3. Einstellungsgespräche – Grundlagen und Strukturen
3.1 Definition und Ziel von Einstellungsgesprächen
Das Einstellungsgespräch ist das mit Abstand am häufigsten eingesetzte Personalauswahl-instrument. Es wird von Unternehmen und Bewerbern gleichermaßen geschätzt. Diese Beliebtheit dürfte darin begründet sein, dass Einstellungsgespräche aufgrund ihrer hohen kommunikativ-interaktiven Konstellation als besonders persönlich empfunden werden. Obwohl dem Bewerber im Gesprächsverlauf eine Leistung abgefordert wird, erlebt dieser stärker als in anderen Verfahren, wie z. B. Einstellungstests oder Assessment-Verfahren, Kontrolle über sein Handeln in der gegebenen Situation. (vgl. Böhm/Poppelreuter 2009, S. 76f.)
Ziel des Einstellungsgesprächs ist es, möglichst viele und aussagekräftige Informationen zu sammeln, um bewerten zu können, ob und in welchem Maße ein Bewerber die Anforderungskriterien für eine bestimmte Funktion erfüllt.
Wolfgang Böhm und Stefan Poppelreuter definieren das Einstellungsgesprächvon dieser Basis her kommend wie folgt:
„Beim Einstellungsgespräch handelt es sich um einen zweiseitigen Austausch arbeitsrelevanter Informationen zwischen dem Interviewer (Gesprächsleiter) und einem Interviewten (Bewerber) mit dem beidseitigen Ziel, Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus zu arbeiten und auf dieser Basis eine Entscheidung treffen zu können.“ (Böhm/Poppelreuter 2009, S. 76)
Nach Wolfgang Jetter (2008, S. 81) werden mit Hilfe von Einstellungsgesprächen die nachstehenden Ziele verfolgt:
Feststellung der Eignung eines Bewerbers für eine bestimmte Funktion (Prognose des Berufserfolgs)
Persönliches gegenseitiges Kennenlernen (Sympathie, Identifikation, etc.)
Kennenlernen der jeweiligen Erwartungen
Informationsweitergabe an den Bewerber hinsichtlich Unternehmen, Funktion, Team usw. („Verkaufen“ des Unternehmens)
Klärung von Vertrags- und Beschäftigungsbedingungen
Aus diesen Zielen wird ersichtlich, dass ein Einstellungsgespräch eine Menge Funktionen erfüllt. Schon allein deshalb ist es sorgfältig zu planen und vorzubereiten sowie adäquat durchzuführen und akkurat auszuwerten. Denn nur so können möglichst viele der mit einem Einstellungsgespräch verfolgten Ziele auch erreicht werden.
3.2 Gestaltungsvarianten
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass mittels einer Strukturierung von Einstellungs-gesprächen die Validität positiv beeinflusst werden kann. Die dem Gespräch verliehene Struktur steigert die Genauigkeit der Prognose und ermöglicht es, Verhaltensweisen insoweit kennenzulernen, dass eine verlässliche Aussage über das spätere Verhalten eines Bewerbers gemacht werden kann. (vgl. Müllerschön 2005, S. 79)
Obwohl der Strukturierungsgrad von Einstellungsgesprächen in der Praxis sehr stark schwankt, kann in der allgemeinen Betrachtung zwischen drei Einstellungsgesprächs-varianten unterschieden werden. Nachfolgend werden diese vorgestellt.
3.2.1 Das unstrukturierte Einstellungsgespräch
Beim unstrukturierten Einstellungsgespräch erfolgt sowohl die Vorbereitung als auch die Durchführung intuitiv. Der gesamte Auswahlprozess geschieht rein gefühlsmäßig. (vgl. Müllerschön 2005, S. 79)
Themen werden mehr oder minder zufällig abgetastet und angesprochen. Insofern ist das unstrukturierte Einstellungsgespräch als äußerst unsystematisches Instrument der Personalauswahl zu verstehen, das mit vielen Risiken verbunden ist. Dabei liegt die größte Gefahr in dem häufig schnell gefällten und subjektiv gefärbten Urteil für oder gegen einen Bewerber. Nicht selten wird dieses Urteil bereits zu Beginn des Einstellungsgesprächs gefällt, so dass die restliche Zeit dann nur noch zur Bestätigung dieses Vorurteils genutzt wird. So bewirken mitunter schon wenige Eindrücke die Entscheidung für oder gegen einen Bewerber.
Desweiteren kann ein unstrukturiertes Einstellungsgespräch die systematische Prüfung des zuvor erstellten Anforderungsprofils (s. Abb. 1, S. 11) nicht gewährleisten. Viele Faktoren des Profils fallen der fehlenden Struktur zum Opfer und werden vergessen oder vernachlässigt. Dies führt nicht selten dazu, dass Bewerber als geeignet angesehen werden, die sich in der Folge als wenig tauglich erweisen.
