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E-Book

Wo die Kartoffeln auf Bäumen wachsen

113 Tage als Matrose in der Karibik

AutorNils Straatmann
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783492970297
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Vom Hörsaal auf die »Stahlratte«: Nils Straatmann entflieht seinem Alltag in die Karibik und geht ohne Erfahrung und völlig abgebrannt an Bord eines alten Stahlloggers. Dort lernt der Student, wie man das Deck schrubbt, Segel setzt und die Maschinen ölt. Und zwischen backpackenden Hippstern, idyllischen Buchten und Taucheinlagen mit Haien erzählt er die Geschichte des Schiffs, die von der Berliner Hausbesetzerszene über Greenpeace bis nach Panama führt. Trifft ein Volk, in dem Frauen das Sagen haben. Und eifert seinem verstorbenen Großvater nach, der in jungen Jahren als Schiffskoch auf einem Dampfer über die Weltmeere fuhr, obwohl für ihn nur das Gebiet zwischen Jadebusen und Nord-Ostsee-Kanal vorgesehen war. Eine Reise zwischen Sonne und Schweiß, Wind und Wellen - und zu sich selbst.

Nils Straatmann, 1989 bei Hamburg geboren, lebt in Leipzig und schreibt Artikel u.a. für die taz, Freemen's World und Süddeutsche Zeitung. Er ist Mitglied der Autorennationalmannschaft des DFB, tritt seit 2008 als »Bleu Broode« auf deutschen Slam-Bühnen auf und moderiert Podcasts wie »Mehr als ein Spiel« des DFB und Radiosendungen wie »Nils leichter als das«. Zuletzt erschienen von ihm bei Malik »Auf Jesu Spuren. Eine Wanderung durch Israel und Palästina« sowie gemeinsam mit Robby Clemens dessen Abenteuerbericht »Bis ans Ende der Welt und zu mir selbst«.

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Leseprobe

ABFAHRT

»Stahlratte. Become a sailor.«

13. JUNI 2013,
DRITTER TAG NACH DER ANKUNFT IN PANAMA CITY

Es ist fünf Uhr morgens, die Stadt schläft, selbst Arosa ist noch nicht wach. Ich sitze auf der Terrasse des Panama by Luís, vor mir mein geöffneter Laptop, auf dem Tisch die Gläser der letzten Nacht. Irgendwo über mir raschelt ein Vogel.

Sobald ich weiß, wo du in Panama City steckst, kann ich die Transportleute anrufen, damit die dich dort aufgabeln. Die fahren dich dann nach San Blas, von wo aus es per Kanu weitergeht bis zum Schiff. Alle kennen mich dort, und wenn du sagst, du willst ›zur Stahlratte zu Lale‹, dann wissen alle Bescheid, und du wirst ohne Weiteres zu uns gelangen. So weit dann erst mal … bis in Kürze, Lars

Das hat mir der Kapitän geschrieben. Vor einer halben Stunde hätten die Transportleute da sein müssen.

Neben mir sitzen drei Italiener, braun gebrannt und sommersprossig, die Brust zu breit für ihre Schultern. Auch sie wollen nach San Blas. »Isla Robinson«, erzählen sie mit feierfreudiger Stimme. »Party at the beach. Party and coconuts, haha, and rum, yeah!« An ihren Handgelenken baumeln noch die Armbänder irgendeines Klubs, der seine Türen erst gegen Morgengrauen geschlossen hat.

Wir hören das Knirschen von Reifen auf Kies, dann Hupen.

»To San Blas?«, fragt der Fahrer durch das heruntergekurbelte Fenster.

Als er aussteigt, um uns beim Einladen des Gepäcks zu helfen, offenbart er uns einen stattlichen Bauch. Nacheinander schiebt er die vier Rucksäcke hinter die Rückbank, doch dann wird er stutzig.

»¡No, no! No quatro. ¡Tres!« Er hebt vier Finger der linken Hand und schüttelt den Kopf. Dann zählt er uns ab, hält drei Finger nach oben und nickt.

Wir schauen uns verwirrt an.

In diesem Moment kommt Luís, der Hostelbesitzer, die Treppe herunter in den Innenhof und schaltet sich in das Gespräch ein.

»You need to be three persons. Not four.«

»But we are four«, sage ich und halte zum besseren Verständnis vier Finger nach oben.

