TEIL I
DIE WURZELN
Inspiration
Der männliche und der weibliche Körper sind sich vom Aufbau her ähnlich, unterscheiden sich aber in vielerlei Hinsicht und ergänzen sich jeweils. Was im männlichen Körper positiv ist, ist negativ im weiblichen; und was im weiblichen Körper positiv ist, das ist negativ im männlichen Körper.
Das ist der Grund, warum beide Körper zu einem Organismus werden, wenn sie sich in einem tiefen Orgasmus vereinen. Was positiv ist, trifft auf das Negative, das Negative trifft auf das Positive, sie verbinden sich und werden zu einem elektromagnetischen Strom.
Daher übt Sex eine so ungeheure Anziehungskraft aus, und ist so ungemein attraktiv. Diese Anziehungskraft besteht nicht, weil der Mensch ein Sünder oder unmoralisch wäre, auch nicht, weil die moderne Welt zu zügellos geworden wäre oder weil es obszöne Filme und Literatur gibt – es ist tief verwurzelt, es ist etwas Existenzielles.
Diese Anziehungskraft besteht deshalb, weil sowohl der Mann als auch die Frau für sich allein nur die Hälfte eines Kreises darstellen. Das Universum ist aber immer bestrebt, Unvollständiges wieder vollständig und ganz werden zu lassen. Dies ist eines der ewig gültigen Gesetze – die Bewegung hin zur Vervollkommnung. Die Natur mag keine Unvollkommenheit – welcher Art sie auch sein mag. Der Mann ist halb, die Frau ist halb, und sie können nur in diesem einen Moment ganz werden – wenn ihr elektromagnetischer Strom sich verbindet und sich ihre Trennung auflöst.
Darum sind die beiden wichtigsten Wörter in allen Sprachen „Liebe“ und „Gebet“. In der Liebe wird man eins mit dem anderen. Im Gebet vereint man sich mit dem ganzen Universum. Und so stimmen Liebe und Gebet in ihrem Innersten überein.
Osho, Das Buch der Geheimnisse, Bd. 2, Kap. 27
SEX IN EINEM NEUEN ZUSAMMENHANG SEHEN
Jeder Mensch interessiert sich für Sex. Sex ist das einzige Thema, das über die Jahrtausende bis hin zum heutigen Tag fasziniert, wenn er nicht sogar zur Obsession wird. Man kann sofort spüren, wenn es in einem Gespräch um Sex geht: Die Köpfe werden zusammengesteckt, und es wird mit Nachdruck geflüstert, und die Atmosphäre verdichtet sich sofort. Wenn Leute Angst haben über Sex zu sprechen oder sich für die „tierische Natur“ der Sexualität schämen, kann etwas Trennendes spürbar werden, eine Mauer der Spannung und Isolation umgibt sie.
Ob über Sex geredet wird, ob man ihn ignoriert, unterdrückt oder auslebt, ihn genießt oder durchsteht, er ist einer der wichtigsten Aspekte unseres Lebens.
Sex geht uns nie aus dem Sinn. Er ist ein zentrales Thema unserer Gedanken und Träume. Er ist Teil unserer Körperchemie, denn jedes sterbliche Wesen auf diesem Planeten ist aus dem Sexakt entstanden, durch die Vereinigung männlicher und weiblicher Zellen. Wir erkennen das bereits in unserer frühen Kindheit, wenn wir ganz natürlich und mit unschuldiger Freude unsere Genitalien berühren.
Sexualität begleitet durch unser ganzes Leben hindurch und drückt sich in den jeweiligen Phasen der Entwicklung entsprechend unterschiedlich aus. Sex ist die Quelle von ziemlich viel Schmerz und ebenso viel Vergnügen, von Angenehmem und Unangenehmem. Er bestimmt oft, ob wir glücklich oder unglücklich sind, ob wir beseelt sind oder uns quälen.
Schon allein sich die Fußnägel zu lackieren oder Lippenstift aufzulegen und Parfum oder Aftershave zu verwenden – all das sind Handlungen, um Sex anzuziehen. Heute in höchstem Maße sichtbar, werden wir ständig mit sexuell gefärbten Bildern, Worten und Filmen überflutet. Die Medien benutzen Sex, um zu werben, jemanden in Verruf zu bringen, Skandale zu provozieren. Und Menschen benutzen Sex, um Kontrolle auszuüben, anzulocken, zu missbrauchen oder den anderen zu verlassen. Unsere Fixierung auf Mode und Aussehen hat eine Menge mit Sex zu tun.
Wenn uns jemand attraktiv findet, verleiht uns das Vitalität und Selbstvertrauen, selbst wenn wir diese Person nicht sonderlich toll finden. Wird die Anziehung erwidert, sehen wir die Möglichkeit, dass daraus Liebe entstehen könnte, und das erfüllt uns mit Freude. Denn das ist es, wonach wir uns alle eigentlich sehnen: zu lieben und geliebt zu werden. Nichts ist wichtiger als das. Und wenn wir jemanden lieben, wird Sex zum gängigen Mittel der Kommunikation.
