KAPITEL 3
Die Schattenseiten der Liebe
Wir verstehen unter Liebeskummer meist jenes unangenehme Gefühl von Traurigkeit und Hilflosigkeit, das durch Trennungen und Scheidungen bei uns ausgelöst wird. Aber auch vor bestehenden Partnerschaften macht Liebeskummer nicht halt. Wer hat nicht schon einmal gedacht:
Wenn mein Partner mich wirklich lieben würde, dann würde er doch …!
Wieso muss er immer dieses oder jenes tun?
Es passt eigentlich alles, ABER …!
Irgendwie ist die Luft draußen! Spannung, Sinnlichkeit und Erotik sind seltene Besucher geworden…
Wo sind Romantik und Spontaneität geblieben?
Wir alle kennen Menschen, die uns immer wieder von den Fehlern ihres Partners erzählen, Menschen, die unermüdlich versuchen, ihren Partner zu verändern, und Menschen, die ständig ihre Partner wechseln, um endlich die lang ersehnte und perfekte Beziehung zu bekommen. Aber auch destruktive Beziehungen, SexBesessenheit und Nicht-allein-sein-Können rufen Kummer mit der Liebe hervor.
Auch Menschen, die einen Partner mit einer physischen oder psychischen Krankheit an ihrer Seite haben, stecken möglicherweise im Liebeskummer fest. Nicht weniger leiden jene an Liebeskummer, die sich mitten in einer Dreieckssituation befinden. Ebenso manche Singles, die es leid sind, ihre Abende alleine verbringen zu müssen.
Aber auch sexuelle Orientierungslosigkeit sowie ein Wechsel der sexuellen Orientierung bringen viel Kummer mit sich. Probleme aufwerfen können ebenso sexuelle Vorlieben, die nicht ausgelebt werden, da sich kein gleichgesinnter Partner finden lässt.
Sie merken schon, dass es sich beim Kosmos der Liebe um keine Einbahnstraße handelt, denn es gibt viele verschlungene Wege. Wir erleben Stoppschilder, Warnblinkanlagen, Schranken und Umleitungen.
Die nachfolgenden Geschichten sollen den Kummer mit der Liebe veranschaulichen. Falls Sie sich wiedererkennen, liegt es am Thema, denn Namen, Alter, Beruf und andere Details wurden von uns geändert.
Lieber eine schlechte Beziehung als gar keine
Christian, 42, Abteilungsleiter in einem Modehaus
Christian erzählt von seiner Partnerin, die geschieden ist, einen Sohn hat und beruflich sehr erfolgreich ist. Christian selbst hat zwei erwachsene Söhne und ist ebenfalls geschieden. Er redet von seiner beruflichen Tätigkeit, die er mit großer Begeisterung ausübt, seiner finanziellen Unabhängigkeit, von seinen Hobbys und seinem kleinen Reihenhaus, in dem er sich sehr wohl fühlt. Christian beschreibt sein Leben als nahezu perfekt, wenn da nicht diese diffizile Beziehung wäre. Es gibt ständig Konflikte, extrem hohe Erwartungen ihrerseits und Eifersucht von ihrem Sohn ausgehend. Darüber hinaus hat Christian kein besonders gutes Verhältnis zu ihren Eltern, die eine nicht unwesentliche Rolle im Leben seiner Partnerin spielen. Kränkungen und Geringschätzung von ihrer Seite stehen an der Tagesordnung. Christian beschreibt sich als harmoniesuchend, aktiv und äußerst bemüht. Seine Partnerin nimmt er nur noch nörgelnd und verletzend wahr. Immer wenn er diese Beziehung beenden möchte, wird sie augenblicklich versöhnlich und aktiv.
Zum Zeitpunkt, als Christian therapeutische Unterstützung annimmt, hat er es in seiner vierjährigen Partnerschaft mit seiner Freundin immerhin auf zwölf Trennungen und ebenso viele Versöhnungen gebracht. Er sagt, dass er durch ihre plötzliche Herzlichkeit immer wieder weich wird und dann hofft, dass sich die Beziehung von nun an bessert. Einerseits sagt er, dass er lieber diese schlechte Beziehung führe, als gar keine zu haben, weil Alleinsein unerträglich für ihn wäre. Andererseits erzählt er, dass er erschöpft und sehr unglücklich sei. „Ich möchte etwas ändern, nein, ich muss etwas ändern! Können Sie mir helfen?“, fragt er.