Der Fahrer schüttelt den Kopf. »Tres.« Er zeigt drei Finger.

Die Italiener machen ein komisches Gesicht, dann steigen sie an mir vorbei in den Wagen.

»No quatro. Tres«, wiederholt der Fahrer, an mich gewandt.

»Not four. Thr…«

»I know«, unterbreche ich Luís. »But I booked that taxi!«

»No quat…«

»YES

Der Fahrer grinst erleichtert, als ob alles geklärt wäre, dann schreitet er zur Fahrertür.

»But I need to go to San Blas!«, rufe ich. »To Stahlratte! To Lale!«

»To Stahlratte?« Der Fahrer dreht sich noch einmal um. Eine quälend lange Weile scheint er zu überlegen, dann antwortet er: »No. Ese carro va a San Blas.«

»I need to call«, wende ich mich an Luís, in der Aufregung beinahe meine Englischkenntnisse vergessend. »Can I use your phone?«

Unschlüssig reicht er mir sein Telefon. Ich reiße meinen Laptop aus dem Rucksack. Irgendwo habe ich doch die Nummer gespeichert!

Nach dem siebten Tuten meldet sich eine verschlafene Stimme.

»Hallo?«, frage ich. »Hallo, Lars?«

Ein tiefes Dröhnen zeugt von einer mit Inbrunst geputzten Nase. »Bidde?«

»Lars! Hier Nils, ich wollte doch heute auf die Stahlratte

»Is’ richtig.«

»Der Jeep ist voll. Die lassen mich nicht mitfahren!«

»Aha … Watt?«

»Keine Ahnung, ich sprech die Sprache nicht!«

»Gib mal her!«

Ich reiche das Handy weiter, und nach einigem unverständlichen Gerede höre ich lautes Gebrüll am anderen Ende der Leitung. Es klingt, als würde Lars die Situation deichseln.

Die Fahrer und er reden noch eine Weile weiter, dann wird mir das Telefon zurückgereicht.

»Is’ alles geregelt jetzt«, sagt Lars. »Die haben dich vergessen. Die schicken jetzt ein neues Taxi, das dich zum Schiff bringt. Kann ein paar Stunden dauern.«

»Ein paar Stunden?«, frage ich entsetzt.

»Keine Ahnung, wie lange das dauert. Die Jungs sind nicht so fix. Halt dich bereit. Und Alex kriegt erst mal einen Arschvoll.«

»Wer ist Alex?«

»Der Chef. Bis später.«

»Solo tres«, wiederholt der Fahrer kleinlaut. Er sieht mich fast entschuldigend an. Dann zieht er die Wagentür hinter sich zu und fährt davon.

Ich setze mich auf meinen Rucksack und stütze meine Stirn auf die Hände.

»You still need me?«, fragt Luís aus dem Hintergrund. Aus der Küche dringt Geklapper. Arosa beginnt, das Frühstück zuzubereiten.

Eine halbe Stunde später sitze ich im Taxi. Ein weiterer Jeep, vollgestopft mit Touristen, ist gekommen und hat mich eingesammelt. Wieder geht es über die Corredor Sur, diesmal aus der Stadt hinaus. Die Straßen von Panama City, die Skyline, alles wird kleiner. Vorfreude macht sich in mir breit.

Das Auto ist bis auf den letzten Platz besetzt. In den beiden vorderen Reihen vier schweigsame und leicht verkaterte Europäer, neben mir auf der Rückbank Lydia, eine Deutsche. Sie trägt einen bastenen Sonnenhut, unter dem rotes Haar hervorlugt.

»Das ist ja witzig, dass du auch aus Deutschland kommst!«, stellt sie euphorisch fest. »Die Welt ist echt klein! Immer wieder trifft man Fremde, und dann merkt man, dass die gar nicht fremd sind, sondern aus dem eigenen Land kommen! Und immer trifft man sich wieder. Ich hab Leute schon in Singapur getroffen und dann hier wiedergefunden! Krass, oder? Wir sehen uns bestimmt auch noch mal! Das ist immer so! Und woher kommst du?«

»Na … aus Deutschland«, sage ich.

Lydia fängt an zu gackern. »Klaro, Hase! Aber woher aus Deutschland?«

»Ach so … Also, ich bin in Hamburg geboren und in Bremen aufgewachsen.«

»Hamburg? Super! Da war ich noch nie. Da muss ich unbedingt mal hin! Wir können ja mal Nummern austauschen! Oder hast du Facebook?«

Bevor ich antworten kann, hat Lydia einen neuen Gedanken.

