Ich heisse Junior Nzita, Sohn des Nzita Fidèle und der Muhindula Hasya. Ich bin am 28. Mai 1984 in Kiondo geboren, in der Provinz Nord-Kivu der Demokratischen Republik Kongo. Ich bin mittelgross, habe einen etwas hellen Teint und wiege 55 Kilogramm. Ich lebte im Quartier Office in der Gemeinde Karisimbi und bin das jüngste Kind einer Familie mit fünf Kindern, zwei Jungen und drei Mädchen.
Ich habe in der Primarschule von Karisimbi, einer katholischen Schule, 1996 meinen Primarschulabschluss gemacht, danach ging ich nach Kiondo, in der Provinz Nord-Kivu, um dort die Sekundarschule zu absolvieren.
An einem Abend, kurz bevor ich ins Internat geschickt werden sollte, gab mir mein Vater folgenden Rat: Bescheidenheit, Fröhlichkeit, Respekt gegenüber den Älteren, den Lehrern und den Mitschülern sollen stets meine Leitplanken sein.
Um seinen Rat besser aufnehmen zu können, erzählte er mir die biblische Geschichte des Pharaos: Er, der zu den mächtigsten Männern seiner Zeit gehörte, hatte sich als machtlos und schwach erwiesen wegen eines Traumes, den er eines Nachts hatte und der nur von einem Schwachen gedeutet werden sollte.
Mit diesem Beispiel wollte mein Vater mir zu verstehen geben, dass es nicht nötig sei, voller Ehrgeiz zu sein oder sich als Grosser unter Schwachen zu wähnen.
Nach seinen weisen Ratschlägen begleitete er mich ins Internat. Das war an einem Sonntag nach dem Gottesdienst.
Ich sollte also die Sekundarschule in Kiondo, Nord-Kivu, beginnen. Dort wurde ich jedoch durch Einheiten der Alliance de Forces Démocratiques pour la Libération du Congo (AFDL) an einem Samstagabend im November 1996 entführt und zwangsrekrutiert. Damals war ich erst 12-jährig.
Nach einem Freundschaftsspiel mit Klassenkameraden gingen wir uns, noch vor der Aufgabenstunde, welche jeweils vor dem Nachtessen stattfand, waschen. Nach diesem Bad hörten wir plötzlich Schüsse von draussen. Die Verantwortlichen der Schlafräume beeilten sich, die Türen zu verriegeln. Doch diese hielten der Brutalität der Eindringlinge nicht stand, und unter Schusslärm nahmen die Soldaten uns in ihre Gewalt.
Wir alle wurden in Schach gehalten, dann in einer Reihe aufgestellt und in Richtung der Lastwagen-Container geführt, in denen man uns ohne Luft zum Atmen einsperrte, um uns daran zu hindern, unsere Route zu erkennen.
Während der Fahrt starben einige Kinder am Schock, den sie erlitten hatten.
Wir fuhren während ungefähr einer Stunde oder mehr in diesem Container. Als der Wagen schliesslich hielt, es war nachts, wurden wir aus dem Container gestossen und in ein Ausbildungslager in der Provinz Nord-Kivu gesteckt, welches «Rumangabo» hiess.
Nach Ankunft in diesem Zentrum erlebte ich Dinge, die ich mir vorher nie im Leben hätte vorstellen können.
Gleich nach unserer Ankunft übergab uns ein Soldat Decken, Stiefel der Marke Godjo, Überkleider und andere Accessoires wie Rasierklingen, um uns die Haare zu schneiden. Wir wurden in Gruppen zu je fünf aufgeteilt, damit jede Gruppe sich eine Rasierklinge teilte. Der Anfang entpuppte sich bereits als sehr mühsam.
Dann stellte uns ein Soldat dem Kommandanten vor. Dieser informierte uns in Swahili, dass unsere Anwesenheit in diesem Lager zum Ziel habe, uns eine militärische Ausbildung zu geben, um den Diktator Mobutu, welcher in Kinshasa an der Macht war, wegzujagen.
Beim Erhalt dieser verwirrenden Nachricht brachen viele meiner Kollegen in Tränen aus. Andere fielen in Ohnmacht beim Gedanken an ihre geliebten Eltern, die so fern von diesem Lager waren.
III. | Die militärische Ausbildung |
Wir begannen die militärische Ausbildung mit dem «rehi», wie es auf Swahili hiess. Die ruandischen Instruktoren lehrten uns zuerst, auf dem Boden zu rollen und uns zu verstecken. Danach übergaben sie uns als Waffen für das Training Stöcke. Dann gaben sie uns den Übernamen «Kurutu», was so viel bedeutet wie „neuer Rekrut“.
