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Wenn die Sonne rauskommt, fahr ich ohne Geld

Mit dem Roller nach Dublin

AutorJonas Baeck
VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783462319064
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
»In Witz, Wärme und Beobachtungsgabe erinnert Baeck gelegentlich an Hape Kerkelings legendäre Pilgerreise.« Kölnische Rundschau. Als 23-jähriger Schauspielschüler verliebt sich Jonas Baeck Hals über Kopf in eine Kommilitonin - auf der Bühne, bei Romeo und Julia. Zu Beginn der Sommerferien fasst er einen ebenso verrückten wie romantischen Plan: eine Reise mit dem Roller nach Dublin. Als Liebesbeweis will er seiner Julia eine alte Shakespeare-Ausgabe mitbringen. Und als wäre das noch nicht genug, beschließt er: Wenn bis zu seiner Abfahrt die Sonne rauskommt, bleiben Geld und Handy zu Hause. Unterwegs begegnet er großzügigen Tankwarten, skurrilen Straßenmusikern, neuen Freunden, immer wieder dem großen William und nicht zuletzt sich selbst. Momente des Glücks und der Verzweiflung erwarten ihn - und unzählige Abenteuer. So spielt, singt und schmachtet er sich durch Europa und vollbringt Taten, die nicht auszudenken sind. Jonas Baeck erzählt von den wundersamen Dingen, die einem widerfahren können, wenn man das Geld zu Hause lässt und auf die eigene Intuition vertraut.

Jonas Baeck, 1981 geboren, ist Schauspieler. Nach seiner Ausbildung in Bochum führten ihn zahlreiche Theaterengagements über Bielefeld, Berlin und Mannheim wieder in seine Heimatstadt Köln. Er wurde u.a. mit dem Kölner Darstellerpreis und dem Heidelberger Theaterpreis ausgezeichnet. Neben der Bühne war er in Kino- und Fernsehproduktionen zu sehen, etwa in Lars von Triers »Nymphomaniac« oder in der erfolgreichen Serie »Club der roten Bänder«.

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Leseprobe

Flughafen Düsseldorf Weeze. Eine Ryanair-Maschine wartet auf den Abflug. Magdalena läuft die letzten Schritte in Richtung ihres Flugzeuges nach Rom. Sie hatte nicht damit gerechnet, mich an diesem ersten Ferienmorgen so früh am Flughafen zu sehen.

»Was machst du denn hier?«, fragte sie überrascht.

»Dir ne gute Reise wünschen«, antwortete ich.

Jetzt stehe ich hinter der transparenten Besucherwand und sehe, wie sie in die Maschine steigt. Entschlossen nutze ich eine nahe stehende Mülltonne als Sprungbrett und wuchte mich über die Wand.

»Arrivederci!«, brülle ich über den Flugplatz.

Magdalena dreht sich ein letztes Mal um. Sie lächelt. Bevor das Sicherheitspersonal handgreiflich werden kann, stehe ich bereits wieder neben der Mülltonne und besänftige mit einem strahlenden »Amore!«.

Mein Name ist Jonas. Ich bin dreiundzwanzig und Schauspielschüler an der Bochumer Schauspielschule. Heute beginnen die Semesterferien. Vor mir liegen 17 freie Tage.

Kurz nachdem Magdalenas Maschine gestartet ist, fahre ich nach Bochum-Wattenscheid, um meinen Motorroller aus der Inspektion zu holen. Er ist silbern und kommt aus Japan. Dabei kreuzen sich folgende Gedanken: 17 Tage frei – Motorroller – die irische Harfe von Ryanair. Und natürlich: »Amore!«

Ausgelöst durch Magdalena, eine Schauspielschülerin, die auf derselben Schauspielschule ist wie ich. Wir haben uns ein paarmal unterhalten, hier und da ein Bier auf derselben Party getrunken, uns im Theater getroffen. Zum ersten Mal habe ich Magdalena beim Vorsprechen gesehen, als Julia in Romeo und Julia. Ich weiß, dass sie antiquarische Bücher mag und Shakespeare verehrt. Und ich habe mich in sie verliebt. So sehr, dass ich nicht weiß, wohin. Wohin mit diesem ganzen Gefühl?

Ich fasse folgenden Plan: eine Reise mit dem Motorroller von Bochum nach Dublin. Hin und zurück in 17 Tagen. Zudem der Erwerb einer antiquarischen Originalausgabe von Romeo und Julia, die ich ihr nach meiner Rückkehr aus Dublin zum Geschenk machen werde. Irland, die Grüne Insel, scheint mir ein würdiges Ziel zu sein. Und ganz im Sinne einer romantisch motivierten Rollerreise.

