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E-Book

Wegzeichen in die Zukunft

Programmatisches für eine christlichere Kirche

AutorHans Küng
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl206 Seiten
ISBN9783688114252
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Im Dezember 1979 entzieht die römische Glaubenskongregation dem Tübinger Theologie-Professor Hans Küng die kirchliche Lehrbefugnis. Dies ist die Reaktion des katholischen Klerus auf die für viele Katholiken befreiend unkonventionelle Art Küngs, die Aufgaben der katholischen Kirche und das Christsein zu interpretieren. Hier faßt er seine wesentlichen Aussagen zusammen - und stellt sie zur Diskussion. Aus dem Inhalt: Zum Christsein Die veränderte Lage Welcher Christus? Impulse für die Gesellschaft Die Aufgaben der Zukunft Zu Kirche und Unfehlbarkeit Mit Irrtümern leben Kriterien der christlichen Wahrheit Bilanz zur Unfehlbarkeitsdebatte Warum ich in der Kirche bleibe Praktische Impulse Mitentscheidung der Laien Für die Frau in der Kirche Gottesdienst - warum? Wider die Resignation in der Kirche

Professor Dr. Hans Küng, geb. 1928 in Sursee/Kanton Luzern, Schweiz, wandte sich nach einem dreijährigen Vikariat in Luzern 1959 der Hochschullaufbahn zu. Ab 1960 lehrte er als Ordinarius für Dogmatik und ökumenische Theologie an der Universität Tübingen. 1962 berief ihn der Papst Johannes XXIII. zum Konzilstheologen. Seine Gastvorlesungen in den USA, in England und Indien fanden ein großes Echo. Nachdem ihm 1979 die kirchliche Lehrbefugnis entzogen wurde, lehrte er ab 1980 bis zu seiner Emeritierung 1996 als fakultätsunabhängiger Professor für Ökumenische Theologie und wurde Direktor des Instituts für ökumenische Forschung der Universität Tübingen.

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Leseprobe

Teil A Zum Christsein


I. Was in der Kirche bleiben muß


Vorbemerkung

Dieser Vortrag – ich habe nicht versucht, aus der Rede eine Schreibe zu machen – hat eine längere Geschichte. Seit dem Konzil beunruhigte und beschäftigte mich in wachsendem Ausmaß die Frage, was wir als Christen eigentlich wollen, was die christliche Botschaft, was das unterscheidend Christliche ist. Auf dem Internationalen Theologenkongreß in Brüssel 1970 versuchte ich eine erste Antwort, basierend auf der Untersuchung, die mich über ein gutes Jahrzehnt beschäftigt hatte: «Menschwerdung Gottes. Eine Einführung in Hegels theologisches Denken als Prolegomena zu einer künftigen Christologie» (1970).

Ein Forschungssemester im Winter 1971/72 gab mir die Möglichkeit, eine schon seit Jahren ergangene Einladung des Trinity College der University of Melbourne für den australischen Wintermonat August anzunehmen. Ich nützte die Gelegenheit zu einer ausgedehnten Studien- und Vortragsreise rund um die Welt, die mir eine Fülle neuer Erfahrungen und Einsichten brachte. Die seit 1970 insbesondere die deutsche katholische Theologie erregende Unfehlbarkeitsdebatte konnte ich dabei ein wenig vergessen und mich zugleich in weiteren Studien und zahlreichen Diskussionen auf das Zentralthema, was Christentum meint, konzentrieren; das Ergebnis hoffe ich in Buchform in nicht allzu ferner Zeit veröffentlichen zu können.

Unterdessen aber hatte sich durch die verschiedenartigen Erfahrungen der langen Reise auch mein Vortrag über die christliche Botschaft stark verändert. Insbesondere habe ich das erste und letzte Drittel auf einer kleinen Insel zwischen Australien und den Vereinigten Staaten völlig neu geschrieben. Die hier veröffentlichte Fassung ist die letzte, in welcher der Vortrag schließlich auch noch in verschiedenen Städten Deutschlands und der Schweiz gehalten wurde.

