Prolog
»Im Glauben zu handeln, dass wir über das Wissen verfügen, welches uns in die Lage versetzt, die gesellschaftlichen Prozesse nach unserem Gutdünken zu formen, Wissen, das wir in Wahrheit nicht besitzen, lässt uns wahrscheinlich viel Schaden anrichten.«
FRIEDRICH AUGUST VON HAYEK
Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Was wie ein Oxymoron klingt, ist die Folge einer mentalen Dissonanz. Die Zukunft von gestern ist heute. Und weil wir gestern schon nicht sehr gut in der Lage waren, ihr Aussehen vorherzusagen, muss das Heute von den damaligen Prognosen abweichen. Entwicklungen, die niemand erwartet hatte, sind über uns hinweggerollt. Entwicklungen, die erwartet wurden, sind nicht eingetreten. Ein von Enttäuschung geprägter Satz, der neulich viral gegangen ist (übrigens ein Begriff, der noch vor 20 Jahren in keiner Prognose der Zukunft vorkam) war: »Sie haben uns fliegende Autos versprochen und alles, was wir bekommen haben, war ein iPhone.« Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass fliegende Autos quasi gerade um die Ecke kommen. Wir nennen sie nur nicht Autos, sondern Personendrohnen.
Wenn wir jetzt die Zukunft prognostizieren wollen, ist unser Ausgangspunkt natürlich ein anderer als 1970. Aber während wir glauben, wir könnten jetzt weiter und klarer sehen, weil wir auf einem höheren Hügel stehen als 1970, tun wir es einfach nicht. Wir geben uns nur der Illusion hin, dass wir das könnten.
Wenn Sie heute eine Zeitung aufschlagen, scheint es völlig klar zu sein, wohin die Reise geht: Der Klimawandel ist eine Realität, aber unsere Eliten managen das mit Windturbinen und Solarzellen. Die Banken sind in einem furchtbaren Zustand, aber unsere Eliten haben sie in ruhigere Gewässer reguliert. Die Digitalisierung wird viel ändern, aber unsere Politiker stellen sicher, dass das alles glatt abläuft, am besten mit einem bedingungslosen Grundeinkommen für jedermann. Wir finanzieren das mit einer Maschinensteuer. Quantencomputer sind etwas Esoterisches, aber sie werden die Maschine, die unsere elektronischen Spielzeuge jedes Jahr verbessert, noch für eine Weile am Laufen halten. Roboter werden bald allgegenwärtig sein, aber einige von ihnen werden sexy sein und versprechen Heilung für all die vereinsamten Menschen, die an ihren elektronischen Schnullern festgewachsen sind, wo sie die Realität gegen die Virtualität sozialer Medien eingetauscht haben. Macht euch also keine Sorgen.
Der Terror breitet sich aus, aber wir haben die globale Überwachung, um ihn unter Kontrolle zu halten, so wie wir das mit der Cyberkriminalität auch machen. Eine echte militärische Bedrohung kommt nur noch aus Nordkorea, aber wir halten ihnen den Revolver unserer nuklearen Abschreckung an die Schläfe. Die Einwanderung ist nicht außer Kontrolle, weil wir uns entschlossen haben, sie zu adoptieren. Alles wird gut.
Träumen Sie weiter!
Unsere Wahrnehmung ist komplett in einer Illusion linearer Trends ersoffen, die uns nicht die Macht der exponentiellen Verläufe der wichtigsten Entwicklungen, insbesondere der technologischen Entwicklung, erkennen lässt. Auch verfügen wir nicht über die Vorstellungskraft, die Folgen der gegenseitigen Beeinflussung von Trends zu verstehen. Uns fehlt außerdem offensichtlich jedes Sensorium für Ungleichgewichte, die unter der Wasseroberfläche lauern wie ein Krokodil in einem sumpfigen Tümpel.
Weil unsere politischen Eliten es hassen, wenn sich die Bürger um etwas Sorgen machen (per Definition lässt es sie dumm und unfähig aussehen), versuchen sie, alles zu glätten, was nach Unbequemlichkeit oder Volatilität aussieht. Keine hässlichen Bilder, bitte! Der Wohlfahrtsstaat kümmert sich um eure Sorgen von der Wiege bis zur Bahre und auch noch bis ins Grab hinein! So wird den Menschen eine generelle Abneigung gegen Risiken antrainiert. Risiko wird als etwas Archaisches wahrgenommen, ein Relikt aus einer dunklen Zeit, als die Menschen noch Opfer von Hunger, Krieg, Krankheiten und Plagen wurden.
In unseren zivilisierten technologiebeherrschten Gesellschaften sind die individuellen Risiken in der Tat viel kleiner, als sie es je gewesen sind, weil unser Wohlstandsniveau und die uns verfügbaren Ressourcen im Vergleich mit jeder anderen Generation der Menschheitsgeschichte unvergleichlich größer sind. Risiko und Volatilität finden ihren Ausdruck eher in der Frage, ob das Wirtschaftswachstum 1 Prozent oder 2 Prozent betragen wird und ob wir uns daher den 70-Zoll QLED-Monitor schon im Oktober kaufen können oder ob wir bis Weihnachten warten müssen.
