Was sind die wichtigsten Medikamente zur MS-Behandlung?
Die medikamentöse MS-Therapie hat mehrere Ansätze. Einige zielen auf eine Beeinflussung des Krankheitsprozesses selbst, andere richten sich gegen die durch die Krankheit verursachten Beschwerden (= symptomatische Therapie). Die folgenden drei Therapieansätze, die sich gegenseitig ergänzen, sind zur Zeit in der medikamentösen MS-Therapie etabliert:
- Schubtherapie: Bei akuten Krankheitserscheinungen (einem Schub) geht man von umschriebenen Entzündungsvorgängen am Gehirn, Sehnerv oder Rückenmark aus und behandelt mit Kortikoiden.
- Symptomatische Therapie: Unspezifische Beschwerden wie etwa Schmerzen oder eine Spastik können durch eine Reihe von Medikamenten mit nachgewiesener Wirksamkeit günstig beeinflusst werden, ohne dass sich dadurch der Krankheitsverlauf verändert.
- Immunspezifische Therapie: Für den längerfristigen Verlauf der MS hat die überschießende Reaktion des Immunsystems eine besondere Bedeutung. Die Häufigkeit und Schwere von MS-Schüben und das Fortschreiten einer neurologischen Behinderung kann durch Beeinflussung dieser Immunreaktion gemindert werden. Hierzu stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Die immunsuppressiven Medikamente unterdrücken (supprimieren) ganz allgemein die zelluläre Reaktion des Immunsystems, während die immunmodulatorischen Medikamente die veränderte Immunreaktion bei der MS gezielter beeinflussen (modulieren).
Welche der Therapiemaßnahmen einzeln oder in Kombination zur Anwendung kommt, hängt vom Einzelfall ab und muss bei jedem Betroffenen im Krankheitsverlauf immer wieder neu festgelegt werden. Wenn eine Behandlung bei einem Betroffenen Wirkung zeigt, bedeutet dies noch lange nicht, dass sie auch bei einem anderen in gleicher Weise günstig wirkt. Eine grundsätzliche Orientierung zur MS-Behandlung gibt das Stufenschema zur Therapie der MS (→ Abb. 2).
Abb. 2: Stufentherapie bei MS
Es wurde 2012 von der Gesellschaft für Neurologie (DGN) und dem krankheitsbezogenen deutschen Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) aktualisiert und verabschiedet. Viele Ärzte und Kliniken, aber auch Betroffene mit wiederholt aufgetretener Symptomatik, haben aufgrund ihrer Erfahrung eine eigene Therapiestrategie entwickelt.
Wie bei jeder medikamentösen Behandlung ist eine langfristige Anwendung von Medikamenten mit der Möglichkeit ernster Nebenwirkungen nur dann sinnvoll, wenn der zu erwartende Nutzen größer ist als das Risiko. Außerdem sollte zu Beginn jeder medikamentösen Behandlung eine offene und realistische Aufklärung über den erwarteten Nutzen wie auch über die möglichen Risiken durch den betreuenden Arzt stehen.
Das Ziel der Langzeitbehandlung besteht in einer anhaltenden Hemmung der Entzündungsaktivität und Eindämmung der Degeneration des ZNS der MS. Diese soll die Zahl und Schwere von weiteren Schüben verringern und damit auch die langsame Zunahme der Funktionseinschränkungen aufhalten. Man geht heute davon aus, dass die Entzündungsschübe schon am Anfang einer MS zu sogenannten axonalen Schädigungen führen, deren ungünstige Folgen nicht mehr zu beheben sind und die daher möglichst verhindert werden sollten. Die nach heutigen Vorstellungen diskutierten Vorteile eines frühen Behandlungsbeginns sind in → Abb. 3 dargestellt. Zur Langzeitbehandlung werden Medikamente eingesetzt, die die Reaktion des Immunsystems verändern (Immunmodulatoren) oder dauerhaft unterdrücken (Immunsuppressiva).
Im Gegensatz zu den Kortikoiden, die nur kurzfristig verabreicht werden, erfolgt eine Langzeittherapie über mehrere Jahre. Langzeittherapie bedeutet auch nicht, dass die behandelten Patienten in dieser Zeit frei von jeglichen Krankheitserscheinungen sind.
MS-spezifische Basistherapeutika
Der therapeutische Standard in der Behandlung der schubförmigen MS ist die Langzeittherapie mit sogenannten Immunmodulatoren. Dadurch kann langfristig der Verlauf der MS günstig beeinflusst und die Lebensqualität gesichert werden. Zur Basistherapie sind die beiden genannten Substanzgruppen erhältlich – die in ihrer Wirksamkeit als vergleichbar eingestuft werden.
