KAPITEL 1
Einschüchterung
Die Geschichte des Irans ist die Geschichte meines Lebens. Manchmal frage ich mich, warum ich so stark an meinem Land hänge, warum die Silhouette von Teherans Elburs-Gebirge mir so vertraut und so kostbar für mich ist wie der Umriss des Gesichts meiner Tochter, und warum mein Pflichtgefühl gegenüber meinem Land stärker ist als alles andere. Ich erinnere mich an die 1980er-Jahre, als so viele meiner Freunde und Verwandten das Land verließen, entmutigt von dem Bombenregen, der während des Kriegs mit dem Irak über uns niederging, und den Kontrollstellen der Moralpolizei, die von der neuen islamischen Regierung errichtet wurden. Ich verurteilte zwar niemanden, der gehen wollte, konnte diesen Drang jedoch nicht verstehen. Verließ man die Stadt, in der man seine Kinder zur Welt gebracht hatte? Ließ man die Bäume in dem Garten zurück, den man jedes Jahr bepflanzte, noch bevor sie Granatäpfel und Walnüsse und duftende Äpfel trugen?
Für mich war das undenkbar. Als ich das höchste Gericht des Landes betrat und das Säuberungskomitee mir mitteilte, Frauen könnten nicht länger Richterinnen sein, blieb ich. Ich blieb, als man mich in eben dem Gericht, dem ich vorgesessen hatte, zur Büroangestellten degradierte. Ich verschloss die Ohren, als die Revolutionäre, die die Leitung des Strafjustizsystems übernommen hatten, sich in meiner Anwesenheit darüber ausließen, dass Frauen launenhaft, entscheidungsschwach und ungeeignet seien, Recht zu sprechen, was nun die Arbeit von Männern sein würde. Ich blieb, als die irakischen Kampfflugzeuge Häuser in unserer Straße in Schutt und Asche bombten. Ich blieb, als die neuen Machthaber erklärten, dass der Islam eine hart durchgreifende Rechtsprechung verlange, dass er es erlaube, junge Männer und Frauen auf Hausdächern hinzurichten, sie wegen ihrer politischen Überzeugungen an Kränen aufzuhängen und ihre Leichen in Massengräber zu werfen.
So wie ich den Iran nicht verließ, so wendete ich mich auch nicht vom Islam ab. Wenn wir alle unsere Koffer packten und in Flugzeuge stiegen, was würde dann von unserem Land noch übrig bleiben? Wenn wir uns fügten, still zu Hause blieben und es zuließen, dass sie verkündeten, der Islam erlaube die Ermordung von Schriftstellern und die Hinrichtung von Teenagern, was bliebe dann noch von unserem Glauben?
Auf dem dünnen, transparenten Papier, das wir damals für Luftpost verwendeten, schrieb ich lange Briefe an Freunde, die ausgewandert waren, und berichtete ihnen, dass ich trotz allem mit dem Leben hier zurechtkam. Mitte der 1980er-Jahre hörte ich ganz auf zu arbeiten. Ich entfloh der brutalen politischen Realität, die das neue Regime geschaffen hatte, und zog mich in mich selbst zurück. Trotz der Bomben und der Kontrollstellen der Moralpolizei zogen mein Mann und ich unsere beiden Töchter groß, die mit Zöpfen zur Schule gingen und lesen lernten. Jeden Abend aßen wir zusammen. Javad arbeitete weiterhin als Ingenieur, und ich kümmerte mich um die Mädchen und überlegte, wie ich mich jetzt, wo das Gerichtswesen das Reich von Männern geworden war, neu erfinden könnte.
Nach dem Ende des Kriegs, Anfang der 1990er-Jahre, waren die Mädchen älter und brauchten mich nicht mehr so sehr. Ich versuchte kurz, Familienrecht zu praktizieren, erkannte jedoch schnell, dass die Gerichte der Islamischen Republik völlig anders operierten, als es unter dem Schah der Fall gewesen war. Frauen durften zwar als Anwältinnen tätig sein, doch das System und all seine neuen Verfahren waren so dysfunktional, dass es unmöglich war, einen Fall zügig zu bearbeiten. Mehrmals hatte ich Schwierigkeiten, einfach nur an Gerichtsakten heranzukommen, die ich noch einmal überprüfen wollte. Als der Gerichtsbedienstete erkannte, dass ich ihm kein »Trinkgeld« dafür geben würde, mir eine bestimmte Akte herauszusuchen (korrupte Länder haben eine Vielzahl von Euphemismen für Bestechung), sagte er: »Tut mir leid, die Akte fehlt. Kommen Sie morgen wieder.« Wenn ich am nächsten Tag wiederkam, sagte er: »Tut mir leid, ich hatte noch keine Gelegenheit, nach Ihrer Akte zu suchen.« Am dritten oder vierten Tag holte er dann endlich die Akte, weil er wusste, dass ich nicht lockerlassen würde. Da ich jedoch nicht bereit gewesen war, Schmiergeld zu bezahlen, hatte ich zwei oder drei Arbeitstage verloren.
In den Gerichten ging es noch viel schlimmer zu. Dort hatte derjenige recht, der gewillt war, mehr zu bezahlen. Gerechtigkeit wurde erkauft, nicht erkämpft oder verhandelt. Aus Protest hängte ich schließlich ein großes Schild vor mein Anwaltsbüro: »Aufgrund der derzeitigen unzumutbaren Verhältnisse bei Gericht werde ich keine Mandate mehr akzeptieren, sondern kann nur noch Rechtsberatung anbieten.« Dies kam mir damals nicht sonderlich riskant vor. Ich war einfach nur ehrlich in Bezug auf das rechtliche Klima des Landes und versuchte nicht bewusst, den Staat herauszufordern. Heute weiß ich jedoch, dass friedlicher Ungehorsam eine machtvolle Trotzreaktion sein kann – etwas, was ich im Lauf der Zeit lernte. Nach einer Weile kamen Menschen zu mir, die es sich nicht leisten konnten, einen Anwalt zu engagieren – unter ihnen viele, die eines politischen Verbrechens beschuldigt worden waren.