Sex kann aber auch der Grund für Kommunikationsprobleme, Streit, Gewalt, Verwirrung, Unzufriedenheit und Ruhelosigkeit sein. Ich habe gehört, dass Männer alle drei Minuten und Frauen alle sechs bis sieben Minuten an Sex denken. Wie auch immer diese Statistik aussehen mag, Tatsache ist, dass wir Menschen in einer fortwährenden Beziehung mit der Sexualität stehen, ob uns das nun gefällt oder nicht.
Sexuelle Energie und Lebensenergie
Es gibt einfach keinen Weg, sexuelle Energie zu unterdrücken. Sie ist unsere reine Lebenskraft. Auch wenn wir in unseren Gedanken häufig die sexuelle von „anderer“ Energie zu trennen versuchen: In Wahrheit handelt es sich um ein und dieselbe Energie. Energie ist schlicht und einfach Energie, mit der natürlichen Fähigkeit, sich zu bewegen. Und die Lebenskraft bewegt sich, ob durch Sex oder Überlebenswillen, durch Kunst, Sport oder Musik. Selbst wenn wir es versuchten, könnten wir diese Energie nicht unterdrücken oder ignorieren. Wir können nur lernen, sie auf intelligente und unbefangene Weise fließen zu lassen. Und obwohl Sex ein so weit verbreitetes Thema ist, gibt es Wenige, die einen Weg gefunden haben, eine erfüllende Sexualität zu leben oder Sex mit ihrem Herzen zu verbinden.
Untersuchungsergebnisse moderner Forschung haben gezeigt, dass eine „durchschnittlich“ sexuell aktive Person, wöchentlich zwanzig Sekunden orgasmische Ekstase erlebt, das sind neunzig Sekunden im Monat, und somit achtzehn Minuten im Jahr. Diese Berechnung basiert auf einem Orgasmus, der zehn Sekunden andauert. Und diese zehn Sekunden können für uns ja schon eine ziemliche weltbewegende Errungenschaft sein! Dann haben wir also in fünfzig Jahren sexueller Aktivität das Privileg, insgesamt ungefähr fünfzehn Stunden lang Ekstase zu erleben. Das ist erstaunlich – und erschreckend –, wenn man bedenkt, wie oft wir Liebe machen, und wie viel Zeit wir darüber hinaus damit verbringen, davon zu träumen und/oder uns den Kopf darüber zu zerbrechen!
Ganz offensichtlich sind Liebe und Sex für die meisten von uns keine wirklich erfüllende Angelegenheit. Sex ist nicht die beseelende, unschuldige, spirituelle Kraft, die er sein sollte und die uns in eine Welt voller Liebe und wahrer Leidenschaft bewegt. Er erfüllt uns weder auf einer tiefen Ebene, was uns die Kraft verleihen würde, unseren Alltag mit Enthusiasmus zu begegnen, noch hat er die Kraft, uns über den Druck und die Beschränkungen unseres Alltagslebens hinauszutragen.
Sexuelle Probleme zwischen Mann und Frau sind weit verbreitet, es gibt sexuellen Missbrauch, Frigidität, vorzeitige Ejakulation, Impotenz und sexuelles Desinteresse.
Sex und Intelligenz
Um dem entgegenzuwirken und die tiefe sexuelle Befriedigung zu erfahren, die wir eigentlich suchen, müssen wir einen intelligenteren Blick auf unsere Sexualität werfen. Wir sollten anfangen den Sex in einem neuen Zusammenhang zu sehen, aus einer anderen Perspektive.
Es ist gut, hinter die Ebene der Fortpflanzung zu blicken und aus dem Belohnungssystem von sofortiger körperlicher Lust auszusteigen. Dieser neue Blick wird uns frische Einsichten über die sexuelle Energie bringen – auf was sie am besten anspricht und wie wir Sex nutzen können, um die Liebe zwischen Mann und Frau stets neu zu gestalten. Die gute Nachricht dabei ist, dass Sex eine ungemein gesunde und stärkende Kraft ist, die wir genießen und zu unserem großen Vorteil nutzen können.
Sex in seiner höchsten Form trägt etwas Göttliches in sich. Er bringt uns dazu, wirklich „hier“ zu sein und die Unmittelbarkeit dieses Augenblicks zu spüren, in dem wir uns glücklich und wunderbar leicht fühlen. Es ist eine orgiastische biologische Ekstase, die aus dem dynamischen Zusammenspiel gegensätzlicher Kräfte entsteht und die unsere Seele nährt. Leider vertreten viele Religionen die Ansicht, Sex würde uns auf dem Weg zu Gott ablenken. „Ignoriere Sex um jeden Preis“, haben einige von uns gelernt – auch wenn wir in den Nächten feuchte Träume haben und tagsüber wie besessen vom Sex sind.
Das ist ein großes Missverständnis und ein großer Verlust für uns als menschliches Wesen. Wenn Sex auf Fortpflanzung und sofortige Belohnung reduziert wird und man seine Feinheit und spirituelle Bedeutung ignoriert, wird unsere Lebensenergie vergeudet, und das beeinträchtigt uns auf geistiger, körperlicher und seelischer...