»Und Bremen? Wo liegt das denn?«

»Also, bei Hamburg …«

»Aaaach sooo! Na, ich komm aus dem Süden, da kommt man da oben halt nicht so hin. Deutschland müsste man eigentlich auch mal machen, oder? Liegt ja so nah!« Lydia lacht laut über ihren eigenen Witz.

Ich bin etwas überfordert. Eigentlich hatte ich gehofft, hier Spanisch zu lernen, und nicht damit gerechnet, direkt auf Deutsche zu treffen.

»Und … woher kommst du?«, frage ich.

»Na, aus Deutschland!« Lydia lacht wieder. »Spaß! Schweinfurt. Kennst du das?«

»Klar, Schweinfurt, da war ich schon mal.«

Lydia quiekt auf. »Echt, du kennst das? Das ist ja der Hammer!«

»Ja, da ist doch die große Militärbasis der Amerikaner, oder? Ihr habt doch die, wie war das noch mal, die höchste Etablissementdichte Deutschlands!«

»Wie meinst’n das?«

»Na, wegen der GIs!«

»Also, was jetzt, was meinst’n du mit Etablissement

»Puffs! Für die Soldaten! Zum …«

Lydia schaut mich pikiert an. Das kommt davon, wenn man Menschen so früh am Morgen so viel reden lässt.

»Also …«, sagt sie, um irgendwie das Gespräch noch zu einem würdigen Ende zu bringen. »Da seid ihr in Hamburg ja auch nicht schlecht, oder?«

»Voll!«, rufe ich einen Tick zu begeistert und lache.

Zum Glück verlangsamt unser Chauffeur bald die Fahrt und biegt, nachdem wir die Vorstädte hinter uns gelassen haben, auf den Parkplatz eines weiteren Super99 ein. Nacheinander verlassen wir den Wagen, der Fahrer bedeutet uns, ihm zu folgen.

»Migración«, sagt er.

Es mag zunächst verwirrend sein, innerhalb eines Landes gleich zweimal einzureisen, doch Kuna Yala, der indigene Name für San Blas, ist von Staats wegen eine semiautonome Region. Im Westen bis El Porvenir, im Osten bis zur Grenze Kolumbiens; ein etwa dreißig Kilometer breiter Streifen, der aus Küstenland und Inseln besteht. Das Gebiet steht zwar unter panamaischer Hoheit, doch in diesem Rahmen können die Kuna tun und lassen, was sie für richtig halten. Zwei indigene Abgeordnete im nationalen Parlament kümmern sich um Kuna-Belange, darüber hinaus haben die Kuna eine eigene Regierung. Die Polizei in Kuna Yala ist ebenfalls panamaisch, jedoch ausschließlich mit Kuna besetzt. So hat das Gesetz einen einigermaßen großen Spielraum. Einzig ein Zollposten vor der Küste von Cartí wird von panamaischen Soldaten geführt, wo die Pässe der ein- und ausreisenden Touristen sowie ihr Gepäck auf Drogen und verbotene Tier- und Pflanzenarten kontrolliert werden.

Wir überqueren den Parkplatz und steigen am Eingang des Super99 in einen leidlich instand gehaltenen Fahrstuhl, der uns unter Ruckeln und Surren ein Stockwerk nach oben fährt. Dort befindet sich ein weiterer Kundenparkplatz, auf dem lauter verdreckte Jeeps stehen. Durch eine schmale Tür in der Rückwand der Halle betreten wir ein schwach beleuchtetes Büro. Halb heruntergelassene Jalousien verhindern den Blick auf die Straße. Hinter einem Schreibtisch an der Stirnseite des Zimmers sitzen drei Kuna in Shirts und mit Military Caps auf dem Kopf, und davor steht, sitzt, liegt auf Rucksäcken und Umhängetaschen das Gros der Panama-Touristen.

»Hi, I’m Alexis«, begrüßt uns der mittlere Kuna. »We do now the immigration to Kuna Yala here. You see that lists?« Er deutet auf einen abgegriffenen Stapel Papier zu seiner Linken. »Please fill in your names, your passport number, the island you are going to visit and the purpose of your journey.«

Drei Kugelschreiber liegen aus, die Meute stürmt...

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