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E-Book

Wie man ein Pferd fliegt

Ungewöhnliche Konzepte für Innovation und Kreativität

AutorKevin Ashton
VerlagCarl Hanser Fachbuchverlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl312 Seiten
ISBN9783446447042
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Wie schafft man etwas Neues? Viele glauben, nur Genies wie Steve Jobs von Apple oder Bill Gates von Microsoft können erfolgreiche Produkte entwickeln, die die Konkurrenz vom Markt fegen. Doch das ist falsch. Kevin Ashton beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dieser Frage. Aus seiner Arbeit am renommierten MIT und in mehreren erfolgreichen Start-up-Unternehmen weiß er: Man muss kein Genie sein, um Kreativität zu besitzen. Denn wirklich kreative Menschen warten nicht auf den einen phantastischen Einfall, der alle Probleme löst. Sie arbeiten sich Schritt für Schritt voran, bis sie am Ziel sind - und machen weiter, wenn andere längst aufgegeben haben.

Kevin Ashton, Jahrgang 1968, ist ein britischer IT-Ingenieur, Tüftler und erfolgreicher Unternehmer. Am Auto-ID Center am Massachusetts Institute of Technology (MIT) war er maßgeblich an der Erstellung eines internationalen Standards für RFID und andere Sensoren beteiligt. Er gilt als Schöpfer des Begriffs ?Das Internet der Dinge?, der die vielleicht tiefgreifendste technologische Revolution der letzten Jahrzehnte beschreibt. Kevin Ashton lebt in Austin, Texas.

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Leseprobe

Vorwort: Der Mythos


Im Jahr 1815 veröffentlichte die Allgemeine musikalische Zeitung einen Brief, in dem Mozart seinen Schaffensprozess beschreibt:

Wenn ich recht für mich bin und guter Dinge, etwa auf Reisen im Wagen, oder nach guter Mahlzeit beym Spazieren, und in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann: da kommen mir die Gedanken stromweis und am besten. […] Das erhitzt mir nun die Seele, wenn ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer grösser; und ich breite es immer weiter und heller aus; und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast fertig, wenn es auch lang ist, so dass ichs hernach mit einem Blick, gleichsam wie ein schönes Bild oder einen hübschen Menschen, im Geiste übersehe, und es auch gar nicht nach einander, wie es hernach kommen muss, in der Einbildung höre, sondern wie gleich alles zusammen. […] Wenn ich nun hernach einmal zum Schreiben komme, so nehme ich aus dem Sack meines Gehirns, was vorher, wie gesagt, hineingesammlet ist. Darum kömmt es hernach auch ziemlich schnell aufs Papier; denn es ist, wie gesagt, eigentlich schon fertig, und wird auch selten viel anders, als es vorher im Kopfe gewesen ist.1

Mozarts größte Sinfonien, Konzerte und Opern fielen ihm also einfach so ein, komplett, wenn er allein und in Stimmung war. Er brauchte für die Kompositionen keinerlei Hilfsmittel. Er musste sich seine Meisterwerke einfach nur bis zu Ende vorstellen und sie dann nur noch aufschreiben.

Dieser Brief wurde häufig als beispielhafte Erklärung für den Schöpfungsprozess herangezogen. Er wurde in Teilen in The Mathematician’s Mind von Jacques Hadamard aus dem Jahr 1945 zitiert, in der von Philip E. Vernon im Jahr 1970 herausgegebenen Anthologie Creativity: Selected Readings, im preisgekrönten Computerdenken von Roger Penrose aus dem Jahr 1989, und auch Jonah Lehrer verweist in seinem Bestseller Imagine! von 2012 auf diesen Brief. Der Brief beeinflusste die Dichter Puschkin und Goethe ebenso wie den Dramatiker Peter Shaffer. Der Brief hat, direkt oder indirekt, die landläufige Vorstellung vom kreativen Schaffen geprägt.

Da ist nur ein kleines Problem: Mozart hat diesen Brief nie geschrieben. Er ist eine Fälschung. Diese wurde von dem Mozart-Biografen Otto Jahn im Jahr 1856 bewiesen und seither von anderen Gelehrten bestätigt.

