Einleitung:
Rechte auf der Couch?
Psychologie und Politik, das passt für manche Menschen auf den ersten Blick nicht besonders gut zusammen. Diesen Eindruck habe ich jedenfalls in den letzten Monaten gewonnen. Wenn ich in meinem Umfeld davon erzählt habe, dass ich gerade darüber schreibe, mit welchen psychologischen und psychosozialen Mechanismen man den aktuellen Rechtsruck in der Gesellschaft erklären könnte, waren die Reaktionen stets ähnlich. Zunächst äußerten die meisten eine Art Hoffnung: Es könne ziemlich hilfreich für den Umgang mit rechten Tendenzen sein, wenn man genau verstehen würde, was in Menschen vorgeht, die sich zu Rassismus, Nationalismus und antidemokratischen Ideen bekennen oder sie zumindest gutheißen, so der Tenor. Vielleicht könne man auf der Basis dieses Wissens Einfluss nehmen? Im besten Fall sogar verhindern, dass sich rechtes Gedankengut in den Köpfen der Menschen festsetzt? Im nächsten Schritt bekamen viele dann aber schnell Zweifel, der sich in der Frage niederschlug, ob es überhaupt etwas gäbe, das Psychologen substanziell zum Thema beitragen könnten. Der zunehmende Rechtsextremismus in Deutschland, der Machtgewinn von rechtspopulistischen Parteien hier und anderswo, die aggressive Stimmung im Land, das alles sei doch eine durch und durch politische Angelegenheit, Folge der sozioökonomischen Situation und der allgemeinen Politikverdrossenheit.
An dieser Sicht ist natürlich etwas dran. Die übergeordneten politischen und sozialen Entwicklungen und die historischen Wurzeln rechtsextremer Positionen spielen immer die Hauptrolle, wenn man die Wahlergebnisse hierzulande und auch den Hang zu autoritären Führungsfiguren weltweit verstehen will. Doch aus psychologischer Sicht bleibt eine Lücke: Aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen allein können noch nicht erklären, warum Menschen derart hasserfüllt und wütend auf die politische und soziale Lage reagieren oder angesichts von Flüchtlingen in Not keinerlei Mitgefühl mehr zeigen. Sie können auch nicht erklären, warum extreme Rechte und Populisten mit einer stets zunehmenden Grobheit über ihre Positionen sprechen und viele Menschen ihnen – gerade hier in Deutschland – in einem grimmigen Endlich-darf-man-das-wieder-sagen-Duktus zustimmen. Bei all diesen Entwicklungen spielen auch persönlichkeitspsychologische, tiefenpsychologische und sozialpsychologische Faktoren eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus wird die gesellschaftliche Stimmung derzeit stark von destruktiven Kommunikationsprozessen beeinflusst, die man aus einer medien- und kommunikationspsychologischen Perspektive oft konstruktiver angehen kann als durch kluge politische Debatten. Alle diese psychosozialen Fragen sind im Augenblick noch offen.
Dieses Buch beleuchtet verschiedene psychische Mechanismen genauer und macht transparent, inwiefern sie an der Entstehung von Rassismus, Nationalismus und undemokratischen Einstellungen beteiligt sind. Um Antworten und Erklärungen zu finden, habe ich Erkenntnisse aus der modernen Tiefenpsychologie, der empirischen Sozialwissenschaft, der klassischen Sozialpsychologie sowie der systemischen Psychologie herangezogen. Auch emotions- und kommunikationspsychologische Erkenntnisse fließen ein.
Wenn man sich von dieser Seite dem Thema nähert, nimmt man paradoxerweise zuerst einmal etwas Abstand von den aktuellen politischen Diskussionen, Demonstrationen oder Hass-Mails. Es ist ein bisschen so, als würde man sich von den normalen politischen Denkgebäuden aus Glas-Beton und den Protest-Bewegungen auf der Straße etwas wegbewegen, um für einige Stunden die verwinkelten Kellerräume des Fühlens und Denkens in Bezug auf politische Gesinnung zu betreten. So werden Zusammenhänge zwischen Psyche und stramm rechten Einstellungen sichtbar und es entsteht die Möglichkeit, mehr Präzision, Stringenz und Reflexion in die Diskussion zu bringen. Außerdem kann es mit diesem Wissen gelingen, auch einige blinde Flecken oder ungünstige familiäre Prägungen in Bezug auf Rassismus und Rechtsextremismus besser einzuschätzen und grundlegend zu verstehen.
Die Politologin und Philosophin Carolin Emcke äußert sich dazu in ihrem Essay »Gegen den Hass« folgendermaßen: »Es würde schon helfen, wenn die Quellen, aus denen der Hass sich speist, die Strukturen, die ihn ermöglichen, die Mechanismen, denen er gehorcht, besser erkennbar wären.« Die psychologischen Prozesse sind eine solche Quelle. Durch dieses Buch werden sie greifbar.