Zur gleichen Zeit erscheint im gleichen Verlag – dem Mut, der Zuvorkommenheit und der Effizienz Dr. Bettscharts und seiner Mitarbeiter im Benziger Verlag möchte ich auch einmal öffentlich meine Anerkennung aussprechen – ein umfangreicher Sammelband zur Unfehlbarkeitsdebatte: «Fehlbar? Eine Bilanz». Doch dieser Aufsatz hier zeigt vielleicht besser als der große Band, um was es mir in Theologie und Kirche bei den wohl unvermeidlichen unerquicklichen Auseinandersetzungen des Tages geht.

(Neujahr 1973)

1. Die veränderte Lage


Zehn Jahre sind es her seit der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils. In diesen zehn Jahren hat sich einiges geändert: nicht nur in der Welt, wie jedermann weiß, sondern auch in der Kirche, wie wir immer deutlicher spüren. Und wie meist: einiges zum Besseren, anderes zum Schlimmeren. Um uns die Lage der Kirche, der Christenheit zu vergegenwärtigen, habe ich mir zunächst einen kleinen, natürlich nicht vollständigen Katalog der Plus- und der Minuspunkte gemacht.

Die Pluspunkte: Was änderte sich zum Besseren?

Von einer halbjährigen Studien- und Vortragsreise rund um die Welt zurückgekehrt, konnte ich von Europa bis Indien, Indonesien, Australien und Amerika feststellen:

○ in den christlichen Kirchen stellen wir zum erstenmal seit der Reformationszeit eine weltumfassende Bewegung zur ökumenischen Verständigung der christlichen Kirchen fest: zur gegenseitigen Anerkennung, zur praktischen innerkirchlichen und außerkirchlichen Zusammenarbeit, ja (wie etwa in Nord- und Südindien, in Neuseeland und den Vereinigten Staaten) zur eigentlichen Wiedervereinigung.

○ die Beziehungen zwischen Christen und Juden – ein besonders trauriges Kapitel der christlichen Geschichte – haben sich zum erstenmal seit den zweitausend Jahren wesentlich entspannt und erheblich verbessert.

○ Die Haltung der christlichen Kirchen – in der Mission und in der Heimat – gegenüber den Weltreligionen besonders in Asien (Islam, Buddhismus, Hinduismus, Konfuzianismus, Taoismus) ist respektvoller und verständnisvoller geworden.

○ Das Recht jedes Menschen und jeder Gemeinschaft auf Religions- und Gewissensfreiheit und die Pflicht zur Toleranz haben sich in den Kirchen – auch in Spanien und Südamerika (nicht in Nordirland) – durchgesetzt.

○ Die Liturgie – ein altes Anliegen der Reformatoren – ist nun auch in der katholischen Kirche bis zur letzten Missionsstation verständlicher, volksnaher, auf das Wesentliche konzentriert, und die Qualität der Predigten hat trotz aller Klagen durch Schriftnähe und Zeitnähe beträchtlich zugenommen.

○ Die Volksfrömmigkeit und Spiritualität auch in der katholischen Kirche – das wird oft zu wenig gewürdigt – hat sich vom Peripheren weithin abgewendet und lebt mehr von der Mitte her.

○ Die Theologie in allen Kirchen versucht trotz aller Schwierigkeiten, mit neuer Intensität vom Evangelium her Antworten auf die wahren Nöte und Hoffnungen des heutigen Menschen und der heutigen Gesellschaft zu geben.

○ Die Theologenausbildung berücksichtigt die Ergebnisse der modernen Humanwissenschaften und Pädagogik und drängt auf eine offenere Haltung gegenüber den Problemen des heutigen Menschen.

○ Selbst die kirchlichen Strukturen – in der katholischen Kirche ein heikler Punkt – werden langsam, langsam demokratischer durch eine vermehrte Teilnahme der Laienschaft bei den wichtigen Entscheidungen auf Gemeinde-, Regional- oder Diözesanebene.

○ Die Wachheit der Christen und der christlichen Kirchen für die dringendsten sozialen Nöte von heute ist, wie schon lange nicht mehr, geweckt worden: für Krieg und Frieden, die Versöhnung der Völker, Rassen und Klassen, die Entwicklungshilfe, den Kampf gegen die Armut und überhaupt die Probleme der Dritten Welt.