Trotz dieser Gefahren ist die unstrukturierte Form die am weitesten verbreitete Variante der Einstellungsgespräche. Dies mag damit zusammenhängen, dass unstrukturierte Einstellungsgespräche von jedem ohne große Vorbereitungen und ohne besondere Qualifizierung, also fast schon „zwischendurch“, durchgeführt werden können. (vgl. Lucas 2011, S. 8)
3.2.2 Das vollstrukturierte Einstellungsgespräch
Das vollstrukturierte Einstellungsgespräch ist das komplette Gegenteil der unstrukturierten Variante. Im Gegensatz zu diesem ist es in hohem Maße vom Anfang bis zum Ende durchstrukturiert. Dem vollstrukturierten Einstellungsgespräch liegt in der Regel ein im Voraus festgelegter Fragenkatalog zugrunde, der die systematische und vollständige Überprüfung eines aus dem Anforderungsprofil abgeleiteten Kriterienkatalogs ermöglichen soll. (vgl. Lucas 2011, S. 9)
Es soll nichts dem Zufall überlassen werden. Neben dem Anforderungsprofil, den Operationalisierungen der einzelnen Anforderungsmerkmale und der Gesamtstruktur des Gesprächs werden alle Fragen des Einstellungsgesprächs im Vorfeld exakt festgelegt. Dabei entsteht ein manifester Fragenkatalog mit dem die Absicht verfolgt wird, möglichst genaue Informationen zu erhalten und daraus resultierend zu einer absolut zuverlässigen Aussage hinsichtlich der Qualifikation der Bewerber zu gelangen.
So gestaltet sich der Ablauf eines Einstellungsgesprächs nicht mehr flexibel und in nur sehr geringem Maße situationsgerecht anpassbar. Jeder Bewerber bekommt unter dem Aspekt der besseren Vergleichbarkeit mit seinen Konkurrenten die Fragen in einer festgelegten Reihenfolge gestellt. Ist eine dieser Fragen nicht beantwortet, so wird sie in der gleichen Weise wiederholt. Ist der Bewerber, aus welchen Gründen auch immer, dann noch immer nicht in der Lage, die Frage (in Gänze) zu beantworten, dann gilt die Frage als nicht beantwortet, was eine negative Bewertung zur Folge hat. (vgl. Müllerschön 2005, S. 79f.)
Das vollstrukturierte Vorgehen in einem Einstellungsgespräch blockiert die Gesprächsentwicklung und -vertiefung. Spontane, vom Fragekatalog abweichende bzw. weiterführende Fragen sind nicht vorgesehen.Sohinterlässt die vollstrukturierte Gesprächsvariante bei den Bewerbern häufig den Eindruck von Starre und mechanischer Abfrage. (vgl. Lucas 2011, S. 9)
Auch die Personalverantwortlichen in den Unternehmen stehen dem vollstrukturierten Einstellungsgespräch eher skeptisch gegenüber, da sie sich ungern in ein zu starres Schema pressen lassen. (vgl. Jetter 2008, S. 95)
3.2.3 Das teilstrukturierte Einstellungsgespräch
In einem teilstrukturierten Einstellungsgespräch werden die flexible Gesprächsführung der unstrukturierten und die systematische Vorbereitung der vollstrukturierten Variante miteinander verbunden. Das teilstrukturierte Einstellungsgespräch basiert auf einer Reihe festgelegter Zielkriterien und Fragebereiche, die im Gesprächsverlauf durchgegangen werden. (vgl. Lucas 2011, S. 9)
Ausgangspunkt dafür ist die systematische Erarbeitung eines Anforderungsprofils. Darauf aufbauend werden im Vorfeld des Gesprächs dieAnforderungsmerkmale klar definiert, die im Gespräch hinterfragt werden. Ebenfalls wird vor dem Gespräch festgelegt, anhand welchen Verhaltens im Gespräch Aussagen z. B. über fachliche Qualifikationen und soziale Kompetenzen gemacht werden können.
Aus dem Gesprächsleitfaden eines teilstrukturierten Einstellungsgesprächs können, im Gegensatz zum Fragenkatalog eines vollstrukturierten Gesprächs, je nach Situation und je nach Anforderung und Gesprächsverlauf, einzelne Fragen herausgegriffen werden. Die Fragen müssen nicht nacheinander abgearbeitet werden. So kann das Gespräch trotz des ihm zugrundeliegenden Leitfadens flexibel durchgeführt bzw. gestaltet werden.
Vorteilhaft an einem teilstrukturierten Einstellungsgespräch ist auch, dass im Gegensatz zur vollstrukturierten Form, nicht ausschließlich vorbereitete Fragen gestellt werden, sondern dass die vorbereiteten Fragen lediglich als Einstiegsfragen in ein bestimmtes Thema dienen. Je nachdem, wie der Bewerber reagiert, kann so individuell vertiefend nachgefragt werden. (vgl. Müllerschön 2005, S. 81)
Das teilstrukturierte Einstellungsgespräch kann als die zuverlässigste und aussagestärkste Variante betrachtet werden. Es ist jedoch nicht einfach umzusetzen. Die von der Unter-nehmensseite aus am Gespräch beteiligten Personen (Gesprächsleiter) sollten daher entsprechend geschult und routiniert sein. (vgl. Lucas 2011, S....