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»Wir fordern die Hälfte der Welt!«

Der Kampf der Suffragetten um das Frauenstimmrecht

AutorMichaela Karl
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783104002552
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Dass Frauen wählen dürfen, ist gar nicht lange her. Noch vor hundert Jahren kämpfte in England eine ganze Gruppe, die »Suffragetten«, um dieses elementare demokratische Recht. Und dieser Kampf hatte es in sich: Mit ganzem Einsatz und in originellen Aktionen kam es zu einem regelrechten Guerilla-Krieg - bis die Frauen siegten. In ihrer glänzend geschriebenen Studie zeichnet Michaela Karl die Geschichte dieser Bewegung nach und porträtiert die Heldinnen. Entstanden ist ein lebendiges Stück Historiografie, von dem die heutige, junge Emanzipationsbewegung einiges lernen kann.

Michaela Karl, geboren 1971 in Niederbayern, promovierte 2001 mit einer Arbeit über Rudi Dutschke. Sie ist derzeit Lehrbeauftragte für politische Theorie an der Hochschule für Politik in München. Nach mehreren Veröffentlichungen zum Themenschwerpunkt Sozialprotest und Biographieforschung erschien 2008 ihr Band »Münchener Räterepublik. Porträts einer Revolution«.

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Leseprobe

»Jedes Problem durchläuft bis zu seiner Anerkennung
drei Stufen: In der ersten wird es lächerlich gemacht.
In der zweiten bekämpft, in der dritten gilt es als
selbstverständlich.
«

(Arthur Schopenhauer)

Vorwort


»Suffragetten [frz.-engl., zu suffrage ›(Wahl-)stimme‹, von lat. suffragium ›Stimmrecht‹], Sg. Suffragette die, urspr. Bez. für die radikalen Mitglieder und Aktivistinnen der brit. Frauenbewegung vor 1914, später eher abschätzige Bez. für Frauenrechtlerinnen.«

(Brockhaus)

Zum ersten Mal tauchte der Begriff »Suffragette« 1906 in einem Artikel des Daily Mail auf. Der Autor wollte damit die neuen militanten Frauenstimmrechtlerinnen charakterisieren, die sich in der Women’s Social and Political Union [WSPU] unter der Führung von Emmeline Pankhurst zusammengeschlossen hatten. Es war der Versuch einer Schmähung, und bis heute ist das Wort »Suffragette« für viele mit einem Negativimage behaftet. Die wenigsten Frauen würden sich geehrt fühlen, als Suffragette bezeichnet zu werden. Dabei ist es genau das: eine Ehrbezeichnung. Ein Ehrentitel für mutige, entschlossene Frauen, die für ein Recht kämpften, das ihnen eine von Männern beherrschte Gesellschaft vorenthielt: das Wahlrecht. Was 1906 als Beleidigung gedacht war, wurde rasch zu einem Titel, den die Mitglieder der WSPU voller Stolz selbst benutzten. Und obwohl die WSPU, ebenso wie die Familie Pankhurst, außerhalb des angloamerikanischen Raumes nur mehr wenigen ein Begriff ist, ging das Wort »Suffragette« in den allgemeinen Sprachgebrauch über und wird bis heute, auch von denjenigen, die es nicht mit der Frauenstimmrechtsbewegung in Verbindung bringen, für militante Frauen verwendet.

Dabei wurde die britische Frauenstimmrechtsbewegung nicht allein von den Suffragetten getragen. Im Gegenteil, der größte Teil der Aktivistinnen gehörte den Suffragisten um die National Union of Women’s Suffrage Societies [NUWSS] an, die auf legalem Wege durch Lobbyarbeit und Petitionen ihr Ziel erreichen wollten. Eine strikte Trennung in nichtmilitante Suffragisten und militante Suffragetten ist jedoch schwierig, da es zahlreiche Überschneidungen von Personen und Aktionen gab. Selbst wenn die meisten Suffragisten sich an die Gesetze hielten, zeigten sie doch auch immer wieder Formen von zivilem Ungehorsam. Sie übernahmen allerdings nie die gewaltsamen Formen der Auseinandersetzung, wie sie die Suffragetten praktizierten. Die Strategie der Militanz, die 1906 von Christabel Pankhurst ins Leben gerufen wurde, beruhte auf der Annahme, dass Männer Frauen niemals ein Mitspracherecht einräumen würden, es sei denn, man zwinge sie dazu. Eine Ansicht, welche die Suffragisten nicht teilten. Die Frage der Gewalt blieb eine unüberwindbare Barriere zwischen WSPU und NUWSS.