○ Ein neuer Geist und eine neue Freiheit des Denkens, Diskutierens und Handelns ist in den Kirchen Wirklichkeit geworden.

 

Dies alles sind positive Entwicklungen, die oft nicht genügend gesehen und gewertet werden. Sie zeigen, daß sich das Vatikanum II für die katholische Kirche und die Christenheit gelohnt hat und wir vorankommen, trotz aller Schwierigkeiten. Und Schwierigkeiten, große Schwierigkeiten haben wir. Das ist unbestreitbar.

Die Minuspunkte: Was änderte sich zum Schlimmeren?

○ Wir spüren auch in den Kirchen in hohem Ausmaß die tiefgehenden Umschichtungen in der gegenwärtigen Gesellschaft: die Spannungen zwischen der jüngeren und der älteren Generation, die verschiedenen Einstellungen zum sozialen Wandel, zur Politik, zur wirtschaftlichen Situation, zum Fortschritt usw. Hätten sich die Kirchen nicht bereits tiefgreifend verändert, wäre die Situation für sie sehr viel kritischer.

○ Wir stehen in der Christenheit – und im Protestantismus wohl mehr als in der katholischen Kirche – vor einer gewissen Desorientierung in bezug auf das, was in Theorie und Praxis wesentlich ist.

○ In der katholischen Kirche sind wir zweifellos in einer sehr kritischen Phase: Das Vatikanum II scheiterte, bei allen Erfolgen, in der Lösung einiger Probleme, die durchaus hätten gelöst werden können: Geburtenregelung und andere Fragen der Ehemoral, Zölibatsfrage, Mischehe und Interkommunion, Neuordnung der Bischofswahl und der Papstwahl.

○ Phänomene dieser Krise, besonders in der katholischen Kirche, sind:

– ein massenhafter Auszug aus dem kirchlichen Dienst: 22000–25000 in den letzten acht Jahren;

– eine immer katastrophalere Ausmaße annehmende Nachwuchskrise von Nordamerika bis Spanien;

– eine Schwächung der kirchlichen und geistlichen Disziplin, besonders bezüglich des Sonntagsgottesdienstes;

– in gewissen, besonders angelsächsischen, Ländern eine Krise der katholischen Schulen, Zeitschriften, Verlage, Vereine;

– überhaupt ein Mangel an Inspiration und Phantasie zur konstruktiven Lösung der gegenwärtigen Probleme;

– und hinter alldem, wie ich meine, der grundlegende Mangel der nachkonziliaren Zeit: ein Mangel an geistiger Führung (spiritual leadership) in Rom und unter den Bischöfen. Wir bräuchten heute inspirierende geistig-geistliche Autorität auf allen Ebenen. Aber wir haben in vielen Diözesen nur geistliche Beamte mit mehr römischer als katholischer Mentalität. Eine monumentale Studie im Auftrag der amerikanischen Bischofskonferenz zeigt nur, was in anderen Ländern nicht in gleicher Weise statistisch erhärtet ist: daß es eine gefährliche Kluft gibt zwischen den Bischöfen und der großen Mehrheit der Priester in bezug auf mehr oder weniger jedes wichtige Problem in der Kirche heute. Nur wenige Länder wie Holland, das durch den römischen Imperialismus einer beinahe an die Reformationszeit erinnernden Zerreißprobe ausgesetzt wird, und Kanada machen eine Ausnahme.

Das Resultat ist: eine außerordentlich betrübliche Einbuße an Glaubwürdigkeit gerade der katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Zwar habe ich nicht gesagt, was eine amerikanische Nachrichtenagentur aus einem langen in New York gegebenen Interview weiterverbreitet hat: die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche sei seit der Reformation nie so niedrig gewesen. Das ist nicht richtig. Aber ich habe gesagt und möchte auch dazu stehen: «Der gegenwärtige Papst begann mit der vielleicht höchsten Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche seit den letzten fünfhundert Jahren....

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