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E-Book

Wir haben nichts zu verlieren außer unsere Angst

Vom Widerstand in schwierigen Zeiten

AutorFiona Jeffries
VerlagRotpunktverlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783858698315
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die Angst regiert. Mit der Angst vor dem Fremden wird Politik gemacht, mit der Angst vor sozialem Abstieg werden Wahlen gewonnen. Sei es in Deutschland, in den USA, in Osteuropa oder in Brasilien - immer öfter präsentiert sich eine erstarkende Rechte als heroisches Rebellenlager gegen eine ungerechte Ordnung. Unsere offenen Gesellschaften werden auf eine Weise herausgefordert, wie es noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Was können wir dieser Angst entgegensetzen? Das fragt die kanadische Publizistin Fiona Jeffries in diesem ermutigenden und absolut dringlichen Buch. Was hat Menschen in der Geschichte immer schon zum Widerstand ermutigt? Acht Denkerinnen und Denker, acht kluge Gespräche zur Lage der Welt gestern, heute und morgen, darunter: die Philosophin Carolin Emcke über den neuen Autoritarismus; die Feministin Silvia Federici über Gewalt gegen Frauen und den Widerstand gegen Faschismus; die Soziologin Nandita Sharma über Nationalismus, Grenzen und Migration; der Sozialtheoretiker David Harvey über Neoliberalismus und die Stadt; oder der Historiker Marcus Rediker über die Figur des Rebellen in der Geschichte.

Fiona Jeffries, geboren 1968 in Vancouver, promovierte Kommunikationswissenschaftlerin, befasst sich als Autorin, Dozentin und Aktivistin mit den Themen Gewaltfreiheit, Recht auf Stadt und globale soziale Gerechtigkeit. Darüber hinaus engagiert sie sich in alternativen Medienprojekten. In Kanada lehrt sie an der Carleton University im Programm zur Förderung der Menschenrechte, zudem ist sie Gastwissenschaftlerin im Centre for Policy Studies on Culture and Communities der Simon Fraser University. Fiona Jeffries lebt in ­Ottawa.

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Leseprobe

FIONA JEFFRIES


EINLEITUNG


Die Gespräche für dieses Buch entstanden zu einer Zeit weitreichender globaler Umbrüche. Inmitten erster Anzeichen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise hatte ich 2007 mit den Interviews begonnen. Als im folgenden Jahr die Wall Street zusammenbrach, waren die Folgen rasch auf sämtlichen Kontinenten bemerkbar. Abermals wurde die Welt, ohnehin entkräftet von neoliberalen Umstrukturierungen, Kriegen, einer wachsenden politischen Entfremdung und gewaltsamer Enteignung, in Furcht und Schrecken versetzt.

Regierungen reagierten mit einer strengen Sparpolitik auf die Krise, was tiefe Einschnitte bei den sozialen Ausgaben mit sich brachte. Zur selben Zeit wurden die Etats fürs Hochrüsten der »öffentlichen Sicherheit« bedeutend aufgestockt. Rechtsnationale Politikerinnen und Politiker haben aus dieser globalen Verschiebung hin zu einem neoliberalen Sicherheitsverständnis Kapital geschlagen wie auch aus den wachsenden Ängsten der Bevölkerung: die Angst davor, den eigenen sozialen Status oder das nationale Ansehen zu verlieren, arbeitslos oder sogar obdachlos zu werden, eine grundsätzliche Angst vor einer Zukunft, die zunehmend verpfändet erscheint. In vielen Ländern präsentiert sich mittlerweile eine erstarkende Rechte als heroisches Rebellenlager gegen eine ungerechte Ordnung; weitverbreitete Ängste werden gnadenlos instrumentalisiert und Sündenböcke für die öffentliche Misere gesucht.

Doch seit 2011 hat sich in Tunis, Kairo, Athen, Madrid, Hongkong, Berlin, New York, Toronto, Istanbul, Mexiko-Stadt, São Paulo, Paris und in vielen anderen Städten Widerstand geregt. Massenproteste gegen Autoritarismus und staatlich verursachten Mangel haben sich über die ganze Welt ausgeweitet. Je mehr diese Aufstände an Dynamik gewonnen haben, umso systematischer und hörbarer wurde auch kritisiert, in welcher Weise Angst überhaupt als Mittel zur sozialen Kontrolle eingesetzt wird. Auch wenn wir uns einer scheinbar allgegenwärtigen Furcht gegenübersehen, wird vielen Menschen doch immer mehr bewusst, wie politisch diese kollektive Angst tatsächlich ist.