In Mozarts echten Briefen – an seinen Vater, seine Schwester und andere – steht, wie er tatsächlich arbeitete. Er war außergewöhnlich talentiert, aber seine Kompositionen waren keine Zauberei. Er fertigte Rohfassungen an, überarbeitete sie und kam manchmal nicht weiter. Er brauchte ein Klavier oder Cembalo zum Arbeiten. Manche Arbeiten legte er beiseite und nahm sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf. Beim Schreiben berücksichtigte er theoretische und handwerkliche Aspekte, und er dachte viel über Rhythmus, Melodie und Harmonien nach. Durch sein Talent und lebenslange Übung arbeitete er schnell und flüssig, aber seine Arbeit war doch nur das: Arbeit. Seine Meisterwerke entsprangen nicht fertig vollendet seiner Vorstellungskraft, er schrieb sie nicht am Stück und unverändert auf, und er brauchte ein Instrument dazu. Der Brief ist nicht nur gefälscht, er ist falsch.2

Er hält sich, weil er einer romantischen Vorstellung von Erfindungskraft entspricht. Ein Mythos umgibt Neuschöpfungen. Genies erleben dramatische Momente der Erkenntnis, in denen Großes mit einem Schlag entsteht. Gedichte werden in Träumen geschrieben. Symphonien werden am Stück komponiert. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden von Heureka-Rufen begleitet. Unternehmen entstehen durch Zauberei. Etwas ist von einem Moment auf den anderen einfach da. Den Weg zwischen Nichts und Neuem sehen wir nicht, wollen ihn vielleicht auch gar nicht sehen. Kunst muss mysteriöse Magie sein, nicht Schweiß und Schinderei. Durch die Vorstellung, dass jede elegante Gleichung, jedes schöne Gemälde und jede brillante Maschine durch Arbeit und Irrtum entsteht, als Frucht von Fehlstarts und Fehlschlägen, und dass jeder Schöpfer genauso fehlbar, klein und sterblich ist wie wir anderen, verliert die Kunst ihren Glanz. Der Gedanke, dass große Erfindungen uns auf wundersame Weise durch Genies geschenkt werden, ist verführerisch. Daraus entstand der Mythos.

Der Mythos prägt unsere Ansichten über kreatives Schaffen, seit sich die Menschheit Gedanken darüber macht. In antiken Kulturen glaubten die Menschen, Dinge würden nur entdeckt, nicht erschaffen. Sie glaubten, alles sei bereits erschaffen; dieselbe Ansicht vertritt Carl Sagan in einem Witz zum Thema: »Wenn man einen Apfelkuchen völlig selbst machen will, dann muss man zunächst einmal das Universum erfinden.« Im Mittelalter waren kreative Schöpfungen möglich, aber Gott vorbehalten und jenen, die von Gottes Geist inspiriert waren. In der Renaissance glaubte man endlich, Menschen seien zu kreativen Schöpfungen fähig, aber es mussten außergewöhnliche Männer sein – Leonardo, Michelangelo, Botticelli und dergleichen. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert wurde das kreative Schaffen zum Gegenstand zunächst philosophischer und dann psychologischer Untersuchungen. Man fragte sich: »Wie machen das diese außergewöhnlichen Menschen?« Und in der Antwort klang immer noch die mittelalterliche Vorstellung von der göttlichen Intervention mit. Damals erhielt der Mythos auch einen Großteil seiner heutigen Gestalt durch einige wenige Anekdoten über Geistesblitze und Geniestreiche – wie den gefälschten Mozart-Brief –, die immer wieder verbreitet wurden. Im Jahr 1926 leitete Alfred North Whitehead aus einem Verb ein Substantiv ab, das dem Mythos einen Namen gab: Kreativität.3

Der Mythos Kreativität besagt, dass nur wenige Menschen kreativ sein können, dass jeder erfolgreiche Schöpfer dramatische Geistesblitze der Erkenntnis erlebt, und dass kreatives Schaffen mehr Magie als Arbeit ist. Ein paar wenige Menschen haben die nötigen Voraussetzungen, und ihnen fliegt alles zu. Die kreativen Versuche aller anderen Menschen sind zum Scheitern verurteilt.