Trotzdem hassen die Politiker jede Art von Volatilität und versuchen, sie mit Geld zu überkleistern, üblicherweise mit geliehenem Geld oder – wenn das nicht verfügbar ist – mit frisch gedrucktem Geld. Volatilität kann man aber nicht mit Geldausgeben abschaffen, man kann sie höchstens unter den Teppich kehren. Man kann sie in ein Behältnis sperren, aus dem sie irgendwann entkommt, so wie einst die schleimigen Geister in dem Kinofilm Ghost Busters.
In der Geschichte gibt es zahllose Beispiele für die Versuche, Volatilität zu unterdrücken, die nur zu ihrer Ansammlung und späteren geballten Entladung geführt haben. Das größte Experiment dieser Art war die Sowjetunion. Sie protzte mit ihrer vermeintlichen Stärke, die sie in der Überlegenheit der Planwirtschaft sah, weil diese keine Konjunkturzyklen erzeugte, keine Finanzkrisen, nur das gleichmäßige Wachstum. Angetrieben wurde sie im Maschinenraum von Gosplan’s Fünfjahresplänen, die den Wohlstand der Genossen von einem großen Sprung zum nächsten beförderten.
Wir alle wissen, wie das endete. Die innerhalb von 70 Jahren angesammelte Volatilität hatte Ungleichgewichte erzeugt, die so groß waren, dass eines der größten, nuklear bewaffneten und scheinbar unbesiegbaren Imperien innerhalb von Monaten im Mülleimer der Geschichte endete, nachdem der aufgestaute Druck sich seinen Weg nach draußen gesucht hatte und entwichen war. Dabei gibt es Lehrbeispiele ganz praktischer Art, an denen man das hätte studieren können.
In der großen Wildnis Nordamerikas waren Buschfeuer ein normaler Vorgang für Tausende, ja wahrscheinlich Millionen von Jahren. Sie kamen regelmäßig vor, jedes Jahr. Sie wurden ausgelöst durch Blitzeinschläge, heißes Wetter und Dürre. Das war ein normaler Vorgang, und die Natur konnte offensichtlich damit klarkommen. Irgendwann vor nicht allzu langer Zeit hat sich die Natur dieses Phänomens aber verändert. Buschfeuer wurden groß, sehr groß. Sie wurden sogar so groß, dass man sie aus dem Weltraum ohne optische Instrumente sehen konnte. Warum? In den 1930er-Jahren führten die zunehmende Besiedlung und die mit ihr verbundene teure Infrastruktur zu der Meinung, dass Buschfeuer keine gute Sache seien, sondern ein unerwünschter Vorgang, den man verhindern sollte.
Mit der Einführung von Flugzeugen, die in der Lage waren, Brände früh zu entdecken und zu löschen, war es möglich geworden, sie zu unterdrücken, während sie noch klein waren. Die Volatilität war gesteuert und unterworfen worden, beherrscht mit den Mitteln genialer menschlicher Technik. So jedenfalls sah es aus.
Im Lauf der Jahre sammelten sich dann totes Holz und Reisig an, die normalerweise bei den regelmäßigen Buschbränden verbrannt wären. Die Akkumulationsrate lag dabei über der Rate der natürlichen Verrottung, weil das Klima sehr trocken ist. Diese Ansammlung von trockenem, leicht entzündlichem Holz war das Ungleichgewicht, das sich unterhalb der Wahrnehmung aufstaute. Irgendwann erreichte die Menge eine kritische Masse, und es bedurfte nur noch eines Blitzeinschlags oder einer weggeworfenen Flasche, die als Brennglas fungierte, um ein Buschfeuer von ungeheurer Größe und Gewalt zu entfachen, das sich durch Wälder, Dörfer und Felder fraß, Flüsse und Straßen übersprang und auf seinem Weg alles in Asche verwandelte. Die angesammelte Volatilität war gewaltsam entfesselt worden.
Unsere Gesellschaft hat zahllose Mittel und Wege gefunden, die Volatilität in dem falschen Glauben zu unterdrücken, dass man das straflos tun könnte, und dass sie dann geht, ohne Rache zu nehmen. Wir setzen keynesianische, schuldenfinanzierte Ausgabenpolitik ein, um den Konjunkturzyklus zu glätten und um Pleiten und Arbeitslosigkeit zu vermeiden, wir öffnen den Geldhahn der allmächtigen Zentralbanken, um die Finanzmärkte zu stabilisieren und um Crashs und das Platzen von spekulativen Blasen zu verhindern, wir hindern Unternehmen daran, im Lauf des Konjunkturzyklus Leute wieder zu entlassen, die sie zuvor eingestellt haben, und schützen so ihre Angestellten vor den Folgen des Strukturwandels. Wir haben sogar die freie Rede und politische Ideen reguliert in dem Irrglauben, etwas zu verbieten, das wir als Hassrede oder Falschnachrichten einstufen, und provozieren so erst den Hass, den wir vorgeblich zähmen wollten.
Alle diese Maßnahmen...