Abb. 3: Einfluss eines frühen Behandlungsbeginns bei MS
Tab. 2: Immunmodulatoren (Interferone und Glatirameracetat).
Basistherapeutikum | Applikationsweg | Wirkverlust (durch Antikörper möglich) | Typische Nebenwirkungen nach DGN-Leitlinie (Deutsche Gesellschaft f. Neurologie) | Regelmäßige Laborkontrollen erforderlich? |
Glatirameracetat | Täglich unter die Haut spritzen | Nein | Reaktionen an der Einstichstelle, Post-Injektionsreaktion | Nein |
Interferon Beta 1a (s.c.) | 3 ×/Woche unter die Haut spritzen | Ja | Grippeartige Nebenwirkungen, Reizung an der Einstichstelle | Ja |
Interferon Beta 1a (i.m.) | 1 ×/Woche in den Muskel spritzen | Ja | Grippeartige Nebenwirkungen, Reizung an der Einstichstelle | Ja |
Interferon Beta 1b (s.c.) | Alle 2 Tage unter die Haut spritzen | Ja | Grippeartige Nebenwirkungen, Reizung an der Einstichstelle | Ja |
* → http://www.dgn.org/images/stories/dgn/leitlinien/LL2008/II08kap_034.pdf Vollständige Angaben zu den Nebenwirkungen und Anwendungshinweisen der Arzneimittel finden Sie in den Gebrauchsinformationen (Beipackzettel). Informieren Sie bitte Ihren Arzt oder Apotheker, wenn eine der aufgeführten Nebenwirkungen Sie erheblich beeinträchtigt oder Sie Nebenwirkungen bemerken, die nicht in den Gebrauchsinformationen angegeben sind. |
Interferon-beta
Interferon-beta wird schon seit mehr als zehn Jahren zur Langzeitbehandlung der MS eingesetzt. Es handelt sich um ein auch normalerweise im Körper gebildetes Eiweiß, das bestimmte Entzündungsvorgänge stark unterdrückt. Die Wirkung beruht vermutlich darauf, dass Interferon-beta aktivierte T-Lymphozyten daran hindert, die Basalmembran von Blutgefäßen zu durchdringen, wodurch sie nicht in das Nervensystem übertreten können. Zusätzlich hemmt es die Produktion entzündungsfördernder Eiweiße. In zahlreichen kontrollierten Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass sie die Zahl und Schwere von Schüben vermindern. Die Hemmung der Entzündungsaktivität lässt sich auch im Magnetresonanztomogramm nachweisen und die Zahl neuer Entzündungsherde im Gehirn ist unter Interferon-beta deutlich geringer als bei nicht behandelten Vergleichsgruppen.
Glatirameracetat
Glatirameracetat wird seit mehr als 15 Jahren zur Therapie der schubförmigen MS eingesetzt. Es handelt sich um ein dem basischen Myelinprotein ähnelndes Eiweißgemisch aus den vier Aminosäuren Glutaminsäure, Lysin, Alanin und Tyrosin (auf den vier Anfangsbuchstaben beruht auch der Name), das in einer Dosis von 20 Milligramm täglich unter die Haut gespritzt wird. Nach den bisherigen Studien vermindert Glatirameracetat wie die Interferone – allerdings aufgrund eines anderen Wirkungsmechanismus – ebenfalls die Schubrate, vor allem bei gering betroffenen Patienten. Darüber hinaus bewirkt eine Behandlung mit Glatirameracetat eine deutliche Abnahme »aktiver« Läsionen im Magnetresonanztomogramm einschließlich einer Verringerung des Übergangs in sogenannte »schwarze Löcher« (englisch: black holes). Derzeit geht man davon aus, dass Glatirameracetat seine Wirkung doppelt entfaltet und zwar einmal durch eine Verminderung der Entzündung im ZNS, andererseits durch eine Reduktion der davon entkoppelten Degeneration von Nervenzellen. Dies geschieht u.a. durch eine Verschiebung der T-Helferzellen-Lymphozytenantwort vom entzündungsfördernden TH1- zum entzündungshemmenden und eher schützenden TH2-Typ. Diese durch Glatirameracetat modulierten TH2-Zellen finden sich im ZNS.
Allgemeine Immunsuppresssiva
Azathioprin
Einige Untersuchungen konnten zeigen, dass eine mehrjährige Therapie eine Abschwächung der Krankheitserscheinungen im Schub und eine...