Sabine, 39, Laborantin
Sabine wirkt attraktiv, sehr gepflegt und ist obendrein äußerst redegewandt. Sie ist alleinerziehende Mutter eines 16-jährigen Sohnes, zu dem sie eine gute, wenn auch zuweilen konfliktreiche Beziehung hat. Sie erzählt von ihrer Kindheit, die sie in verschiedenen Heimen und Pflegefamilien verbrachte. Sie wurde entweder ignoriert oder geschlagen. Ihre Wünsche und Bedürfnisse wurden ebenso missachtet wie ihre Grenzen. Sie erzählt, dass sie gelegentlich Schläge als eine Art Zuwendung empfand und ihr diese Art von Zuwendung noch lieber war, als völlig ignoriert zu werden. Im Alter von 18 Jahren lernte sie ihren ersten Mann kennen, bei dem sie Hals über Kopf eingezogen war, was auch einer Flucht aus ihrer Pflegefamilie gleichkam. Kaum war sie bei ihrem Ehemann eingezogen, änderte sich das zuvor außerordentlich bemühte Verhalten schlagartig. Er ignorierte sie, trank übermäßig viel Alkohol und kam häufig spät in der Nacht nach Hause. Sie gebar den gemeinsamen Sohn und war voll der Hoffnung, dass sich das Zusammenleben mit ihrem Mann von nun an zum Positiven wenden werde. Irrtum: Ihr Mann verlor kurz darauf seinen Arbeitsplatz, wodurch Sabine schon bald gezwungen war, selbst einer Tätigkeit nachzugehen. Um den gemeinsamen Sohn kümmerten sich hauptsächlich ihre Schwiegereltern. Ihr Mann wurde immer unerträglicher. Nach einigen erfolglosen Trennungsversuchen gelang es ihr, aus der Beziehung auszubrechen. Nach der Scheidung kamen sie und ihr Sohn etwas zur Ruhe.
Seit dieser Zeit gab es zahlreiche Partnerschaften, welche durchwegs von übermäßigem Alkoholkonsum, Gewalt und Ignoranz geprägt waren.
Sabine ist ebenso wie Christian der Meinung, lieber eine schlechte Beziehung zu haben als gar keine. Gleichzeitig macht sich ausgeprägte Unsicherheit in ihr breit. Wäre eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Monster „Alleinsein“ vielleicht doch eine bessere Alternative? Wie kann ich diese Angst überwinden?
SELBSTTEST
Wenn Sie selbst eine schlechte oder unbefriedigende Beziehung dem Alleinsein vorziehen, sollten Sie sich über folgende Fragen Gedanken machen:
1.Was bedeutet es für Sie, allein zu sein? Welche Gefühle kommen bei dem Gedanken hoch?
2.Waren Sie schon einmal in Ihrem Leben länger als ein Jahr ohne Partnerschaft?
2.a) Wenn ja, welche Gefühle haben Sie begleitet?
3.Was bedeutet für Sie Liebe? Welche Erfahrungen haben Sie mit der Liebe gemacht?
4.Was erwarten Sie von der Liebe?
5.Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, wieder einen Partner zu finden?
6.Wie attraktiv schätzen Sie sich selbst ein?
7.Lieben/mögen Sie sich selbst?
Wenn Sie sich selbst wenig mögen bzw. lieben oder sich nicht attraktiv finden, Ihre Chancen, einen neuen Partner zu finden, als eher gering einschätzen, noch nie alleine waren und sich von Liebe und Partnerschaft Erfüllung oder Erlösung erwarten, dann ist es höchste Zeit, sich ernsthaft mit den Themen Selbstwert, Abhängigkeit, Ängste und Selbstständigkeit auseinanderzusetzen. Denn wenn Sie sich nur deshalb einen Partner wünschen, um sich als ganzer Mensch zu fühlen, besteht die Gefahr, dass Ihr gesamtes Leben von Abhängigkeit geprägt sein wird. Sie werden lange, aber quälende Beziehungen haben oder immer wieder den Partner wechseln, ohne zur Ruhe zu kommen. Wenn Sie das Gefühl brauchen, begehrt zu werden, dann handelt es sich nicht um Liebe. Wenn Sie Angst haben vor Ihrer Selbstständigkeit und Unabhängigkeit und versorgt werden möchten, handelt es sich ebenfalls nicht um Liebe.
Wenn Sie schlechte Erfahrungen mit der Liebe gemacht haben, überlegen Sie diese Erfahrungen zu klären und zu bewältigen und in welcher Form dies für Sie sinnvoll sein könnte.
Frauen versus Männer
Frauen bezweifeln oft ihre eigenen Kompetenzen, hegen den insgeheimen Wunsch, umsorgt zu werden, und warten, ähnlich wie im Märchen Aschenputtel, auf ihren Erlöser bzw. Retter. In vielen Fällen tragen Frauen immer noch die Angst vor Unabhängigkeit und Selbstständigkeit mit sich herum. Colette Dowling (Der Cinderella-Komplex, 1981) sieht die Ursachen in der unterschiedlichen Sozialisation von Männern und Frauen.
Frauen werden häufig immer noch auf den „schönsten Tag in ihrem Leben“ vorbereitet und damit auf die passive Rolle als Hausfrau und Mutter, Männer hingegen auf die Karriere und die aktive Rolle als Versorger. Sie fühlen sich häufig von unabhängigen und selbstständigen Frauen bedroht, oder diese Frauen sind ihnen zu anstrengend. Viele Männer haben immer noch den Plan, Frauen zu versorgen und zu unterstützen, um auf diese Weise...