Zur Einführung
Niemand kann uns so viel Glück und Ekstase schenken, aber auch so viel Leid und Schmerz zufügen wie eine geliebte Frau oder ein geliebter Mann. In keiner anderen menschlichen Beziehung öffnen wir unser Herz so tief für die Liebe und damit auch für das Leid wie in der Partnerschaft.
Wenn Liebe gelingt, hilft sie uns, durch den anderen eine seelische Einheit zu erfahren, wie wir sie zuletzt im Mutterschoß erlebt haben. Nach dem Rausch des ersten Liebesglücks erkennen wir jedoch recht bald, dass die Erfahrung des anderen uns helfen soll, die Ganzheit in uns selbst zu finden und nicht in der Symbiose. So widersprüchlich es klingt: Indem wir uns liebevoll abgrenzen und auch die eigenen Bedürfnisse achten, werden wir selbst seelisch stärker und anziehender für den Partner. Symbiotische Beziehungen dagegen verharren auf der Mutter-Kind-Ebene und verhindern seelisches Wachstum.
Keine anderen zwei Dinge beschleunigen die seelische Entwicklung des Menschen so stark wie Partnerschaft und Elternschaft. Beides hält uns dauernd einen Spiegel vor und zwingt uns, oft durch Schmerz, auf dem Weg voranzugehen. Dort, wo schier unüberbrückbare Hindernisse auftauchen, braucht es zuweilen eine Hilfestellung. Davon erzählt dieses Buch. Der Schwerpunkt liegt hier auf den familiensystemischen Hintergründen von Paarproblemen.
Scheinbar oberflächliche Alltagsprobleme eines Paares lassen sich gerade deshalb oft nicht in einer Gesprächs-Paartherapie oder Verhaltenstherapie lösen, weil der ständige Streitpunkt, beispielsweise »mangelnde Mithilfe im Haushalt« oder die schmutzigen Schuhe, die »er« immer auszuziehen vergisst, fast immer für etwas anderes stehen. Wegen schmutziger Schuhe löst man letztlich keine Ehe. Neue Verhaltensabsprachen für Paare oder neue Zeitpläne sind zwar nützlich, aber sie helfen nichts, wenn zum Beispiel die Ehefrau ihrer bei der Geburt verstorbenen Zwillingsschwester in den Tod nachfolgen will. Solche tieferen Hintergründe aufzudecken und immer das Familiensystem als Ganzes in den Blick zu nehmen, ist die Aufgabe der systemischen Paartherapie.
Wo ein Paar innerlich steht, merkt man oft schon nach wenigen Minuten: Haben sie miteinander Körperkontakt? Berühren sie sich manchmal an den Händen? Schauen sie sich an – und auf welche Weise? Welche Innigkeit kommt im Blick zum Ausdruck? Fließt hier noch Liebe? Unterbricht einer den anderen im Sprechen? Traut sich einer von beiden nicht, seine Meinung zu sagen, weil der andere zu sehr im Vordergrund steht? Wie begrüßt sich ein Paar, wie verabschiedet es sich? Wie viel Zeit nehmen sie sich dafür und wie viel Zeit für Zärtlichkeit? Kommt das Berufliche immer an erster Stelle? Wie viel Routine hat sich zwischen den beiden schon eingeschlichen? Liebe will im Alltag gepflegt werden und nicht wie ein Baum sich selbst überlassen bleiben!
Manchmal begrüße ich ein Paar an der Praxistür und bin mit einer unsichtbaren Mauer konfrontiert, die die beiden mit hereinbringen. Indem man sich in der Seele einem Paar voll öffnet, kann man zuweilen körperlich wahrnehmen, wo es momentan steht.
Bert Hellinger hat einen schönen Satz formuliert, den Paare sich in solch schwierigen Situationen sagen können: »Ich liebe dich, und ich liebe das, was mich und dich führt.« Wenn man sich dem ganz aussetzt, was einen selbst führt und was den anderen führt, erkennt man manchmal in kürzester Zeit, dass die Beziehung vorbei ist oder dass man erst am Anfang steht und mit Freude auf die noch zu bewältigenden Probleme schauen kann, die vor einem liegen.
Es gibt Menschen, die genau wahrnehmen, was sie führt und was die eigene Seele ihnen sagt, die aber dennoch nicht danach handeln. Eine ältere Dame erzählte: »Noch bevor wir damals am Traualtar standen, wusste ich ganz tief in meinem Inneren, dass ich diesen Mann nicht heiraten darf, weil wir überhaupt nicht zusammenpassen. Alles, was ich befürchtet hatte, ist später eingetreten.«
»Und warum haben Sie sich dann nicht bald von ihm getrennt?«, fragte ich.
»Das wollte ich weder meinem Mann antun noch meinen Eltern, noch meinen Schwiegereltern …«
Ich bat die Frau, vor den Spiegel im Besprechungszimmer zu treten, hineinzusehen und laut zu sagen: »Ich habe auch eine Fürsorgepflicht für mich selbst.«
Sie blickte sich an, öffnete den Mund, um zu sprechen, doch es kamen ihr nur Tränen aus den Augen … all die ungeweinten Zähren ihrer Seele, um die sie sich nicht ausreichend gekümmert hatte.
Als sie wieder auf dem Stuhl saß, erzählte sie, wie schwer sie es mit ihrem herrischen Mann habe, aber dass es jetzt zu spät für eine Trennung sei. In ihrem Alter »macht man so etwas nicht mehr«. Ich erklärte ihr, dass jeder für alle Handlungen und Nichthandlungen die volle Verantwortung übernehmen müsse. So brauche man sich hinterher nicht zu beklagen.
