3. Vier Möglichkeiten der Kommunikation
Eine neue Idee wird zuerst als unsinnig verurteilt,
dann als lächerlich hingestellt, bis sie schließlich
als selbstverständlich akzeptiert wird.
– William James
Mit der spirituellen Sprache lassen sich die Lehren von Satya und die „Rechte Sprache“ zwar ins tägliche Leben integrieren, aber ohne eine Technik wie die der Gewaltfreien Kommunikation bleiben ihre Werte und Ideale auf der Strecke. Es bleibt die Frage: Wie können wir die Ideen von Satya und der „Rechten Sprache“ auf eine Weise leben, die uns zu uns selbst bringt, und gleichzeitig eine Welt erschaffen, in der wir leben wollen?
Wenn wir anfangen, GFK zu lernen, denken wir meist, es gehe nur um die Wortwahl in unserer Sprache oder darum, ganz bestimmte Worte einzusetzen. Es ist zwar wichtig, die „Stützräder“ zu nutzen und die in Kapitel 2 vorgestellten Übungssätze zu verwenden, doch es ist noch wichtiger, sich an den Ausgangspunkt zu erinnern: Die Anwendung der GFK erfordert zuallererst einen inneren Wandel in unserem Bewusstsein. Nur dann können wir diese Sprache wirkungsvoll einsetzen. Denken Sie daran, wie wertvoll es ist, sich zunächst mit sich selbst zu verbinden und den inneren Wandel zuzulassen. Erst dann sollten Sie versuchen die Sprache der GFK einzusetzen. Setzen Sie die Fähigkeiten ein, die Sie in Ihrem Yoga-Kursus oder Ihren Meditationsstunden gelernt haben, oder halten Sie einfach inne und nehmen wahr, was in Ihnen vorgeht. Ohne diese Selbst-Wahrnehmung vergessen wir, dass alles, was wir sagen, immer auf uns selbst zutrifft, besonders wenn es um unsere Gefühle und Bedürfnisse geht. Es geht nie um die Gefühle oder Bedürfnisse der anderen, denn was wir sagen, entspricht immer unserer Wahrnehmung dessen, was ist. Das stimmt auch dann, wenn unsere Worte so klingen, als redeten wir über eine oder zu einer anderen Person.
Möglichkeit 1: Den Fokus auf stille Selbst-Empathie richten
Es ist wichtig, bei sich selbst anzufangen, besonders solange wir noch lernen. Die meisten von uns sind durch einen kulturellen Hintergrund und eine Religion geprägt worden, die es als Egoismus verurteilen, wenn man sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Nichts könnte uns mehr vom wahren Weg abbringen. Wenn und solange wir uns unserer Gefühle und Bedürfnisse nicht bewusst sind, werden wir kaum in der Lage sein, mit anderen eine Beziehung aufzubauen. Wenn wir mit uns selbst nicht im Reinen sind, erschaffen wir mit unseren Worten Konsequenzen (Karma) für alle Beteiligten, die uns wahrscheinlich nicht gefallen.
Unsere Worte leben in unseren Beziehungen weiter und ihre Auswirkungen werden von Generation zu Generation als „emotionale DNA“ weitergegeben. Die emotionale DNA spielt bei der Gestaltung unseres Lebens eine genauso mächtige Rolle wie unsere physische DNA, die wir von unseren Vorfahren geerbt haben. Die emotionale DNA erschafft die unser Leben kontrollierenden Muster für unser Denken, unseren Glauben und unser Handeln. Wenn wir uns mit Selbst-Empathie bewusst machen, was in uns aufkommt, können wir größere Klarheit über unsere geerbten Sprachmuster erlangen. Aus diesem Bewusstsein heraus erwächst eine Wahlmöglichkeit und wir können anfangen, unsere Sprache so zu benutzen, dass wir uns selbst, unsere Kinder und die ganze Welt heilen können.
Um Selbst-Empathie zu üben, machen Sie es sich am besten sitzend oder liegend an einem ruhigen Ort bequem und erinnern sich an etwas, das Sie heute von jemandem gehört haben und das eine Reaktion in Ihnen ausgelöst hat. Vielleicht schreiben Sie den Wortwechsel sogar auf, um ihn in Gedanken zu verlangsamen. Wenn Ihnen die Situation gedanklich klar ist, reduzieren Sie sie auf einen einfachen Satz, den der andere zu Ihnen gesagt hat. Benutzen Sie am Anfang Beobachtungssprache.
Das heißt, Sie sagen sich: „Wenn ich daran denke, dass Tom .............................. sagte (machen Sie eine Beobachtung), dann fühle ich mich ............................ (nennen Sie das Gefühl, das in Ihnen aufkommt), weil mein Bedürfnis nach ..................... nicht erfüllt ist.“ Achten Sie darauf, dass Ihre Beobachtung genau wiedergibt, was die andere Person sagte oder tat, und dass Sie sie nicht beurteilen. Wörter wie unordentlich, spät, gut, gemein und verwirrend sind Werturteile und darum verboten.
Versuchen Sie das mehrmals und experimentieren Sie mit verschiedenen „Gefühls“-Wörtern und verschiedenen „Bedürfnis“-Wörtern. Sie werden es sofort spüren, wenn Sie die richtigen Wörter finden. Wenn man in sich auf ein solch lebendiges Gefühl oder Bedürfnis trifft, kann das zu physischen Reaktionen wie Weinen oder euphorischen Gefühlsausbrüchen führen.
