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Wer schreibt der bleibt?

DDR-Autoren nach ihrem Leben befragt

AutorRainer Schulz
Verlagneobooks Self-Publishing
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl300 Seiten
ISBN9783742763235
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Die in diesem Buch zu Wort kommenden Autoren lebten und schrieben in der DDR, in der sie bis 1990 den Wirkungsraum ihrer literarischen Arbeit und auch ihre Leser fanden. Die Auswahl ist ganz und gar zufällig. Sie gehörten in der Mehrzahl weder zur ersten Reihe der DDR-Autoren, noch fiel jemand von ihnen durch ausdrückliche Dissidenz auf, daher werden Namen und Werke der hier befragten Autoren im Westen nur wenigen Lesern bekannt geworden sein. Mit dem Ende des Staatswesens DDR standen sie nun auch dem grundlegenden Wandel des Verlagswesens gegenüber, mussten sich auf neue Literaturverhältnisse einstellen. Der aus dem Jahre 1995 stammende Beitrag von Martin Westkott 'Eine Kultur verlässt den Raum' führt diese Situation noch einmal eindringlich vor Augen. Auch einige der hier vertretenen Autoren traf das Schicksal, eigene Bücher vernichtet zu sehen ...

Rainer V. Schulz, Jahrgang 1953 lebt in Göttingen

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Leseprobe

ZU DIESEM BUCH



Ursula Reinhold, geboren 1938 in Berlin, Fachschule für Bibliothekare, Germanistikstudium, Promotion und Habilitation.

1970-73 Tätigkeit als Redakteurin, 1973 bis 1991 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Wissenschaften der DDR. 1991 bis 1996 Lehrauftrag an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Wissenschaftliche und literaturkritische Veröffentlichungen zur deutschen Literatur seit 1945. Sie hat Sohn und Tochter und sechs Enkel.


Auch das Buch- und Verlagswesen ist in schnelllebiger Zeit von vielfältigen Veränderungen betroffen. Mitunter obwaltet bei Neugründungen der reine Zufall wie bei HeRaS, für dessen Benennung die Namenskürzel von Vater und Sohn, Helmut H. Schulz und Rainer Schulz herhalten müssen. Der Vater, ein in der DDR bekannter und viel gelesener Schriftsteller betraut den Sohn, der nicht vom Fach ist, mit dem Vorlass seines schriftstellerischen Erbes. Ein Koffer voller Manuskripte wurde die Keimzelle für die Neugründung. Zusammen mit seiner Frau Claudia entfaltet der Sohn eine rege Verlagstätigkeit. Dabei wurden aus interessierten Lesern Bücher-Macher, die sich mehr und mehr in die Materie einarbeiteten und nunmehr früheren DDR-Autoren, die im gesamtdeutschen Kontext bisher kaum wahrgenommen wurden, eine verlegerische Plattform bereiten.

In dem vorliegenden Band erhalten diese Autoren eine Stimme. Die Auswahl ist in Bezug auf die DDR-Literatur ganz und gar zufällig. Die Mehrzahl der Autoren gehörte in der Literatur der DDR weder zur ersten Reihe, noch fiel jemand von ihnen durch ausdrückliche Dissidenz auf, daher werden Namen und Werke der hier befragten Autoren im Westen nur wenigen Lesern bekannt geworden sein.

Die hier zu Wort kommenden Autoren lebten und schrieben in der DDR, in der sie bis 1990 den Wirkungsraum ihrer literarischen Arbeit und auch ihre Leser fanden. Mit dem Ende des Staatswesens DDR standen sie nun auch dem grundlegenden Wandel des Verlagswesens gegenüber, mussten sich auf neue Literaturverhältnisse einstellen. Der aus dem Jahre 1995 stammende Beitrag von Martin Weskott „Eine Kultur verlässt den Raum“ führt diese Situation noch einmal eindringlich vor Augen. Auch einige der hier vertretenen Autoren traf das Schicksal, eigene Bücher vernichtet zu sehen. Viele dieser Titel sucht man auch heute in allgemein zugänglichen Bibliotheken vergebens. Ihre Autoren haben weitergeschrieben, andere haben überhaupt erst nach der Wende begonnen, Bücher zu veröffentlichen. Die Publikationen erschienen in Kleinstverlagen, die Schöpfer bezahlten Druckkostenzuschüsse. Der Zugang zu größeren Verlagen gelingt nicht. Christoph Links beschreibt sachkundig die neuen Bedingungen unter denen die früheren DDR-Verlage standen, als sie nach der Vereinigung der Dominanz des westdeutschen Buchmarktes ausgesetzt waren. Er rekonstruiert die Voraussetzungen unter denen einige weiterarbeiten konnten, vermittelt wie sich neue, auf bestimmte Sachgebiete spezialisierte Verlage gründeten, die dazu beitrugen, dass auch im Osten weiterhin Bücher produziert werden konnten.