Für eine bessere Übersicht ist das Buch in drei Abschnitte geteilt: Innen, Außen und Machen. Zu Beginn werden vor allem die psychologischen Wurzeln für rechte und rassistische Einstellungen freigelegt. Hier geht es um Prägungen des Einzelnen im Wechselspiel mit Familie und Gesellschaft. In den Kapiteln eins bis vier wird beispielsweise deutlich, wie abwertendes oder autoritäres Denken überhaut entsteht und welch zentrale psychische Funktion es für viele Menschen hat. Im zweiten Abschnitt des Buches, in den Kapiteln fünf bis sieben, wird die Frage beantwortet, welche äußeren Faktoren bereits bestehende rechtsextreme Einstellungen sichtbar machen und verstärken können. Hier geht es um den Einfluss des sozialen Umfelds auf die politische Gesinnung, um den gesellschaftlichen Umgang mit Emotionen sowie um psychologische und manipulative Tricks von Agitatoren und Rechtspopulisten. Im dritten und letzten Abschnitt (Kapitel acht und neun) zeige ich, was wir selbst tun können, um dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen, und wo wir sinnvollerweise damit anfangen können. Es gibt beispielsweise ganz konkrete Empfehlungen, wie man mit Rechten reden kann, ohne an der platten Rechts-Rhetorik abzuprallen. Darüber hinaus zeigt ein Kapitel, warum auch Selbstreflexion und Selbsterkenntnis einen Teil dazu beitragen, autoritäres Denken und Handeln in der Gesellschaft zu vermindern oder sogar zu überwinden.
Ein Tipp für Ungeduldige: Fangen Sie mit den praktischen Tipps an, einer Art To-do-Liste auf der Seite 249. (Kapitel zehn). Dort finden Sie 40 Anregungen, was Sie sofort tun können, wenn Sie bei den psychologischen Faktoren ansetzen und selbst aktiv werden wollen.
Bevor Sie nun in die Kapitel einsteigen, ist mir noch eine grundlegende Anmerkung wichtig: Wenn man versucht, psychische Mechanismen verstehbar zu machen, die zu radikalen rechten Einstellungen führen, dann ist man oft nur noch einen – manchmal gefährlich kleinen – Schritt vom Verständnis entfernt. Leicht drängt sich das Bild vom Nazi auf der Couch auf, dem man empathisch zuhört, dessen innere Zerrissenheit oder Orientierungslosigkeit man nachvollzieht. Die Gefahr dabei ist, dass genau diese Opferrhetorik extrem Rechte häufig nutzen, um ihre Gesinnung und ihr Tun zu rechtfertigen. Wie absurd und unfreiwillig komisch diese Art des verständnisvollen Zurechterklärens wäre, hat schon die Band »Die Ärzte« in ihrem Song »Schrei nach Liebe« beschrieben, den sie Anfang der 1990er-Jahre nach den Anschlägen von Hoyerswerda veröffentlichte. Im Refrain des Liedes heißt es: »Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe, deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit, du hast nie gelernt dich zu artikulieren und deine Eltern hatten niemals für dich Zeit – Oooho, Arschloch!« Dieses Stück habe ich beim Schreiben gelegentlich gesummt. Nicht nur, weil es ein Ohrwurm ist, sondern weil der Text des Songs zeigt, wo die Grenze der Empathie verläuft. Verstehen steht im Mittelpunkt – nicht Verständnis. Den Rechtsextremismus als Massenbewegung und als politisch stärker werdende Gruppe gilt es wach und ohne viel Skrupel zu bekämpfen.
Dennoch ist es meiner Ansicht nach auch nicht ratsam, jeden Menschen, der sich im Alltag rechtslastig äußert, von jetzt ab kategorisch zu meiden. Kommunikationsabbruch und eine mit dem Skalpell gezogene Grenzlinie zwischen »denen« und »uns« führen oft nicht zu einer Verbesserung der Situation. Eine Faustregel im Umgang mit latent rechtsextremen Statements – und »Faust« ist hier nicht wörtlich gemeint – gibt etwa die Initiative »Kleiner Fünf«, die beispielsweise vor Wahllokalen und in Fußgängerzonen mit »radikaler Höflichkeit« die Diskussion mit Bürgern sucht, um diese davon zu überzeugen, ihre Stimme nicht der AfD zu geben. Sie fordern: »Andere ernst nehmen. Sich nicht provozieren lassen. Konkrete Argumente liefern.« Es geht also darum, in der Sache hart, aber menschlich fair zu bleiben. Ich stimme dem weitgehend zu. Nicht nur als Tipp für eine gelungene Gesprächsführung, sondern auch als Wunsch, sich möglichst sachlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es gilt, ohne reaktiven Hass und allzu bereitwilliges Schwarz-Weiß-Denken dieses menschliche – wenn auch monströse – Thema anzugehen.
Bleibt noch die Frage, warum man die psychischen Dynamiken, die Menschen nach rechts treiben, überhaupt so genau kennen sollte. Die Antwort ist einfach: Es könnte unseren Blick auf viele gesellschaftliche Prozesse erweitern, würden wir auch im politischen Feld mehr mit irrationalen Anteilen rechnen. Menschen handeln auch im politischen Zusammenhang oft unvernünftig. Sie sind so stark von Emotionen, Prägungen, Wünschen, Kommunikationserfahrungen und Gewohnheiten beeinflusst, dass man diese wirkmächtigen Einflüsse in den Blick nehmen sollte.
Eine Reihe von Studien des Politologen David Redlawsk von der University of Delaware zeigt beispielsweise, dass Menschen, die wählen gehen, oft allein bei der Frage, wo sie ihr Kreuz machen, erstaunlich irrational vorgehen. Sie entscheiden sich nach Gefühl für eine Partei, der sie vertrauen, die sie sympathisch finden, die sie schon gut kennen oder von der sie denken, dass sie ihre Ziele vertritt. Oft...