Die Ausbildung begann jeweils um drei Uhr morgens mit einer Rennstunde, auf welche ein Bad folgte. Um fünf Uhr mussten alle Plätze, auf welchen wir unsere Ausbildungsaktivitäten durchführten, gereinigt werden. Um sechs Uhr fand dort die Parade statt, während welcher die ruandischen Militäroberen uns Unterricht in Staatskunde gaben (Pisi moral). Sie lehrten uns auch Parolen auf Swahili wie: „saa tutafika Kinshasa, DSP bata hama mbiyo…“, zu Deutsch: „Wenn wir in Kinshasa ankommen werden, wird die DSP (die präsidiale Spezialeinheit) die Flucht ergreifen“. Dies dauerte bis zehn Uhr, danach ruhten wir uns während 30 Minuten aus, um eine süsse oder salzige Bouillon einzunehmen.
Nach dem Essen begann der militärische Drill («rehi»), welcher dem Defilieren gewidmet war. Die Instruktoren lehrten uns auch verschiedene Formen des Salutierens.
Am Nachmittag begannen dann die Instruktionen zur Militärtaktik: Wie wird eine Armee ab- und wieder aufgebaut, wie rollt man auf dem Boden, wie versteckt man sich und wie bewegt man sich am Boden fort, wie greift man den Feind an und wie weicht man einer explodierenden Bombe aus.
Um 15 Uhr nahmen wir ein Essen namens «vunguré» ein, welches aus Maisbrei und gekochten Bohnen zubereitet und mit Palmöl und Salz gewürzt wird. Das Essen wurde mit der Kelle verteilt. Man nahm diese Mahlzeit immer in Anwesenheit eines ruandischen Sektionschefs ein.
Der Tag ging bis um 18 Uhr so weiter, dann begann das Abend-«rehi», gefolgt von Nachttaktik, die mit der Parade und dem Appell (Namensaufruf) bis um 21 Uhr dauern konnte. Die Nachtruhe hing vom Ende des rehi ab, jedoch die Aktivitäten begannen obligatorisch stets um drei Uhr morgens von Neuem. Ich möchte darauf hinweisen, dass die gesamte Ausbildung mit Schinderei und Folterungen verbunden und grausam war. Während des «rehi» wurden wir stets ausgepeitscht, selbst für Lappalien.
Bei Krankheit musste der Kranke «Kurutu», eine sehr weite Strecke über Berge zurücklegen, um zu einem Behandlungszentrum zu gelangen. Dort hing es von der Beurteilung durch den zuständigen Leiter ab, ob der Kranke seine Krankheit überleben oder ihr erliegen würde.
In letzterem Fall fühlte sich dieser berechtigt, dem Leben des Kranken ein Ende zu setzen. Um das Verbrechen zu vertuschen, bezichtigte er dann den Krankenwächter, den Kranken fliehen gelassen zu haben.
Es gab auch homosexuelle Kommandanten, die sich nicht zurückhielten, einige Kinder zu vergewaltigen, um sich zu befriedigen.
Nach mehreren Tagen empfingen wir im Zentrum von Matebe neue Kinder-Rekruten, worunter es auch einige Mädchen gab. Diese waren demselben Schicksal ausgeliefert wie die Buben: sie wurden ohne jegliches Pardon vergewaltigt.
In dieser gleichen Zeitspanne stellten uns die Instruktoren die politisch-militärischen und zivilen Behörden der Allianz Demokratischer Kräfte zur Befreiung Kongos (AFDL) vor, so Laurent Désiré Kabila und Ngandu Kisase, wie auch andere.
Wir wurden an einen abgelegenen Ort gebracht für eine Zeremonie, die man «Mayi-Mayi» nannte: Damit sollten wir spirituell durch unsere Ahnen vor Verletzungen und Kugeln geschützt werden. Ganz schlicht bat ich den Herrn: „Gott, mein Vater verbot mir, mich Gruppen oder Versammlungen anzuschliessen, die mit solchen Ritualen arbeiten. Hilf mir. “
Doch die erwarteten Wirkungen dieser Zeremonie konnten sich trotz der Tätowierung, die sie uns mit der Rasierklinge gemacht hatten, an mir nicht erfüllen. Als man direkt auf meiner Haut, mit Platzpatronen schoss, verletzte es mich. Es war das Gegenteil dessen, was meinen Kollegen widerfuhr. So führten sie die Versuche weiter in der Hoffnung, die Patronen würden mich schliesslich nicht mehr verletzen. Doch es funktionierte nicht. Dank meines Glaubens an Gott. Alsdann liessen sie schliesslich von mir ab.
Da sagte der Mann, welcher das Ritual durchführen musste zu mir: „Geh Sohn, der liebe Gott wird dich segnen und du wirst nicht im Krieg sterben.“
Dann erschienen eines Tages die Herren Kabila und Ngandu und die anderen im Lager, um uns mit folgenden Worten zu ermutigen:
„Wir müssen die Hauptstadt Kinshasa um jeden Preis erobern, um Mobutu fortzujagen und die Macht zu ergreifen.“
Wir sangen revolutionäre Parolen und gingen an die Front.
In Baraka, immer noch in Nord-Kivu, sollte ich dem Feind zum ersten Mal entgegentreten. Der Feind war der Regierungssoldat, den wir kurz „FAZ“ nannten, nach den nationalen Streitkräften Zaire’s (Forces Armées Zaïroises).
Für mich war diese Erfahrung...