Dass die britische Frauenstimmrechtsbewegung dennoch zumeist auf die Suffragetten reduziert wird, ist gegenüber den nichtmilitanten Frauen zwar unfair, aber verständlich. Die Suffragetten waren der lauteste, der auffälligste Teil der Frauenstimmrechtsbewegung – gleichermaßen bewundert und verdammt. Sie polarisierten, und auch die Frauen der Frauenstimmrechtsbewegung waren nicht immer mit ihren radikalen Mitteln einverstanden. Suffragetten waren stets zum Äußersten entschlossen, riskierten Gefangenschaft, Folter und sogar das eigene Leben, um das Stimmrecht zu erlangen. Mit ihren aufsehenerregenden Aktionen wurden die Mitglieder der WSPU so sehr zum Inbegriff der Bewegung, dass der Begriff »Suffragette« zum Synonym für die britischen Frauenwahlrechtlerinnen schlechthin wurde und jede Frau, die sich in irgendeiner Weise für das Wahlrecht der Frau einsetzte, damit belegt wurde. Dass die echten Suffragetten nur eine Gruppe im großen Bassin der Frauenstimmrechtsbewegung war, ging durch die Aufmerksamkeit, die sie durch ihre Aktionen erlangten, fast unter. Sie sind es, die im Gedächtnis geblieben sind, deren unbedingter Einsatz auch 100 Jahre danach noch Respekt abnötigt.

Die WSPU verstand sich als Armee im Krieg. Ihr Auftrag war die »Befreiung der einen Hälfte der Menschheit, und mit dieser Befreiung zugleich die Errettung der anderen Hälfte«. [1]Wie viele Befreiungsarmeen existierte sie in dieser Form nur in einem bestimmten Land und nur für einen relativ begrenzten Zeitraum. Die Suffragettenbewegung war nicht die typische Form der Frauenstimmrechtsbewegung der Jahrhundertwende. Zwar waren sie Teil einer weltweiten Frauenbewegung, doch sie waren etwas Besonderes, etwas Einzigartiges und blieben bis auf vereinzelte Ausnahmen auf Großbritannien beschränkt. Nur auf der Insel nahm die Frauenstimmrechtsbewegung derart radikale Formen an, waren die Vertreterinnen derart militant. Nur hier ketteten sich Frauen an Gebäude, schlugen Fensterscheiben ein, warfen Brandsätze und Bomben. Für einen kurzen historischen Moment standen die Suffragetten im Mittelpunkt des Geschehens, waren die Augen der Welt auf sie gerichtet. Weltweit konnte man ihre Aktionen verfolgen, über ihre Verhaftung lesen, die Bilder von Hungerstreik und Zwangsernährung ansehen. Der erstaunte Zeitungsleser erfuhr von Verletzten und Toten, geschundenen und von Polizeiknüppeln zusammengeschlagenen Frauen, denen das Blut in Strömen auf ihre weißen »Kleider der Unschuld« floss. Lila, grün und weiß waren die Suffragettenfarben, an denen niemand mehr ungerührt vorbeikam.

Sie inspirierten mit ihrem Einfallsreichtum und Mut auch andere politische Bewegungen. Mahatma Gandhi soll durch die britischen Suffragetten auf seine Methode des gewaltlosen Widerstandes und des zivilen Ungehorsams gekommen sein. Eine Methode, die in einem Land, in dem formale Meinungsfreiheit herrscht, zum Erfolg führen kann, da die Akteure zwar mit Bestrafung, aber nicht, wie in einer Diktatur, mit dem Tode rechnen müssen. Sie ermöglicht den Akteuren, für ihr Ziel der maximalen Aufmerksamkeit ein kalkuliertes Risiko einzugehen, das nicht sofort gleichbedeutend mit Ermordung ist.

