TEIL 1
Stabile Eltern, stabile Kinder
Trennungswegweiser: Der eigenen Integrität trauen
1. Erste Hilfe – das Ende mündet stets in einen Anfang
Sein Herz öffnen und für sein eigenes Wohlbefinden zu sorgen, benötigt Mut. Mut, das zu tun, was seinen eigenen Werten und Überzeugungen entspricht. Doch auch, wenn dieser Mut eine Trennung bedeutet, ist das nicht gleichzusetzen mit einem Scheitern. Im Gegenteil: Krisenzeiten schärfen den Blick aufs Wesentliche und schaffen Raum für persönliches Wachstum. Im Folgenden erfahren Sie, wie Sie mehr aus dem Herzen heraus leben.
DIESES KAPITEL HILFT IHNEN
- Trennungswunden bei sich und Ihren Kindern zu »verarzten«,
- Ihre ganz persönlichen Kräfte des Neuanfangs freizusetzen,
- den Grundstein für Ihre Nachscheidungsfamilie zu legen.
»The first cut is the deapest«, hat Rod Steward einmal gesungen. Und so ähnlich verhält es sich auch, wenn wir durch eine Trennung gehen müssen, unabhängig davon, ob sie aus heiterem Himmel zu uns kommt oder man selbst die Entscheidung gefällt hat. In den ersten Wochen, wenn der Partner nicht mehr Teil des Alltags ist, schmerzt es am meisten. Erinnert uns die Trennung doch daran, dass alles im Leben vergänglich ist.
Frischgetrennten hilft es, in dieser Zeit Gefühlen wie Enttäuschung oder Trauer genügend Beachtung zu schenken und gegebenenfalls auch Tränen nicht zurückzuhalten. Mit nahen Freunden oder anderen Vertrauten seine Verzweiflung und seinen Kummer zu teilen, erleichtert gerade die ersten Wochen nach einer Trennung. Sich mit nahen Menschen austauschen zu können, die während der Krise zu einem halten, ist viel wert. Es tut gut zu wissen, auch nach einer Trennung nicht allein zu sein und unterstützt zu werden. Geteiltes Leid ist nun mal halbes Leid. Traumaforscher wie Professor Philipp Kuwert erinnern daran, wie heilsam in früheren Kulturen das Erzählen von Geschichten rund ums Lagerfeuer für unsere Vorfahren war. In heutiger Zeit fehlen vielen solche gemeinschaftlichen Erlebnisse, besonders in den Großstädten.
Sich verstanden zu fühlen und zu erleben, zwar getrennt, doch nicht allein zu sein, trägt sehr dazu bei, gerade den ersten Schmerz über den Verlust zu mildern. Zugleich kommt es darauf an, seine Empfindungen ernst zu nehmen, sich jedoch nicht in ihnen zu verlieren. Auch Kinder sollten so die Möglichkeit bekommen, auf ihre Weise den Verlust der intakten Familie zu beklagen: sei es durch Weinen, Wutausbrüche oder Klammern an die Eltern. Kinder brauchen in dieser akuten Phase der Veränderung ganz besonders die Gewissheit, dass beide Eltern sie unabhängig von der Trennung weiter lieben, für sie da sind und sorgen werden. Wenn das gewährt ist, wachsen sie leichter in das veränderte Familienleben hinein.
Eltern können in dieser Hinsicht sogar manches Mal eine Menge von ihrem Nachwuchs lernen und erleben, wie natürlich und selbstverständlich Kinder mit traurigen Ereignissen umgehen, um sich dann wieder alltäglichen Dingen zuzuwenden.
Wer allzu beherrscht auf Lebenskrisen reagiert und seine Trauer beiseiteschiebt, wird es auf Dauer eher schwerer haben, wieder echte Balance und Harmonie im Alltag zu erleben. Sich vertraute Erwachsene zu suchen, mindert auch die Gefahr, Kinder zu seinen Verbündeten und Seelentröstern zu machen. Für die gesunde Entwicklung des Nachwuchses ist es wichtig, dass sie in der Beziehung zu ihren Eltern die Kinder bleiben und nicht umgekehrt. Sie brauchen die Gewissheit, von Mutter und Vater behütet zu werden – komme, was da wolle.
Gleichzeitig sollen sie Anteil daran nehmen dürfen und miterleben, wie ihre Eltern die Trennung voneinander bedauern und betrauern. Bestimmte Routinen – wie das gemeinsame Abendessen am schön gedeckten Tisch oder Vorleserituale vor dem Schlafengehen – bleiben für Kinder (und auch den jeweiligen Elternteil) wichtige Stützen, um eines Tages zu einer glücklichen Nachscheidungsfamilie zu werden.
DIE PHASEN EINER TRENNUNG
Fachleute wissen, dass Trennungen meist in vier Phasen ablaufen. Gleichzeitig ist es nicht unüblich, dass man ab und zu wieder zurück in eine frühere Phase springt. Je gelassener man damit umgeht, umso leichter geht es dann doch wieder weiter nach vorne.
1. NICHTWAHRHABENWOLLEN
Gilt vor allem, wenn man selbst verlassen wird und nicht damit gerechnet hat, dass die Beziehung ein Ende finden könnte.
