2. Zum Kinderwunsch von Männern
Über den Kinderwunsch von Männern weiß man bisher noch sehr wenig. Es gibt kaum empirisches Material. Auch die Männer selbst haben sich zu diesem Punkt bisher noch kaum in der Öffentlichkeit geäußert. Die wenigen Untersuchungen, die an Männern durchgeführt wurden, tragen zur Beantwortung der Frage, warum Männer Kinder wünschen, nicht allzuviel bei.
Befragungen von Männern, die ich selbst in meinem Bekanntenkreis gemacht habe, haben allerdings auch nicht viel weitergeführt. Die Antworten der befragten Männer erschöpften sich meist in rationalen Erklärungen und Begründungen. Die eigentlichen Motive für den Kinderwunsch müssen jedoch tiefer liegen. Sie entziehen sich zum Teil dem rein rationalen Zugriff und müssen offensichtlich erst mühsam erschlossen werden.
Um hier weiterzukommen, muß man sich zunächst einmal vergegenwärtigen, welche Veränderungen sich in bezug auf den Kinderwunsch in den letzten zwanzig Jahren ergeben haben. Im Gegensatz zu früher kann sich das Paar heute meist frei entscheiden, ob es ein Kind will. Durch sichere Empfängnisverhütungsmittel und die Möglichkeit der Abtreibung sind heute Kinder nicht mehr das mehr oder weniger zwangsläufige Ergebnis einer sexuellen Beziehung von Mann und Frau, sondern zumindest der Möglichkeit nach das Ergebnis eines Wunsches. «Zu Zeiten mangelhafter und unsicherer Empfängnisverhütung erfüllte eine Schwangerschaft nur zufällig zugleich einen Wunsch.»
Die Möglichkeit der freien Entscheidung birgt allerdings auch gleichzeitig den Zwang zu einer Entscheidung in sich.
Da Mann und Frau eine Entscheidung treffen müssen, müssen sie sich in ganz anderer Weise als früher mit ihrem Wunsch nach einem Kind auseinandersetzen. Der Wunsch nach einem Kind tritt dabei in Konkurrenz zu anderen Wünschen; er hat deshalb nur dann eine Chance auf Realisierung, wenn er stärker ist als die anderen Wünsche oder wenn die anderen Wünsche schon ausreichend zu ihrem Recht gekommen sind.
Bei der traditionellen Rollenverteilung von Mann und Frau muß in erster Linie die Frau andere Wünsche zurückstecken. Da die Arbeit mit Kindern die Frau zu leisten hat, kommt der Kinderwunsch des Mannes nicht in dem Ausmaß mit seinen «anderen» Wünschen in Konflikt, wie es bei der Frau der Fall ist. Nicht zu Unrecht wurde in der Frauenbewegung von der «Sklaverei der Mutterschaft» gesprochen. Vaterschaft bringt zwar auch Einschränkungen mit sich; im Rahmen der traditionellen Rollenverteilung liegt die Last der Kinderaufzucht jedoch nahezu ausschließlich auf der Frau. Die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim stellt in bezug auf Männer fest:
«Wenn sie nicht gerade eine stark berufsengagierte Frau heiraten, wenn sie statt dessen fest im Muster traditioneller Arbeitsteilung bleiben – dann ist für Männer immer noch beides vereinbar, die erfolgreiche Karriere und mehrere Kinder.»
Unter diesen Bedingungen ist verständlich, daß bei Männern im Gegensatz zu Frauen nach dem ersten Kind der Wunsch nach weiteren Kindern ungebrochen weiterbestehen kann.
«Frauen zeigen dagegen tatsächlich nicht selten Symptome des Erstkind-Schocks. Obwohl sie in den Interviews angeben, ihr Baby selbstverständlich zu lieben und sich darüber zu freuen, sagen sie dennoch – dies freilich zu einem späteren Zeitpunkt des Interviews –, daß sie die Situation als Hausfrau oder Mutter ablehnen, diese Situation schlimmer finden, als sie erwartet haben, möglichst bald wieder in den früheren Beruf zurückkehren wollen, und zwar nicht, um Geld zu verdienen (obwohl dies eine angenehme Beigabe ist), sondern primär, um aus der sozialen Isolierung herauszukommen, in die man durch das Kind geraten ist, und die Abhängigkeit vom Ehepartner zu senken. Diese Abhängigkeit berührt wiederum nicht primär den finanziellen Bereich, sondern das Warten über den ganzen Tag auf den Mann. Die Männer dagegen freuen sich über das Kind und geben an, daß es ihrem Rollenverständnis entgegenkommt, abends zu Frau und Kind ‹heimzukommen›.»
Kinderwunsch und herkömmliche Rollenverteilung sind also bei den «alten» Vätern eng miteinander verknüpft. Sie profitieren von der traditionellen Rollenverteilung insofern, als ihnen die harte Alltagsarbeit mit Kindern erspart bleibt.
Was bedeutet dies nun im Hinblick auf die neue Vaterrolle? Da die neue Vaterrolle mit der traditionellen Rollenverteilung von Mann und Frau Schluß macht, ergeben sich hinsichtlich des Kinderwunsches von Männern tiefgreifende Veränderungen. Wenn sich der Mann in gleichem oder zumindest ähnlichem Umfang wie die Frau um die Kinder kümmert, hat der Kinderwunsch für den Mann ähnlich weitreichende Folgen für die Lebensführung wie für die Frau. Damit wird die Entscheidung für ein Kind für den Mann sehr viel konfliktträchtiger und schwieriger. Oftmals führt dies dazu, daß der spontane Kinderwunsch von Männern ganz in den Hintergrund rückt. Die ursprünglich mit dem Kinderwunsch einhergehenden Gefühle und emotionalen Erwartungen weichen einer rationalen Abwägung.