In Wie man ein Pferd fliegt geht es darum, warum dieser Mythos falsch ist.

Ich selbst glaubte an den Mythos bis zum Jahr 1999. Meine ersten Berufsjahre – in der Studentenzeitung der London University, bei einem Nudel-Start-up in Bloombury namens Wagamama und bei einem Seifen- und Papierhersteller namens Procter & Gamble – ließen annehmen, dass kreatives Schaffen nicht zu meinen Stärken gehörte. Es fiel mir schwer, meine Ideen umzusetzen. Die Leute wurden wütend, wenn ich es versuchte. Und wenn ich erfolgreich war, vergaßen sie, dass es meine Idee gewesen war. Ich las jedes Buch über kreatives Schaffen, das ich in die Finger bekam, und in allen stand dasselbe: Ideen sind magische Eingebungen, sie werden von den Menschen wohlwollend aufgenommen, und Schöpfer sind Sieger. Meine Ideen entstanden schrittweise, die Menschen reagierten eher hitzig als wohlwollend auf sie, und ich fühlte mich wie ein Loser. Meine Leistungsbeurteilungen waren schlecht. Ich war ständig in Gefahr, meinen Job zu verlieren. Ich verstand nicht, warum meine kreativen Erfahrungen nicht so verliefen, wie sie in den Büchern beschrieben wurden.

Auf die Idee, dass die Bücher unrecht haben könnten, kam ich im Jahr 1997. Damals arbeitete ich gerade an der Lösung eines scheinbar langweiligen Problems, das sich dann doch als interessant erwies. Ich hatte Schwierigkeiten, Läden mit einer beliebten Lippenstiftsorte von Procter & Gamble versorgt zu halten. In der Hälfte der Läden war er immer ausverkauft. Ich forschte nach und fand heraus, dass die Ursache des Problems ein ungenügender Informationsfluss war. Hierin lag eine der größten Hürden der Informationstechnologie im 20. Jahrhundert. Fast alle Daten in den Computern der 1990er-Jahre stammten von Menschen, die auf Tastaturen tippten oder manchmal Strichcodes einscannten. Die Verkäufer konnten aber nicht den ganzen Tag die Regale anstarren, um dann die Daten dessen, was sie sahen, einzugeben, dazu fehlte ihnen die Zeit. Und so war das Computersystem jedes Ladens blind. Die Ladenbesitzer bemerkten nicht, dass der Lippenstift ausverkauft war, die Käufer schon. Sie zuckten dann mit den Schultern und nahmen eine andere Farbe, wodurch meine Verkaufszahlen wahrscheinlich sanken, oder sie kauften überhaupt keinen Lippenstift. Dann sanken auch die Verkaufszahlen des Ladens. Der fehlende Lippenstift war eigentlich ein winziges Problem, aber er war die Folge eines der größten Probleme überhaupt: Computer waren Gehirne ohne Wahrnehmung.

Es war ein so offensichtliches Problem, dass es nur ganz wenigen Menschen auffiel. Im Jahr 1997 gab es Computer seit 50 Jahren. Die meisten Menschen waren mit ihnen aufgewachsen und waren ihre Funktionsweise gewohnt. Computer verarbeiteten Daten, die Menschen eingaben. Wie der Name schon sagte, wurden Computer als denkende Maschinen betrachtet, nicht als wahrnehmende Maschinen.

Doch so waren intelligente Maschinen nicht von Anfang an konzipiert. Im Jahr 1950 schrieb Alan Turing, der Erfinder der Computertechnologie: »Wir dürfen hoffen, daß Maschinen schließlich auf allen rein intellektuellen Gebieten mit dem Menschen konkurrieren. Aber mit welchem sollte man am besten beginnen? Viele glauben, daß eine sehr abstrakte Tätigkeit, beispielsweise das Schachspielen, am besten geeignet wäre. Ebenso kann man behaupten, daß es das beste wäre, Maschinen mit den besten Sinnesorganen...

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