Doch warum blieb die Suffragettenbewegung auf Großbritannien beschränkt? Ursächlich dafür ist ein ganzer Strauß von Faktoren. Kein anderes Land bot jene Mischung aus konstitutioneller Monarchie und langjähriger parlamentarischer Tradition. Bereits im 19. Jahrhundert kam es hier zu Wahlrechtsreformen, die immer mehr Menschen in die politische Entscheidungsfindung mit einbanden. Das Oberhaus verlor in jenen Jahren zunehmend an Einfluss, das Parlament wurde zur wichtigsten politischen Institution. Das Volk strebte mehr und mehr danach, an den politischen Entscheidungen beteiligt zu sein. Mit der Wahlrechtsreform von 1832 erhielten mehr Männer nach dem Zensus das Wahlrecht. Im zweiten Reformgesetz 1867, das weiteren Männern das Wahlrecht zugestand, blieben Bedienstete, Soldaten und Söhne, die nicht zu Hause lebten, sowie alle Frauen von der Wahl ausgeschlossen. 1884 erhielten zwei Drittel aller Männer das Wahlrecht, nur Frauen, Kriminelle und Geisteskranke nicht. Von einem repräsentativen System zu sprechen erschien den Frauen angesichts der Tatsache, dass die Hälfte der Bevölkerung im Parlament nicht vertreten war, wie Hohn.

Die Bedeutung, die politische Reformer dem Parlament zumaßen, war unübersehbar. Wollten die Frauen auch für sich Reformen erreichen, so durften sie sich nicht damit abfinden, kein Teil dieser wichtigen Institution zu sein. Gerade weil sie mitverfolgen konnten, wie die Belange derjenigen, die im Parlament vertreten waren, ernst genommen wurden, erschien es unabdingbare Notwendigkeit, dass auch Frauen die Zusammensetzung dieses Gremiums mitbestimmen konnten und es ihnen auch möglich sein musste, selbst Teil dieses Gremiums zu werden.

Zu Beginn der Frauenstimmrechtsbewegung im 19. Jahrhundert hatte Großbritannien bereits eine lange Geschichte des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Liberalismus hinter sich. Nirgendwo sonst hatten sich liberale Ideen im 19. Jahrhundert in dem Maße durchgesetzt wie auf der Insel. Dies war der Nährboden, auf dem die Idee des Frauenstimmrechts gedeihen konnte. Der Kampf ums Wahlrecht hatte hier eine lange Tradition, und die Methoden, auf die nicht zuletzt die Suffragetten zurückgreifen konnten, waren Methoden, die Wahlrechtler schon vor vielen Jahren angewandt hatten.

Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes tat ein Übriges, um nicht nur das Bürgertum zu emanzipieren. Frauen forderten Zugang zu Schulen und Universitäten, freie Berufswahl und Mitsprache bei politischen Entscheidungen. Die Modernisierung des Staates schien unvollkommen, solange Frauen davon ausgenommen blieben. Dass sich die Frauen in dieser politisch liberalen Gesellschaft einer großen, auch organisierten Gegnerschaft gegenübersahen, die mit allen Mitteln versuchte, sie am Wahlrecht zu hindern, forderte sie umso mehr heraus. Mit großem Mut und persönlichem Einsatz nahmen sie diese Herausforderung an.

Hinzu kommt, dass die Suffragetten mit den Pankhurst-Frauen drei Führungspersönlichkeiten hatten, die ihresgleichen suchen. Emmeline und ihre Töchter Christabel und Sylvia waren faszinierende Frauen mit enormem Charisma, großer Hingabe und unbedingtem Einsatzwillen: Emmeline war die geliebte Anführerin der WSPU, Christabel gleichsam der mystische Avatar und Sylvia der Engel der Armen. Zusammen verliehen sie der Bewegung ihr Gesicht und gingen in die Geschichte ein, während die meisten Suffragetten heute vergessen sind. Eine Entwicklung,...

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