Das historische Tafelzeremoniell
Seit Jahrtausenden sagt der zeremonielle Gebrauch des Weins etwas über die Selbstdarstellung der Herrschenden aus. Bereits in der Antike, aus der literarisch vielfältige Trinkgelage der Mächtigen überliefert sind, diente der Wein als Statussymbol. Sein Genuss blieb beispielsweise im alten Ägypten und im Nahen Osten dem Herrscher, dessen Hof und seinen Gästen vorbehalten. Öffentliche Bankette boten orientalischen und griechischen Regenten die Gelegenheit, Wohlstand zu demonstrieren und »waren ein wichtiges Mittel der Repräsentation«, wie es in einem Artikel über die antiken Quellen zum Alkoholgenuss der Herrscher heißt. Das biblische Gastmahl des Belsazar wird in der einschlägigen Literatur sogar als ein »typisches Staatsbankett« bezeichnet: »König Belsazar machte ein herrliches Mahl für seine tausend Mächtigen und soff sich voll mit ihnen«, lautet die entsprechende Textstelle im Buch Daniel. Was genau ausgeschenkt wurde, bleibt ebenso unbekannt wie der Wein beim letzten Abendmahl Jesu, dem seitdem wohl weltweit – zumindest symbolisch – meistpraktizierten Tafelzeremoniell. Wegen der Analogie zu Blut müsste er rot gewesen sein, was dem Symbolgehalt wegen für die meisten in der Bibel vorkommenden Gewächse gilt. In der inzwischen aufgehobenen, auf das Jahr 1976 datierenden Messweinverordnung der deutschen Bischöfe fand sich nichts zu dessen Farbe, wohl aber zur Qualität, natürlich musste er sein. Vom früher bevorzugten Rotwein rückte die Kirche schon vor einigen Jahrhunderten aus Praktikabilitätsgründen ab; die Kelche sind einfacher zu reinigen und die Altartücher bekommen keine Flecken.
Generell korrelieren Glaube und Alkohol konsumptiv in vielerlei Hinsicht, vom in einigen Religionen verlangten vollkommenen Abstinenzgebot bis zum angenommenen Vollrausch im Vatikan, der statistisch zu den Staaten mit dem höchsten Pro-Kopf-Weinverbrauch zählt. In manchen Jahren soll einer Erhebung des California Wine Institut zufolge jeder Einwohner um die 100 Flaschen geleert haben, ohne den nicht erfassten Messwein übrigens. Da die Population überwiegend aus Männern mit hohem Bildungsgrad besteht – eine Gruppe, die eine hohe Affinität zum Weinkonsum aufweist –, zudem unverheiratet und häufig in Gemeinschaft speisend, scheint der Spitzenplatz plausibel. Allerdings dürfte das Zahlenwerk verzerrt sein, denn nicht allein die weniger als 1000 Personen zählende Einwohnerschaft kauft hinter den Mauern der Vatikanstadt ein, sondern ebenfalls viele der 2800 Angestellten – und das günstiger als im umliegenden Rom, weil steuerprivilegiert. Genauso werden dort weit überdurchschnittlich viel Zigaretten, Medikamente und Benzin verkauft. Am anderen Ende der Statistik finden sich islamische Länder wie Pakistan, Afghanistan und Jemen mit Mengen geringer als ein Fingerhut voll.
Im Lauf der Geschichte dienten Speisungen als Mittel zur Machtdemonstration. Wein fungierte dabei als Statussymbol, beispielsweise als der römische Kaiser Julius Caesar der Naturalis historia von Plinius dem Älteren zufolge nach seinem Sieg über Spanien 45 vor Christus die Römer mit den teuersten Weinen bewirtete. Schon für diese Bankette galt die Grundthese der modernen politischen Kommunikation, die der amerikanische Politikwissenschaftler Murray Edelman Anfang der 1960er Jahre in seinem Klassiker Politik als Ritual postulierte: »Politik auf höchster Ebene ist nicht so sehr Entscheidungshandeln als vielmehr Dramaturgie und Inszenierungskunst.«2
Bei vielen antiken Banketten, soweit überliefert, treten die Merkmale hervor, die noch heute bei solchen Anlässen handlungsleitend sind: die Definition von Status, die beispielsweise in der räumlichen Nähe zum Herrscher zum Ausdruck kam, also das Placement, an dem der Status der Geladenen abzulesen war und ist. Historisch kamen andere Merkmale hinzu, etwa die Kleidung – je prunkvoller, desto höher der Rang – oder die Anzahl der Diener, aber auch die Quantität und Qualität der Speisen und Getränke. Den Herrscher würdig erscheinen zu lassen, Ehrfurcht hervorzurufen und seine Regentschaft symbolisch zu legitimieren, war der Sinn eines jeden Zeremoniells – gleich ob es sich um das byzantinische, das römische beziehungsweise das des päpstlichen Hofes, das spanische Hofzeremoniell oder die burgundische Hofordnung handelte, die stilbildend in ganz Europa wurde. Im Mittelpunkt stand jeweils das Tafelzeremoniell. Ein grundlegendes Werk zu diesem Thema ist Norbert Elias’ Die höfische Gesellschaft, demzufolge sich die Tafelgebräuche der Oberschicht bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in der gesamten zivilisierten Gesellschaft etablierten. In Zeiten, in denen die Bevölkerung gerade einmal über das Nötigste verfügte, konnte eine opulente Tafel als Zeichen von Macht überzeugen. Demgegenüber dient das Essen heutzutage angesichts der differenzierten Lebensstile eher als Ausdruck von Individualismus, wobei der Veganismus glücklicherweise in der Staatsküche noch nicht um sich gegriffen hat.