Symptome: Weigerung, die Situation anzuerkennen. »Das kann nicht wahr sein« oder »Warum passiert das gerade mir?« sind typische Gedanken in dieser Zeit. Das eigene Leben wird überwiegend wie eingefroren erlebt.
Pluspunkte: Filtert den Schmerz der Endgültigkeit, macht ihn etwas erträglicher und trägt dazu bei, sich langsam an den Gedanken vom Aus der Beziehung zu gewöhnen. So ist es leichter, in das neue Leben hineinzuwachsen. Der Aufenthalt in diesem »Niemandsland« hilft, sich neu auszurichten und zu orientieren.
Selbsthilfe: Sich nun selbst und seine Kinder mehr verwöhnen als üblich und für genügend »Streicheleinheiten« sorgen – gemeinsam etwas Schönes planen, auch an den Wochentagen.
Dauer: Ein paar Wochen.
2. TRAUER
Wenn die Trauer einsetzt, sind die Tatsachen glasklar erkannt. Das tut weh. Der individuell unterschiedlich erlebte Kummer der Trennung wird nun ganz und gar spürbar.
Symptome: Tiefe Traurigkeit, eventuell mit Weinen, über den Tag verteilt. Düstere Stimmung herrscht vor, die Lebensfreude ist erstarrt. Unlust, etwas zu unternehmen, und das Bedürfnis, sich zurückzuziehen, sind an der Tagesordnung.
Pluspunkte: Reinigend und notwendig, um das Alte wirklich abschließen zu können. Erst die durchlebte Trauer macht es möglich, aus einer Trennung am Ende gestärkt hervorzugehen.
Selbsthilfe: Sich im Alltag Entlastung suchen und Freiräume schaffen, zum Beispiel, andere ruhig einmal um Hilfe bitten – beim Einkaufen, Kinder betreuen oder Mahlzeiten bereiten. Freunde helfen in der Regel gern, wenn wir sie nicht überstrapazieren und im Notfall ebenfalls bereit sind, ebenso für sie einzuspringen.
Dauer: Zeitlich je nach Mentalität sehr unterschiedlich. Von ein paar Wochen bis ca. einem Jahr.
3. WUT
Aggressivität ist von Natur aus eine ausgezeichnete Antriebskraft, die wir ruhig wertfrei betrachten können. Das gilt gerade für Frauen, die sich in unserer Gesellschaft traditionell schwerer damit tun als Männer.
Symptome: Wir stehen wie unter Starkstrom und es »brodelt« in uns bei jedem unserer Schritte. Alles, was der andere uns »angetan hat«, zieht immer wieder vor unserem inneren Auge vorbei und versetzt uns in Rage. Auch Rachegefühle sind nicht unnormal. (Bitte nicht realisieren!)
Pluspunkte: Wut verschafft uns enorme Energie. Sie lässt uns körperlich spüren, wie viel Kraft in uns steckt. Sie ist ein exzellenter »Wecker«, um das Potenzial für ein neues Leben zu realisieren.
Selbsthilfe: Nun gilt es, die Wut in für uns und die Kinder konstruktive Bahnen zu lenken. Sie sollte nicht am Ex-Partner ausgelassen werden. Das würde uns selbst und den Kindern am meisten schaden. Besser ist es, diese starke Empfindung im Alltag gezielt einzusetzen, um vom Sofa hochzukommen und zum Beispiel endlich mit dem Sport oder einer anderen Aktivität anzufangen, die uns schon lange gereizt hat. Oder wir erobern unsere Wohnung zurück, gestalten nach unseren Wünschen um, machen alles so, wie wir und die Kinder es gerne hätten. Los geht’s.
Dauer: Kommt meist in Schüben und verwandelt sich auch wieder in einen sanfteren Gefühlszustand, nachdem wir – wie beschrieben – sie anerkannt sowie praktisch und konstruktiv ausgelebt haben.
4. AKZEPTANZ
Wenn die Trennung und ihre Umstände hingenommen werden, ist tatsächlich ein wichtiger Meilenstein erreicht. Die Nachscheidungsfamilie nimmt Konturen an.
Pluspunkte: Frieden, Lebensqualität und die Lust, den Alltag zu gestalten, rücken wieder in greifbare Nähe, sobald wir beginnen, uns mit der Situation abzufinden.
Selbsthilfe: Trennungsliteratur lesen oder Ratgeber zum Thema »Loslassen«. Sich mit anderen Getrennten treffen hilft, der eigenen Lebenswirklichkeit mutig in die Augen zu blicken und nach und nach Vorteile darin zu entdecken, zum Beispiel, dass einem niemand mehr reinredet. Auch mit Gleichgesinnten zusammen sein (Verband der Alleinerziehenden), gibt dem Alltag eine neue Normalität. Das neue Leben kann man schätzen lernen wie früher das konventionelle Familienmodell.
Dauer: Wann eine Trennung völlig akzeptiert wird, variiert ebenfalls je nach Temperament und Lebensumständen. Um diesen Schritt zu erreichen, ist die Kunst des Loslassens gefragt. Bei manchen klappt es nach wenigen Wochen, bei anderen kann es...