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E-Book

Wilde Küsten altes Land

Mit dem Wohnmobil durch Nova Scotia und Neufundland

AutorElena P. Knoll
VerlagTWENTYSIX
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl340 Seiten
ISBN9783740758110
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
"Where the Sky meets the Ocean". Sechs Wochen lang sind wir mit dem Wohnmobil den wildromantischen Küsten Nova Scotias und Neufundlands gefolgt. Zu den überwältigenden Gezeiten der "Bay of Fundy" und durch uralte Wälder hat uns die Reise geführt. Im "Minas Basin" läuft man bei Ebbe über den smaragdgrünen Grund des Ozeans, in einer magischen Welt zwischen Wasser und Erde. Und in den neufundländischen "Tablelands" steht man ganz plötzlich auf der aufgebrochenen Erdkruste - auf dem ockerfarbenen Erdmantel. Begleiten Sie uns auf den Spuren von verwegenen Seefahrern wie John Cabot und James Cook. Tosende Brandung, einsame Leuchttürme, versunkene Schiffe, verlassene Goldminen, schwarze Basaltsäulen, Fischerdörfer und kleine Brauereien ... Die Seeprovinzen sind wunderschön.

Elena P. Knoll, geboren in Kassel, ist in Italien aufgewachsen. Nach dem Abitur und einer Ausbildung an einer Kunstschule in Rom hat sie sechs Jahre an der Italienischen Schule in Tunis unterrichtet. An der Deutsch-Tunesischen AHK war sie drei Jahre lang für Herstellung und Layout des Wirtschaftsmagazins "partenaire & développement" zuständig. Zurück in Deutschland hat sie bis 2011 die Leitung eines kleinen Unternehmens im Münchner Süden übernommen. Seit 2012 widmet sich die Autorin wieder ausschließlich dem Zeichnen und Schreiben. In ihren Zeichnungen und in ihren Büchern erzählt sie Geschichten von Zerstörung und Hoffnung, von Sehnsucht und Träumen, von der Schönheit unserer Erde und von den tiefen Spuren, die der Mensch auf ihr hinterlässt.

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Leseprobe

Halifax


In alten Tagen zogen fremdartig gekleidete Märchenerzähler von Land zu Land, machten auf bunten Marktplätzen halt und beschworen für ein paar Münzen sagenumwobene Orte, verschollene Königreiche, schneebedeckte Gipfel und dunkle Wälder aus dem Nebel der Zeit herauf.

Ferne Länder sind inzwischen zum Greifen nah, die Ozeane sind längst bezwungen. Doch eines lieben wir immer noch: Geschichten.

Die Märchenerzähler von einst sind weitergezogen, sie kehren nicht zurück. Aber dem Flüstern der Erde, dem Raunen Millionen Jahre alter Steine, dem Tosen heranrollender Brandung und dem sanften Rascheln der Blätter im Wind können wir noch heute lauschen.

Im Atlantik liegt eine Insel, auf der schwarz gestreifte Felsen vom gewaltsamen Aufbrechen der Erdkruste, und tiefblaue Seen von den Geheimnissen eines vor langer Zeit verschollenen Ozeans erzählen können: sie heißt Neufundland.

Vom Kambrium und vom Ordovizium weiß sie zu erzählen, verträumt, fast zärtlich – von planetarischen Zeitaltern an die uns Menschen jegliche Erinnerung fehlt.

Und nicht weit davon entfernt liegt eine Küste, an der das wild aufschäumende Meer von verwegenen Seefahrern, von legendären Schiffen, von gefährlichen Klippen und vom leise verhallenden, wehmütigen Gesang der Wale erzählt.

Es sind die wildromantischen Gestade Nova Scotias ...

Halifax.

Wir kommen bei tiefster Dunkelheit an und nehmen ein Taxi um vom Flughafen ins Hotel zu fahren.

Die Stadt liegt vor uns wie eine magische Wundertüte, vor der man kurz zögert, bevor man sie aufreißt. Einzelne Lichter blitzen geheimnisvoll auf der Hülle auf, aber was wird sich im Inneren verbergen? Wir machen im Vorbeifahren erste Umrisse aus, undeutliche Formen, die sich aus der Nacht schälen.

