Abb. 1: Alarmbefehl vom 19. Mai 1915. Land Tirol, Tiroler Landesarchiv.
DER ALARMFALL „I“
UND DIE AUFSTELLUNG DER INNSBRUCKER STANDSCHÜTZENBATAILLONE
Isabelle Brandauer
ABSTRACT
A lot has been published about the Tyrolean Standschützen in the past few years preliminary to Italy’s entry into the First World War a hundred years ago. However, the organization and formation of the Standschützen-battalions from the beginning of the war until Italy’s war declaration in May 1915 has not been of a major interest. Therefore, this article focuses on the preparations for the so called ‘alarm case “I”’ (“I” for Italy) and the organization of the Standschützenbatallions Innsbruck I, II and III.
Regarding that most of Tyrol’s male population suitable for active military service had been sent to the Russian-Serbian front until the end of 1914 the formation of the Tyrolean Standschützen was vital for the protection of the country that was left almost without any military protection. However, due to the numerous losses of soldiers and uncertainties concerning the specific use of the Standschützen at the front, the organization of the battalions until May 1915 was characterized by difficulties. These not only concerned equipment and arming but also the recruitment of men.
After the alarming of the Standschützen mid of May 1915 the three Innsbruck-battalions had to gather in Innsbruck, which had previously been divided into different sections, each of them destined to sustain one battalion including its supply units. From there they were transported to the Italian front line.
EINLEITUNG
Über die Tiroler und Vorarlberger Standschützenbataillone und ihre Verwendung als „letztes Aufgebot“ im Ersten Weltkrieg ist bereits hinlänglich publiziert worden. Wenig beachtet blieb dabei jedoch eine detaillierte Betrachtung der organisatorischen Abläufe vom Kriegsbeginn Ende Juli 1914 bis zur Kriegserklärung Italiens am 23. Mai 1915. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich daher mit den Vorbereitungen für den Alarmfall „I“ im Raum Innsbruck sowie der Aufstellung und Organisation der Standschützenbataillone Innsbruck I, II und III.
Bereits im Vorfeld des Ersten Weltkrieges waren vom österreichisch-ungarischen Generalstab „flexible“ Aufmarschpläne ausgearbeitet worden, die je nach Eintreten der unterschied-lichen Kriegsfälle realisiert werden sollten. Die Kriegsfälle erhielten dabei eine Buchstabenkennung, entsprechend den Kriegsschauplätzen: „R“ (Russland), „B“ (Balkan), „I“ (Italien) und „Ru“ (Rumänien). Die Aufmarschpläne wurden, sofern notwendig, jeweils im Herbst überarbeitet und hatten danach für ein Jahr Gültigkeit. Der Kriegsschauplatz in Italien wurde in drei Operationsräume eingeteilt: den Tiroler Raum mit dem nach Süden vorspringenden Trentino, den Karnischen Kamm und das Grenzgebiet am Isonzo. Die letzte gültige Aufmarschanweisung im Kriegsfall „I“ für das Jahr 1914 sah mehrere Varianten vor. Ihnen allen gleich war der Ansatz, in Tirol und an der Kärntner Grenze defensiv zu bleiben und am Isonzo in allgemeiner Richtung Westen anzugreifen.1
DIE AUFSTELLUNG DER INNSBRUCKER STANDSCHÜTZENBATAILLONE
Nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges am 28. Juli 1914 und der darauffolgenden Generalmobilmachung der aktiven Regimenter in Tirol erging auch der Aufruf an alle Mitglieder der k. k. Schießstände und Veteranenvereine als landsturmpflichtige Körperschaften. Das Landesverteidigungsgesetz vom 25. Mai 1913 hatte angeordnet, dass zur Entlastung der regulären Truppen außer den nach allgemeinen Vorschriften Landsturmpflichtigen auch die Mitglieder der k. k. Schießstände und Veteranenvereine, welche persönlich nicht wehrpflichtig waren, zu gewissen Dienstleistungen herangezogen werden konnten.