 

Der Himmel ist bewölkt an diesem 4. August 2005. Es nieselt. Ich packe einen Rucksack mit dem Nötigsten. Dazu einen Schlafsack plus Isomatte, eine kleine Kindergitarre, zwei Motorradhelme, einen Vier-Liter-Motorölkanister, ein Glas selbst gemachte Marmelade, zwei Dosen Thunfisch und eine Ein-Liter-Flasche Leitungswasser.

Dann fahre ich zu meiner Schauspielschule. Im Kostümfundus stehen schwarze Motorradstiefel aus den Achtzigern, etwas zerbeult, aber funktionstüchtig. Ich schlüpfe hinein und hinterlasse dafür meine Seemannsjacke als Pfand. Auf dem Weg nach draußen treffe ich auf Frau Kästner, meine Dozentin für Akrobatik und Fechtkampf. Ich erzähle ihr von meinen Reiseplänen. Sie bestärkt mich und gibt mir die Mailadresse von Stella, einer Bochumer Schauspielabsolventin, die mittlerweile in Dublin lebt. Dann fahre ich weiter zum Finanzamt, um meine Steuererklärung abzugeben.

 

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sitzen Ines und Hanna, zwei Schauspielschülerinnen aus meiner Klasse. Wir trinken einen letzten Kaffee zusammen, und Hanna erzählt mir von einer Doku, die sie kürzlich gesehen hat. Darin wird über Motorradfahrer berichtet, die quer durch Europa fahren und sich das Benzin dafür erschnorren, indem sie an Tankstellen die Tankenden jeweils um einen Liter ihres Benzins erleichtern. Ich verabschiede mich und wünsche beiden einen schönen Sommer. Dann fahre ich nach Hause, um zu duschen.

Liebestoll, wie ich bin, und inspiriert durch die Benzin-Schnorrer-Geschichte, entscheide ich mich spontan zu folgender Wette mit mir selbst: Wenn die Sonne rauskommt, fahr ich ohne Geld.

Klar!

Kaum sitze ich abfahrbereit auf meinem Roller, da lichten sich die grauen Wolken am Bochumer Himmel. Die Sonne zeigt sich in ihrer vollen Pracht und strahlt mich an. Meine Knie werden weich, aber meine Entscheidung steht fest: Das Geld bleibt zu Hause.

Und um die Sache abzurunden, schalte ich mein Handy aus und werfe es in den Briefkasten. Mit vollem Tank und leeren Taschen fahre ich zum Haus von Magdalena. Hier soll die Reise beginnen. Hier will ich meine Reise nach 17 Tagen beenden. Ich habe einen goldenen Edding dabei und taufe meinen Roller auf den Namen »Romeo«. Die Hausnummer von Magdalena ist die 7. Also bekommt Romeo die »7« als offizielle Startnummer für dieses inoffizielle Rennen. Meinen weißen Helm ohne Visier versehe ich mit den folgenden Schriftzügen: vorne »Dublin«, hinten »Bochum« und obendrauf die »17«. In Ermangelung jedweder GPS-Technologie entscheide ich mich für eine eher antiquierte Methode des Wegweisens: den Kompass meines Großvaters. Vor Reisebeginn notiere ich den derzeitigen Kilometerstand von 15473,40 km und eröffne damit mein Reisetagebuch. Ich werfe einen letzten Blick auf ihre Haustür und starte den Motor. Es geht los!

 

Bergab, um eine Kurve und dann immer geradeaus. Vorbei an Schorsch und seiner Kneipe, ins Zentrum Richtung Hauptbahnhof. Dann einmal durchs Bermuda3Eck, vorbei am Intershop. Schließlich taucht es auf, das Schauspielhaus. Ich folge meinem Gefühl und fahre weiter. Immer Richtung Sonne. Die ist warm und strahlt mich an. Die Sache läuft. Mit 45 tuckere ich durch das sich allmählich ausdünnende Stadtgebiet von Bochum. Mit meinem großen Rucksack, der Gitarre und meiner schwarzen Lederkluft betrachte ich mich schon bald als verwegenen Weltenbummler.

Vor lauter Verliebtheit habe ich allerdings versäumt zu frühstücken. Der Hunger zwingt mich zum ersten Halt auf dem Parkplatz einer kleinen Kirche nahe der Hauptstraße. Genüsslich verspeise ich die erste Dose Thunfisch und trinke einen großen Schluck aus meiner Wasserflasche. Die Kirchenglocke schlägt fünfmal. Es ist 17 Uhr. Gestärkt setze ich die Reise fort.