Nach der Revolution von 1979 war der Zustand des Strafrechts besonders besorgniserregend. Die Islamische Republik hatte das säkulare Strafrecht, das unter dem Schah gegolten hatte, durch ein System des islamischen Rechts ersetzt, das auf Auslegungen der Scharia aus dem 7. Jahrhundert basierte. Ich erinnere mich noch lebhaft an jenen Fall, der mir das ganze Ausmaß der Dysfunktionalität und Grausamkeit des Systems deutlich machte.
Meine Freundin Shahla Sherkat, die führende feministische Redakteurin und Verlegerin des Landes, rief an, um zu fragen, ob ich die Familie eines elfjährigen Mädchens namens Leila juristisch beraten könne. Als Leila eines Tages in den Bergen hinter ihrem Dorf wild wachsende Blumen pflückte, schlichen sich drei Männer an und fielen über sie her. Die Männer vergewaltigten sie, schlugen sie wiederholt auf den Kopf und warfen sie dann einen nahe gelegenen felsigen Abhang hinab in den Tod. Die örtliche Polizei nahm die Männer fest. Einer von ihnen erhängte sich unter mysteriösen Umständen im Gefängnis, die beiden anderen wurden vom Gericht der Vergewaltigung und des Mords für schuldig befunden. Da die damaligen Gesetze dem Leben eines wegen Mordes verurteilten Mannes mehr Wert beimaßen als dem Leben eines vergewaltigten und einen Abhang hinabgeworfenen Mädchens, sollte Leilas Familie für die Hinrichtung der Männer bezahlen. Sie konnte das Geld jedoch nicht aufbringen, und die Männer wurden aus dem Gefängnis entlassen.
Die Islamische Republik behauptete, diese Gesetze würden auf den sogenannten »Blutgeld«-Regelungen in der islamischen Scharia basieren, aber meiner Ansicht nach waren sie nicht nur ungerecht, sondern stellten auch eine Verzerrung der wahren islamischen Rechtsgrundsätze dar.
Die Suche nach Gerechtigkeit vor Gericht machte Leilas Familie bettelarm. Leilas Mutter hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Tag für Tag in einem weißen Leichentuch vor dem Gerichtsgebäude zu sitzen und ein Plakat hochzuhalten, auf dem der Überfall auf ihre Tochter beschrieben wurde. Wie in Mein Iran ausführlicher beschrieben, übernahm ich ihren Fall, und obwohl es mir nicht gelang, auch nur annähernd so etwas wie Gerechtigkeit zu erwirken, gab ihre Leidensgeschichte den Ausschlag dafür, dass ich beruflich einen neuen Weg einschlug, nämlich den als Menschenrechtsanwältin. Der für Leilas Fall verantwortliche Richter beschuldigte mich zwar, mit meiner Verteidigung den Islam zu kritisieren, doch ich bot ihm die Stirn, indem ich mich auf das islamische Recht und die islamischen Grundsätze berief. Ich stellte fest, dass viele Richter der Islamischen Republik wenig oder gar keine Kenntnis von islamischen Rechtsgrundsätzen hatten, aber auch, dass viele iranische Frauen völlig ahnungslos waren, auf welch ungeheuerliche Weise das Gesetz sie diskriminierte. Erst wenn sie in ihrem Leben an einen dunklen Scheideweg gelangten – durch eine Scheidung, den Tod eines Kindes, den Kampf um ein Erbe –, erkannten sie, wie gering ihr Status vor dem Gesetz war.
Ich ging mit Leilas Fall an die Öffentlichkeit und schrieb Artikel darüber. Die ausführliche Berichterstattung in der iranischen Presse führte bald zu einem öffentlichen Aufschrei. In einem meiner Artikel legte ich dar, dass das Strafgesetzbuch laut den »Blutgeld«-Regelungen einem Mann, der eine Verletzung der Hoden erleidet, eine Entschädigung zuspricht, die dem Wert des Lebens einer Frau gleichgesetzt wird. Ich formulierte dies so: Wenn eine Frau mit einem Doktortitel von einem Auto überfahren wird und stirbt und ein ungebildeter Rowdy sich bei einer Schlägerei einen seiner Hoden verletzt, dann entspricht der Wert ihres Lebens dem seines verletzten Hoden, und stellte dann die Frage: Ist das die Art, wie die Islamische Republik ihre Frauen betrachtet?
Zum ersten Mal seit der Revolution wurde die Ungleichheit von Frauen vor dem Gesetz ins nationale Rampenlicht gerückt. Die Reaktion der Menschen zeigte, wie betroffen die iranische Gesellschaft von dieser Ungerechtigkeit war und welche Wirkung ein öffentlicher Aufschrei haben konnte. Doch mehr als alles andere ließ sie die Obrigkeit aufhorchen. Das war der Moment, in dem ich den Kurs einschlug, den ich bis heute verfolge: Gerechtigkeit vor dem Gesetz zu erwirken, indem ich für die Rechte der Schwächsten kämpfe – Frauen, Kinder, Dissidenten und Minderheiten – und mir die öffentliche Stimmung zunutze mache, um auf gesetzliche Änderungen zu drängen.
In der Islamischen Republik...