Ähnlich wie die Frau ist der Mann häufig zwischen dem Wunsch nach einem Kind und seinen anderen Wünschen hin- und hergerissen. Im Unterschied aber zur Frau haben die anderen Wünsche in aller Regel beim Mann mehr Macht. Gesellschaftliche Anerkennung, Zufriedenheit, Identität und das Gefühl der Kreativität lassen sich beim Mann primär nur über die Tätigkeit im Beruf und in der Öffentlichkeit herstellen.
Zwar erlebt auch der Mann seine Zeugungsfähigkeit als eine spezifische Fähigkeit. Dieses Erleben ist aber mit dem Erleben von Schwangerschaft und Gebären bei der Frau in keiner Weise vergleichbar. Ein Kind zu zeugen bedeutet für den Mann im besten Falle eine Bestätigung seiner Männlichkeit. Schwangerschaft und Gebären dagegen bedeuten für die Frau nicht nur intensive körperliche und psychische Erfahrungen, sondern gleichzeitig auch die Erfahrung einer spezifisch weiblichen Potenz. Dies alles prägt den Kinderwunsch bei Frauen meist stärker aus als bei Männern. Die Soziologin Barbara Sichtermann schreibt in diesem Zusammenhang von einem «leiblichen Bedürfnis» von Frauen nach einem Kind:
«Ich glaube, daß der Körper ein eigenes, relativ unabhängiges und gewichtiges Wort beim Zustandekommen für den Wunsch nach Fortpflanzung (…) spricht. Und daß der Einfluß von Körperbedürfnissen auf den Kinderwunsch bislang unterschätzt oder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden ist.»
Meine These ist, daß von einem leiblichen Bedürfnis von Männern nach einem Kind in diesem Sinne nicht gesprochen werden kann. Der Wunsch nach einem Kind hat viel mehr zu tun mit eigenen Kindheitserfahrungen und dem eigenen Vatervorbild. Dies wird auch in der Untersuchung der Soziologin Wilma Münkel über den Kinderwunsch von Männern belegt. Ein gestörtes oder schwieriges Verhältnis zum eigenen Vater kann dazu führen, daß der Mann der Vaterrolle ablehnend gegenüber steht und keine eigenen Kinder wünscht.
Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Der Wunsch nach einem Kind scheint beim Mann oftmals untrennbar verknüpft mit bestimmten, sozial geprägten Wünschen an das Zusammenleben mit einer Frau. Ein Kind ist für viele Männer unbewußt ein Symbol für Sicherheit und Fortdauer der Beziehung. Psychoanalytisch ausgedrückt könnte man auch sagen, daß der Mann im Wunsch nach einem Kind sich zugleich den Wunsch nach einer Mutter erfüllt.
Weitere Motive, die beim Zustandekommen des Kinderwunsches eine allerdings individuell unterschiedliche Bedeutung haben, ergeben sich z.B. daraus, daß der Mann mit der Zeugung eines Kindes sich selbst oder seiner Umwelt etwas beweisen will (seine Männlichkeit, seine Treue, die «Größe» seiner Liebe zur Partnerin, sein Verantwortungsbewußtsein, seine persönliche Reife usw.). Außerdem knüpft der Mann zahlreiche Erwartungen an das Zusammenleben mit einem Kind (Kind als Bereicherung des eigenen Lebens, Kind als Beziehungspartner usw.).
Nicht alle der hier aufgezählten Bedürfnisse, Motive und Gefühle, die bei Männern einen Kinderwunsch begründen können, sind männerspezifisch. Viele finden sich auch bei Frauen wieder. Auch der weibliche Kinderwunsch ist sozial überformt und keineswegs nur Ausdruck körperlicher Bedürfnisse. Der Kinderwunsch des Mannes ist jedoch stärker als bei der Frau partnerabhängig bzw. partnerbezogen. Dies findet seinen Ausdruck u.a. in der Tatsache, daß nicht wenigen Frauen die Vorstellung, allein und ohne männlichen Partner ein Kind großzuziehen, nicht abwegig ist. Im Gegenteil scheint diese Vorstellung für Frauen in den letzten Jahren ständig an «Attraktivität» zu gewinnen.
Nach vielen Gesprächen mit Männern und werdenden Vätern, die ihre Rolle nicht traditionell gestalten wollen, hat sich bei mir der Eindruck verfestigt, daß beim Zustandekommen der Entscheidung für ein Kind die jeweiligen Partnerinnen dieser Männer die treibende Kraft waren. Da der Wunsch nach einem Kind es in der Konkurrenz mit den «anderen» Wünschen des Mannes sehr schwer hat, kommt es zu einer Entscheidung für ein Kind in vielen Fällen erst dadurch, daß die Frau den Mann zu einer Entscheidung zwingt oder daß aus Mangel an klarer Entscheidungsfähigkeit die Entscheidung dann doch durch nachlässige oder unterlassene Empfängnisverhütung getroffen wird.
Man kann also sagen, daß die heutige Generation von neuen Vätern in vielen Fällen bei der Realisierung ihres Kinderwunsches in zweifacher Hinsicht auf Frauen angewiesen ist. Zum einen ist die Entscheidungsmacht auf...