Die Lebensdaten derer, die hier über sich selbst Auskunft geben, umfassen mehrere Generationen und umschreiben so einen weiten historischen Bogen. Er reicht von Emil Rudolf Greulich (Pseud. Erge), Jahrgang 1909, für den es hier einen Nachruf gibt, bis zu Beate Morgenstern, Jahrgang 1946, die jüngste der hier versammelten Schriftsteller. Sie debütierte 1979 mit Geschichten über den Alltag in der DDR und gab mit dem Romanerstling „Nest im Kopf (1988) die Probe ihres bedeutenden Erzähltalents, das allerdings in den Wirren der Wendejahre wenig Beachtung fand. Sie hat inzwischen ein vielgestaltiges Romanwerk vorgelegt, das in mehreren kleinen Verlagen ediert wurde.


Obwohl biographische Prägungen, soziale Haltungen und Erkenntnisse, künstlerische Inspirationen auch die Erfahrungen in der DDR-Literaturgesellschaft sehr unterschiedlich waren und sind, gibt es für die hier zu Wort kommenden Autoren doch eine Übereinstimmung mit der in der DDR-Gesellschaft allgemein akzeptierten Prämisse, dass die Literatur eine wesentliche gesellschaftliche Funktion innehat. Dabei würden direkte Nachfragen nach Motiv und Sinn eigener Arbeit von jedem Schreibenden auf spezielle Weise beantwortet werden und ein weitgefächertes Feld von Schreibmotivation zu Tage befördern. Manchem Werk ist die Absicht eingeschrieben, Zeugnis abzulegen über Erlebtes und Erlittenes im Wandel der Zeiten. Andere Autoren sind darauf aus, sich schreibend selbst zu vergewissern, sich ihrer Prägungen bewusst zu werden, wollen Verständigung über individuelle Verhaltensweisen und Lebensformen anregen oder wollen Lebenshilfe geben. Erwartungen direkter öffentlicher Einflussnahme auf politisches Geschehen wären dagegen sicherlich seltener anzutreffen, ebenso haben sich Vorstellungen von unmittelbar erzieherischer Wirkung verflüchtigt.

Ein auf humanistische Wirkungen gerichtetes Literaturverständnis ergab sich aus der notwendigen Neubesinnung nach Faschismus und Krieg, denn die 12 Jahre Faschismus hatten nicht nur in materieller Hinsicht ein verheertes Land, sondern auch ein demoralisiertes Volk zurückgelassen. Zunächst waren es die Klassiker und die Werke der Autoren, die ins Exil hatten gehen müssen, die nun veröffentlicht wurden und ihre Leser fanden. Die aus dem Exil in den Osten zurückgekehrten Autoren (Becher, Brecht, Seghers, Hermlin, Renn, u.a.) wurden oftmals zu Lehrmeistern für die Jungen. Über die gesamte Geschichte der DDR blieb diese Überzeugung von der wesentlichen Rolle der neu entstehenden Literatur für die Formung humaner Werte und für die Herausbildung neuer, gesellschaftlicher Verhältnisse unangefochten bestehen. Allerdings modifizierten und wandelten sich unter den geschichtlichen Verläufen der Jahrzehnte die Erwartungen an sie und ihre konkreten Möglichkeiten beträchtlich. Überwogen zunächst direkt erzieherische, auch operativ-politische Vorstellungen von literarischer Wirkung, differenzierten sich seit den Siebzigerjahren diese Ansichten zunehmend. Der lebendige Literaturprozess wurde differenzierter, Autoren und Literaturvermittler schufen und suchten spezifischere Wirkungsmechanismen zu ermitteln und ihnen gerecht zu werden. Daraus ergaben sich vielfältige Spannungsfelder. Ein wesentlicher Diskussionspunkt blieb die Frage nach der kritischen Funktion von Literatur, eine Frage, die von Funktionären selbstverständlich anders beantwortet wurde als von den Schriftstellern und ihren Lesern. Dieses zunehmend kritische Element gegenüber den einengenden Verhältnissen in der DDR ließ die Literatur im letzten Jahrzehnt in vielerlei Hinsicht zum Symptom für den erkennbaren gesellschaftlichen Niedergang der DDR Gesellschaft werden. Zunehmend gab es Befunde, in denen das Auseinanderfallen von emanzipatorischem Anspruch und den alltäglichen Realitäten des Lebens zu Tage trat.