Morgen Früh werden wir hineinsehen, langsam und vorsichtig, so wie man Neuland begeht.

Es ist immer ganz wunderbar, in einer fremden Stadt aufzuwachen.

Wir haben noch einen ganzen Tag Zeit, bevor wir das Wohnmobil übernehmen, das uns sechs Wochen lang durch das Land begleiten wird.

Nach dem Frühstück treten wir also erst einmal hinaus auf die Spring Garden Road, mit ihren kleinen Restaurants und Geschäften. Es ist früh am Morgen und die noch unbelebten, fremden Straßen hüllen sich noch in ein milchiges Grau. Hatte ich eine Vorstellung von Halifax? Wenn überhaupt, dann nur ganz vage, eher schemenhaft. Aber jetzt nimmt die Stadt Gestalt an.

Wie eine auseinanderstrebende Schafherde ziehen weiße Wölkchen über den fremden, transparentblauen Himmel als wir an bunten Holzhäusern und verriegelten Imbissbuden vorbei gehen und die Waterfront erreichen.

Schiffe. Schiffe wohin man blickt.

Ein magischer Hauch von Nostalgie weht über die Masten der großen Schoner, die sich vor unseren Augen im zartrosa schimmernden Hafenwasser spiegeln.

Von Algen überzogene Holzpfähle recken ihre glitschigen Hälse aus dem Wasser. Es riecht nach Salz und Fisch.

Noch haben wir die Stadt fast ganz für uns allein und können die ersten Eindrücke in vollen Zügen genießen.

Verzückt stehen wir auf den Holzplanken eines Steges und blicken auf die sanft schaukelnden Schiffe, auf ein verträumtes Inselchen mit einem kleinen Leuchtturm und auf die roten, blauen und grünen Häuser, deren Bewohner an diesem frischen Sommermorgen gerade erwachen.

Dann kommt Leben auf, erste Touristen fotografieren den Hafen, die Cafés öffnen ihre Türen, Kellner wischen zerstreut die Feuchtigkeit der Nacht von Tischen und Stühlen.

Um uns herum bewegt sich schon bald eine bunte Menge aus aller Herren Länder.

Wir setzen uns an den roten Metalltisch eines kleinen Selbstbedienungscafés.

Zwei junge Familien haben sich hier bereits zum Frühstück eingefunden. Kleine Vögel picken herabgefallene Krümel zwischen den Stühlen auf. Sie sind sehr hübsch, mit hellbraunem Gefieder und kleinen weißen Punkten auf den schwarzen Brustfedern.

Während ich Zucker in meinen Kaffee rühre, lasse ich gedankenversunken den Blick über die malerische Hafenkulisse schweifen und beobachte, wie ein seltsamer kleiner Schleppdampfer näherkommt. Sein Aufbau besteht aus einem großen, breit lächelnden, kindlichen Gesicht. Ein rotes kanadisches Käppi ziert den länglichen Kopf mit der dicken Knollennase. Ein paar sonnenbebrillte Touristen stehen schon am Bug und bewundern die Skyline der Stadt. Ein kleiner Junge winkt uns von der Reling zu. Dann tuckert die stämmige »Theodore Too« wie ein überdimensionales Spielzeug an uns vorbei.

Wir gehen wieder ein Stück den Hafen entlang.

Große Felsblöcke sichern die vielen Molen. Algen und Muscheln überwuchern grob gehauene Steine. Am Rand einer Anlegestelle liegt ein dicker ausgedienter Holzpfahl. Über das morsche, mit vertrockneten Muscheln übersäte Holz wurden einige Altreifen gestülpt. Rostige Schrauben stecken noch in den aufgeborstenen Fugen, kleine weiße Schimmelpilze leuchten auf dem rissigen schwarzen Gummi wie Schneeflocken. Ein kleines Kunstwerk, entstanden aus der Vergänglichkeit der Dinge.

Die Stadt klettert von der Uferstraße aus leicht aber stetig einen Hügel hinauf. Kräne blitzen hier und da in der Sonne auf. Überall wird gebaut.

Ein Denkmal, das wohl bezeichnend für ganz Kanada ist, steht am Ende der langen Hafenpromenade.

»The Emigrant« erinnert an all die Einwanderer, die herkamen, um hier ein neues Zuhause zu finden.