Ein zentraler Bestandteil des Tafelzeremoniells stellt seit jeher das Servieren des Weines dar – der bis heute geläufige Begriff »Mundschenk« kündet davon. Verlangte der Fürst nach Wein, geschah Folgendes: Der von ihm instruierte Oberhofmarschall beauftragte den Mundschenk, der sich seinerseits am Kredenztisch Wein und Wasser zur Verkostung reichen ließ. Befand er beides für gut, goss er eine Mischung in den fürstlichen Pokal, bedeckte ihn und trug ihn zur Tafel, wo er das Getränk nochmals vor den Augen des Fürsten probierte, um es ihm dann, garantiert nicht vergiftet, zu servieren. Dass der Fürst den ersten Schluck genommen hatte, erfuhren die Gäste außerhalb des Saales durch Salutschüsse. Im 18. Jahrhundert erfuhr dieses über Jahrhunderte unveränderte Zeremoniell einige protokollarische Verfeinerungen. Nunmehr wurde den ranghöchsten Gästen ihr Pokal auf einer Kredenz mit Fuß gereicht, während Rangniedere ihr Getränk auf einem Tablett erhielten. Das mit Wein gefüllte Trinkgefäß wurde jeweils auf Verlangen ausgehändigt und dann in einem Zug geleert, es blieb lange verpönt, mit Wein gefüllte Pokale und Gläser auf der Tafel stehen zu lassen.
Genussorientierung als politisches Problem
Zweifelsfrei lassen sich Getränke im Allgemeinen und Wein im Speziellen als repräsentatives Mittel nutzen. Trotzdem überrascht nicht, dass das Thema Essen und Trinken kaum eine Rolle in Biographien und Erinnerungen deutscher Staatsmänner spielt. Das Image, ein Feinschmecker zu sein und über gustatorische Expertise zu verfügen, ist hierzulande einer politischen Karriere eher abträglich, weil als Luxus verschrien. Masse à la Helmut Kohl und Franz Josef Strauß lässt die Öffentlichkeit noch durchgehen, bei der Klasse ist das viel schwieriger – Ausnahmen wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier bestätigen die Regel, bei Saarländern gelten da andere Gesetze. Gustatorische Kennerschaft wird nur dann verziehen, wenn die regionale Herkunft des Politikers dabei im Mittelpunkt steht und nicht die Genussorientierung. Die bedarf einer heimatbezogenen Legitimierung. Insofern war es passend, dass Helmut Schmidt, der aus dem gastronomisch noch am ehesten für Labskaus bekannten Hamburg stammte, keinerlei kulinarische Ambitionen hatte, sein aus der Pfalz stammender Nachfolger hingegen schon.
2 Helmut Kohl und Franz Josef Strauß bei einer Brotzeit im Juli 1984
Kostspielige Kennerschaft findet hierzulande öffentliche Anerkennung maximal bei Kunst und Architektur; lukullische Genussfreude wird gemeinhin nicht als kulturell wertvoll goutiert. Der banketterfahrene ehemalige Außenminister Joschka Fischer formulierte es mit Blick auf die seiner Meinung nach einzig in Frankreich exquisite Staatsküche folgendermaßen: »Wenn in Deutschland jemand solche Küchenbrigaden beschäftigen würde, wäre es ein Skandal. Die Bild-Zeitung würde auf der Zinne tanzen.« Der französische Präsident François...