Die Ansichten darüber, wie Literatur wirken soll oder kann, differierten im Einzelnen ganz beträchtlich. Konflikte ergaben sich im Spannungsfeld zwischen dem, was Funktionäre der Staats- und Parteiführung von den Schreibenden erwarteten und dem, was individuell erlebt und als künstlerischer Ausdruck seinen Niederschlag gefunden hatte. Über familiäre und soziale Prägungen, über Schreibmotivationen, über Erfahrungen beim Schreiben und im Literaturbetrieb, über die Art und Folge von Eingriffen und Behinderungen geben die Gespräche reichhaltige Aufschlüsse. Dabei wird deutlich, wie sich die literarischen Verhältnisse und der Umgang mit Literatur über die Jahrzehnte gewandelt hat, obwohl die Organisationsform des literarischen Lebens bis zum Ende der DDR beibehalten wurde.

In den Gesprächen ist mehrfach die Rede von Zensur. Allerdings hat es eine ausdrückliche Zensur, mit der sich der Gesetzgeber festgelegt hätte, nicht gegeben. Dennoch, die Produktion eines jeden Buches, das öffentlich werden sollte, stand unter institutioneller Aufsicht. Dieses System erwies sich als die Kehrseite hoher gesellschaftlicher Wertschätzung, die der Literatur eine bildende, ja erziehende Funktion für den Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft zuschrieb. Die Lektorate der Verlage arbeiteten meistens intensiv mit den Autoren an der gestalterischen und sprachlichen Präzisierung der Manuskripte. Sie bildeten die unterste Ebene, die mit Gutachten der Genehmigungsbehörde der Hauptverwaltung Verlage im Ministerium für Kultur zuarbeitete, um eine Druckgenehmigung für die Veröffentlichung des betreffenden Buches zu bekommen. Darüber hinaus konnte es Einsprüche von Parteifunktionären verschiedener Ebenen geben. Es gab unausgesprochene Tabus: man denke an die Veröffentlichungsgeschichte von Erwin Strittmatters „Wundertäter“, in dem er eine durchaus von vielen Frauen erlebte Erfahrung zur Sprache brachte, nämlich die folgenreiche Vergewaltigung durch einen Angehörigen der sowjetischen Armee. Auch die Realität der Mauer und die Konflikte, die sich aus ihrer Existenz ergaben, blieben ein Tabuthema.

Das System der Förderung junger Autoren ist Ausdruck für die hohe Wertschätzung von Literatur und ihren Schöpfern. Es reichte von den Arbeitsgemeinschaften junger Autoren, die der DDR Schriftstellerverband auf verschiedenen Ebenen eingerichtet hatte, über die Unterstützung begabter Autoren durch Stipendien und Verlagsvorschüsse bis zum möglichen Studienplatz am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig. Alle in diesem Buch zu Wort kommenden Autoren haben an solcher Fördermaßnahmen partizipiert und dabei auch zumutende Grenzerfahrungen gemacht.


Emil Rudolf Greulichs Prägungen und Schreibimpulse waren durch die sozialen und politischen Verhältnisse der Weimarer Republik bestimmt....

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