Nachdem von Tirol, bei einer Einwohnerzahl von rund 950.000, zu Kriegsbeginn etwa 85.000 Männer an die russisch-serbische Front verlegt worden waren, machte sich das Landesverteidigungskommando in Innsbruck Sorgen um die Sicherheit des von Truppen entblößten Kronlandes, zumal man befürchtete, dass sich Italien, der Nachbar und Bündnispartner Österreich-Ungarns, nicht bündnistreu verhalten würde. Daher ergingen im Herbst 1914 zahlreiche Aufrufe an die Bevölkerung, sich in den Schießständen eintragen, „einrollieren“, zu lassen. Diese Aufforderung richtete sich auch an Männer, die das 42. Lebensjahr überschritten hatten und somit nicht mehr landsturmpflichtig waren. Vor allem in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn fielen die Aufrufe noch auf fruchtbaren Boden und die Organisation der Standschützen konnte schrittweise begonnen werden. Als jedoch im Oktober und November 1914 die hohen Verluste der Truppen in Serbien und Galizien bekannt wurden, ging die Zahl der sich einschreibenden Männer, die „als ungediente Volltaugliche, Enthobene, gediente Ältere, rüstige Alte und ungediente Junge noch im Lande verblieben waren“2, zurück. Aufgrund der schweren Verluste wurden nun auch Musterungskommissionen im Lande tätig und viele zunächst für nicht tauglich befundene Männer eingezogen. Zusätzlich erweiterte man die Landsturmpflicht vom vollendeten 18. bis zum vollendeten 50. Lebensjahr. Außerdem ließ die Besorgnis, dass die Standschützen außerhalb des Landes verwendet werden könnten, die Werbung schwieriger werden. Um einem landesfremden Einsatz der Schützen vorzubeugen und ihre Verwendung bei der Sicherung der Widerstandslinie gegen Italien zu gewährleisten, wurden vom Landesverteidigungskommando in Tirol schließlich sowohl der organisatorische Stand der Standschützenformationen als auch die Zahl der bereitstehenden Schützen verschwiegen.3
Zu einem weiteren Rückschlag kam es zudem im März 1915, als sich die österreichisch-ungarische Regierung mit einem Verhandlungsangebot an Italien wandte. Die Nachricht, dass die Monarchie grundsätzlich dazu bereit war, das Trentino mit den Städten Trient und Rovereto sowie Istrien im Zuge von Kompensationsverhandlungen abzutreten, wirkte lähmend auf die Entwicklung der Standschützenformationen, die in diesem Monat einen Tiefpunkt erreichte. Mit der zunehmenden italienischen Kriegsgefahr im April begann die Bereitschaft zur „Einrollierung“ jedoch wieder zu steigen. Im Laufe des Monats wurden die Entwicklung und Aufstellung von Standschützenkompanien forciert, und es wurde mit der Bildung von Bataillonen begonnen.
Bei der Einteilung der Bataillone sollte darauf geachtet werden, dass die Stärke eines Bataillons den Stand von 1000 Mann inklusive Train nicht überschritt. Die Vorgabe, dass die Standschützen eines Gemeindeschießstandes möglichst nicht getrennt werden sollten, konnte jedoch in unterschiedlichen Kompaniestärken resultieren. Der Bataillonsstab bestand aus einem Kommandanten im Range eines Majors, dem Feldpater, einem Adjutanten, einem Proviantoffizier, einem Arzt, einem Rechnungsoffizier, einem Büchsenmacher, einem Bataillons-Hornisten, einem Pionier-Unteroffizier und vier Ordonnanzen. Das Bataillon wurde als selbstständige Formation angesehen, dessen Kommandant für die taktische und ökonomisch-administrative Führung verantwortlich war. Eine genaue Buchführung hinsichtlich der Stände (Grundbuch- oder Präsenzstand bzw. Verpflegsstand4), Bewaffnung und Gebühren auf Zugs-, Kompanie- und letztlich Bataillonsebene war dabei unumgänglich. Mit dem Bereitschafts- bzw. Abmarschtage mussten der Bataillonskommandant und die Kompaniekommandanten Tagebücher beginnen, in denen alle wichtigen Befehle und Vorkommnisse das Bataillon bzw. die Kompanien betreffend zu notieren waren.
Durch die regelmäßigen Musterungen und Neuzugänge bei den Standschützen musste die Zahl der Schützen der einzelnen Gemeindeschießstände mehrfach aktualisiert werden. Mittels Konsignationslisten, die in Form von Vordrucken an die Schießstände ausgegeben wurden, konnten genaue Verzeichnisse über jene Standschützen angelegt werden, welche im Falle einer Alarmierung zum Einsatz kamen. In diesen Listen wurden erhoben: die nominelle Anzahl der ausrückenden Standschützen, eine Einschätzung der jeweiligen Dienstverwendungsmöglichkeit, die generelle Eignung zum Ausmarsch sowie die Art der Bewaffnung. Mittels der Konsignationslisten konnten somit genaue Kenntnisse über den personellen Stand der einzelnen k. k. Gemeindeschieß-stände und, daraus folgend, die Stärke der Kompanien und Bataillone erschlossen werden. Diese dienten sodann als Grundlage für die Aufstellung des Bataillonsstabes und anderer Abteilungen wie etwa der Pionier- oder Sanitätsabteilung.5 Bei der Verwendung der dienstfähigen Standschützen und ihrer Zuteilung zu den einzelnen Abteilungen wurde in besonderem Maße Rücksicht auf die Qualifikation der Männer bzw. ihre Zivilberufe genommen: So wurde die Pionierabteilung einer Kompanie, die aus einem Unteroffizier und vier Mann bestand, vorzugsweise aus Zimmerleuten, Holzarbeitern oder Bauarbeitern gebildet. Außerdem wurde Wert darauf gelegt, dass die Leute der Abteilungen aus der gleichen Gemeinde stammten. Sollten sich diesbezüglich bei der Aufstellung der Abteilung...