Im Lauf der letzten zehn Jahre wurde dieser kritische Geist weltweit und an zahlreichen Orten unter Beweis gestellt. So zeigten die Medien 2011 in den ersten Tagen des ägyptischen Volksaufstands, wie die Demonstrantinnen und Demonstranten ihr Beisammensein auf dem Kairoer Tahrir-Platz als einen gemeinschaftlichen Sieg gegen die Furcht feierten; mehrfach erklang der Ruf »Die Mauer der Angst ist gefallen!«. In Spanien verkündete derweil ein Banner des Kollektivs Juventud Sin Futuro (Jugend ohne Zukunft), Teil der Protestbewegung der Indignados, man habe zwar kein Zuhause, keine Arbeit, keine Rente, aber eben auch keine Angst. Ebenso waren viele der Zeltdörfer der Occupy-Bewegung in ganz Nordamerika mit Plakaten bestückt, die gegen die Tyrannei der Angst protestierten. Und eine Absage an die Angst erteilten auch die Proteste, die 2013 in der Türkei infolge der autoritären Regierungspolitik ausbrachen. Die türkische Journalistin Ece Temelkuran hat hierzu bemerkt, wie erstaunlich die transformative Wirkung in einer bis dahin politisch vollkommen verängstigten Gesellschaft gewesen sei: »Die Menschen überwanden nicht nur ihre Furcht vor der Staatsgewalt, sondern auch die Furcht vor ›dem Anderen‹.«

Die politische Landschaft scheint in den letzten Jahren immer paradoxer geworden zu sein. So wurde 2015 eine Aktivistin zur Oberbürgermeisterin Barcelonas gewählt, die sich nicht nur im Zuge der Indignados-Bewegung gegen Zwangsräumungen engagiert hat, sondern auch einer der führenden Köpfe des weltweiten Netzwerks Fearless Cities (furchtlose Städte) ist. Und während in Italien, Griechenland, Australien und den USA brutal gegen all jene vorgegangen wird, die vor Krieg und Gewalt fliehen, bauen dort gleichzeitig Aktivistinnen und Aktivisten neuartige Infrastrukturen der Betreuung und Versorgung auf, von Rettungsschiffen und Flüchtlingshotels über Depots von Wasserkanistern in der Wüste und kostenloser Rechtshilfe bis zu den Solidarity Cities, in denen alle Menschen ungeachtet ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltsstatus das Recht haben sollen, zu leben, zu wohnen und zu arbeiten.

Doch so heldenhaft und wichtig diese Bemühungen auch sein mögen – angesichts der gewaltigen autoritären Gegenreaktion, die heute weltweit zu spüren ist, erscheinen sie bei weitem nicht ausreichend. Sei es in den USA, in Brasilien und Indien oder in den Philippinen oder Ungarn: Die Behauptung, man kümmere sich um die Ängste vor einer chancenlosen Zukunft, vereint ein wachsendes Sortiment rechtsgerichteter Bewegungen. Im Gegenzug für die Loyalität ihrer Wählerschaft huldigen Figuren wie Trump, Bolsonaro oder Orbán diffusen Ängsten gegenüber der Gegenwart und verlagern diese Ängste auf all jene, die sie sozial noch weiter schwächen wollen.

Vor fünf Jahren dokumentierte der Fotojournalist Emin Özmen die Protestbewegung im Gezi-Park; heute sagt er, dass sich die Angst wieder ausgebreitet habe: »Protest wäre mittlerweile für viele Menschen undenkbar. Angst und Resignation lähmen.« Wir leben in stürmischen, widersprüchlichen Zeiten; Angst wird als Waffe missbraucht und Solidarität als zwangsläufig illusorisch oder exklusiv dargestellt. Doch der politische Widerstand gegen willkürliche Macht blickt auf eine lange Geschichte zurück, auf eine Vielzahl von Momenten, in denen die Mauern der Angst immer wieder eingerissen wurden. Angesichts der Aufstände, die heute weltweit an Häufigkeit und Größe zunehmen, erleben wir womöglich abermals einen solchen historischen Moment.

