Zusammenfassung
Im Hinblick darauf, wie wir Produktion und Konsum in unserer globalen Wirtschaft organisieren, könnte der Übergang zur Circular Economy die größte Revolution und zugleich die größte Chance seit 250 Jahren sein. Dieser Übergang beinhaltet eine radikale Neubetrachtung der Beziehungen zwischen Märkten, Kunden und natürlichen Ressourcen. Zudem bietet die Circular Economy den Unternehmen die große Chance, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen oder, wie wir es nennen, einen Circular Advantage, der die Art und Weise, wie wir produzieren und konsumieren, durch innovative Geschäftsmodelle, Ingenieursleistung und digitale Technologie sowie die zur Unterstützung dieser Systeme notwendigen Fähigkeiten revolutioniert.
Unsere Forschungen zeigen einen Ertrag von 4,5 Billionen Dollar für die Verwandlung von gegenwärtiger Verschwendung in Wertschöpfung bis zum Jahr 2030. Dabei geht es nicht nur um Verschwendung im traditionellen Sinne von Müll, sondern um die enorme Unterauslastung von Rohstoffen, Produkten und Vermögensgegenständen. Es geht darum, das gesamte »Konzept der Verschwendung« zu eliminieren und anzuerkennen, dass alles einen Wert besitzt.
Wie wäre es mit einem Zehn-Milliarden-Dollar-Geschäft durch das Anmieten von Räumlichkeiten, ohne Energie, Metalle oder andere Rohstoffe für die Errichtung eines einzigen Hauses zu verbrauchen? Die Steigerung des Nettogewinns eines Unternehmens um 50 Prozent bei gleichzeitiger Verringerung des Materialverbrauchs um 90 Prozent – nur durch die Rückgewinnung und Wiederaufbereitung gebrauchter Komponenten? Das Freisetzen von einer Milliarde Dollar in zuvor verschwendeten Werten durch die Umwandlung von Materialbewirtschaftung in der Produktion? Oder die Verwendung der ungenutzten Biomasse eines Landes, um einen 80-Milliarden-Dollar-Markt für fortschrittliche Chemikalien und Energieerzeugung zu erschließen?
Sowohl internationale Marktführer als auch innovative Start-ups fahren schon heute gewaltige Gewinne ein, weil sie diese Chancen nutzen. Und das ist erst der Anfang. Dieses Buch zeigt, wie die Unternehmen dies tun und was andere Führungskräfte davon lernen können, während sie sich ihren eigenen Circular Advantage schaffen. Wir hoffen, dass die Circular Economy nach der Lektüre dieses Buches für Sie von einem abstrakten Konzept zu einer leicht verständlichen, praktikablen und anwendbaren Geschäftsoption geworden ist.
Für die Gesellschaft als Ganzes ist es sogar noch wichtiger, wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand zu ermöglichen, ohne dabei wie die derzeitigen Geschäftsmodelle und -methoden von den zunehmend begrenzten Energie- und Rohstoffressourcen abhängig zu sein. Nach unserer Erfahrung in der Zusammenarbeit mit und der Beratung von Regierungen, internationalen Organisationen und Unternehmen ist die Circular Economy die einzige tragfähige »große Lösung« für ein rentables, umweltbewusstes und blühendes globales Wachstum einerseits und die menschliche Fortentwicklung andererseits.
»Business as usual«, ein Weitermachen wie bisher, hat zunehmend ausgedient. Dass die natürlichen Ressourcen begrenzt sind, ist unstrittig. Edelmetalle beispielsweise sind aufgrund des massiven Abbaus in den letzten 250 Jahren zunehmend eingeschränkt verfügbar – und ihr Vorkommen reduziert sich immer weiter. Andere Ressourcen wie Wasser, Luft und Wälder sind zwar technisch erneuerbar, aber zunehmend geschädigt oder belastet. Das starke Bevölkerungswachstum in Verbindung mit der explodierenden Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen wird sie bis zur Neige erschöpfen, wenn die gegenwärtigen Praktiken fortgesetzt werden. Zu allem Überfluss behandelt das aktuelle Wachstumsmodell die Folgen der Verschwendung immer noch wie eine Angelegenheit, mit der sich »jemand anderes« befassen muss. Unterdessen schwindet die Fähigkeit unserer Umwelt, Abfälle zu absorbieren und zu verarbeiten, Jahr für Jahr.