Ich bin in Italien aufgewachsen. Ein Emigrantenland. Mich persönlich erinnert der bronzene Mann, der mit einem schlichten Koffer voller Hoffnung die Planken eines Schiffes betritt, an all die italienischen Auswanderer, mit denen ich in meiner Jugend ein Zugabteil teilte, wenn ich von Rom nach Garmisch fuhr, um meine Großmutter zu besuchen.

Die Männer trugen dunkle, vom vielen Waschen und Aufbügeln abgenutzte Anzüge. Ihre Gesichter wirkten alt und zerfurcht, auch wenn sie noch gar nicht sehr alt waren. Die Entbehrungen in der Kindheit, die harte Arbeit, die Hoffnungslosigkeit – das prägte ihre Züge schon sehr früh. Koffer wie der des »Emigrant« von Halifax lagen damals in den Gepäcknetzen über unseren Köpfen. Und in ihren ausgebeulten Reisetaschen nahmen die Männer immer ein Stück Heimat mit nach Deutschland: Salami, Käse, selbstgemachtes Brot, Oliven, den Duft von Orangen und reifen Pfirsichen – all das hatten sie im Gepäck, eingewickelt in Küchentücher oder Zeitungspapier. Ich war sehr jung und immer allein unterwegs und wurde von diesen Menschen regelrecht bemuttert. Wenn sie ihr Essen auspackten, brach der eine ein Stück Brot ab, der andere gab mir etwas Käse, ein dritter bot mir ausgenzwinkernd einen Becher hausgemachten Rotwein an. Sie meinten es immer gut, und teilten ihr Heimweh nach der Familie, den ausgedörrten Feldern, der Sonne und dem Meer mit mir.

So viele Erinnerungen, während ich die Statue still betrachte.

Der Künstler, der dieses Denkmal geschaffen hat, ist tatsächlich ein Italiener. Armando Barbon. Auch er ist vor vielen Jahren mit einem Koffer voller Träume auf dem Seeweg nach Kanada gereist und - hat alles richtiggemacht. Er hat ein Vermögen aufgebaut. Seine imposante Bronzearbeit hat er vor wenigen Jahren der Stadt Halifax zum Geschenk gemacht, und jetzt blickt der »Emigrant« auf den geschichtsträchtigen »Pier 21«. Zwischen 1928 und 1971 haben fast eine Million Menschen hier das erste Mal einen Fuß auf kanadischen Boden gesetzt.

Gemächlich schlendern wir zurück zum Hafen.

Warme Holzplanken führen über Stege und Landebrücken, stimmungsvoll heben sich die von Wind und Wetter gezeichneten Farben der Schiffe vom ausgewaschenen Blau der spiegelglatten Bucht ab. Hier und da sprießt ein grüner Holzschuppen aus den Stegen - ein aufgerolltes Seil, eine vergessene Hummerfalle, achtlos weggeworfenes Tauwerk.

Hafenleben.

An der überlebensgroßen Statue von Samuel Cunard, der 1787 in Halifax geboren wurde, bleiben wir stehen.

Der Gründer der berühmten Cunard Line war nicht nur Inhaber der mächtigsten Segelschiffflotte in den Seeprovinzen, sondern auch ein Pionier der Dampfschifffahrt.

Am 4. Juli 1840 legte sein Dreimaster, die RMS Britannia, in Liverpool ab. Das Ziel: Halifax. An Bord: Herr Cunard – der Steam Lion selbst - und jede Menge Post. RMS steht für Royal Mail Ship.

Samuel Cunard schrieb mit jener Fahrt Geschichte. Der Schaufelraddampfer legte die Jungfernfahrt in sagenhaften 12 Tagen und zehn Stunden zurück. Und es war der historische Auftakt eines transatlantischen Postdienstes zwischen Großbritannien und Nordamerika.

Einige Passanten rubbeln hoffnungsvoll am bereits blankpolierten Stiefel des Unternehmers – wer weiß, es könnte ja Glück bringen …

Wie die meisten Bewohner Kanadas hatte natürlich auch Samuel Cunard europäische Vorfahren. Aber, so liest man auf dem Sockel des Denkmals, für die Menschen der Stadt ist er ein...

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