In Belastungssituationen sollten Sie bewusster auf Ihren Atem achten und dann die Bauchatmung einsetzen, um zu entspannen. Es empfiehlt sich auch, auf formelle Art und Weise Zeiten für das Üben der Bauchatmung festzulegen. Beginnen Sie mit einigen Minuten und steigern Sie sich nach Möglichkeit auf zehn oder idealerweise 20 Minuten ein- bis zweimal...