Dieses Buch versammelt eine internationale Gruppe von Denkerinnen und Denkern, Aktivistinnen und Aktivisten. Gemeinsam ist ihnen die Beschäftigung mit einer Frage, die in den letzten zehn Jahren immer dringender geworden ist: Wie können wir in einer angsterfüllten Welt kritisch denken und produktiv handeln? Die Gespräche in diesem Buch bieten Reflexionen und Anstöße aus unterschiedlichen Blickwinkeln und aufgrund vielfältiger Erfahrungen; sie sollen uns den globalen Aufstand gegen die Angst besser und neu verstehen lassen.

Jahrzehntelang konzentrierten sich Untersuchungen zu politischer Angst darauf, inwieweit diese die Demokratie bedroht oder das aufklärerische Ideal der Dominanz von Vernunft über Emotionen. In der jüngeren Vergangenheit bestimmten dann zwei prägende Ereignisse der Nullerjahre die Diskussion: die Terroranschläge vom 11. September 2001 und die globale Finanzkrise von 2008. Viele Soziologen, Filmemacherinnen, Medienkritiker und Philosophinnen haben die präzedenzlosen Auswirkungen dieser beiden Ereignisse als eine neue Ära globaler Angst gelesen. In Wissenschaft, Journalismus und Kunst wurde eine Renaissance der »Angststudien« lanciert, um das irrationale, gar grausame menschliche Verhalten zu verstehen, zu dem verängstigte Menschen schnell neigen.

Angefangen mit Spinoza in der frühen Neuzeit über Karl Marx bis zu Hannah Arendt und Frantz Fanon: Schon lange bevor unsere heutigen Schlagzeilen von Ängsten dominiert werden sollten, haben sich Denkerinnen und Denker damit befasst, auf welch zentrale Weise Angst als politisches Mittel für die Festigung von Macht und Hierarchien wirkt. In den 90er-Jahren, als das Ende des Kalten Kriegs soziale Gegensätze verschärfte und sich der neoliberale Kapitalismus endgültig ausbreitete, begann man sich noch einmal verstärkt für die politischen Auswirkungen kollektiver Angst zu interessieren. Bis dahin hatten die dominierenden englischsprachigen Untersuchungen zum Thema dazu tendiert, Angst weniger als Schauplatz politischer Kämpfe denn als individuelles psychologisches Befinden abzuhandeln.

Doch mit dem Vormarsch des Neoliberalismus zeigten schließlich immer mehr Studien, wie Angst als politisches Disziplinierungsmittel eingesetzt wird. So ist etwa untersucht worden, wie gerade die Vorgaben der herrschenden neoliberalen Globalkultur – absolute Selbstverantwortung und beständiges Streben nach sozialem Aufstieg einschließlich der tugendhaften Opfer, die vermeintlich dazugehören – eben jene Strukturen verdecken, die das Leben vieler Menschen überhaupt erst prekär, gefährlich und unsicher machen. Und wie könnten wir uns inmitten einer fortschreitenden Globalisierung voller systemischer Verunsicherungen auch nicht fürchten? Löhne sinken, Lebenshaltungskosten steigen, Null-Stunden-Verträge nehmen zu, in Nordamerika werden bereits ausgezahlte Sozialleistungen zurückgefordert, weltweit schießen die Nahrungsmittelpreise in die Höhe und die soziale Ungleichheit wächst rasant.

Andere Beobachter haben ihr Augenmerk auf die dominante neoliberale Medienkultur gerichtet: Dort beherrschen statistisch unwahrscheinliche Bedrohungen die Nachrichten – von Terrorangriffen bis zu Vergiftungen durch Blaualgen in Badeseen –, während im Vergleich dazu tatsächlich legitime Ängste bestehen. Liegt die allgemeine Aufmerksamkeit erst auf den überzogenen Ängsten, so das Argument von Sozialkritikern wie Barry Glassner und Mike Davis, ist die...

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