Wieder vor dem Spiegel, konnte die Frau dann in überzeugender Weise sagen: »Ich zahle den Preis für meine schwierige Ehe gern. Ich bleibe bis zum Schluss. Ich stehe dazu.« Das ist der Weg vom »Man« zum »Ich«: Was »man« macht oder nicht, ist vor der Seele belanglos; es zählt, wie sich das Ich dazu in bewusster Auseinandersetzung stellt.
Diese Frau hatte den »abfahrenden Zug« verpasst. Jetzt steht sie zu ihren eigenen Fehlern und beginnt, die Ursachen ihrer Probleme auch bei ihrem eigenen Nichthandeln und ihrer Bequemlichkeit zu suchen und nicht immer nur anderen die Schuld zu geben. Wer stets Dritte für seine eigenen Schwierigkeiten verantwortlich macht, der geht den billigen Weg. Vielleicht hilft dieses Buch dem einen oder anderen, deutlich zu spüren, was die eigene Seele erwartet.
Das Mann-Frau-Verhältnis ist auch die Beziehung zwischen einem fortwährenden gegenseitigen Geben und Nehmen. Wenn es hier zu Einseitigkeiten kommt, gerät das Paar bald in eine Schieflage. Verstehen es die beiden, regelmäßig in das Schatzkästlein der Liebe etwas hineinzutun? Die kleinen Zärtlichkeiten im Alltag prägen unsichtbare »Goldstücke der Liebe«, welche das Kästchen immer gut füllen. Mit solch einem prallen Kapital kann man auch Krisen durchstehen. Es gibt aber Paare, die sich, ohne dass sie es bemerken, in einer ständigen Abwärtsspirale befinden. Die Streitereien im Alltag werden immer heftiger, die Wortwechsel entgleisen nach und nach in Beschimpfungen übelster Art, und in den kurzen Phasen der Versöhnung wird keine wirkliche »Auffüllung der Schatzkiste« vorgenommen, sondern die beiden gehen schnell wieder in den Alltagstrott über.
Das vom Gesetzgeber verwendete Wort von der »Zerrüttung der Ehe« bringt dies recht treffend zum Ausdruck. Aber ab einem bestimmten Ausmaß von seelischer Verletzung und einem längeren Zeitraum der Zerrüttung kann auch der beste Paartherapeut nichts Helfendes mehr anstoßen. Die Schatzkiste ist leer: Unten am Boden hat sich mit der Zeit ein Loch gebildet – es ist nicht mehr möglich, »Liebestaler« anzuhäufen, denn das Paar hat die ihm zur Verfügung stehende Zeit nicht genutzt. Der gute Wille kommt am Ende für manche zu spät. Doch glücklicherweise trifft man zuweilen auf Paare, die auch im Alter noch immer aus dem Vollen zu schöpfen vermögen, weil sie im Alltag nie damit aufgehört haben, einander Achtung und Liebe zum Ausdruck zu bringen.
Jede Beziehung ist in einen Zeitrhythmus eingebunden. Wenn sich Mann und Frau nicht nach und nach auf ein immer größer werdendes Geben und Nehmen einlassen, stirbt etwas in der Partnerschaft. Wir haben eben nicht unendlich viel Zeit, um unsere Vision zu verwirklichen. Unsichtbar, aber doch spürbar, gibt es für alle Schritte in der Paarbeziehung – zum Beispiel das Zusammenziehen, eine Heirat oder die Entscheidung für Kinder – einen begrenzten Zeitrahmen. Wer über fünfzehn Jahre hinweg der Freundin die Eheschließung verweigert oder nein zu Kindern sagt, der sagt letztlich nein zum anderen. Die Beziehung gelangt dann in die Abwärtsspirale. Oft kann man ganz genau spüren, wann solche anstehenden Entwicklungsschritte verweigert werden und welche Folgen das hat.
Diese Fortschritte haben mit der teilweisen Aufgabe von Eigenem zu tun. Partnerschaften können gelingen, wenn die Bereitschaft vorhanden ist, Eigenes aufzugeben für den anderen: Inwieweit bin ich willens, ein Opfer zu bringen, auch wenn dies schmerzhaft für mich wird?
Ebenfalls zur Paarbeziehung gehört die Bereitschaft, auf die »Rückseite der Probleme« zu schauen: Viele der Geschichten des Buchs zeigen eindringlich, warum wir ausgerechnet diesen einen Partner ausgewählt haben, unter dem wir scheinbar so sehr zu leiden haben, und warum wir gerade ihn brauchen. Jede Partnerschaft will uns hinweisen auf unvernarbte seelische Wunden, die wir noch aus der Herkunftsfamilie in uns tragen. Erst wenn wir bereit sind, die Paarbeziehung als Schlüssel zur Heilung all unserer zurückliegenden familiären Verletzungen zu nutzen, beginnt aus einem »unmöglichen« Partner ein wundervoller Mann oder eine wundervolle Frau zu werden, denn er bzw. sie braucht uns nun keinen Spiegel mehr vorzuhalten.
Viel Raum in diesem Buch nimmt die Sexualität ein. Auch Paarübungen zur Vertiefung der sinnlichen Erfahrung findet der Leser. Zur seelischen Intimität zwischen Mann und Frau führt jedoch nicht nur die Sexualität, wie viele glauben, sondern darüber hinaus die Bereitschaft, sich gegenseitig zu dienen. Wenn Mann und Frau spüren, dass der andere bereit ist, auf vieles zu verzichten, dann öffnen sich die Herzen immer tiefer. Was ehrt den anderen mehr als das Versprechen, meine Bedürfnisse einem Größeren unterzuordnen und eigene Interessen aufzugeben? Das Geheimnis der gelungen Paarbeziehung liegt in der...