Hören Sie nicht auf, bis Sie irgendeine Art von Bestätigung bekommen haben, die nicht nur intellektuelles Bewusstsein ist. Dieser energetische Wandel ist die Manifestation, die Sie mit Ihrem innersten Selbst verbindet. Sie haben Mitgefühl für sich selbst und das, was in Ihnen lebendig ist. Jetzt dient das Leben dem Leben. Das zu benennen, was sich im Innern abspielt, hat eine heilende Wirkung.
Ob Sie mit sich selbst verbunden sind, werden Sie schließlich auch an einer gewissen Neugier erkennen. Sie fragen sich, was wohl in den anderen vorgegangen ist, als die Kommunikation stattfand, oder was sich auch jetzt noch in Ihnen abspielt. Wir raten Ihnen, mit der stillen Selbst-Empathie so lange fortzufahren, bis diese Neugier in Ihnen auftaucht. Das kann länger als nur eine Sitzung dauern.
Wenn Sie sich zwingen, sich für das zu interessieren, was in den anderen vor sich geht, bevor Sie wirklich dazu bereit sind, dann können Gedanken auftauchen wie „Es ist mir egal, was der und der jetzt fühlt oder braucht.“ Wenn das passiert, fahren Sie mit Ihrem Selbst-Empathie-Prozess fort, bis Sie mit offenem Herzen und Mitgefühl an die anderen denken können oder wenigstens ein wenig Neugier für die andere Seite in Ihnen aufkommt.
Möglichkeit 2: Den Fokus auf den Selbst-Ausdruck richten
Die zweite Möglichkeit der Kommunikation ist der Selbst-Ausdruck. Das bedeutet, dass Sie Ihrem Gesprächspartner gegenüber laut und deutlich erklären, was in Ihnen vorgeht. Auch hierbei sollten Sie in der Lernphase noch die Übungssätze benutzen: „Als ich hörte, wie du die Tür mit mehr Schwung zugemacht hast, als mir lieb ist, war ich verärgert, denn meine Bedürfnisse nach Respekt und Frieden waren nicht befriedigt.“ (Achten Sie darauf, die Beobachtungssprache zu benutzen, also „mit mehr Schwung, als mir lieb ist“ statt „zugeknallt“. „Zuknallen“ vermittelt ein Urteil, über das der andere sich herrlich mit Ihnen streiten kann.) Versäumen Sie nicht, auf diesen Selbstausdruck eine erfüllbare Bitte folgen zu lassen. Sollten Sie es bei dem ersten Satz belassen, könnte der andere sich sehr wohl mit Ihnen streiten und Dinge sagen wie: „Ich habe die Tür nicht zugeknallt“ oder „Das sagst du immer“ oder „Ich kann dir gar nichts recht machen, oder?“ Ohne eine erfüllbare Bitte nehmen die anderen die Beobachtungen, Gefühle und Bedürfnisse oft als Kritik wahr. Sie sollten Ihrem Selbst-Ausdruck sofort eine Bitte folgen lassen, wie weiter unten noch ausführlicher erklärt wird.
Der ganze Wortwechsel könnte dann lauten: „Als ich hörte, wie du die Tür mit mehr Kraft zugemacht hast, als mir lieb ist, war ich verärgert, denn meine Bedürfnisse nach Respekt und Frieden waren nicht befriedigt. Sag mir doch bitte ...“. An dieser Stelle äußern Sie Ihre Bitte, zu der wir im Abschnitt über die vierte Kommunikationsmöglichkeit noch mehr sagen werden. Achten Sie darauf, dass die gesamte Äußerung nicht mehr als dreißig Wörter umfasst. Mit einer größeren Anzahl Wörtern riskiert man, die Verbindung zu unterbrechen.
Vergessen Sie nicht, dass selbst, wenn Sie Ihre Bitte in „perfekter“ GFK-Sprache äußern, Ihr Gesprächspartner dennoch Kritik und Verurteilung heraushören kann. Wenn das passiert, geben Sie sich selbst erneut Empathie und starten einen neuen Versuch. Denken Sie daran, dass GFK genau wie Yoga und Meditation viel Übung braucht. Ihr vorrangiges Ziel ist nicht die perfekte Anwendung, sondern die Verbindung mit sich selbst und mit Ihrem Gesprächspartner. In dieser Verbindung liegt das Potenzial, die Welt zu verändern.
Möglichkeit 3: Den Fokus auf das Geben von Empathie richten
Die dritte Möglichkeit ist, Ihrem Gesprächspartner entweder zu Beginn oder während Ihres Kommunikationsprozesses Empathie zu geben. Das kann still in Ihrem Herzen passieren oder laut ausgesprochen werden. Als ich (Judith) zuerst von stiller Empathie hörte, war ich nicht sehr beeindruckt. Ich dachte, wie kann das, was ich denke, einen Einfluss haben, wenn ich meinem Gegenüber nicht sage, was ich denke?
Als ich dann dieses stille Geben von Empathie ausprobierte, war ich über das Ergebnis sehr erstaunt. Ich erlebte am eigenen Leibe, dass sich ein Wandel vollzog, wenn ich einem anderen Menschen im Stillen Empathie gab. Und dieser Wandel vollzog sich in mir. Der Grund ist einfach: Um mich im Stillen in mein Gegenüber hineinzuversetzen, muss ich mich zuerst in mich selbst hineinversetzen. Als ich anfing, die Gewaltfreie Kommunikation zu praktizieren, konnte meine stille Selbst-Empathie Minuten, Stunden oder Tage dauern. Heute habe ich mehr Übung darin, sodass ich manchmal den von der Selbst-Empathie ausgelösten Wandel schon nach Sekunden spüren und so auch unmittelbar dem anderen...