Nutzung globaler Ressourcen 1900–2014
Quellen: Accenture-Analyse auf Grundlage der Daten von Fridolin Krausmann, Simone Gingrich, Nina Eisenmenger, Karl-Heinz Erb, Helmut Haberl und Marina Fischer-Kowalski, »Growth in global materials use, GDP and population during the 20th century«, Ecological Economies, Bd. 68, Nr. 10, 15. August 2009, http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/SO921800909002158
Um die Jahrtausendwende verkehrte sich das 40 Jahre alte Muster, nach dem die Preise für natürliche Ressourcen bei steigendem Wirtschaftswachstum stetig zurückgingen, ins Gegenteil. Zwischen 2000 und 2014 entwickelte sich diese reziproke Beziehung zu einer positiven Relation: Wachstum und Rohstoffpreise stiegen nun parallel über den gesamten Zeitraum hinweg.12 Selbst Ende 2014, als die Ölpreise aufgrund geopolitischer Faktoren und der verstärkten Förderung unkonventioneller fossiler Brennstoffe wie Ölschiefer und Ölsanden in Rekordgeschwindigkeit fielen, lag der reale Preis für Öl im Dezember 2014 um 50 Prozent höher als im Dezember 2000.13 Unternehmen und Volkswirtschaften können nicht länger wirtschaften, als sei alles in bester Ordnung und die drohende Rohstoffkrise lediglich eine Illusion. Tatsache ist: Unsere Art des Wirtschaftens von heute bedeutet, dass schon morgen nicht mehr genügend Ressourcen für Wachstum und globalen Wohlstand verfügbar sind. 50 Prozent der Weltbevölkerung – ungefähr drei Milliarden Menschen – leben von weniger als 2,50 Dollar pro Tag. Fast fünf Milliarden Menschen leben von weniger als zehn Dollar täglich.14 Jedes globale Wachstumsmodell, das diese fünf Milliarden Menschen nicht am Wohlstand der Welt teilhaben lässt, ist es nicht wert, überhaupt in Betracht gezogen zu werden; gleichzeitig erfordert jedes Modell, das sie einbezieht, zweifellos eine radikale Reform der Ressourcennutzung. Es muss etwas geschehen. Und das ist, so glauben wir, die Einführung der Circular Economy.
Die Circular Economy als Konzept gibt es schon seit einigen Jahrzehnten. In ihrer heute bekannten Form bezieht sie sich auf die Entkoppelung wirtschaftlichen Wachstums vom Verbrauch begrenzter natürlicher Rohstoffe – also seltener Ressourcen mit negativer CO2-Bilanz. Dazu zählen fossile Brennstoffe oder schwer recycelbare Metalle und Minerale, von denen abhängig zu sein im Laufe der Zeit einen Wettbewerbsnachteil darstellt. Im Gegensatz dazu werden Ressourcen im Rahmen ökologischer Vorgehensweisen für möglichst lange Zeit produktiv wirtschaftlich genutzt. Für Unternehmen geht es dabei darum, Wertschöpfung an die Stelle der Verschwendung zu setzen. »Verschwendung« bedeutet hierbei mehr als nur physikalische Rückstände wie zum Beispiel Müll. Es lassen sich vier Formen der Verschwendung unterscheiden:
- 1.Ressourcenverschwendung betrifft Materialien und Energie, die nicht kontinuierlich wiederverwendbar sind, sondern verbraucht werden und danach unwiederbringlich verschwunden sind.
- 2.Produkte mit verschwendeter Lebensdauer besitzen künstlich verkürzte Lebenszyklen oder werden entsorgt, obwohl andere Nutzer sie noch gebrauchen könnten.
- 3.Produkte mit verschwendeter Kapazität weisen unnötige Leerlaufzeiten auf; zum Beispiel werden Autos im Allgemeinen 90 Prozent ihrer Lebensdauer nicht genutzt.
- 4.Unter verschwendeten Binnenwerten versteht man Komponenten, Materialien und Energie, die Bestandteil von Produkten sind und die bei deren Entsorgung nicht zurückgewonnen und einer neuerlichen Nutzung zugeführt werden.
Insgesamt bilden all diese Verschwendungen die größte wirtschaftliche Chance unserer Zeit. Die Entwicklung von Geschäftsmodellen, die Verschwendung in Wertschöpfung verwandeln, ist nicht nur finanziell sinnvoll; sie ermöglicht Unternehmen und Volkswirtschaften darüber hinaus auch weiteres Wachstum ohne einen Anstieg der Nachfrage nach den zunehmend beschränkten natürlichen Ressourcen. Mithilfe dieser Geschäftsmodelle könnten wir uns erfolgreich vom ressourcenbasierten Wachstum lösen und in eine neue Ära des leistungsbasierten Wachstums eintreten. Dadurch verschwände nicht nur die Verschwendung selbst, sondern auch das Konzept der Verschwendung wäre redundant – denn leistungsbasiertes Wachstum beruht auf der Erkenntnis, dass jede Ressource einen potenziellen Wert über ihre gegenwärtige Nutzung hinaus besitzt.
Einige Elemente der Circular Economy (zum Beispiel Recycling) sind wohlbekannt, andere eher unklar. Tatsache ist jedoch: Ökologische Prinzipien, die Wert auf eine vernünftigere Nutzung von Ressourcen legen, sind die logische Antwort auf die Unzulänglichkeiten des aktuellen »linearen« Modells und der Wegwerfgesellschaft.
Die Zahlen machen es deutlich: Unsere Studien und Analysen belegen, dass die Unfähigkeit des linearen Modells, mit dem wachsenden Ressourcenbedarf umzugehen, bis zum Jahr 2030 zu einer Differenz zwischen Angebot und Nachfrage begrenzter natürlicher Rohstoffe von acht Milliarden Tonnen führen wird. Das entspricht etwa Nordamerikas gesamtem Verbrauch natürlicher Ressourcen im Jahr 2014. Im wahrscheinlichsten von uns abgebildeten Szenario entspricht dies einem entgangenen Wirtschaftswachstum von 4,5 Billionen Dollar bis zum Jahr 2030 und von 25 Billionen Dollar bis zum Jahr 2050. Dabei wurde bereits die Annahme berücksichtigt, dass steigende Rohstoffpreise zu Verbesserungen der Ressourceneffizienz führen und die Entwicklung neuer Ressourcen beschleunigen werden. Mit anderen Worten: Wenn die Circular Economy die lineare Wirtschaft ersetzen und das Wachstum vom Verbrauch begrenzter Ressourcen abkoppeln...