An jeder größeren Kreuzung halte ich an und blicke auf meinen Kompass. Westen. Da liegt Holland. Da wartet das Ausland. Da will ich hin.

 

Nach vier Stunden Fahrt stelle ich fest, dass ich Bochum zwar verlassen, die holländische Grenze aber noch immer nicht gesichtet habe. Mein Vorhaben, das Fahren auf Autobahnen zu vermeiden und an jeder Kreuzung meinen Kompass um Rat zu fragen, erweist sich als irreführend. Nach dem dritten Kreuzen derselben Kreuzung wird mir klar, dass ich im Kreis fahre. Eine erste Verzweiflung durchzuckt mich. Mein Tank ist fast leer, der Thunfisch auf die Hälfte geschrumpft und die Abenddämmerung deutet sich an. Ich stecke irgendwo in der Nähe von Holland. Ohne jede Orientierung.

Was für ne blöde Idee, denke ich. Ich hätte doch wenigstens meine EC-Karte mitnehmen können. Nur für den Fall.

Der Fall ist jetzt da. Ich habe vier Stunden gebraucht, um von Bochum nicht nach Holland zu kommen, bin nicht ausreichend mit Vorräten eingedeckt und werde heute Nacht aller Voraussicht nach irgendwo im Straßengraben pennen, um am nächsten Tag nach Hause zu trampen. Das alles geht mir durch den Kopf, während ich an einer roten Ampel stehe und auf meine Tankanzeige starre. Plötzlich hält neben mir eine ohrenbetäubende Harley Davidson. Der Typ, der sie fährt, schaut rüber zu mir und lächelt. Ein Lächeln zwischen Mitleid und Verachtung. Er bewegt ein paarmal den Gashebel, als würde er mich zu einem Rennen auffordern.

Ich brülle zu ihm rüber: »Holland?«

Die Ampel wird grün und er brüllt zurück: »Follow me!«

Erst jetzt sehe ich, dass seine Harley ein holländisches Kennzeichen hat. Er gibt Gas und ich folge ihm. Nach fünfzehn Minuten Landstraße und dem ein oder anderen Kreisverkehr kommt die Autobahn nach Holland. Ich verabschiede mich von meinen hehren Landstraßenprinzipien und gebe Vollgas. Er begleitet mich noch bis zur nächsten Ausfahrt, winkt und überlässt mich wild hupend wieder meinem Schicksal.

Euphorisiert von dem kurzen Biker-Zusammengehörigkeitsgefühl fahre ich Höchstgeschwindigkeit: 80. Jetzt ist Holland nicht mehr fern! Aber auch die Nacht lässt nicht mehr lange auf sich warten. Die Sonne berührt bereits den Horizont und die Tanknadel ist im Reservebereich angekommen. Ich muss dringend einen Schlafplatz finden.

 

An der letzten Ausfahrt vor Holland fahre ich ab. Maisfelder tauchen auf. Dann kommt ein Stoppschild. Am Ende einer langen Landstraße sehe ich einen Bauernhof liegen. Was hilft’s? Ich werde dort anhalten und um einen Nachtplatz bitten.

Kaum bin ich auf dem Schotterweg vor dem Bauernhof zum Stehen gekommen, taucht auch schon der Bauer vor mir auf. Er wirkt nicht besonders erfreut über meine Ankunft. Im Gegenteil. Er hat einen Knüppel in der Hand und fragt mich, was ich hier will.

»Ich suche einen Platz zum Schlafen«, sage ich. »Gerne auch ganz einfach, vielleicht im Heu oder im Stall oder so.«

»Warum suchen Sie sich kein Hotel oder ne Jugendherberge?«, erwidert er mürrisch.

»Na ja, weil, ähm, ich hab da so ne Art Wette mit mir selbst am Laufen. Ich komm aus Bochum und will nach Dublin. Und vielleicht schaff ich das ja ohne Geld.«

»Soso«, sagt er.

Dann Schweigen.

Ich denke, dass das wohl keine so gute Idee war und sage: »Aber ich find schon noch was, kein Problem. Wollte Sie auch gar nicht belästigen.«

Der Bauer lässt den Knüppel sinken und sagt: »Ich hab da noch so’n alten Campingwagen aufm Hof. Der is ziemlich siffig. Aber wenn Sie das nicht stört, können Sie da übernachten. Ich bin übrigens der Matthias.«

Mir schlackern die Ohren. Ich kann es kaum glauben. Ein Bauer, der mich nicht kennt,...

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